Der Untote der deutschen Politik

Bodo Ramelow gehörte lange zu denen, die eine seriöse Politik der Linken möglich scheinen ließen. Nun steht er vor seiner Abwahl als Ministerpräsident Thüringens – doch er könnte noch lange als Untoter erhalten bleiben.

picture alliance/dpa | Martin Schutt

Sohn eines Kaufmanns, Hauptschüler, eine Lese- und Schreibstörung, trotzdem eine Kaufmannslehre geschafft. Über den zweiten Bildungsweg die Mittlere Reife nachgeholt. Über die Arbeit für Gewerkschaften den Weg in die Politik gefunden. Bodo Ramelow (68) steht für einen Lebensweg, der für die Linken mal als mustergültig galt – und den die Generation Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal heute kaum noch kennt.

Darüber hinaus galt der 1956 geborene Ramelow 1989 als etwas, was zuerst der SED und dann der PDS fehlte: als vernünftiger Westdeutscher. Die Partei litt lange und leidet eigentlich immer noch an ihren unterschiedlichen Wesenszügen. Im Osten wurde sie nach dem Zusammenbruch des Kommunismus von dessen ehemaligen Kadern geprägt. Inhaltlich sicherlich zweifelhafte Funktionäre, aber zweifellos mit Organisationstalent und einem gewissen Sinn für Realitäten ausgestattet. Im Westen prägten Sektierer das Bild: Radikale, Spalter und mitunter auch Spinner. Ein politisches Prekariat, das zuvor nicht selten schon aus anderen Parteien ausgetreten oder rausgeworfen worden war.

Bodo Ramelow war anders. Schon durch seinen Lebensweg. Die Zeit als Arbeitnehmer bei Karstadt hat ihm einen Sinn für Realitäten verliehen. Über Gewerkschaftsfunktionäre ließe sich viel Schlechtes sagen. Aber dort hat Ramelow organisieren gelernt – das können sie. Mit diesen Pfunden ausgestattet gehörte Ramelow zu den Männern, die für eine Aufgabe in Frage kamen, die der SED-PDS-Linken letztlich nie so recht gelungen ist: der Aufbau von tragenden Strukturen im Westen.

Der geduldige Aufbauhelfer war Ramelow nicht. Aber er ging selber in den Osten, um dort Karriere zu machen: 2004 als Spitzenkandidat der Linken in Thüringen. Das wagte sich die PDS damals zum ersten Mal. Es war ein neues Selbstbewusstsein, das kurze Zeit später seinen Ausdruck im Zusammenschluss mit der WASG und der Gründung der Partei „Die Linke“ fand.

2014 klappte es dann: Ramelow wurde Chef einer Koalition aus Linke, SPD und Grünen und er wurde Ministerpräsident Thüringens. Der erste und bisher einzige linke Ministerpräsident bundesweit. Vermutlich auch weiterhin. Denn die erste Wahl zum Ministerpräsidenten war der Höhepunkt in Ramelows politischem Leben – und auch der Höhepunkt in der Geschichte der Partei „Die Linke“. Danach ging’s bergab.

2020 verlor Ramelow seine Mehrheit. Im thüringischen Landtag kam es zur Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen der AfD. Die Medien liefen Sturm, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) befahl aus der Ferne eine Neuwahl. Ein glatter Bruch der Verfassung, wie ihr später das Verfassungsgericht bestätigte. Doch dieser Verfassungsbruch ist seitdem gelebte Realität in Thüringen.

Mit der Wiederwahl Ramelows begann ein Festival der Lügen in Thüringen. Durch die CDU, die den Linken mitträgt, deren Abgeordnete aber wichtigen Abstimmungen fernbleiben, sodass sie den Ministerpräsidenten irgendwie doch nicht verantworten. Und durch Ramelow, der nach der Kemmerich-Farce rasche Neuwahlen versprach, aber dieses Versprechen brach. Erst kam es wegen der Pandemie nicht zur Neuwahl, dann verpassten sich die beteiligten Parteien und ihre Medien selbst ein Schweigegelübde zu dem Thema und letztlich braucht Ramelow ja auch Zeit, um Candy Crush zu spielen.

Candy Crush spielte Ramelow – nach eigenen Angaben – während die „Ministerpräsidentenkonferenzen“ liefen. Diese beschlossen Regelungen, die Arbeitnehmern Kontaktverbote auferlegten, Familientreffen verboten, Ausgangssperren verhängten, das Demonstrationsrecht aushebelten und Kinder von der Bildung ausschlossen. Arbeitnehmer durften nur noch arbeiten und sonst nichts. Der Vertreter der Arbeiterpartei saß mit am Tisch, ließ das alles geschehen und spielte währenddessen Candy Crush. Ramelow hatte alles, um einen würdigen Vertreter linker Positionen abzugeben – doch im entscheidenden Moment versagte er. Dass unter der Regierung eines Linken die Wirtschaftsdaten schlecht sind und die Bürger seiner Wirtschaftskompetenz misstrauen, muss nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden – überrascht aber nur wenig.

 

Die Linke ist erledigt. Die alten SED-Kader steuern ihrem biologisch bedingten Ende entgegen – oder haben es schon hinter sich. Die Sektierer haben gewonnen. Die Partei ist zu einem bizarren Abziehbild der Grünen geworden. Sahra Wagenknecht hat der Partei mit der Spaltung den Rest gegeben. Auch Ramelows Ende steht bevor. In den Umfragen steht seine Partei nur noch auf Platz vier in Thüringen. Seine Tage als Ministerpräsident sind gezählt.

So scheint es. Doch Thüringen steuert auf eine Sperrmajorität von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht zu. Das könnte zu einer Unregierbarkeit Thüringens führen, zu wirren Szenen wie vor, während und nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten. Dann bliebe Ramelow geschäftsführend im Amt. Ein Amt, das er schon vor vier Jahren zur Neuwahl stellen wollte. Als Kandidat der viertstärksten Partei im thüringischen Landtag wäre Ramelow endgültig der Untote der deutschen Politik. Aber das wäre ja nur für den Übergang. Versprochen.


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Kommentare ( 18 )

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Hans Wurst
13 Tage her

Bodo Ramelow wurde bereits 2019 abgewählt.

RHU
13 Tage her

Bei Untoten gibts zwei Methoden: einen Holzpflock ins Herz (so man es findet) oder eine Silberkugel (nach Bram Stoker). Ich tendiere zur Silberkugel, geht schneller, effizienter und irgendwie sauberer. Obwohl man das Silber aus dem Kadaver ja auch irgendwie wieder herauspulen muß.
Ich geb doch einem Kommi nicht auch noch eine Grabbeigabe.

Wilhelm Roepke
13 Tage her

Entweder bekommt die AFD die Sperrminorität. Oder es ändert sich nichts. Der Rest ist eine Mischung aus Kartellparteien und damit alles dasselbe.

Freiheit fuer Argumente
13 Tage her

Zu Corona muss man fairerweise sagen, dass mindestens einmal als einziger(!) Ministerpräsident einen Parlamentsvorbehalt unter die Beschlüsse formulierte.

Seinen Kommentar zu CandyCrush nehme ich ihm nicht übel, während Söder und Scholz sich anschlumpften.

Für VIEL SCHLIMMER halte ich Ramelows Personalpolitik, allen voran sein Verfassungsschutzchef STEPHAN KRAMER, der zwar nicht über die geforderten Qualifikationen verfügte, dessen Persönlichkeit umd Lebenslauf man aber wohl als „gesichert schillernd“ bezeichnen darf.

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
13 Tage her

Ich hätte da einen Kompromissvorschlag. Ramelow und Voigt teilen sich die Amtszeit; Ramelow fängt an und übergibt dann an Mario Voigt, sobald das Amt des Bundespräsidenten frei wird und Bodo Ramelow zum würdigen Nachfolger des Bundesuhus gewählt werden kann.

Last edited 13 Tage her by Ceterum censeo Berolinem esse delendam
Warte nicht auf bessre zeiten
14 Tage her

Die Thüringer waren schon immer sehr staatsnah bzw. -freundlich. Der „Thüringer Weg“ bezeichnete in der DDR die besonders staatsnahen Positionen der evangelischen Kirche in Thüringen (und darüber hinaus). Obwohl heute nur noch 20 Prozent der Thüringer Mitglied der lutherischen Landeskirche sind, ist das Land doch über Jahrhunderte stark lutherisch, d.h. staatsnah geprägt worden. Insofern bin ich etwas skeptisch, was wir von einer thüringischen AFD zu erwarten haben.

Rosalinde
14 Tage her

In YouTube ist eine Podiumsdiskussion zu sehen, wo Ramelow zu Höcke sagt, die AfD habe die Einschränkung wegen „Corona“ mitgetragen. Das war glatt gelogen, denn die AfD war die einzige Partei die im Bundestag hinter die Besuchertribüne Platz nehmen musste, weil fast keiner von denen geimpft war.
Das sollte nicht vergessen werden.

Landgraf Hermann
14 Tage her

Es ist unglaublich und irgendwie undemokratisch, dass Ramelow nun schon seit Jahren illegal regieren darf. Zeit, dass diese Illegalität aufgelöst wird.

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
13 Tage her
Antworten an  Landgraf Hermann

Och nöööh. Kein linker Mensch ist illegal. Ramelow ist genauso ein legitimer Herrscher wie Erich Honecker oder Kim Jong Un.

EinBuerger
14 Tage her

Wenn man in Thüringen die aktuellen Umfrage mit der Wahl 2019 vergleicht, bleibt die CDU ungefähr gleich, die AfD bekommt 6 % hinzu, und Linke und BSW sind zusammen so stark wie die Linke 2019.
Wenn die CDU die AfD kategorisch ausschließt, könnten Linke und BSW darauf bestehen, dass jemand aus ihrer Partei den Ministerpräsidenten stellt.

Anti-Merkel
14 Tage her
Antworten an  EinBuerger

BSW wird aber wahrscheinlich deutlich stärker als die alte Linke – dann würde wohl eher ein BSW-ler Ministerpräsident. Ich glaube aber nicht, dass die auch nur versuchen werden, das durchzudrücken. Sie sind alle so fokusiert auf „AfD verhindern“, dass der erstbeste CDU-ler ohne Bedingungen gewählt wird.

Maunzz
14 Tage her

Christian Lindner war es, der nach Erfurt fuhr und auf Kemmerich einredete, den wahlergebnisfernen Unsinn zu beenden (FDP-Ergebnis 5,4%) und Neuwahlen auszurufen. Merkel hatte eine Äußerung öffentlich gemacht, die verfassungsverletzend war. Sie hatte sich als Bundeskanzlerin negativ zu einer verfassungskonformen Ministerpräsidenten-Wahl geäußert. Ihr „muss“ war juristisch für niemanden bindend.

verblichene Rose
14 Tage her
Antworten an  Maunzz

Wir beide wissen, dass unsere Unterhaltungen hier nahezu zu nichts beitragen.
Und genau so wissen wir, dass z.B. Clans unser Leben nicht direkt beeinflussen.
Ich vermute daher, dass es an ganz anderer Stelle „Clans“ gibt, die Ihnen und mir tatsächlich den Tag versauen.
Eine rhetorische Frage:
Was wäre, wenn Sie auf einen „Clan“ treffen…?

Hans Wurst
13 Tage her
Antworten an  Maunzz

Ihr „muss“ in ihrer Funktion als Chefin der Exekutive dieses Landes konnte als Auftrag an untergeordnete Stellen gewertet werden. Diese Äußerung mit der Staatsmacht im Rücken ist keine bloße Meinungsäußerung sondern ein Aufruf zum Staatsstreich. Und auch wenn Kemmerichs Partei nur 5,4% erhalten hatte, delegitimiert ihn das nicht als Ministerpräsidenten. Die Wähler wählen das Parlament, dieses wählt dann den Ministerpräsidenten. Dabei ist unerheblich, welcher Partei dieser angehört bzw. ob er überhaupt einer angehört.