Olaf Scholz bescheinigt Christian Lindner einen Mangel an sittlicher Reife – eine Eigenschaft, die dem Bundeskanzler selbst völlig abgeht, wie er zum wiederholten Male demonstriert. Politik sei kein Spiel, sagt Scholz – und zeigt durch sein Reden und Tun, dass er sie als genau das auffasst.
Wenn eine Regierung scheitert, dann ist das ein Anlass zu Selbstkritik und Zerknirschung. Sollte man meinen. Olaf Scholz sieht das anders. Er nutzte seine Rede im Vorfeld der Vertrauensfrage, um Christian Lindner erneut ad hominem zu attackieren. Der Kanzler scheint sich zum Ziel gesetzt zu haben, immer neue Tiefpunkte auszuloten; und tatsächlich könnte einem angesichts seiner Ansprache die Spucke wegbleiben:
„Politik ist kein Spiel liebe Kolleginnen und Kollegen“, so Scholz: „In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife (…).“
Sittliche Reife? Das fordert ein Mann ein, der über gerade genug sittliche Reife verfügt, um seine Verwicklung in einem großangelegten Betrug prompt zu „vergessen“?
Man könnte darüber sinnieren, ob der Rückgriff auf einen derart verstaubt klingenden Begriff hier angemessen ist. Berechnet ist er in jedem Fall: Sittliche Reife, das klingt nach Bohnerwachs und Spießigkeit, nach einer guten alten Zeit biederer Stabilität; ja, es reicht noch weiter zurück, eine Reminiszenz aus Kaisers und Preußenzeiten, karg, streng, aufrecht, spröde, aber gerade deshalb vertrauenswürdig.
Ganz gleich aber, wie man es nennen will, Sittlichkeit, Integrität, oder was auch immer: Es geht um Eigenschaften, die Menschen in leitenden Positionen auszeichnen sollten. Um Eigenschaften, die Scholz offensichtlich fehlen.
Diese Chuzpe ist typisch für den deutschen Politikbetrieb im Allgemeinen und für Olaf Scholz im Besonderen: Korrupt und skrupellos bereichert man sich am Land, dessen Zerstörung man betreibt, lügt und betrügt; aber all das mit der denkbar größten Wohlanständigkeitspose.
Dass Scholz es wagt, das Wort Sittlichkeit überhaupt in den Mund zu nehmen, offenbart eine atemberaubende Durchtriebenheit. Schließlich demonstriert er selbst den eklatanten Mangel an Anstand, den er Lindner vorwirft, indem er zum wiederholten Male über diesen herfällt: Er, der sich 2021 mit dem Slogan „Respekt für dich“ um das Amt des Bundeskanzlers bewarb, beendet die Ampelkoalitikon mit kalkulierten Respektlosigkeiten gegenüber dem einstigen Partner. Damit stellt sich Scholz selbst das Zeugnis aus, für ein politisches Amt vollkommen ungeeignet zu sein:
Verantwortungsübernahme, Schuldeingeständnis, Reue, die schließlich nicht zuletzt Ausweis von „sittlicher Reife“ sind, sucht man vergeblich.
Dass Lindner zwar sowohl für das Scheitern der Ampel als auch für den Niedergang des Landes Mitverantwortung trägt, der Bundeskanzler aber eben nun einmal Scholz heißt, ist offensichtlich. Hier geht es also nicht um eine wenigstens taktisch sinnvolle Täuschung, sondern um pure Lust an Manipulation: Gewinnen kann Scholz damit nichts. Aber er erhält die Fassade aufrecht, die der deutschen Politikerkaste ermöglicht, sich bei aller Stümperei und Heuchelei gerecht zu fühlen.
Eine Fassade, die viele Bürger immer noch nicht als potemkinsches Dorf erkannt haben, weil die Tatsache, dass Deutschland im Grunde zu einer Bananenrepublik verkommen ist, dem immer noch irgendwo in uns schlummernden Selbstbild von deutscher Ehrlichkeit und Tugend diametral widerspricht.
Entsprechend leicht macht es sich Scholz: Die Behauptung von Anständigkeit reicht völlig aus, niemand scheint zu erwarten, dass er sie auch nur ansatzweise einlöst. Eine Haltung, die nicht nur den Kanzler auszeichnet, sondern die auf allen politischen Ebenen um sich greift: Auf Landesebene etwa können wir am Beispiel Thüringens bereits beobachten, wie diese Simulation ganz konkret die Ebene demokratischer parlamentarischer Prozesse erfasst, und – in diesem Fall mit Berufung auf das natürlich hochanständige und moralisch gebotene Ziel der Aufrechterhaltung der Brandmauer – Hinterzimmerklüngelei zum Ausweis echter demokratischer Gesinnung umdefiniert. Ein Vorgang, der bei einem Mindestmaß „sittlicher Reife“ schlicht undenkbar wäre.
Bei Scholz’ Wortwahl handelt es sich nicht bloß um ein niveauloses Nachtreten, das die politische Kultur beschädigt; und nicht nur um eine Absage an Fairness und minimale Integrität: Es ist Ausdruck einer beunruhigend weit fortgeschrittenen Erosion demokratischen Bewusstseins und Verantwortungsgefühls. Für Scholz ist Politik eben nur ein Spiel.
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