Rodelspaß und Polizei: Die Zerreißprobe zwischen Ratio und Emotion

Alles könnte so schön sein, wenn auf dem Hügel, auf dem sich Familien mit ihren Kindern ausgelassen tummeln, nicht plötzlich eine große Anzahl Polizisten wie aus dem Nichts auftauchen würden. Die anwesenden Personen werden des Platzes verwiesen. Natürlich ist auch die Frage berechtigt, was das mit den einzelnen Polizeibeamten macht, wenn Kinder vertrieben werden.

picture alliance/dpa | Henning Kaiser

Das Wetter lacht, Ski und Rodel gut. Alles könnte so schön sein, wenn auf dem Hügel, auf dem sich Familien mit ihren Kindern ausgelassen tummeln, nicht plötzlich eine große Anzahl Polizisten wie aus dem Nichts auftauchen würden. Die anwesenden Sport- und Spaßfreunde werden allesamt des Platzes verwiesen. Anschließend wird die unschuldig-idyllische kleine Geländeerhebung im Stadtpark mit Flatterband abgesperrt. Eine reale Ansteckungsgefahr bestand nicht, so führen die Rodelverbote zu einem großen Unverständnis und lauten Unmut. Trotzdem setzt die Polizei die Platzverweise konsequent durch. Gnade gibt es keine.

Natürlich ist auch die Frage berechtigt, was das mit den einzelnen Polizeibeamten macht, wenn Kinder vertrieben werden. Es gibt dafür verschiedene Bewältigungsstrategien. Die einen nehmen es nicht so genau. Sie kontrollieren im Park keine Personen, sind nur anwesend, weil sie diese übertriebenen Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten selbst nicht akzeptieren. „Dienst nach Vorschrift“ ist auch, dass man nur das sieht, was man wahrnehmen will. Diese Taktik des Wegsehens ist spätestens dann hinfällig, wenn Polizeibeamte in größeren Gruppen zusammengefasst werden, um in den Einsatz zu gehen.

— Argo Nerd (@argonerd) February 1, 2021

Gruppendynamische Prozesse ermöglichen dann keine Ausnahmen mehr. Andere wittern ihre Chance, Kinder und deren Eltern mit Nachdruck zu vertreiben und bei einem Widerspruch ein Verwarngeld auszusprechen oder eine Anzeige aufzunehmen. Mancherorts ist der der beste Polizist, der die meisten Verwarngelder ausspricht.

Das Beförderungssystem bevorteilt vor allem den angepassten Beamten, die ihrem Vorgesetzten jeden Wunsch im vorauseilenden Gehorsam mit besonderem Engagement und Nachdruck von den Augen ablesen. Und dann gibt es noch die sozial kalten Polizeibeamten, die nicht das geringste Problem damit haben, knallhart aufzutreten und durchzuziehen. Schnell haben sie es von ihrer Verwaltung gelernt, dass man sich gut hinter irgendwelchen Paragraphen verstecken kann, wenn die soziale Inkompetenz obsiegt und dabei Takt und Feingefühl, sowie der Humanismus auf der Strecke bleibt. Der Anteil der Macht- und Hierarchiemenschen ist im Polizeiberuf deutlich größer, als in einem beliebigen privaten Unternehmen. Würde man diese Personen dort einsetzen, kämen ihnen die innerbetrieblichen Konflikte vor, wie die Auseinandersetzung kleiner Ballettmädchen um das neueste Spitzenkleidchen.

Dilemma zwischen dem Beruf und der eigene Familie

Andere haben es schwerer. Wer selbst eine Familie mit kleinen Kindern hat, weiß um die inneren Konflikte seines Berufes. Wenn die Kinder zu Hause quengeln, weil sie mit Papa und Mama in den verschneiten Wald oder Park fahren wollen, beginnt der intuitive Zerreißprobe der eigenen Seele. Wohlverhaltenspflicht gegen Vernunft lautet der Wettkampf zwischen Rationalität und Emotion. Dann verstößt Polizeikommissar Schulze-Lindemann ebenso privat gegen die Corona-Regeln, wie Otto Normalbürger, den man gestern noch dafür abgestraft hat. Der einzige Unterschied, es wird nicht dort gerodelt, wo vorher abgestraft wurde.

Geschichten aus dem Lockdown
Wer tröstet Kinder, denen man das Rodeln verbietet?
Natürlich kann man diesen Widerspruch zeitweise löschen bzw. in altbewährter Polizeiart verdrängen. Aber irgendwann wird sich das Unterbewusstsein melden und versuchen, über das Bewusstsein die Oberhand zu bekommen. Dann ergeht es Polizeibeamten auch nicht anders, als Menschen die jeden Tag, um sich zu verdingen, einer Arbeit nachgehen müssen, die sie innerlich ablehnen. Früher oder später wird das Konsequenzen bei denen haben, die diesen Zwiespalt nicht bewältigen können. Bei dem einen dauert es länger, bei dem anderen geht es schneller. Nicht jeder hat die Courage, deshalb zu kündigen, um seine eigene psychische Gesundheit zu schützen.

Sich gegen die Durchsetzung der Corona-Repressionen aufzulehnen, gar zu remonstrieren, ist keine bewährte Strategie, die zum langfristigen Erfolg führt. Diese kurzfristige Erleichterung vergrößert nur das innere Elend, denn dann kommen neben dem ertragbaren Karrierestopp und der schlechten Beurteilung, die im öffentlichen Dienst altbewährte Ausgrenzung und die dienstliche und soziale Isolation dazu. Mit ähnlichen Konsequenzen, wie das gerade massenhaft durch den Lockdown bei anderen Personen noch furchtbarer verursacht wird. Vorgesetzte und Kameraden sorgen dafür, dass solche Beamte bekämpft werden. Die Herabsetzung und Separation missliebiger Beamter ist ein notwendiges Führungsinstrument, um abseits der Legalität Erziehungsmaßnahmen gegen Erwachsene die gleichzeitig Unterstellte sind, durchzusetzen. Nicht gut für Beamte, die wirtschaftlich abhängig und deren Kinder noch nicht selbstständig sind. Die Chance sich dagegen zu wehren stehen in einer Organisation mit Korpsgeist sehr schlecht. Da zeigt man besser weder Betroffenheit noch Schwächen, wenn sich nicht das Rudel Wölfe darauf stürzen soll.

Der Druck auf die Beamten lastet somit „unsichtbar“ im Raum und sich dagegen aufzulehnen, erfordert sehr viel Mut bis hin zur Selbstaufgabe. Gegen den Strom zu schwimmen, hält in diesem Apparat niemand lange durch.

Wundern Sie sich also nicht, wenn nach dem nächsten Schneefall erneut Polizeibeamte aufkreuzen, die Sie und Ihre Kinder des Hügels verweisen. Ein altbewährtes System an systematisch-legalen und illegalen Abhängigkeiten ermöglicht es, Sie auch gegenüber dem inneren Willen der Beamten davonzujagen.


Christian Heimfried

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