Die junge Generation in Deutschland ticke überraschend kapitalistisch, so die „Welt“ und bezieht sich auf eine Studie, die den Eindruck vermittelt, hier will eine Lobby-Gruppe das eigene Gesellschaftsbild transportieren. Wie die Zeitung einen „exklusiven“ Hype inszeniert und schnell wieder kassiert.
Was Qualität und Quantität von „Studien“ betrifft, ist man als skeptischer Zeitgenosse mittlerweile etwas abgestumpft. Zu viel rauscht hier durch die öffentliche Debatte – meist reichlich ephemer, also mit der Nachhaltigkeit des Lebens einer Eintagsfliege.
Aber dann wachten wir am Samstag, 14. Mai, doch aus unserem „Studien“-Wachkomma auf. Da titelt die Welt in einer Vorabmeldung für die Welt am Sonntag (WamS) vom 15. Mai doch tatsächlich unter Berufung auf eine „Studie“: „Kapitalismus-Glaube der Jugend? So tickt die Fridays for Future-Generation.“ „Glaube“ (sic!) – „“Friday für Future“ (sic!) Wörtlich dann: Die junge Generation in Deutschland ticke überraschend kapitalistisch. Zwei Drittel der 16- bis 29-Jährigen würden glauben, dass bei eigener Anstrengung der wirtschaftliche Aufstieg hierzulande für jeden möglich ist. Schließlich der Hammer: Nicht nur bei den jungen Anhängern der FDP, sondern auch bei den unter 30-jährigen Grün-Wählern neige eine große Mehrheit liberalen und marktwirtschaftlichen Haltungen zu.
So jedenfalls soll man sich die junge Generation als Wunschbild vorstellen. Der „Verein Junge Unternehmer“ hat dazu beim Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage in Auftrag gegeben. Die „Studie“ stützt sich auf insgesamt 1.216 mündlich-persönliche Interviews mit jungen Menschen ab 16 Jahren. Die Befragung wurde zwischen dem 24. Februar und dem 14. März 2022 durchgeführt.
Die Chefökonomin der „Welt“, Dorothea Siems, ist begeistert und schreibt – wohlgemerkt unter dem Label „Fridays for Future“: „Eigenverantwortung und Freiheit sind bei der jungen Generation angesagt. In keiner anderen Altersgruppe ist der Aufstiegsoptimismus so groß wie bei den 16- bis 29-Jährigen … Gut 70 Prozent der unter 30-Jährigen sind zudem überzeugt, dass Deutschland seinen Wohlstand in Zukunft nur halten kann, wenn es Menschen gibt, die unternehmerische Verantwortung übernehmen und wirtschaftliche Risiken eingehen.“ Die Vorsitzende der Jungen Unternehmer setzt das Schwärmen fort: Die Überzeugung der Jungen, dass sich eigene Anstrengung lohne, zeige, dass das Wohlstandsversprechen von Ludwig Erhard aufgehe und auch von den Jungen so wahrgenommen werde. Bravo, möchte man klatschen, endlich in der Realität angekommen
Indes, wenn man sich die „Studie“ und vor allem deren mediale Interpretation genauer anschaut, beschleichen einen doch Zweifel an der Aussagekraft der „Studie“. Zum Beispiel wird bei den Ergebnissen nicht differenziert nach männlich/weiblich, Ost/West, angestrebtem oder erworbenem Bildungsabschluss, mit/ohne Migrationshintergrund …
Pauschal wird zudem nach Sozialer Marktwirtschaft gefragt, aber was das Soziale daran ist, wird nicht gefragt: Welchen Beitrag sind die jungen Leute selbst bereit, für das Soziale zu tragen? Weiß man überhaupt um das Subsidiaritätsprinzip? Hat man schon mal davon gehört, wer die Väter der Sozialen Marktwirtschaft waren und dass die Basis der Sozialen Marktwirtschaft die Christliche Soziallehre ist? Aus solchen Wissenslücken heraus kann man sich gut als Liberaler oder als Grüner geben.
Nun, die „Studie“ vermittelt den Eindruck, hier will eine Lobby-Gruppe das eigene Gesellschaftsbild transportieren und Schlagzeilen generieren. Aber das Wunschbild entpuppt sich schnell als Zerrbild. Es fällt zum Beispiel auf, dass die „Jungen Unternehmer“ alle jungen Leute, die zuletzt „gelb“ oder „grün“ gewählt haben, in einen Topf werfen und zu vereinnahmen versuchen. Eine vergleichbare „Studie“, die die DGB-Jugend oder die die JuSos in Auftrag gegeben hätten, wäre jedenfalls spiegelbildlich anders ausgefallen.
Üben die Jungen Unternehmer also den Spagat zwischen liberal und grün, weil „gelb“ und „grün“ angesagt scheinen? In der Tat hat bei der Wahl zum Bundestag vom 26. September 2021 in der Summe fast die Hälfte der Erstwähler „gelb“ oder „grün“ gewählt: je 23 Prozent, indes votierten nur 15 Prozent für die SPD, 10 Prozent für CDU/CSU, 8 Prozent für die „Linke“ und für die AfD 6 Prozent. Die Datenbasis für diese Werte war eine Nachwahlbefragung der Wähler nach der Methode „Exit Poll“.
P.S.: Wir geben zu, dass wir auf die Samstags-Überschrift hereingefallen sind und die Welt am Sonntag um 7 Uhr für 5 Euro (Preis ohne die mitgekauften Brötchen) erworben haben. Das war wohl der „Zweck von die Ganze.“ Und siehe da: Der ganze „Fridays for Future“-Hype ist im Wirtschaftsteil der „Wams“ in einem dünnen Dreispalter unter der Überschrift „Junge glauben an den Kapitalismus“ versteckt. Und exklusiv, wie die Welt schon am Samstag behauptete, liegt die „Studie“ der Welt wahrlich nicht vor. Wir haben die Studie auf der Website der Jungen Unternehmer bereits am Samstag im Netz gefunden.
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Um es mal ganz deutlich zu formulieren, ist die Tatsache, das wir ein enormes Bildungsproblem in Deutschland haben.
Gerade bei den 16- bis 29-Jährigen, bis auf wenige Ausnahmen, sind diese Defizite besonders ausgeprägt.
„Zwei Drittel der 16- bis 29-Jährigen würden glauben, dass bei eigener Anstrengung der wirtschaftliche Aufstieg hierzulande für jeden möglich ist.“ Das trifft ja auch zu, obwohl die gängige linke Propaganda tönt, dass unsere Gesellschaft „strukturell ungeercht“ sein. Es wird unterstellt, dass es eben gläserne Decken gebe, oberhalb derer die Oberen die Posten und den höheren Wohlstand unter sich ausmachen. Da bejammert sich seit jahrzehnten die „Generation Praktikum“, in welcher die in prekären Arbeitsvertägen hängenden Sozio-, Polito- und andere -logen nicht einsehen wollen, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – ein falsches Studien- bzw. Ausbildungsfach gewählt haben. Aus eigener… Mehr
Verehrte(r) RM,
das trifft in Wirklichkeit leider nicht zu: 1. eigene Anstrengung, 2. wirtschaftlicher Aufstieg, 3 hierzulande 4. für jeden möglich – vielleicht in Einzelfällen.
Der Aufstiegsoptimismus bei den 16- bis 29-Jährigen ist Illusionsdenken, weil sie selbst längst kein realistisches Bild von 1. ihren Fähigkeiten, 2. der industriellen Wirklichkeit und 3. den politischen Plänen haben.