Parteien – ihr habt mich politisch heimatlos gemacht

Eine Rückabwicklung meiner Rechte als Frau wegen falsch verstandener Toleranz gegenüber einer anachronistischen Weltanschauung will ich nicht, zurück zum alten Frauenbid auch nicht. Das macht mich parteipolitisch heimatlos, sagt Anabel Schunke.

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Eigentlich traue ich mich morgens gar nicht mehr mein Macbook aufzuklappen. Auch heute reichen die ersten drei Meldungen des Tages bereits, um meinen Blutdruck in Wallung zu bringen und mich anschließend, wie so oft in den letzten Monaten, fassungs- und ratlos zurückzulassen.

Seit gestern gelten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. Nordafrikanern droht damit eine schnellere Abschiebung als zuvor. Theoretisch zumindest. Praktisch könnten die Grünen im Bundesrat blockieren. Bereits 2014 gab es Streit unter den Grünen als die Bundestagsfraktion gegen eine Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer stimmte. 2015 vollzog sich das gleiche Spiel in Bezug auf Montenegro, Albanien und den Kosovo. In beiden Fällen war es damals jedoch der Bundesrat unter grüner Mithilfe, der den Beschlüssen zur Mehrheit verhalf. In Bezug auf die Maghreb-Staaten könnte dies jetzt anders aussehen. Kretschmann, der 2014 noch für die nötige Mehrheit im Bundesrat sorgte, ließ bereits verlauten, dass die Maghreb-Staaten „ein bisschen was anderes wie die Westbalkanstaaten“ seien. Auch andere Länder mit grüner Regierungsbeteiligung, wie etwa Sachsen-Anhalt, könnten sich quer stellen.

Darüber hinaus bleibt fraglich, ob Nordafrikaner auch bei Durchbringung des Gesetzes tatsächlich künftig schneller abgeschoben werden. 25 Algerier, 18 Marokkaner und 14 Tunesier, also insgesamt 57 Personen aus den Maghreb-Staaten, hat man im ersten Quartal 2016 abgeschoben. Dabei gilt so gut wie kein Asylbewerber aus Nordafrika als asylberechtigt. Fast alle Anträge werden abgelehnt.

Zuwanderer-Folgen

Schauplatzwechsel: Nach aktuellen Zahlen kamen 2015 zwei Millionen Einwanderer nach Deutschland. Den ganz großen Anteil bilden Asylbewerber. Bis heute hat uns die Politik nicht gefragt, ob wir das überhaupt wollen. Fakt ist jedoch, dass all diese Menschen versorgt werden wollen und das unabhängig davon, ob sie asylberechtigt sind oder nicht, ob sie sich anständig verhalten oder Straftaten begehen. Die Polizei beklagt eine massive Zunahme von Sexismus und Belästigung gegenüber weiblichen Kolleginnen bei Einsätzen in Asylbewerberheimen. Die Meldungen über Vergewaltigungen durch Asylbewerber häufen sich. Die islamische Kultur ist das Hauptproblem, wenn es um derlei Übergriffe geht. Auch hier hat uns keiner gefragt, ob wir den Islam in dem Ausmaß in Deutschland haben wollen. Und vor allem in dieser Frage will uns Frauen anscheinend keiner schützen.

Derweil plant der Bund laut Bericht des SPIEGELS bis 2020 93 Milliarden Euro für Flüchtlinge bereitzustellen. Darin inbegriffen: Sprachkurse, Unterbringung, Integration, aber auch die Bekämpfung von Fluchtursachen.  Den größten Anteil bildet dabei der Posten für die Sozialleistungen bei anerkannten Asylbewerbern. Hierfür veranschlagten die Beamten von Finanzminister Wolfgang Schäuble für diesen Zeitraum 25,7 Milliarden Euro. Weitere 5,7 Milliarden fließen in Sprachkurse. Für Eingliederungshilfen ins Berufsleben gibt es 4,6 Milliarden. Die Rechnung beruht darauf, dass 55% der anerkannten Asylbewerber nach fünf Jahren einer Arbeit nachgehen.

Parallel kann man in der FAZ lesen, wie teuer und erfolglos Schwedens Asylpolitik ist. Ein zweijähriges „Einführungsprogramm in Bildung und Arbeitsmarkt“ gibt es dort für die Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. Es besteht aus Sprachkursen, Bewerbungstrainings und Praktika. Die Teilnahme ist nicht verpflichtend, aber weil sie mit Zuschüssen zur Sozialhilfe belohnt wird, sind die Beteiligungsquoten hoch. Zuletzt befanden sich rund 55.000 Personen im Programm. Der Staat stellt umgerechnet 1,7 Milliarden Euro in diesem Jahr dafür bereit. Der Erfolg ist eher bescheiden, wie der Blick der OECD auf deren Werdegang zeigt: Ein Jahr nach Ende des Programms waren nur noch 28 Prozent der geringqualifizierten Männer und ganze 19 Prozent der Frauen beschäftigt. Ich blicke noch einmal auf die veranschlagten Milliarden aus dem anderen Artikel und weiß, dass auch sie in ähnlich erfolgreichen Maßnahmen versickern werden.

Integration, Motivation, unbedingter Wille – all das kann man nämlich immer noch nicht mit Geld erzeugen. Gerade bei Einwanderern aus dem islamischen Kulturkreis, wo die individuelle Leistung, der berufliche Erfolg nicht so viel zählt, ist das ein Problem.

Seit Monaten poste und schreibe ich Artikel zu diesen Themen. Kommentiere, was das Zeug hält. Auch meine Leser kommentieren fleißig. Der Unmut wächst. In allen Teilen der Bevölkerung. Und immer wieder die Aussage: „2017 abwählen“.

Bei der FDP in Sachsen-Anhalt
Die liberale Lücke
Aber wie? Deutschland befindet sich in einer Krise des Parteiensystems. Merkel hat durch ihren kontinuierlichen Linksruck der letzten Jahre nicht nur die SPD als sozialdemokratische Partei de facto obsolet gemacht, sie hat rechts von sich auch eine riesige Lücke hinterlassen. Die FDP ist immer noch zu gefangen in diesem selbstreferentiellen politischen System und regiert zu gerne mit, als dass man diese Chance begreift, den Platz füllt und ein liberales Gegengewicht zu diesem Überschuss an sozialdemokratischen Positionen innerhalb des politischen Spektrums bildet. Ja, von der FDP bin ich am meisten enttäuscht. Der Liberalismus, den ich als klassischen Antagonisten des Islams sehe, wird in Deutschland schlicht nicht besetzt. Würde die FDP die liberalen Werte ernst nehmen, dann würde sie jene auch mit aller Kraft verteidigen. Nichts davon passiert. Dabei bedeutet Liberalismus eben nicht nur Wirtschaftsliberalismus. Und auch wertebasiert bedeutet er nicht Toleranz bis zur Selbstabschaffung und in diesem Zusammenhang ein Hochhalten der Religionsfreiheit, die keine Antwort liefert, wenn es eben nicht um private Religionsausübung, sondern um einen politische Ideologie geht. Der Liberalismus muss wehrhaft sein, sonst wird er von jenen abgeschafft, die seine Toleranz auszunutzen wissen. Diese Erkenntnis suche ich bei der FDP vergebens.

Keine der etablierten Parteien hat in Bezug auf den Islam und die Asylpolitik den Ernst der Lage begriffen. Fast zwanghaft drängen sie die Kritiker des Islams und der Asylpolitik damit in die Richtung der AfD. Weder Horst Seehofer, noch Thilo Sarrazin und andere sind Wahlkampfhelfer der AfD. Es ist die Weigerung der etablierten Parteien, diese Themen wirklich kritisch anzugehen, die der AfD Wähler zuspielt. Es ist die Tatsache, dass wir in Bezug auf diese Themen faktisch einen Einparteienstaat haben. Dass es unter den Etablierten keine Opposition in dieser Frage gibt und dass die innerparteiliche Opposition in der CDU am Ende doch nichts weiter als ein zahnloser Tiger ist.

Wer die Asylpolitik so nicht will, wer den Islam kritisiert, der hat zwangsläufig keine andere Wahl als die AfD zu wählen. Wer dies nicht tun will, der ist politisch heimatlos und muss im Prinzip zum Nichtwähler werden. Man erklärt nicht nur die Politik der Regierung für alternativlos. Man erklärt in Bezug auf dem Islam und die Asylpolitik damit auch die AfD als einzige Opposition für alternativlos für eine Wählerschaft, die diese Politik nicht mehr bereit ist, mitzutragen.

Mit Demokratie hat das alles schon lange nicht mehr viel zu tun. Zum ersten Mal in meinem Leben denke ich ernsthaft darüber nach, zum Nichtwähler zu werden. Eine Vorstellung, die für einen jungen Menschen, der sich stets ganz im rousseauschen Sinne als Citoyen begriffen hat, eine kaum hinnehmbare Vorstellung.

Nichtwahl

Vor der Afd schrecke ich nach wie vor zurück. Zu undurchsichtig erscheint mir ihre Zusammensetzung, bei der es sicherlich vernünftige, gute Leute gibt, aber eben auch den ein oder anderen überzeugten Rechtsradikalen. Die AfD ist Petry und Gauland, aber auch Höcke. Ein Umstand, der mir solche Bauchschmerzen bereitet, dass ich sie nicht guten Gewissens wählen könnte.

Zudem bin ich Liberale. Eine politische Einstellung steht und fällt nicht mit Parteien, die diese mehr schlecht als recht vertreten. Die AfD ist nach meiner Interpretation im Kern jedoch zutiefst konservativ und steht dem Liberalismus auf Werteebene diametral gegenüber. Allein die Familienpolitik stellt für mich als junge Frau einen hinreichenden Grund dar, sie nicht zu wählen (ich werde in einem weiteren Artikel ausführlicher auf die Beweggründe hierfür eingehen). Dabei höre ich insbesondere in diesem Zusammenhang immer öfter das Argument, es müssten eben erst einmal die großen Probleme (Islam, Asylpolitik) angegangen werden, bevor man sich den Feinheiten zuwendet. Das mag in Teilen richtig sein und zweifelsohne wird man bei jeder Partei immer Positionen im Programm finden, die man nicht teilt. Für mich als Frau stellt dieses Thema jedoch keine Kleinigkeit dar. Es geht hierbei um nicht weniger als meine wesentlichen Grundüberzeugungen. Auch die Haltung gegenüber Homosexuellen bildet ein weiteres Ausschlusskriterium. Da kann man mir noch so oft von Alice Weidel erzählen.

Was also tun, wenn um nicht weniger als die Zukunft eines Landes geht und es in diesen Fragen nur eine Oppositionspartei gibt? Und was, wenn diese Oppositionspartei so viel Bauchschmerzen auslöst, dass selbst ein rein pragmatisches Protestwählen nicht möglich erscheint? Muss ich am Ende doch all meine politischen Überzeugungen über Bord werfen, um einen politischen Wahnsinn zu stoppen, der uns langfristig alles kosten könnte, was dieses Land so erfolgreich gemacht hat?

Für mich als Frau ergibt sich hierbei ein schier unerträgliches Dilemma. Denn die einzige Partei, die mich vor dem Islam als per se frauenfeindlicher Ideologie, die mich vor den Anhängern dieser Ideologie wirksam schützen will, ist die AfD. Eine Partei, die mich zugleich ebenso in meinen Freiheiten als Frau einschränken, die mich in alte Rollenmuster zurückdrängen will. Ja ich weiß, dass viele, insbesondere männliche Leser das anders sehen, Leser, die meine Texte sonst sehr schätzen. Ihnen kann ich nur sagen, dass ich nicht diese Texte schreiben könnte, mich nicht so klar positionieren könnte, wenn meine Eltern mich nicht so freiheitlich und selbstbewusst erzogen hätten. Wenn man mir nicht vermittelt hätte, dass ich alles sein kann, wer ich will und mich stattdessen in die klassische Rollenverteilung gedrängt hätten. Die Politik der AfD macht die Frau vor allem im Kopf wieder ein Stück weit unfreier. Das mag sich im Vergleich zum Frauenbild des Islams für viele von ihnen als zu verkraftende Kleinigkeit präsentieren. Für mich ist es das nicht. Ich möchte nicht zwischen stärkerer und geringerer Einschränkung meiner individuellen Freiheit als Frau wählen. Ich möchte schlicht gar keine Einschränkung meiner Freiheit. Gar keine Rückabwicklung dessen, was auch hierzulande lange erkämpft werden musste.

Parteipolitisch heimatlos

Dennoch ist die Afd für mich nicht der Buhmann in dieser Angelegenheit. Parteien vertreten (so sollte es zumindest sein), unterschiedliche Ansichten. In diesem Sinne hat die Afd genauso das Recht, Ansichten zu vertreten, die ich nicht teile, wie jede andere Partei auch. Dieser Umstand wird nur dann zum Problem, wenn es in gesellschaftlich fundamentalen Fragen nur diese Partei gibt, die klar Position bezieht. Es ist die Frage, ob ich mir am Ende meine Freiheit und meinen Schutz mit faulen Kompromissen erkaufen muss, die mich quält und die mich bisweilen in meiner parteipolitischen Heimatlosigkeit verharren lässt.

Ich bin nicht verunsichert, ob meiner eigenen politischen Ansichten. Ich habe keine diffusen Ängste vor dem Fremden, weil mir das vermeintlich Fremde schon oft genug gefährlich nah gekommen ist. Ich weiß, was ich will und was nicht. Ich wusste das immer. Nicht zuletzt auch politisch. Wenn jemand wie ich nicht weiß, was er wählen soll, dann liegt das einzig daran, dass keine der etablierten Parteien mehr für ihre ursprünglichen Inhalte steht. Dass sie alle nur noch für das Gleiche stehen und dass dieses Gleiche nicht meine Ansichten repräsentiert. Es liegt daran, dass ich mich nicht mehr vertreten fühle von all den weltfremden Unsympathen, die für ein wenig Macht all ihre Ideale verkaufen. Daran, dass ich keiner Rückabwicklung meiner Rechte als Frau unter dem Deckmantel der falschverstandenen Toleranz gegenüber einer anachronistischen Weltanschauung zustimme. Und dass keine von diesen Parteien bereit ist, mich vor diesem Anachronismus zu schützen.

Ihr wart es, die mich politisch heimatlos gemacht habt.

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