Die klassischen deutschen Tugenden wie Fleiß, Ordnung, Sauberkeit, Präzision, Zuverlässigkeit und Sicherheit sind das einende Band für 36 Prozent quer durch alle Altersgruppen. Und der Wille, sie zu bewahren. Und was ist sonst noch der Deutschen geistig Vaterland?
Natürlich ist unsere lockere Volksbefragung nicht repräsentativ für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und nicht für das deutsche Volk. Was das deutsche Volk ist und ob es das überhaupt gibt, darüber gehen die Meinungen in den fast 300 Antworten ebenso auseinander wie die Frage, was denn typisch Deutsch ist.
Ordnung und Zahlen
Statistiken, schrieb ein Leser, seien für Deutsche als „äußerst ordnungsliebend und neugierig“ sehr wichtig. Also zu den Zahlen: Zwei Prozent der Antworten kamen von Zeitgenossen über 80 Jahren, vier von der Kohorte der Siebziger, 27% stellen die Sechziger, 34% die Fünfziger, 22% die Vierziger, sieben die Dreißiger und vier die Zwanziger. Geografisch kommen 29 Prozent Antworten aus Nordrhein-Westfalen, 19% aus Bayern, 10 aus Hessen, 9 aus Baden-Württemberg, je 8% aus Sachsen und Niedersachsen. Bei den großen Städten kommen die meisten Antworten aus Köln, Frankfurt und Berlin. Das Rheinland ist mit insgesamt 14 Prozent stark vertreten. Regionale Verbundenheit zählt immer noch:
„Deutsch sein? So etwas wie Merkel? Das lehne ich entschieden ab. Deutsch sein? Wie diese vollgefressenen grölenden “Fußballfans”? Lehne ich entschieden ab. Ich liebe die bairische Sprache, die bairischen Traditionen, die bairischen Berge die Natur, das bairische Bier, Weisswurscht und Brezn. Deutsch sein wie die in Berlin? Nie und nimmer!“
Die neuen Länder sind deutlich weniger dabei als die alten. 65 Prozent Männer, 34 Prozent Frauen und 1% Transsexuelle schrieben uns. Gerade die auf den ersten Blick „Progressiven“ betonen konservative Werte. Es zeigt sich, dass bürgerliche Werte wie Rechtsstaatlichkeit, westlicher Lebensstil, Liberalität und Korrektheit erst jene Freiräume eröffnen, in denen Minderheiten sich entfalten können. Es ist, als hätten Randgruppen ein besonders feines Gespür für die neuen, jetzt drohenden Gefahren unbedingter und intoleranter Normative.
Vererbe Erfahrung
Immer wieder bricht die Erfahrung von Krieg und Vertreibung durch – nicht nur bei der Generation der Betroffenen. „Wissen Sie, was für mich typisch deutsch ist? Meine Eltern und deren Erlebnisse.
Mein Vater, der mit Eltern und 7 Geschwistern auf einem Ochsenkarren vom damaligen Schlesien ins Ruhrgebiet flüchtete“, schreibt eine Frau in den 40ern in einem anrührenden Text: „Meine Mutter saß als Kind beim Bombenalarm mit ihrer Puppe im Bunker. Ganz fest hat meine Mutter diese dann an sich gedrückt und mit ihr gemeinsam um das Überleben gebangt. Meine Mutter lebt nicht mehr, aber ihre Puppe sitzt heute bei mir zu Hause. Aus Porzellan, zerbrechlich und alt. Eine schweigende Zeitzeugin, die deutsche Geschichte und auch meine Familiengeschichte hautnah erlebt hat. Sie ist ein Zeichen für das Überleben und für Stärke.“
Schicksal vererbt, überträgt sich. Es ist auch die Erfahrung von Gemeinschaft und Zusammenstehen. Der so gängige Vorwurf des Rassismus verfängt nirgends.
„Das typische Deutschsein wird durch die Sprache, die Redewendungen, die Sprüche ins Poesiealbum, bzw. durch die Lieder mitgestaltet. Wenn letzteres wegfällt, fällt ein Stück Deutsch-sein weg. Hoffentlich werden wir im Laufe des Globalisierungsprozesses nicht alle zur modernen, urbanen Einheitskonsumentengesellschaft.“ Es ist die Erfahrung der Nähe und Verbundenheit durch Sprache, und früher hätte man formuliert: Sitte, die verbindet – und vermutlich erodiert. Rasse und Klasse ist es nie. „In Deutschland ist es kein Problem wenn man keine deutsche Abstammung hat. Es zählt viel mehr, was man leistet und was für ein Mensch man ist. Das ist auch typisch deutsch für mich.“
Ironie in eigener Sache ist neu
Auch anderes hält sich: Die klassischen deutschen Tugenden wie Fleiß, Ordnung, Sauberkeit, Präzision, Zuverlässigkeit und Sicherheit sind das einende Band für 36 Prozent quer durch alle Altersgruppen. Es sind die geschmähten Sekundärtugenden, die den Laden effizient am Laufen halten und attraktiv für Migranten machen.
Den Sozialstaat nennen 10%, vor allem Frauen. Sprache, Musik und Kultur nennen 13 Prozent. Im Regionalen sehen 12% ihre Identität – fast alle Einsender aus Bayern und aus dem Rheinland, aber auch einige aus dem Osten. Deutschland verliert seine typischen Eigenschaften und sucht nach seiner Identität meinen 22 Prozent, was nur eine kleine Minderheit positiv sieht. Der Gartenzwerg, der Vorgarten und so weiter gehören unbedingt dazu zum Deutsch sein, sagen 6 Prozent. Und ein schöner Prozentsatz von 10 geht an die Sache mit einer gehörigen Portion Heiterkeit heran. Gelassene Selbstironie ist eine Kunst, die die Deutschen wohl gelernt haben.
Aber um Andere zu integrieren braucht man einen klaren und positiven Blick auf die eigene Zugehörigkeit. Dieses Motiv taucht immer wieder auf in einer Zeit, in der der Selbsthass aus linker und grüner Ecke immer wieder aufflammt:
„So wird das erste reale Bild von Deutschland geprägt von den Menschen, mit denen man in Kontakt kommt. Ihre gelebten Werte sind der erste Teil der Werte, die Deutschland für einen Neuling ausmachen. Wer seine ersten Kontakte mit notorischen Nörglern knüpft, erhält ein anderes Deutschlandbild als einer mit einem Umfeld von positiv denkenden und aufgeschlossenen Bürgern, denen westliche Werte etwas bedeuten.“
Aber gibt es dieses Land noch? Manche sind pessimistisch: „Unsere Kultur ist längst zerstört. Viele Menschen, die diese Entwurzelung spüren, begeben sich auf die Suche und werden im Buddhismus, Hinduismus oder anderen Religionen fündig. Nur finden sie dadurch nicht ihre Verwurzelung. Sie bleiben in diesen Religionen immer fremd und werden den Zugang, den sie verloren haben, nicht finden. Und niemand wird sie dahinein “integrieren” können.“
Das schreibt kein Alter, auch hier steht die 4.
Westliche Werte werden immer wieder betont. Aber Deutschland bleibt die unruhige Nation, gerade beweist sie es wieder: „Wenn ich mir etwas für dieses Land wünschen dürfte, dann dass es endlich lernt, nicht immer von einem Extrem in das andere zu pendeln, sondern beginnt, politisch den “golden Mittelweg” zu suchen.“
Freiheit gehört für zwei Prozent der Antworten an die Spitze der deutschen Werte, die soziale Marktwirtschaft für ein Prozent und die Offene Gesellschaft für zwei der Einsender, eine Dame und einen Herrn aus Köln. Sicherheit steht an erster Stelle in einer Gesellschaft, die immer wieder durch rasende Unsicherheit geprägt wurde und erneut um Ihre Sicherheit fürchtet.
Mit diesen Zahlen wird man natürlich der Qualität der teils sehr kurzen, aber auch oft recht ausführlichen Antworten nicht gerecht. Deshalb prüfen wir, die herausragenden Texte als Buch herauszubringen. Dazu bitten wir Sie um Ihre Meinung. Sollten wir die Frage mit Ja beantworten, würden wir allen Lesern, die noch nicht geschrieben hatten, anbieten, das nachzuholen.
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