Wer mit Grün oder Rot regieren will, hat schon ein Programm – ein grünrotes

Erste Journalisten bringen Auszüge aus dem CDU-Wahlprogramm. Vieles klingt wie von der bösen AfD, was niemanden überrascht. Da die Brandmauerpartei sich aber auf Koalitionen mit Grün und Rot verwiesen hat, fragt sich, mit wem möchte die CDU ihre Punkte denn umsetzen - und wie realistisch soll das sein?

picture alliance/dpa | Thomas Banneyer

Am Dienstag soll das Wahlprogramm der CDU veröffentlicht werden. Es gibt gewichtige Gründe, weshalb man es lesen kann, aber warum sich die Zeit nicht wirklich lohnt, noch, es ernsthaft zu diskutieren, weil ein Placebo ernst zu nehmen, Zeitverschwendung ist. Nichts von dem, was unter großem Getöse und mit noch größerer Wichtigtuerei verkündet werden wird, wird wirklich überraschen.

Natürlich will man die Schuldenbremse einhalten: im Bund. Wie es in den Ländern und für die Länder aussehen wird, darüber schweigt man, denn schließlich geht es ja bei der Wahl nicht um die Länder-, sondern um die Bundesebene. Seltsam nur, dass die CDU sich nun so konsequent zeigen will, obwohl Friedrich Merz in einer seiner unzähligen Statements auch schon mal die Reform, also Auflösung der Schuldenbremse in die Diskussion gebracht hat, allerdings für die Länder. Man kann schon mal mit den Äußerungen des Kanzlerkandidaten der Union durcheinander geraten, weil man nie weiß, ob das Statement bereits von Merz dementiert wurde oder ob das Statement bereits das Dementi des Dementis darstellt. Merz, der gern ein Überflieger sein möchte, scheint sich für Flugzeuge zu interessieren, weil er selbst politisch ein Propeller ist. Vielleicht interessiert er sich auch für Segelflugzeuge und sucht nur unentwegt und etwas zu nervös nach der passenden Thermik, um auf ihr ins Kanzleramt zu gleiten?

— Christoph Dorner (@ChrDorner) December 13, 2024

Natürlich wird die Union die Steuern senken wollen, das will sie eigentlich immer, doch erlahmt der Wille auf dem Weg von der Ernennung im Bellevue ins Kanzleramt. Natürlich will die Union nicht, dass Deutschland für die Schulden anderer Staaten haftet. Doch auch wenn es keiner will, geschieht es auf gar nicht so wundersame Weise – und ins Werk gesetzt hat es, einmal darf man raten, richtig, die Union. Mit dieser Forderung wirkt die Union obendrein komplett aus der Zeit gefallen, Deutschland haftet nicht nur für die Schulden anderer Staaten, Deutschland verschuldet sich sogar für andere Staaten.

Die Minderung der Steuereinnahmen sollen nicht seriös gegengerechnet sein, hört man vorab, d.h. damit bleiben alle Versprechen Absichtserklärungen, die allein dadurch unverbindlich werden, weil die Union einen großen Kassensturz nach der Wahl veranstalten will. „Unmittelbar zu Beginn der neuen Wahlperiode machen wir einen ehrlichen Kassensturz und hinterfragen alle Ausgaben, insbesondere die Subventionen“, heißt es im Programm. Das stellt natürlich die Frage, was die Haushälter der Union, die Bundestagsabgeordneten der Union im Haushaltsausschuss in den letzten drei Jahren gemacht haben? Ließen Sie sich die Sonne auf Palau, Samoa und in Panama auf die Bäuche scheinen? Die Diskussion über den Haushalt 2023 gestaltete sich intensiv, die über den Haushalt 2024 noch intensiver und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ohnehin. Weder der Nachtragshaushalt für das Jahr 2024, noch ein Haushalt für das Jahr 2025 konnten beschlossen werden, weil trotz immer verzweifelterer Versuche es der Bundesregierung nicht gelang, einen grundgesetzkonformen Haushalt aufzustellen.

Man ist also im Bilde. Die Haushaltspolitiker aalten sich eben nicht in der Sonne von Palau, Samoa oder Panama, sondern diskutierten im Plenum und im Haushaltsausschuss die hilflosen Elaborate der Ampel. Wozu also ein „Kassensturz“, wenn doch ohnehin jeder weiß, was herauskommt? Alle sind informiert. Und wer nicht, kann bei TE, WELT, Handelsblatt, Business Insider nachfragen.

Es gibt wenige Worte, die es mit dem Ausdruck „Kassensturz“ aufnehmen können, weder an Populismus, noch an Demagogie, denn Kassensturz, das klingt nach Klarheit, nach Härte, nach Disziplin, nach Expertise, nach Seriosität und Solidität und nach Ehrlichkeit. Aber vor dem Hintergrund, dass man jetzt schon im Wesentlichen weiß, was der „Kassensturz“ ergeben wird, verflüchtigen sich die schönen Konnotationen des Kassensturzes und zurückbleibt, dass ein Kassensturz die allerfeinste Begründung dafür liefern kann, alles, was man versprochen hat, beispielsweise Steuersenkungen wieder einzusammeln. Die Forderung nach einem Kassensturz gleicht der Bitte an die Frösche, den Sumpf trocken zu legen, sie wird kaum den Wahltag überleben, denn den „Fröschen“ wird sich die Union nach der Wahl unterwerfen.

Ein Blick auf die letzten Wahlumfragen zeigt, dass die Union mit 31 % an der Spitze liegt, gefolgt von der AfD, nunmehr mit 20 %, die SPD holt auf und kommt auf 17 %, die Grünen auf 11 %, das auf BSW 8 % und die FDP auf 5 %. Die Union könnte mit der AfD koalieren und mit einer satten Mehrheit von 51 % bürgerliche Politik machen, sie wird aber stattdessen mit der SPD rotgrüne Politik vereinbaren – und die zwei, drei Abgeordneten, die sich dagegen wehren, müssen dann bis zum Ende der Legislatur im Keller des Finanzministeriums den Kassensturz machen, während die anderen Abgeordneten an Deck der Titanic Deutschland geschickt Splitter vom Eis des gerammten Eisbergs mit ihrem Champagnerglas auffangen. Das können sie immerhin. Für Merzens Lieblingskoalition im Geiste Angela Merkels, für Schwarz-grün, wird es nicht reichen. Aber in der Frage Krieg oder Frieden wird Merz die bellizistische Position der Grünen vertreten, denn wie sagte er vor kurzem: „Freiheit ist wichtiger als Frieden“ Denn: „Frieden findet man auf jedem Friedhof.“ Auch die junge Familie, die sich ein Leben aufbauen wollte, das Kind, das noch gar nicht gelebt hatte, alle finden die wahre Freiheit auf Merzens Friedhof, denn wer ist freier als der Tote und übrigens, wer eher stirbt, ist länger tot. Aber vielleicht haben Friedrich Merz nur Hamlets Worte verwirrt:

„Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –
Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen.“

Doch hat BlackRocks Kommentar, in der der Tod nur eine Bilanz und die Freiheit ein Marketing-Gag ist, ihm zu einer neuen Klarheit verholfen.

Vorsorglich wurde dem deutschen Wähler indes auf Pro 7 verkündet, dass es ganz egal ist, wen und was er wählt, denn er wird trotz Wahl keine andere Politik, aber noch weniger Frieden, auf jeden Fall weniger Freiheit und Demokratie bekommen. Die Aufrufe dieser drei Politiker des neuen Brandmauerblocks, die zu dritt hart an Deutschlands Niedergang gearbeitet haben und weiterhin arbeiten, belegen bereits aufgrund einer Tatsache, dass ihr Aufruf zu Anstand in der Politik zutiefst unanständig und undemokratisch ist. Denn wäre es anderes, ginge es diesen drei Politikern um etwas anderes als um die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft, wollten sie wirklich für Anstand und um Fairness werben, dann hätten nicht allein sie, sondern auch die Kanzler- oder Spitzenkandidaten der anderen Parteien reden müssen, dann hätte man zudem die Reihenfolge ausgelost und in ausgeloster Reihenfolge hätten Alice Weidel, Sahra Wagenknecht, Christian Lindner, Robert Habeck, Friedrich Merz und Olaf Scholz in der Propagandasendung von Pro 7 auftreten müssen. So haben Merz, Scholz und Habeck ein Bündnis gegen Fairness und Anstand in der Politik geschmiedet, Postdemokratie inauguriert und ihre Oligarchie öffentlich mit viel falschem Pathos begründet.

Da Union, SPD und Grüne Deutschlands Talfahrt eingeleitet und beschleunigt haben und auf der Talsohle das Land gegen die gegenüberliegende Felswand steuern, ist es denkbar, dass auch, wenn es für eine Koalition aus Union und SPD reicht, die Grünen noch hinzugenommen werden, um die große Kraftanstrengung zu ermöglichen, jeden Widerstand gegen die Deindustrialisierung, gegen die Überführung der Demokratie in die Oligarchie und die Auflösung der Freiheit, inklusive Meinungsfreiheit, zu brechen.

Denn die Kernaussage der Drei von der Brandmauerstelle lautet: „Nach dem Wahltag geht es aber auch wieder darum, Gemeinsamkeiten auszuloten, Brücken zu bauen, Kompromisse zu schmieden, dafür brauchen wir einander“. Sie brauchen also einander! Denn: „Bei allen Meinungsunterschieden in der Sache sage ich aus tiefster Überzeugung: Olaf Scholz und Robert Habeck sind keine Feinde.“ Heißt das im Umkehrschluss: Alice Weidel, Sahra Wagenknecht, Christian Lindner sind Feinde? Denn sie erwähnt Friedrich Merz nicht als „politische Konkurrenten und Wettbewerber.“ Letztlich ist es Robert Habeck egal, wer unter ihm Bundeskanzler ist, denn „Olaf Scholz und Friedrich Merz würden andere Bundeskanzler als ich. Aber wie ich fühlen sie sich dem Wohle des Landes verpflichtet.“ Und die anderen nicht?
In diesem Pro 7 Video feiert die Nationale Front der DDR Wiederauferstehung. Sage niemand, er habe es nicht gewusst.

Unter diesen Aussichten und mit Blick auf die Absichtserklärungen von Merz, Habeck und Scholz empfiehlt es sich im Interesse und zur Verteidigung der Demokratie, weder die Union, noch die Grünen, noch die SPD zu wählen. In der Pro 7 Sendung sind die Masken gefallen. Sir John, der Sheriff von Nottingham und Robin Hood machen gemeinsame Sache, symbolisch stehen dafür die frühere BlackRock Mitarbeiterin Elga Bartsch, heute Habecks Abteilungsleiterin für Wirtschaftspolitik in Habecks-Ministerium, Scholzens Finanzminister Jörg Kukies, der 17 Jahre lang für die Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hat, und wo Friedrich Merz die Jahre verbracht hat, nachdem er vor Angela Merkel aus der Politik geflohen ist, weiß man.

Über die Finanzwirtschaft schrieb Karl Marx im Kapital: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

Doch es existiert auch ein anderer, sehr einfacher Grund, weshalb es sich nicht lohnt, das Wahlprogramm der Union zu lesen. Würde es der Union ernst sein mit den Zielen, die sie in der Migrations-, in der Steuer- und in der Wirtschaftspolitik formuliert, stellt sich die einfache Frage, warum sie nicht seit dem Tag des Zerbrechens der Ampelkoalition, dieses Ziel durchsetzt, in dem sie einen Antrag nach dem anderen in den Bundestag einbringt und es der Demokratie überlässt, wer zustimmt und wer nicht, anstatt die demokratische Arbeit zu verweigern? Doch Friedrich Merz fürchtet „Zufallsmehrheiten“, die aber in einer Demokratie gang und gäbe sind.

Das Parlament, das vollständig ohne „Zufallsmehrheiten“ auskam, war die Volkskammer der DDR bis 1990. Da überließen die Führer der Blockparteien nichts dem Zufall – und in diesen neuen Block aus SPD und Grüne drängt es die Union von Friedrich Merz. Es hat den CDU-Vorsitzenden eine merkwürdige Volkskammersehnsucht erfasst.


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