Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen daraus zu ziehen, scheint heute in der Berliner Politik nicht mehr notwendig: Rücktritte erfolgen mehr oder weniger aus parteipolitischem Kalkül oder werden von der Kanzlerin betrieben. Welche und wie viele Fehler dürfen Politiker heute machen?
Ganz Deutschland reibt sich die Augen, Pannen häufen sich in einem Ausmaß und in einer Schnelligkeit, dass man bereits von einem staatlichen Versagen zu sprechen sich genötigt fühlt, doch niemand übernimmt dafür die Verantwortung, zumindest nicht die dafür Verantwortlichen, stattdessen sucht man in der Unions-Fraktion nach zwei Sündenböcken, an denen man eine fast schon religiös aufgeladene moralische Empörung inszeniert, die eines Tartüffs würdig ist. Natürlich kann man sich über Provisionen ärgern, aber Hand aufs Herz, in welchem Verhältnis stehen die zu einem Wirtschaftseinbruch von minus 5,4 Prozent, zu der Unfähigkeit Impfstoff und die Impfung zu organisieren?
Manche wurden von der Kanzlerin zurückgetreten
Erinnern Sie sich noch an Franz Josef Strauß, Willy Brandt, Lothar Späth, Jürgen W. Möllemann, Uwe Barschel, Björn Engholm, Max Streibl, Gerhard Glogowksi, Rudolf Scharping, Cem Özdemir, Karl-Theodor zu Guttenberg, Hans-Peter Friedrichs und Christian Wulff? Diese Spitzenpolitiker haben gemeinsam, dass sie aus den unterschiedlichen Gründen Verantwortung übernommen haben und zurückgetreten sind. Bei manchen war der Grund von Medien im Jagdfieber herbeigeschrieben und herbeigesendet worden wie bei Christian Wulff, bei anderen wurden sie von der Kanzlerin zurückgetreten, nicht weil sie sich persönlich, sondern der künftige und umworbene Koalitionspartner sich falsch verhalten hatte, denn das Fehlverhalten in der Edathy-Affäre lag nicht beim Innenminister Friedrichs, sondern bei der SPD, bei Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann.
Obwohl ein Impfstoff in Deutschland entwickelt wurde, ist die deutsche Regierung nicht in der Lage, diesen Impfstoff für das Volk zu ordern, von dem sie laut Eid Schaden abzuwenden hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die USA, Israel, Großbritannien und nun auch Ungarn verzeichnen große Impferfolge. Stattdessen verkündet die Bundesregierung bis jetzt, dass sie bis September jedem Bürger ein Impfangebot unterbreiten wird. Spötter fragen indes, ob im September 2021 oder 2022? Wird die Impfung zu einem medizinischen Großflughafen Berlin-Schönefeld, zu einer Elbphilharmonie oder zu einem Stuttgarter Hauptbahnhof? Alles später, zu spät, alles teurer, zu teuer? Die Regierung scheitert so kläglich in der Impffrage wie in der Frage der Massentests, wie in der Frage der Lockdown-Maßnahmen, wie in der Corona-Hilfe, deren Auszahlung erst einmal eingestellt wurde, weil das Geld eher bei Betrügern, als bei bedürftigen Unternehmen, Gewerben, Einzelhändlern und Soloselbstständigen ankommt.
„Wir sind mittlerweile die Lachnummer Europas.“
Die Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestages, Katja Hessel (FDP), brachte das Desaster auf den Punkt: „Zum Vorgehen dieser Bundesregierung fällt mir nur noch ein: Dieses Land kann weder Pandemie noch Digitalisierung noch Coronahilfen. Wir sind mittlerweile die Lachnummer Europas.“ Doch dieses Desaster richtete die Politik nicht allein an. Für externe Beratung in der Pandemie gab im Jahr 2020 die Regierung 80 Millionen Euro aus. Die Lachnummer ist eine teure Lachnummer. Man fragt sich, wozu bezahlt der Steuerzahler die Fachleute in den Verwaltungen, wozu finanziert der Steuerzahler ein Robert Koch-Institut mit einem Tierarzt an der Spitze, wenn die verantwortlichen Politiker im „Ernstfall“ doch auf „externe Berater“ zurückgreifen.
Kennt Merkel das wiedervereinigte Deutschland eigentlich?
Zweitens scheinen die verantwortlichen Politiker wie Angela Merkel, inzwischen in ihrer eigenen Berliner Welt, der Welt der Lobbyisten der neuen Art, der NGOs, und der Hauptstadtmedien seit Jahren in einer hermetischen Welt zu leben. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bundeskanzlerin das wiedervereinigte Deutschland aus eigener Anschauung nicht kennt. Sie dürfte im Urlaub in Italien mehr Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben als im wiedervereinigten Deutschland, denn als „Kohls Mädchen“ blieb ihr der mühsame Aufstieg von der Basis über die Gremien an die Spitze erspart. Ihre Lebensleistung ist diesbezüglich überschaubar, der Mythos darum allerdings beträchtlich. Merkel ist in doppelter Hinsicht nicht die Aufsteigerin aus dem Osten, denn zum einen nehmen die meisten Ostdeutsche Angela Merkel nicht als ostdeutsch wahr, was auch daran liegt, dass sie in einer Ausnahmesituation in Ostdeutschland, in einer Nischenwelt aufwuchs, und zum anderen begann ihr politisches Leben an der Spitze der Partei, von der unter ihrer Führung nur noch Reste übriggeblieben sind. Die einzige Perspektive, die Angela Merkel auf die CDU kennt, ist die von oben herab. Zwar waren CDU und CSU keine Programmparteien wie die SPD, doch Parteien ohne Werte, ohne Grundpositionen waren sie nie. CDU und CSU haben ihre bürgerliche Verankerung aufgegeben. Sie sind zum Resonanzraum der Grünen geworden. Die Verantwortungsethik, der Realismus wurden zugunsten einer inhaltlosen und phrasenapplizierten Gesinnungsethik, einer politischen Romantik verdrängt.
In der Regierung und in dem, was früher einmal Opposition hieß, werden Realitätsbeschreibungen und Kritik mit Verschwörungstheorien verwechselt, weil die führenden Politiker in ihrer hermetischen Welt aus Wille und Vorstellung die Wirklichkeit selbst als Verschwörung ansehen. Sie hat sogar dem großen Arsenal der Verschwörungstheorien die Verschwörungstheorie von den Verschwörungstheorien hinzugefügt. Die Vorstellung vom Great Reset, von der großen Transformation, vom Systemumbau fußt auf der voluntaristischen Überzeugung, dass die Realität beliebig manipulierbar ist. Was gewollt ist, ist bereits wirklich, was gefühlt, bereits wahr: das Geschlecht ist nur eine gesellschaftliche Konvention und kann nach Belieben verändert werden, Kinder bringt nonbinär der Klapper*Storch und die Erde ist eine Scheibe, von der man abstürzt in die Abgründe der Realität, wenn man sich nicht der blinden Führung der „Interpretationseliten“, der NGOs oder der von Merkel stark geförderten Neuen deutschen Medienmacher anheim gibt, einer identitätspolitischen Pressure group, die nun auf Wunsch der Bundeskanzlerin alle Redaktionen „beraten“ soll, damit nicht doch aus Versehen über die Realität berichtet wird.
Drittens haben die verantwortlichen Politiker das Wesen des Politischen vergessen. Sie verwechseln Politik mit Manipulation. Es geht ihnen nicht mehr darum, Probleme zu lösen, sondern den medialen Anschein zu erwecken, Probleme zu lösen. Das führt in der Praxis dazu, dass nicht selten die Lösung der Probleme durch die Simulation der Lösung von Problemen sogar verhindert oder zumindest beeinträchtigt wird. Politische Botschaften werden zu Werbebotschaften entleert, es bleibt nur Oberfläche übrig. In den letzten Tagen von Konstantinopel, am Hof des byzantinischen Kaisers, war nichts wichtiger als das Hofzeremoniell, währenddessen die Stadt zerfiel. Mehmed II. der Eroberer schaute sich das eine Weile belustigt an. Besonders erheiterten ihn die Geistlichen der Stadt, die lieber unter dem Turban des Sultans, als unter der Tiara des Papstes zu leben wünschten. Als er sich das lang genug angeschaut hatte, erbarmte er sich schließlich und nahm die Stadt ein.
Rücktritte verbessern nichts, aber sie wären zumindest ein äußeres Zeichen dafür, dass wieder Verantwortung übernommen wird.
Dieser Artikel von Klaus-Rüdiger Mai erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.
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Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, verweise ich auf Thomas Sowell (US-amerikanischer Ökonom) und dessen Ausspruch: „Es gibt kaum etwas Dümmeres und Gefährlicheres als wichtige Entscheidungen in die Hände von Leuten zu legen, die keinen Preis dafür bezahlen müssen, wenn sie sich geirrt haben.“
Herrlicher Artikel!
Fazit: zum Rücktritt erfordert es Anstand und Einsicht. Für Politik übrigens auch.
Man muss vor allem eine Legislatur durchhalten, damit sich das „Amt als Beute“ auch rechnet. Andy Scheuer, Anja Karliczek, Julia Klöckner, Peter Altmaier… werden sich doch wohl (hoffentlich) in einer neuen Regierung nicht mehr wiederfinden und haben sich wahrscheinlich schon nach einer „Anschlussverwendung“ (Phillip Rösler) umgesehen.. bei Spahn und Scholz wäre ich mir nicht so sicher. Beide woll(t)en sogar Kanzler werden. Der Irrsinn geht also weiter.
Uns regieren Großkonzerne, Banken, Lobbyisten und NGOs… Die Politmarionetten in Berlin bleiben so lange im Amt, bis sie auf lukrativere Posten wechseln, auf denen sie ihre Kontakte zu Geld machen können. Für das Fussvolk wird alle 4 Jahre mal ein Rührstück aufgeführt, das sich „demokratische Wahlen“ nennt.Wer da als Wähler nicht mitmacht – oder gar das „Falsche“ wählt, „versündigt“ sich an der Demokratie oder ist „politikverdrossen“.
Rücktritte? Dafür bräuchte es zunächst einmal eine von den Parteien unabhängige Presse. Unsere Presse hingegen hat trotz 2015 kein einzige Rücktrittsforderung gegen Merkel erhoben. Wenn es selbst für massivste Fehler keine mediale Kritik mehr gibt, aus welchem Grund sollte dann überhaupt noch jemand zurücktreten?
Schon komisch das die EU zur gleichgeschalteten Lügenpresse und dem deutschen Staatsfunk schweigt…..
Man schlägt eben nicht auf die Hand, die einen füttert, oder so ähnlich 😉
Ganz unwillkürlich, als ich mir die Frage zu beantworten suchte, wie es möglich ist, dass CDU Parteigewächse Frau Merkel willfährig folgen, huschte der Name des ehemaligen FBI Chefs, Edgar Hoover, durch mein Hirn. Die Furcht vor ihm war bei all seinen „wichtigen“ Zeitgenossen groß, denn über jeden von ihnen hätte er „auspacken“ können. Sprach nicht Frau Merkel einen Satz, der das bedrohliche Wort „auspacken“ enthielt? In Zeiten wie diesen komme ich inzwischen wohl auf die dümmsten Gedanken…….
Seit wann wird in der Politik Verantwortung übernommen ?
Never ever !
Für mich gehört zu einer echten Verantwortung zwingend
auch die juristischen und vor allem finanziellen Folgen
“ meines “ Fehlverhaltens zu tragen !
Z.B. Wegnahme des Einfamilienhäuschens , Wegfall der Pension ,
vollständige Wiedergutmachung des angerichteten Schadens usw…..
Genau aber daran krankt dieses korrupte System bei uns !
Es bleibt alles folgenlos !
Wir können uns „Nieten“ in leitenden Positionen nicht mehr leisten! Konzeptlosigkeit, Maskendeals und „Impfversprechen“: Auch das nächste Kapitel des „Chaos-Corona-Clubs“ sorgt für die nächsten Versprechungen, die letztlich nur noch mehr Unsicherheit und Schäden zur Folge haben werden! Fristlose Kündigung! der Bundesregierung, Ministerpräsidenten, Ministerpräsidentinnen und sämtlichen Beratern. Aufgrund der Fehler, Pannen, und ihrer andauernden Festlegung von unverhältnismäßigen und nicht wirksamen Maßnahmen bis hin zum Amtsmissbrauch sehen wir uns gezwungen Ihnen die fristlose Kündigung auszusprechen. Nach Überprüfung der bereits entstandenen Schäden, den fehlenden alternativen Konzepten von ihrer Seite und insbesonders die Unterlassungen die festgestellten Schwachstellen zu beseitigen hat zur Erkenntnis geführt, dass sie auch zukünftig ihrer Aufgabenstellung nicht… Mehr
Leider gingen dieser Kündigung bislang noch keine Abmahnungen voraus!
Im Gegenteil lud (stellte) man noch Steigbügelhalter und Spalter ein, anstatt die von Anfang an aus zu sperren!
Man muss daher feststellen, dass hier das Versagen leider überwiegend auf Seiten der „Arbeitgeber“ zu suchen ist!
Aber so ist das nunmal in einer Firma mit mehreren Chefs, die alle mal wollen, aber nichts wirklich können!
Es existiert schlichtweg keine Feedback-Schleife, keine positive oder negative Verstärkung für politisches Handeln, keine Konsequenzen, weder beruflich noch privat. Als die BRD aus der Taufe gehoben wurde, war schlicht nicht vorstellbar, dass es weder Wähler noch Medien kümmert, dass wir miserabel regiert werden. Die Pappnasen sind ja immerhin legitim gewählte Volkszertreter. Selbst WENN das Gros der Bürger überhaupt kapieren würde wie schlimm es um unser einstiges Vorzeigeland steht, ist dank dem Raubbau und Nudging an Parteienvielfalt doch gar keine Alternative da, auf die sich das Wahlvolk stürzen könnte. Ich weiß wirklich nicht, wie es weitergehen soll, oder wie wir das… Mehr
Was ich oft sage: der Wähler kann gar nicht wählen. Insofern kann man ihn auch nicht verurteilen. Denn wählen heißt auswählen können unter scharf voneinander abgegrenzten Möglichkeiten.
Hierzu lesenswert: Chantal Mouffe, Über das Politische. Anknüpfend an Carl Schmitt, aber vom „Feind“ zum Gegner übergehend, vom Antagonismus zum Agonismus.
Stellt nicht die Institutionen des demokratischen Systems infrage, sondern will innerhalb des Rahmens die politische Auseinandersetzung ablaufen sehen.
Demokratie muß „angebotsorientiert“ sein. Das ganze läßt sich unter Entpolitisierung subsumieren. Und dieses Elend fing mit der Inthronisierung Merkels an. Wobei auch sie nur eine Figur im großen Spiel ist.
Welch ein fulminanter, herausragend auf den Punkt gebrachter Artikel. Alles richtig, da gibt es nichts zu ergänzen, nur zustimmend den Daumen zu heben!