Die kurze Karriere des Kevin K.

Kevin Kühnert vertritt wie kaum ein anderer die Generation der Politiker, die nichts gelernt, aber viel Macht angehäuft haben. Nun tritt er als Generalsekretär der SPD zurück und tritt nicht mehr für den Bundestag an. Aus gesundheitlichen Gründen.

picture alliance / foto2press | Steffen Proessdorf
Kevin Kühnert, Erfurt, 12.08.2024

35 Jahre alt ist Kevin Kühnert aus Berlin. Eine abgeschlossene Ausbildung hat er ebenso wenig wie ein abgeschlossenes Studium. Nun wird er vielleicht Frührentner. Denn er hat sein Aus als Generalsekretär der SPD vermeldet und will nach eigenen Angaben auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Vorerst das Karriere-Aus für einen, dessen höchster Abschluss das Abitur und dessen Berufserfahrung außerhalb der Politik aus seiner Zeit im Call Center besteht.

Dieses Aus hat Kühnert in einer kurzen Pressemitteilung erklärt. Darin ist von gesundheitlichen Gründen die Rede. Das kann zweierlei bedeuten: Entweder ist Kühnert tatsächlich krank und kann den Job nicht mehr meistern – oder er hat nach einer Ausrede gesucht, die Differenzen in der SPD zudeckt und Journalisten als unsensibel erscheinen lässt, wenn sie nachfragen.

Kühnert war von Ende 2017 bis Anfang 2021 Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation JuSos. Sein politischer Aufstieg begann mit forschen Auftritten in der Öffentlichkeit und seiner Unterstützung für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bei der Direktwahl zum SPD-Vorsitz 2019. Die beiden Außenseiter setzten sich unter anderem gegen Olaf Scholz, Klara Geywitz, Karl Lauterbach und Ralf Stegner durch. Nach Walter-Borjans Verzicht auf den Vorsitz machte Esken Kühnert zum Nachfolger von Lars Klingbeil als Generalsekretär der SPD.

Politisch war Kühnert als linker Phantast einzuordnen. Eines der wichtigsten Themen des Call-Center-Mitarbeiters war der „Kampf gegen Rechts“. Der kam ihm entgegen. Da muss man nichts können, sondern nur gegen etwas sein. Haltung zeigen, statt Wissen und Verständnis haben. Außerdem setzte sich Kühnert für einen staatlich regulierten Wohnungsmarkt ein. Auch weil es ihm selbst in Berlin misslang, eine Wohnung zu finden – wie er selbst berichtete.

In der Forderung nach Verstaatlichung des Wohnungsmarktes ließ sich Kühnert nicht davon beirren, dass entsprechende Berliner Modelle nicht der Verfassung entsprachen. Oder dass sie scheiterten und nicht mehr erreichten, als die Staatsverschuldung zu mehren. Wer die Wirklichkeit allzu nah an sich heranlässt, kann kein linker Sozialdemokrat bleiben.

Der Kampf zwischen Realität und linken sozialdemokratischen Positionen holte ihn zuletzt privat ein. Kühnert beklagte, dass in Berlin offenen Anfeindungen ausgesetzt ist, wer sich öffentlich als homosexuell bekennt. Den letzten Schritt zur Wahrheit vermied Kühnert aber, nämlich zuzugeben, dass diese Anfeindungen gegen Homosexuelle in Berlin nicht von Rechten kommen – sondern vornehmlich von muslimisch geprägten Einwanderern. Vor ein paar Tagen äußerte sich Kühnert dann doch dahingehend, dass die Gefahr für Schwule häufig von muslimischen Männergruppen ausgeht – und hat damit den Berliner Queer-Beauftragten Pantisano (Grüne) „gereizt“, wie die FAZ schreibt.

Wie krank Kühnert tatsächlich ist, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist, dass Kanzler Olaf Scholz der Rücktritt seines Generalsekretärs nur recht sein wird. Kühnert fiel zuletzt mit offener Kritik am Regierungschef auf. Außerdem vertrat er Positionen, gegen die sich Scholz stellt, vor allem die grenzenlose Verschuldung des Staates nach Aufhebung der „Schuldenbremse“.

Mit Kühnerts Rücktritt – ob krank oder nicht – ist der linke Flügel der SPD um Esken geschwächt. Die Partei kreidet ihnen herbe Wahlniederlagen an. Vor allem die in der EU-Wahl, in der die SPD ihr schlechtestes bundesweites Ergebnis aller Zeiten einfuhr. Angesichts der Rivalität zwischen beiden entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass Kühnerts Karriere-Aus mit der Entscheidung zusammenhängt, Olaf Scholz zu plakatieren, obwohl der nicht zur Wahl angetreten ist.

Seinen Wahlkreis hatte Kühnert im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. In der dortigen Goebenstraße befand sich bisher auch sein Büro. Erste Reaktion in einem Schöneberger Späti (Kiosk), als sich die Nachricht von seinem Rücktritt verbreitet: „Wurde auch mal Zeit.“ Wurde auch mal Zeit. Zur Erinnerung: Kühnert ist 35 Jahre alt – aber schlecht gealtert.

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