Was würden Sie tun, wenn Sie eine Million Euro hätten? Einige werden sagen, »mich ganz schön einschränken müssen«, doch die meisten von uns würden etwa ihr Häuschen abbezahlen, für die Kinder etwas zurücklegen, oder sich etwas gönnen, was sie sich schon immer wünschten.
Die Frage, was man täte, wenn man plötzlich viel Geld besäße, ist mehr als nur ein sehnsüchtiger Tagtraum. Was wir meinen, dass wir tun würden, wenn wir viel Geld hätten, verrät uns, was wir wirklich wollen, was unsere wirklich »relevanten Strukturen« sind. Mancher stellt fest, dass er das, was er mit viel Geld tun würde, auch mit wenig(er) Geld anstellen kann, doch erst der kurze Traum gab ihm die innere Freiheit, überhaupt erst zu überlegen, was es ist, dass er wirklich tun will.
Ein ähnliches Denkexperiment: Wenn Sie ein Weiser oder ein alter Philosoph wären (ob mit oder ohne langem Bart und Prophetenstock), so wie die Klugen und Weisen, von denen wir in den Büchern lesen, was würden Sie sich selbst heute raten? Was würde ein weiser Mann unserem Kontinent raten, unserem Land?
Vorher-Nachher
Im Januar meldete der deutsche Staatsfunk:
Bericht des Innenministeriums – Zahl der Asylbewerber geht zurück (…) Damit sei seit Herbst 2015 ein „kontinuierlicher Rückgang“ der Asylzahlen zu beobachten, sagte Seehofer. Die getroffenen Maßnahmen zeigten „durchaus die gewünschte Wirkung“. Die Politik habe die Dinge im Laufe der letzten Jahre geordnet, sagte er. (tagesschau.de, 23.1.2019)
Die Meldung lief durch viele Publikationen; der informierte Bürger konnte sie auch mit Mühe nicht verpassen:
Zahl der Asylanträge sinkt um 16,5 Prozent (sueddeutsche.de, 23.1.2019)
Asylanträge und Zuwanderung sinken weiter (deutschlandfunk.de, 23.1.2019)
Zahl der Asylanträge sinkt – „Mehr Glück als Verstand“ (handelsblatt.com, 21.1.2019)
Zahl der Asylanträge sinkt um 16 Prozent (…) Insgesamt ist Horst Seehofer zufrieden: »Wir haben das Zuwanderungsgeschehen in den Griff bekommen«, sagte der Bundesinnenminister bei der Vorstellung der neuen Migrationsstatistik (br.de, 23.2.2019)
Der Bürger konnte durchatmen – zumindest laut den Talking Points, pardon: laut den seriösen Überschriften. Sicher, »wichtige Probleme bleiben weiterhin ungelöst«, wurde in denselben Artikeln vorsichtig gewarnt – doch wer nur kursorisch las, konnte zur Überzeugung gelangen: »Es läuft, es wird besser.«
Nachdem die Migrationskrise so-gut-wie-gelöst war, hatte der Bürger viel Panik-Potential angehäuft, und das brauchte ein Ventil. Da war, gewiss rein zufällig, eine Schwedin zur Panik-Prophetin aufgebaut worden, eine junge Dame mit blonden Zöpfchen, für welche die Eltern in Deutschland in den Verdacht des völkischen Gedankenguts kämen, und zur Schwedin passend eine »grüne« Panikpartei.
Am 26. Mai 2019 fanden die EU-Wahlen statt. Es war in Deutschland ein Erfolg für die Panikmacher.
Wenige Tage nach der Wahl lesen wir andere Schlagzeilen:
Zahl der Asylbewerber in der EU steigt deutlich (welt.de, 10.6.2019)
In den Monaten vor der EU-Wahl, wie nach der EU-Wahl berichtet wird, ist die Zahl der Asylbewerber in der EU um 15 Prozent gestiegen gegenüber dem Vorjahreszeitraum (siehe auch easo.europa.eu; welt.de, 10.6.2019).
Zur Perfidie gehört unter anderem, dass technisch das alles nicht einmal gelogen ist – es kommt auf die Gewichtung und Auswahl an. Die Schlagzeilen vor der Wahl implizierten, dass alles »im Griff« sei, dass die »Zahl der Asylanträge« sinkt; aber bereits da fand man in den Artikeln nebulöse Andeutungen vom »Migrationsdruck nach Europa«, der »immer noch hoch« sei (sueddeutsche.de), aber Deutschland beträfe das nicht mehr so sehr.
Politiker und Journalisten können sagen, sie hätten technisch nicht gelogen, denn die Zahl der Asylanträge in Deutschland sei in der Zeit vor Januar gesunken – es sei die Zahl der Erstanträge in der EU, die Anfang 2018 gestiegen sei. Andere sind der Meinung, dass die Auswahl und Betonung der Nachrichten im Sinne bestimmter Wahlergebnisse durchaus nah an der propagandistischen Lüge sein kann, selbst wenn das Detail stimmt.
Nun, in der EU herrscht Freizügigkeit, Pässe und Papiere verlieren sich schnell, wie jeder weiß, der schon einmal ein Dokument verloren hat, und wenn ein Migrierender sich entscheiden muss zwischen dem Frieren in Griechenland und dem Hunger in Ungarn auf der einen Seite, und dem Neubau in Willich, dem Neubau in Engensen, dem Neubau in Waakirchen oder dem Neubau in Bielefeld auf der anderen Seite, dann haben wir eine Ahnung, wie er sich bald entscheiden wird.
Auseinandersetzungen in Haiti
Die Tagesschau berichtet auf ihrer Website heute über den 90. Geburtstag von Anne Frank (tagesschau.de, 12.6.2019) und von der Heuschreckenplage auf Sardinien (tagesschau.de, 11.6.2019). Auch die Migrationskrise kommt vor, aber im üblichen linken Extrem-Framing: »Hilfsschiffe im Mittelmeer – Italien geht gegen Flüchtlingshelfer vor« (tagesschau.de, 12.6.2019) – von »Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten« wird geredet, nur von den Schleppern, die sich darauf verlassen, dass NGOs ihre »menschliche Fracht« abholen, von all dem kein Wort – passt wohl nicht ins »Framing«.
Gestern in den Abendnachrichten der ARD hatten der Staatsfunk genug Zeit, von der neuesten Spahn-Idee zu berichten, von Debatten in der CDU zur Kanzlerkandidatur, von der erwähnten Heuschreckenplage und von weit entfernter Kinderarbeit.
Sie berichteten nicht vom Missbrauch der Neunjährigen in Dessau (bild.de, 11.6.2019), nicht von den Großeinsätzen der Polizei, wenn wieder mal eine Autokorso-Machtdemonstration eine Innenstadt lahmlegt (siehe etwa tz.de, 11.6.2019), oder wenn eine Massenschlägerei das Krisengebiets-Feeling nach Deutschland bringt und Straßen von der Polizei gesperrt werden müssen (bild.de, 10.6.2019), und besonders nicht-berichtet wurde über Salafisten wie Herrn R.K., der einfach nicht abgeschoben werden kann (spiegel.de, 11.6.2019). Aus dem Ausland erfahren wir die skurrilsten Details, nur über die Explosionen in Malmö der schwedischen Welthauptstadt der Toleranz, über die erfuhren bislang wir eher wenig (siehe etwa thelocal.se, 12.6.2019, thelocal.se, 11.6.2019). – Für all das ist in den Staatsfunk-Nachrichten keine Zeit, auch die gestiegenen Asylbewerber-Zahlen in der EU muss ich verpasst haben (bei zdf.de, 10.6.2019 gibt es immerhin eine kurze Notiz zur dpa-Meldung, in die TV-Nachrichten am Abend hat es dann wohl nicht gepasst, man musste ja über Männer berichten, die schnell im Kreis fahren), es handelt sich ja nur um Deutschland und Europa, deren Zukunft gefährdet wird – aber dafür wissen wir nun von der Heuschreckenplage in Sardinien. (Der Anstieg der Asylbewerberzahlen wurde übrigens auch nicht am Vortag erwähnt, dafür aber Auseinandersetzungen in Haiti, die Wahl zum Übergangspräsidenten in Kasachstan und selbstredend weit vorne die neueste populistische Schnapsidee der Grünen – ob sie die Anfrage der größten Oppositionspartei zu den Einreisen via Flugzeug ebenso engagiert berichten werden?) – Ich stelle mir die Redaktionskonferenzen beim Staatsfunk so vor, dass man erstmal alles fortwirft, was zwar dringend wichtig und zukunftsrelevant ist, aber nicht ins »Framing« passt, und dann halbzufällig Nachrichten aus einem Haufen zieht, die man stattdessen berichtet, quasi al Füllmaterial rund um die Grünen-Parteiwerbung.
Klugheit und Weisheit
Was würden Sie tun, wenn Sie reich wären? Seien wir realistisch: Einige Bürger würden sich aufmachen um vor den Folgen gutmenschlichen Wahns zu fliehen – einige schmieden ja schon jetzt Fluchtpläne, auch wenn sie nicht reich sind, andere ziehen innerhalb Deutschlands in Gegenden, wo sie hoffen, dass die Veränderungen langsamer vor sich gehen.
Es gibt auch Bürger, die versuchen, doch noch etwas zu ändern – doch es ist nicht einfach; Freiheit, Vernunft und Demokratie haben Gegner mit tiefen Taschen. (Randnotiz: Einige wirklich Reiche, darunter Koch Brothers oder Soros Fund Charitable Foundation und Silicon-Valley-Größen arbeiten laut Medienberichten und deren eigenen Meldungen aktuell zusammen an einer neuen Initiative für den »Kampf gegen Online-Extremismus« – man könnte Zensur am Staat vorbei befürchten, wenn man ängstlich wäre, doch dazu besteht natürlich kein Anlass, denn Superreiche hatten nie andere als die edelsten Absichten. – Mehr dazu: charleskochinstitue.org, adl.org.)
Wenn Sie ein alter, weiser Philosoph wären, was würden Sie sich und Ihrer Familie heute raten? Was würden Sie dem Land und dem Kontinent raten?
Wir sind in der Lage, uns selbst zu einer klügeren Handlung zu raten, als die, die wir eigentlich unternehmen wollten; wir müssen uns »nur« in einen alten Philosophen hineindenken, sprich: Wir sind in der Lage, unsere Denkmuster zu ändern, wenn irgendwo in unserem Hinterkopf gespeichert ist, was diese klügeren Denkmuster denn sein könnten.
Ist eine ganze Gesellschaft in der Lage, sich selbst gegenüber weise zu sein? Nun, es wäre möglich, wenn die Lehrer und Zeitungen zur Klugheit und Weisheit erzögen.
Es ist besser
Der Westen wird geschwächt von Mächten, deren Motivation ich nicht immer verstehe.
Man könnte manche wacklige Theorie aufstellen und über das Saudische Geld in Silicon Valley berichten (siehe etwa qz.com, 18.10.2018, bbc.com, 27.1.2018). Man könnte über die geraunten und vermuteten Deals von US-Politikern und ihren Familien etwa mit China reden (etwa die von Hunter Biden, siehe Zusammenfassung bei Wikipedia). Man könnte über die Liste der Spender an die Clinton Foundation ins Grübeln geraten (darunter: Königreich von Saudi Arabien und diverse Scheichs, Bill und Melinda Gates, Rockefeller Foundation – siehe nytimes.com, 16.5.2012 – und sogar Millionen von der deutschen Regierung, siehe welt.de, 28.11.2016) – die Knäuel sind zu verworren, als dass ich es wagen würde, Vermutungen über Motivationen anzustellen. Ich weiß, dass ich zu wenig weiß, aber das weiß ich nachdrücklich.
Ich weiß nicht, warum so viel Zeit und Energie investiert wird in Propaganda, die dazu führen könnte, dass Deutschland seine Industrie und Wirtschaft lähmt, seine Energieversorgung vom Ausland abhängig macht und seine Gesellschaft destabilisiert. Dass ich nicht weiß, warum es passiert, heißt nicht, dass es nicht passiert. Oder, man denkt an die amerikanische Redensart: »If you’re not paranoid, you’re not paying attention.« – Frei übersetzt: Wenn du nicht paranoid bist, passt du nur nicht gut genug auf.
Ein Bonmot besagt: Es ist besser, reich zu sein als weise, denn dem Weisen tut seine Armut weh, dem Reichen aber nicht sein Mangel an Weisheit.
Nehmen wir an, dass Sie mit beidem gesegnet wären, mit Reichtum und Weisheit – was würden Sie tun?
Besonders in Krisenzeiten ist der Mensch gezwungen, große Entscheidungen zu treffen, obwohl ihm offensichtlich wichtige Informationen fehlen.
Was würden Sie tun, wenn Sie reich und weise wären – und wenn die Welt um Sie herum weniger bekloppt wäre? Was davon können Sie auch so tun, mit den Mitteln und dem Verstand, den Sie jetzt haben?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.