Kretschmers Putsch gegen den Parlamentarismus

Mit ihrem sogenannten "Konsultationsmechanismus" schaffen die CDU und SPD in Sachsen ein informelles Schattengremium, das das Parlament zur bloßen Kulisse degradiert. Hierunter zeichnen sich taktische Machtspielchen und politische Verachtung für den Wählerwillen ab.

picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert
Henning Homann (l), Co-Vorsitzender der SPD in Sachsen, und Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen

Es scheint viel zu wenig echte politische und historische Bildung in Deutschland zu geben, nicht für die Schüler, sondern vor allem für die Politiker des Brandmauerkombinats zu Fragen der Demokratie, insbesondere der repräsentativen Demokratie, des demokratischen Staates, des Parlamentarismus und der Achtung des Wählers. So bedürfen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Sachsens SPD-Chef Henning Homann dringend einer Unterweisung darüber, was ein Parlament ist und welche Rechte und Pflichten es hat. Ein Parlament setzt sich zusammen aus den gewählten Vertretern der Wähler, Abgeordnete genannt. Sie repräsentieren nicht nur den Wählerwillen, sondern sollten eigentlich die Interessen ihrer Wähler vertreten. Das ist nicht immer so, beispielsweise bei Annalena Baerbock, die deutlich gesagt hat, dass sie die Interessen der Ukraine vertritt, ganz gleich, was ihre deutschen Wähler davon halten.

Die Aufgabe des Parlaments besteht darin, dass dort – und nur dort! – die öffentlichen Angelegenheiten debattiert und schließlich dort die entsprechenden Gesetze und Verordnungen, aber auch Willensbekundungen, Resolutionen und Stellungnahmen zu Ereignissen mit gesellschaftlicher Relevanz beschlossen oder abgelehnt werden. In Sachsen soll nun nach dem Willen der CDU und der SPD das Parlament zu einer bloßen Scheinveranstaltung degradiert werden, indem die politische Auseinandersetzung aus dem Parlament genommen und der Öffentlichkeit entzogen werden, indem man sie in nicht öffentliche Kungelrunden verlagert. Weniger Achtung kann man vor dem Parlament und vor dem Wähler, genauer vor mindestens 31 % aller Wähler nicht an den Tag legen, heftiger kann man das Parlament nicht verachten, indem man es zur Attrappe macht.

Michael Kretschmer will in Sachsen mit der SPD eine Minderheitsregierung bilden, weil er sich schließlich mit dem BSW nicht einigen konnte und der Druck in der eigenen Partei gegen eine Koalition mit dem BSW zu groß wurde. Kultusminister Christian Piwarz (CDU), der König des Lehrermangels und Held des Niedergangs des sächsischen Bildungswesens, gab auf einer Pressekonferenz in Dresden bekannt: „Es wird einen Konsultationsmechanismus geben, der dem eigentlichen Gesetzgebungsprozess vorgelagert ist“. Die Landtagsabgeordneten sollen über Projekte der Landesregierung frühzeitig informiert werden, um sich daran zu beteiligen. Änderungsvorschläge und Ideen könnten dann eingearbeitet werden, bevor im Parlament abgestimmt wird. Wozu soll dann eigentlich im Parlament noch abgestimmt werden, wenn bereits vorher alles ausgekungelt wurde? Das Ganze wirkt ein wenig wie mittelalterliche Feme, wie politischer Exorzismus, Inquisition und Ketzerverfolgung. Zumindest scheint sich SPD-Chef Hohmann in diesen geistigen Welten zu bewegen, wenn er deutlicher als Piwarz wird, worum es eigentlich geht, denn trotz des lästigen Gesetzgebungsverfahren werden in den vorgelagerten Konsultationen AfD-Abgeordnete „keinen praktischen Einfluss mit ihren ketzerischen, mit ihren antisozialen Thesen auf Politik in Sachsen“ erhalten. Glaubenskrieger Homann geht es also um Ketzerverfolgung, darum 31 % der sächsischen Wähler jeden Einfluss auf die Gesetzgebung im Freistaat zu verwehren. Angesichts dessen stellt sich schon die Frage, ob der Begriff Frei-Staat noch angemessen ist.

Der sächsische AfD-Chef Jörg Urban hat leider recht, wenn er kritisiert, dass der Wählerwille „verhöhnt“ wird. Aber der Wählerwille wird nicht nur verhöhnt, sondern Geist und Buchstaben der Landesverfassung werden suspendiert. Im Artikel 48 heißt es: „Die Verhandlungen des Landtages sind öffentlich…“ Von einem Konsultationsmechanismus ist dort nicht die Rede, auch nicht, dass die Entscheidungen im Konsultationsmechanismus fallen, sondern der: „Landtag beschließt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen…“ Und zwar öffentlich. Und falls weder Michael Kretschmer, noch Henning Homann in der Lektüre der sächsischen Landesverfassung bis zum Artikel 52 gekommen sind, soll er hier lieber zitiert werden: „Der Landtag bildet ständige Ausschüsse.“ In diesen Ausschüssen finden die Konsultationen statt, werden bei Bedarf Experten geladen. Die Ausschüsse sind die verfassungsmäßigen Orte der Konsultationen, die nach Wählerwillen besetzt sind. Die sächsische Landesverfassung bietet also ein ausgezeichnetes und staatsrechtlich einwandfreies Verfahren zur Beratung, Qualifizierung und schließlich Abstimmung über Gesetze und Projekte.

Wenn man aber mit dem Konsultationsmechanismus ein Schattengremium schafft, dann wird das durch die Verfassung geschaffene Gremium zum Schatten, dann wird die Verfassung zum Schatten, dann wird die Demokratie zum Opfer der Bürokratie, die Legislative zum Opfer der Exekutive. Worum es aber eigentlich geht, versucht Kretschmer zu verheimlichen, ohne, dass es ihm wirklich gelingt. Kretschmer behauptet, dass auch die AfD Fraktion befragt wird, muss er ja, weil er die Opposition nicht aus dem Gesetzgebungsverfahren ausschließen darf, aber eben am Anfang und dennoch werde es mit der AfD keine Zusammenarbeit geben, die Abgrenzung bleibe bestehen. Also die AfD wird gefragt, aber ihre Antworten hört man nicht an oder sie wandern gleich in den Papierkorb? Hohmann von der SPD bestätigt den Verdacht, wenn er sagt, dass die AfD-Abgeordneten „keinen praktischen Einfluss mit ihren ketzerischen, mit ihren antisozialen Thesen auf Politik in Sachsen“, haben, denn in Sachsen werden wieder Ketzer ausgeschlossen.

Aber im Grunde ist der sogenannte Konsultationsmechanismus nur ein anderer Name für eine informelle Koalition mit dem BSW. Weil Kretschmer einerseits zu viel Ablehnung in der eigenen Partei erfährt, von nicht wenigen Mitgliedern, die eher einer Zusammenarbeit mit der AfD zuneigen und wenig Verständnis dafür besitzen, auf der Blockflöte zu spielen in der Zusammenarbeit mit den Postkommunisten. Andererseits Wagenknecht eine Regierungsbeteiligung in Sachsen, noch dazu mit Abstrichen an den eigenen Forderungen gerade mit Blick auf die Bundestagswahl ungelegen kommt, ist doch der Konsultationsmechanismus ein hübsches Potjomkinsches Dorf, hinter dessen Kulissen man sich in einer informellen Koalition trifft. Jedenfalls lehnt das BSW den Konsultationsmechanismus nicht ab, zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit, weil man sich natürlich „guten Lösungen nicht verschließen“ werde.

Aber Kretschmers Problem scheint eigentlich darin zu liegen, dass er Angst vor den Roten und vor den Grünen hat, mit denen er es sich nicht verderben will, weder in Sachsen, aber erst recht nicht im Bund, denn Kretschmer will nach Berlin. Und man weiß ja nicht, ob es zu einer schwarz-grünen oder zu einer Großen Koalition im Bund kommt. Hätte Kretschmer einzig und allein Sachsen im Blick, müssten seine Entscheidungen anders aussehen. Also taktiert er, er muss nur aufpassen, dass er sich am Ende nicht einmal zu viel um die eigene Achse gedreht hat.


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Kommentare ( 15 )

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Holger Wegner
57 Minuten her

Sinngemäss hat er gesagt, damit die AfD nicht wieder auf Martyrer macht, darf sie mitreden, aber in einem geregelten Verfahren. Was natürlich Qaurk ist, denn das Verfahren ist bereits geregelt, aber halt anders.

Johannes R. Brecher
1 Stunde her

Ich kann nur an die Sachsen appellieren, was war das Land stolz auf euch im Jahre 1989. Die Märsche in Dresden und Leipzig haben doch erst eure Freiheit ermöglicht, die heute wieder mit Füßen getreten wird.

Jan Usko
1 Stunde her

Das Wort Repräsentant kann man inzwischen ja fast nur noch in Anführungszeichen setzen! Viele Politiker repräsentieren nur noch sich selbst. Und – ach ja: müssten nicht baldmöglichst wieder einmal die Gehälter erhöht werden? Hierbei ist man ja bestimmt nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen. Die politischen Inhalte hingegen kann man getrost in die zweite Reihe verbannen – dorthin, wo sie wohl nach Ansicht maßgeblicher Politiker sowieso hingehören und auch verbleiben sollten. Offenbar wird zukünftig nur noch „durchregiert“ – mit und ohne die Bevölkerung. Der Bürger darf dieser „demokratischen Ausgestaltung“ unseres Landes gern vom Sofa aus zuschauen und schon einmal… Mehr

Teiresias
1 Stunde her

Sind die Parlamente nicht schon lange Attrappe?
Gesetze werden von externen Anwaltskanzleien geschrieben, die oft genug Filialen von US-Kanzleien sind (z.B. Shearman & Sterling/Cum-Ex-Gesetze).
„Unsere“ Parlamente nicken doch nur noch ab, was in Hinterzimmern ausgekungelt wurde.
Neu ist nur, daß die AfD als mögliche Spielverderber diese Kungelei mit ihren Hintergründen öffentlich machen könnte – z.B. mit Untersuchungsausschüssen.
Also muss man die von allem fernhalten.
Aus Altparteiensicht ist das logisch.
Sie verteidigen die Nicht-Demokratie, die wir bereits hinter der Fassade haben, gegen eine mögliche Redemokratisierung mit der AfD.

Last edited 1 Stunde her by Teiresias
alter weisser Mann
1 Stunde her

Wenn es nur Sachsen wäre, oder nur Thüringen, wo Ramelow von Merkels Gnaden, oder nur der Bundestag, der sich lieber gar nicht meehr trifft, als Zufallsmehrheiten zu riskieren …
Merkste was? Es gibt kein „nur“ mehr, so verrottet ist diese „unsere“ Demokratie.
PS: Eine klassische GroKo-Regierung als Minderheitsregierung … so langsam wird die Sache putzig.

Last edited 1 Stunde her by alter weisser Mann
W aus der Diaspora
1 Stunde her

Und wieder einmal stelle ich mir die Frage: „Warum machen sie dabei mit?“
Diese Frage richtet sich an die Abgeordneten, denn die sind von den Bürgern gewählt um sie zu vertreten und dafür werden sie bezahlt.
Auf der anderen Seite müsste die AfD in Sachsen die gleiche Möglichkeit haben, die die CDU gerade im Bund besitzt. Die Geschäftsordnung schlicht in Frage stellen, abräumen – dafür sorgen, dass Stillstand herrscht.
Es wird langsam Zeit, dass sich die Abgeordneten daran erinnern, für was sie bezahlt werden.

Waldschrat
1 Stunde her

Zunächst einmal sollte sich Homann erklären, was er unter „antisoziale Thesen“ der Politik der AfD versteht. Bisher erkenne ich als Sachse eine antisoziale Politik durch das von der SPD geführte Sozial- und Gesundheitsministerium. Schaue ich ins Wahlprogramm der AfD in Sachsen, ist das alles andere als un- oder antisozial. Kretzschmer hat nicht nur Angst vor den Grünen und Roten, er hat offenbar auch Angst vor Merz. Wenn er ein Steinchen aus der Brandmauer zieht, war´s das mit den Ambitionen als Bundesminister. Kultusminister Piwarz, König des Lehrermangels, der ist gut. Unterrichtsausfall wird zur Normalität. Lehrermangel müsste es nicht geben. Man will… Mehr

Ede Kowalski
1 Stunde her

Die USA hat sich gerade eine Regierung gegeben, deren Schlagkraft grösser ist, als vielen lieb sein dürfte.
In Deutschland hingegen breitet sich die Seuche aus, dass Wahlen anders als im demokratischen Drehbuch vorgesehen keine Entscheidungen bringen: fehlende Mehrheiten, komplizierte Koalitionsverhandlungen und Regierungspartner, die nicht zusammenpassen. Deutschland wird zum Experten für politisches Chaos und Stagnation.

Ananda
1 Stunde her

Das Parlament ist doch seit Merkel eine Abnick Attrappe. Die „Wahl“ der Bürger ist doch ebenfalls seit langem eine Attrappe seit die „Parteien“ die Wahllisten aufstellen über die die Parteien, die ihnen genehmen Typen ins Parlament schleusen (ungewählt aber gefällig). Oder das es kaum noch einen ersichtlichen Unterschied zwischen den „Parteien“ gibt (außer natürlich der AfD, der demokratischsten Partei unter den gleichgeschalteten, eigennutzorientierten Möchtegern Volksausschaltern), die man wählen kann. Aber in letzter Zeit lassen sie völlig ungeniert die Masken fallen. Nur noch Absprachen (Kartell) und schmutzige Wähler verachtende Tricks Das Land und dessen Bürger sind denen doch komplett egal. Eine… Mehr

brummibaer_hh
1 Stunde her

Ich werde weich. Damit die Union keine schlechten Koalitionen eingeht – als schlecht würde eine mit der AFD hier ja nicht gesehen – haben hier unzählige Autoren vorgeschlagen, sie möge doch in eine Minderheitsregierung eintreten. Tut sie jetzt – und in der Regel hat sie ja nun für Vorhaben keine eigenen Mehrheiten. Deshalb mss sie um Unterstützung in den anderen Fraktionen werben. Hier wird doch die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Dänemark immer so über den Klee gelobt. Kleiner Tipp, lesen Sie mal, wie die ihre Mehrheiten erwerben. Das ist 1:1 das, was da in Sachsen stattfinden soll. Ist es nicht eher… Mehr

Gunter Zimmermann
1 Stunde her
Antworten an  brummibaer_hh

Das ist doch, salopp gesagt, ausgemachter Blödsinn. Wann haben denn die „demokratischen“ Alt-Parteien jemals die Zusammenarbeit mit der AfD des Herrn Lucke gesucht? Wenn die CDU irgendeinen Funken demokratischer Einstellung in sich spürte, würde sie die Kooperation mit moderaten AfD-Politikern suchen, die es nicht nur durchaus gibt, sondern die die überwiegende Mehrheit in dieser Parte bilden. Statt dessen bereitet die CDU lieber den eigenen Untergang vor, der bei der Fortführung dieser idiotischen „Brandmauer“-Strategie sicherlich eintreten wird.

Matthias
1 Stunde her
Antworten an  brummibaer_hh

Was heißt hier „rechtsextrem“? Der Verfassungsschutz hat dies in die Welt gesetzt, eine Regierungsbehörde, die also nicht unabhängig ist und die ihre Erkenntnisse (d.h. die Beweise für den Rechtsextremismus) unter Verschluss hält. Ansonsten behaupten das die „Qualitätsmedien“, die gesichert(!) Propagandamedien der Blockparteien CDUCSUSPDFDPGrüneLinke sind. Offenbar berufen Sie sich auf diese. Übrigens: Wer die Blockparteien wählt, wählt den Krieg.

Waldschrat
49 Minuten her
Antworten an  brummibaer_hh

Das stimmt so nicht. Minderheitsregierung ist okay, wäre auch ohne SPD gegangen. AfD hat signalisiert, dass sie für vernünftige Politik die CDU bei der Abstimmung unterstützt. Wäre eine komfortable Mehrheit, hätte nicht mal das BSW gebraucht. So treibt die SPD, die man ja auch nicht mit den Sozialdemokraten in Dänemark vergleichen kann, die CDU vor sich her. Das verwerfliche an der Sachse ist von Herrn Mai eindeutig dargestellt worden. Man kann die Lucke-AfD nicht mehr mit der heutigen AfD vergleichen, da hat eine deutliche Weiterentwicklung stattgefunden, von einer Professoren-Partei zu einer, ja man kann es sagen, zu einer Volkspartei, zumindest… Mehr