Olaf Scholz’ Schwäche ist seine Stärke

Journalisten suchen derzeit verzweifelt nach Aussagen, die auf eine Harris-Wende in der SPD deuten. Vergebene Liebesmüh’. Olaf Scholz wird 2025 der Kanzlerkandidat der Genossen sein – seine Schwäche hilft ihm dabei.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten. Zum Beispiel Lars Klingbeil. Wer ihn nicht kennt: Das ist einer der Vorsitzenden der SPD. Eine Äußerung von ihm nimmt Bild zum Anlass für die Schlagzeile: „Spitzengenossen zählen den Kanzler an / Jetzt entlädt sich der SPD-Frust gegen den Kanzler“. Eine Palastrevolte verspricht diese Überschrift. Gar einen Regierungswechsel.

Was hat denn der „Spitzengenosse“ gesagt, was eine solche Überschrift rechtfertigt? Es gebe „auch eine Erwartung an den Bundeskanzler“. Und: „Ich weiß, was Aufgabe des SPD-Vorsitzenden, des Bundeskanzlers, der gesamten SPD-Führung ist!“ Huiuiuiuiui. Um diese Aussage einzuordnen, sollte man wissen, dass es einen guten und einen schlechten Grund gibt, ein Ausrufezeichen zu verwenden. Der gute Grund ist das Ende eines Satzes, in dem ein Befehl ausgesprochen wurde. Der andere Grund ist der Versuch, einen schwachen Aussagesatz mit diesem starken Satzzeichen ein wenig aufzupimpen. „Ich weiß, was Aufgabe … des Bundeskanzlers … ist“, ist nun ganz sicher kein Befehl.

Schwache Aussagesätze aufzupimpen ist derzeit in Mode, wenn es um die SPD geht. Deutsche Journalisten tun dies aktuell, weil sie eine Harris-Wende heraufbeschwören wollen. Ein Kandidat, der aus dem Nichts auftritt und die überraschende Wende für die Ampel einleitet. Doch diese Versuche sind eine Mischung aus Orakel von Delphi und Gläserrücken auf Tante Ernas Küchentisch. Olaf Scholz ist der Kanzlerkandidat der SPD – und er bleibt es. Die Partei und er sind aneinander gebunden.

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Das fängt mit dem potenziellen deutschen Harris an: Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der erreicht in den Umfragen tatsächlich die mit Abstand besten Werte. Doch SPD-nahe Journalisten begehen mit ihm den gleichen Fehler, den sie 2017 schon mit Martin Schulz verbrochen haben: Sie jubeln die guten Beliebtheitswerte hoch, ohne darauf zu achten, wie niedrig die Bekanntheitswerte sind. Bei Schulz war es so, dass er umso unbeliebter wurde, je bekannter er wurde. Für Pistorius ist dieser Effekt durchaus auch zu erwarten.

Oder vielmehr: wäre zu erwarten. Denn Pistorius wird nicht der Kanzlerkandidat der SPD 2025 sein. Den eigenen Anführer zu stürzen, ist schlicht nicht der Stil der SPD. Die Partei funktioniert hierarchisch: Karrieristen richten sich bedingungslos am jeweils nächst höheren Vorgesetzten aus und ganz oben in der Pyramide weilt Scholz – und nicht das tragische Dreieck der SPD-Führung: Klingbeil, Saskia Esken und Kevin Kühnert.

Die Partei verfügt auch nicht gerade über einen üppig gefüllten Geschenketeller an talentierter Führungsreserve. Vielmehr geht es um Schrottwichteln. Das hat nichts mehr gezeigt als die Direktwahl um den Parteivorsitz im Jahr 2019. Fast ein halbes Jahr hat sich die SPD die Frage gestellt, welche Person charismatisch und inhaltlich gefestigt ist, um die Partei zu führen. Die Antwort lautete Saskia Esken. Kannste nicht erfinden.

Es ist schon schlimm genug, „Spitzengenosse“ zu sein, wenn Esken diese Spitze anführt. Noch schlimmer ist es, in einer Basiswahl von Esken geschlagen zu werden. Genau das ist Olaf Scholz passiert, der zusammen mit der späteren Bauministerin Klara Geywitz auf Platz zwei gelandet war. Eigentlich hätte er da – so wie jetzt – nicht mehr für ein Amt in Frage kommen dürfen.

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Doch der Kanzler hat eine andere Fähigkeit. Eine, die mittlerweile erstaunlich wenige in der SPD haben: Er ist ein gewiefter Taktiker. 2021 hat er die Zerrissenheit der Union erkannt, die nachträglich von Markus Söder (CSU) ganz offen eingeräumt wird. Zudem war Scholz klar, dass die Deutschen sich da noch eine Kontinuität nach 16 Jahren Angela Merkel (CDU) wünschten. Zu der Zeit hatte die Kanzlerin noch die volle PR-Macht von ARD, ZDF und staatsnahen Zeitungen hinter sich. Als ihr Vizekanzler konnte Scholz diese Stimmen einfangen und nicht der massiv überforderte Armin Laschet (CDU), der an der Ahr selbst an der Anfänger-Aufgabe scheiterte, „ein paar Sätze des Mitgefühls“ glaubhaft vorzutragen.

So hat die SPD 2021 einen überraschenden Wahlsieg eingefahren – und Wahlsiege gelten in der Partei was. Zumindest galten sie. In früheren Tagen konnte in der SPD niemand etwas werden, der nicht seinen Wahlkreis gewonnen hat. Mittlerweile sind die Genossen dazu übergegangen, an Personal festzuhalten und es sogar noch zu befördern, wenn es herbe Niederlagen zu verantworten hat: Katarina Barley, Nancy Faeser, Frank-Walter Steinmeier, Heiko Maas oder Hubertus Heil. Um nur einige zu nennen. Nicht mehr auf Sieger zu setzen, sondern Verlierer an der Macht zu halten, ist einer der wichtigsten Gründe, warum die SPD es heute als Wahlsieg feiert, wenn sie etwas mehr als halb so viele Stimmen erreicht wie 23 Jahre zuvor.

Ein bisschen Wahlsieg von 2021. Ein wenig „Wir stürzen keine Vorsitzende“ und dann noch etwas, Pistorius wird auch nicht mehr so beliebt sein, wenn er erstmal ein wenig bekannter ist. Das reicht im Prinzip schon, um Scholz an der Macht zu halten. Doch es kommt noch ein Paradox dazu: Die Stärke des Kanzlers ist seine Schwäche.

Die deutschen Kurfürsten haben sich im ausgehenden Mittelalter und in der einsetzenden Renaissance zunehmend schwache Kaiser ausgesucht. Das hat ihre eigene Macht gemehrt. Boris Pistorius wäre ein Kanzler, der strikt führen würde. In seinem Fall würde das bedeuten: ganz sicher bedingungslose Unterstützung der Ukraine, konsequente Aufrüstung und mutmaßlich auch eine konsequentere Verhinderung der illegalen Einwanderung. Das macht Pistorius zum Albtraum von Parteilinken wie Esken oder Kühnert.

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Dann schon lieber Scholz, den man als mittelalterlichen Kaiser Olaf den Schwächlichen nennen würde. Ein Kanzler, der Karl Lauterbach im Amt belässt, obwohl unter dem Gesundheitsminister die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung explodieren. Oder Nancy Faeser, unter der Messerangriffe und islamistischer wie linker Terror freie Fahrt haben, während sie das Vereinsrecht missbraucht, um unliebsame Medien zu verbieten. Oder Svenja Schulze, die das Geld der deutschen Steuerzahler in der Welt verteilt, um etwa Radwege in Peru bauen zu lassen.

Das alles und noch viel mehr lässt Olaf Scholz geschehen. Weil er weiß, dass seine Schwäche seine Stärke ist und ihn die Parteilinken deswegen dulden. Egoistisch, ja – aber strategisch durchaus schlau. Es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Linken in der Partei Scholz weiterhin mittragen. Aus ihren Reihen kommen nur Kandidaten wie Saskia Esken. Die gewinnt vielleicht Direktwahlen in der SPD – aber außerhalb einer Partei, die zum Verliererkult übergegangen ist, ist Esken nicht durchsetzbar.

„Ich weiß, was Aufgabe des SPD-Vorsitzenden, des Bundeskanzlers, der gesamten SPD-Führung ist!“ Aus solchen Sätzen von Klingbeil orakeln Journalisten jetzt schon die Harris-Wende in der Bundesregierung herbei. Sie lesen zwischen den Zeilen. Suchen also im Nichts. Fair enough. Wo sollte man bei einem Lars Klingbeil sonst suchen?

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Kommentare ( 14 )

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Freigeistiger
1 Monat her

Klar ist die Schwäche von Scholz positiv für alle SPD-Funktionäre, die Mist gebaut und/oder nichts drauf haben. Aber für die Bevölkerung ist die Schwäche desaströs und auf die kommt es an.

Fulbert
1 Monat her

Worin besteht denn gewiefte Taktik des „Kanzlers“? Für die Tölpelhaftigkeit von Laschet konnte er nichts. Und wenn die Folgen seiner Taktik immer neue Umfragetiefs für die Koalition und die eigene Partei sind, dann ist sein Taktik alles, aber nicht gewieft. Mit seiner Passivität nimmt er sich zwar etwas aus der Verantwortung für die desaströse Bilanz der Ampel, aber anders als seine verschlagene Vorgängerin vermittelt er nicht den Eindruck, letztlich die Fäden in der Hand zu halten, sondern eher den eines Chefs, dem die Untergeben auf der Nase herumtanzen.

BellaCiao
1 Monat her

Die ÖRR Medien schreiben den Kanzler schon wieder hoch:
»Scholz‘ Umfragewerte gehen steil bergauf« meldet reisserisch das Portal „web.de“.

Im Text heißt es dann, die SPD habe auf 15 % zugelegt. Also „steil bergauf“ sind plus 1 Prozent – alles klar!

In der Live-Abstimmung „Scholz oder Merz, wer sollte der nächste Bundeskanzler werden?“ liegt Merz mit 27 % im Vergleich zu Scholz‘ 19 % jedoch deutlich vorn. Aber die große Mehrheit von 54 % will keinen von beiden:

https://web.de/magazine/politik/scholz-umfragewerte-steil-bergauf-afd-halbjahreshoch-40153484

Last edited 1 Monat her by BellaCiao
Alf
1 Monat her

Olaf Scholz wird 2025 der Kanzlerkandidat der Genossen sein – seine Schwäche hilft ihm dabei.
Solange die christliche „Opposition“ nicht besseres hat als Ihren Kandidat, bleibt Olaf Kanzler.

joly
1 Monat her
Antworten an  Alf

Hier helfen nur 40% + für die Alternative und keine Mehrheiten für den Rest auf der Resterampe.

Parsifal
1 Monat her

Wer weiß, wie es in einem Jahr um Wirtschaft und Wohlstand bestellt ist. Vielleicht kommen doch noch ein paar Dinge ins Rutschen und und die AfD wird stärkste Kraft bei der Bundestagswahl….

pcn
1 Monat her

Scholz pfeift auf seine Schwäche und die unterirdischen Umfragen. Ist seine Stärke. Da gebe ich Ihnen Recht, Herr Thurnes! Denn er weiß, dass Merz fest im Griff der Merkelianer ist und setzt auf die Falle „Brandmauer“, in die Merz ohne Not gelaufen ist. Scholz ist geradezu amüsiert über seinen Kontrahenten. Und Scholz weiß, dass er allemal die 10% Marke erreichen wird. Mit den Grünen zusammen sind das aller Wahrscheinlichkeit nach 20%, die Merz mit seinen geschätzten 30% zum Kanzler machen werden. Ergo: Merz‘ Schwäche ist die Stärke von Scholz. Und die SPD plus die Grünen sind wieder im Rennen. So… Mehr

Last edited 1 Monat her by pcn
Harry Charles
1 Monat her

SIND WASCHLAPPEN GUTE DEMOKRATEN? Zu aller erst zum Thema Harris-„Wende“: sie ist zwar nicht so dement wie Sleepy-Joe, aber dafür umso inkompetenter und vor allem wesentlich linksradikaler. Also NOCH ungeeigneter. Zum Thema: hierzulande herrscht unter persönlichkeitsarmen Journos Verwirrung in Bezug darauf, was Demokratie überhaupt ist. Mal zur Richtigstellung: Punkt 2: mit Stalinismus hat sie nichts zu tun, auch wenn ihr das zu „denken“ scheint. Punkt 2: Demokratie ist, wenn das „Volk“ (!), also der sogenannte Souverän, seine Herrscher WÄHLEN kann. Nicht mehr, nicht weniger (das heißt, es gehören schon noch ein paar Beilagen dazu, wie Meinungsfreiheit, oder Gewaltenteilung, bei uns… Mehr

JamesBond
1 Monat her

Die Weigerung von Scholz die Taurus-Bomben an die Ukraine zu liefern ist sein Vorteil, alles andere in der gesamten Regierung ist Müll für die arbeitende Bevölkerung.
Da krakelt heute der ÖRR wenn mehr -Schrott gekauft wird, dann hilft das auch der Autoindustrie – und wer hilft uns? Abschaffung der Zwangsgebühren für überflüssigen Rundfunk würde schon mal helfen, darüberhinaus sofortige Abschaffung des Bürgergeldes wie in Italien und Auszahlung eines Inflationsausgleiches an Rentner statt an Politiker und Illegale!

Elmar
1 Monat her

Die Politik vom Herrn Scholz ist in weiten Teilen der SPD erwünscht. Der Vorwurf aus den eigenen Reihen lautet in der Regel, dass er den linksgrünen Unsinn zu zaghaft umsetzt und auch inzwischen gern, dass er die unsinnige Politik dem einfältigen Michel zu wenig erklären kann. Da muss er keine Konkurrenz fürchten. Ich sehe niemanden in der SPD und nicht nur in der SPD, der die katastrophale Politik nachvollziehbar erklären kann.

hansgunther
1 Monat her

Schiffe versenken, als strategisches Ziel des „Bermuda Dreiecks der SPD“, da könnte was dran sein.