Tichys Einblick
Eine Betrachtung von Georg Gafron

Der Sieg der Angela Merkel ist die Niederlage der CDU

Das Fiasko der CDU ist zugleich das von 16 Jahren Angela Merkel / Kohl über Merkel: „Erst zerstört sie die Partei und dann Deutschland.“

IMAGO / IPA Photo

Der bevorstehende Abgang Angela Merkels von der Spitze der Union, die sie ungeachtet ihres formalen Rücktritts im Jahre 2018 bis heute fest im Griff hat, obliegt wie jedes Ende einer gewissen Tragik. Nicht nur, dass die kalte Frau aus dem Osten, wie so viele andere, an den Injurien der Macht des Amtes mit all ihren Privilegien besonders hängen würde. Es ist vielmehr die innere Sorge, dass es ihr vielleicht doch nicht vollständig gelungen sei, aus einer einst konservativ-christlichen, liberalen Partei eine gesellschaftlich linke Kraft zu machen. Unter diesem Aspekt gesehen, wird sie in die Geschichtsbücher als eine für die Geschicke der Bundesrepublik bedeutsame Kanzlerperson eingehen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Obwohl in einem Haus protestantischer Askese und Disziplin mit zugleich sozialistischer Überzeugung aufgewachsen, hat sie niemals besondere Nähe zum Christlichen erkennen lassen. Einen Gottes-Bezug stellte sie in ihren öffentlichen Verlautbarungen niemals her. Es ist auch nicht bekannt, dass sie, wie zuletzt Helmut Kohl, auf Auslandsreisen jemals Momente der Stille in einem Gotteshaus gesucht oder gar, wenn vorhanden, eine nahe Kapelle zur morgendlichen Andacht aufgesucht hätte. Merkel ist ein Kind sozialistischer Erziehung mit der Sehnsucht nach einer Gesellschaft der disziplinierten Selbstbeschränkung in jeder Hinsicht. Nach diesen Kriterien bewertet sie auch ihr Umfeld. So kann es nicht verwundern, dass sie für die meisten Menschen eine stille Verachtung ob deren aus ihrer Sicht sinnentleerten Lebens empfindet. Genau da liegt auch das Geheimnis ihrer für jeden spürbaren Unnahbarkeit. Nur ganz wenigen Menschen gelang es, so etwas wie Wärme in den Beziehungen zu ihr zu entwickeln. Zu hoch ist ihr Maßstab, aber auch ihr Misstrauen. Angela Merkel ist möglicherweise einer der einsamsten Menschen, die es gibt. Nun hat sie dies mit vielen ganz anders gearteten Figuren der Geschichte gemeinsam. Nur waren und sind die wenigsten von ihnen mit einer so ungeheuren Machtfülle und der Verantwortung für die Geschicke eines ganzen Volkes ausgestattet.

Merkel ist auch der erste Kanzler der Bundesrepublik mit einem derart komplexen Charakter. Bis hin zu Helmut Kohl waren ihre Vorgänger geprägt durch Krieg und Nachkriegsgeschichte. Jeder von ihnen fühlte sich nach der großen Tragödie des deutschen Volkes fest der Bewahrung von Freiheit und individueller Entfaltung, gemäß der Philosophie von Humanismus und Aufklärung, verpflichtet. Die Kanzlerschaft Schröders steht für die Besitznahme der Macht durch die 68er-Generation. Aber Visionen hatte der Brioni-Träger keine. Entgegen aller vollmundigen Reden von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit stand über allem die möglichst schnelle Verwirklichung eigener materieller Sehnsüchte. Am Ende ging dieser Trieb soweit, dass sich der einstige Kanzler der Deutschen in den Dienst einer fremden Macht stellte. Die Geschichte wird ihr Urteil darüber fällen.

Ein Abgesang
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Erst mit Merkel zog ein missionarischer Geist in die Politik Deutschlands ein. Merkel hat im kleinen Kreis nie einen Hehl aus ihrer Überzeugung gemacht, dass die Bundesrepublik-Alt nicht ihren Vorstellungen von Gesellschaft entspricht. Nie hat sie den Traum von einer besseren DDR aufgegeben. Letztendlich hat sie auch in der Wiedervereinigung, im Gegensatz zur Mehrheit der Deutschen, nie ein bewegendes und hoch-emotionales Gefühl der Freude empfunden. Kurzum, ihr Ziel, und das unterscheidet sie von all ihren Vorgängern, war eine andere Bundesrepublik – so eine Art „DDR-light“. Es ist doch bemerkenswert, dass ihr das Wort Unrechtsstaat als Charakteristik der SED-Diktatur niemals über die Lippen gekommen ist.

Nun mag man sich fragen, warum ein so auf seine Intuition vertrauender politischer Charakter wie Helmut Kohl all dies nicht oder erst, als es schon zu spät war, erkannt hat. Ein Grund dafür ist ihre anscheinende Unscheinbarkeit. Merkel ist im Raum und, wenn sie will, nimmt sie niemand wahr. In der ersten Phase ihres Agierens ist sie äußerst zurückhaltend und beobachtend. Mit einem hohen Grad an Witterung und Aufmerksamkeit analysiert sie in Kürze die bestimmenden Personen und die Verteilung einzelner Machtzentren. Von da an bringt sie sich – immer noch leise und zurückhaltend – in die Abläufe, wohlgemerkt an der richtigen Stelle, ein. Da sie klare und durchdachte Absichten verfolgt, ist sie ihrem jeweiligen Gegenüber gedanklich bereits mehrere Schritte voraus. Wenn diese die Gefahr bemerken, sind sie meist schon erledigt. Auf diese Weise eliminierte sie mehr als ein Dutzend einflussreicher CDU-Politiker und brach auch damit der Union das Rückgrat ihrer politischen Identität. Es wäre müßig, all die Namen hier aufzuzählen. Jeder zeitgeschichtlich Interessierte kennt sie. Schnell begriffen die meisten in der Partei, dass jeder Versuch des Aufbegehrens zum Scheitern verurteilt ist und die Vernichtung bis hin zur materiellen Existenz bedeutet. Dabei geht „Mutti“ mit Zielstrebigkeit und kalter Härte vor. Dass Angst ein disziplinierender Faktor ist, hatte Angela Merkel ja früh begriffen.

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Zugleich strahlte sie in ihrer Unnahbarkeit Geborgenheit und Schutz für ihre Untertanen aus – „Mutti“ eben. Immer wieder tauchte sie über Wochen einfach ab. Niemand Anderem hätte das die veröffentlichte Meinung durchgehen lassen. Merkel durfte das. Sie genießt bis zum Schluss den Respekt einer Sphinx, einer geheimnisvollen Elfe, die im Nebel schwebt und dabei alles mit einem Kokon umwickelt. Helmut Kohl sagte einmal in kleiner Runde im Anschluss an eine Buchvorstellung in Bonn über Merkel: „Erst zerstört sie die Partei und dann Deutschland.“ Mit Blick auf die CDU ist ihr dies zweifellos gelungen. Doch wer soll ihre Strategie einer linken Republik zu Ende führen?

Eine zweite Merkel gibt es nicht. Ohne sie wird das Heer der Apologeten und Opportunisten alsbald in alle Winde verstreut sein. Auch die Union, ob sie es zugibt oder nicht, wird den Abgang Merkels als Befreiung empfinden. Das Unheil der Union ist, wie eingangs beschrieben, auch ihr eigenes. Sie konnte keinen Nachfolger finden und bestimmen, weil sie im Sinn des Wortes einzigartig ist. Armin Laschet ist ein Mann mit politischem Anstand. Visionen sind ihm fremd. Die CDU Deutschlands, die große Partei der alten Bundesrepublik und der Wiedervereinigung muss sich nach Merkel ordnen, Orientierung finden und neu aufstellen. Dafür kennt die Demokratie nur einen Platz: die Opposition. So ist das eben manchmal im Leben mit den Siegen. Auch Frau Merkel hat gesiegt, indem sie die Union in die Niederlage führte. Die ganz normalen Bürger haben mehr Gespür für das notwendige, als die machtrunkenen Politiker in ihren Elfenbeintürmen auch nur denken. Wie es freilich mit unserem Land dann weitergeht, vermag niemand zu sagen.

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