Özoguz wird zur Nagelprobe

Die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz will trotz antiisraelischem Statement, Kritik aus Ampelparteien und Rücktrittsforderungen aus Union und AfD nicht weichen. Die Frage nach ihrem Verbleib wird zur Nagelprobe: Wie salonfähig sind antiisraelische Ressentiments in Deutschland?

picture alliance/dpa | Jan Woitas

Die Ampelparteien zeigen sich mit der Entschuldigung von Aydan Özoguz zufrieden. Die Bundestagsvizepräsidentin hatte auf ihrem Instagram-Account ein Flammeninferno einer israelfeindlichen Organisation gepostet, auf der die Aufschrift stand: This is Zionism (Das ist Zionismus).

Aber in der Aussprache im Ältestenrat habe man dann doch – irgendwie – zueinandergefunden. Zuvor hatte die Unionsfraktion der SPD-Politikerin de facto das Vertrauen entzogen, als sich der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei im Namen der CDU/CSU von ihr nicht mehr vertreten lassen wollte. Das ist eine Rücktrittsforderung, auch, wenn es die Medien weicher transportieren, und womöglich auch die Union im Nachhinein.

Kritik gab es dabei zuerst von der AfD. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, hatte den Aufschlag gemacht. Aber auch aus den grünen Reihen meldeten sich kritische Stimmen, allen voran Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Bei der FDP muckte man auf, und als sich mit der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auch eine SPD-Vertreterin meldete, wurde es plötzlich sehr eng für Özoguz.

Nach antiisraelischem Post
Union fordert Rücktritt von Özoguz
Was im Ältestenrat geschah, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Özoguz habe sich abermals entschuldigt. Rücktrittsabsichten hatte sie keine. Die CDU/CSU hielt an Rücktrittsforderungen fest. Der Ampel reichte das offenbar. Kann ja mal passieren, dass man in der Öffentlichkeit antiisraelische Inhalte nebenbei in sozialen Medien teilt. Oder?

Die im Ältestenrat vorgelegte Entschuldigung liegt nicht vor. Schaut man aber auf die beiden Stellungnahmen in der Öffentlichkeit, so kann man diese kaum als ausreichend betrachten. Ihr Ziel sei es, so Özoguz, auf das zivile Leid auf beiden Seiten aufmerksam zu machen. Sie sehe eine „eskalierende Gewaltspirale“. Das ist so ziemlich der abgegriffenste Wortschatz, den es im Nahostkonflikt gibt; er sorgte schon in den 1990ern für Spott.

Aber Özoguz zieht diese Argumentation durch. „Ich habe erkannt, dass durch den geteilten Beitrag Gefühle von Mitbürgerinnen und Mitbürgern verletzt wurden, die für ein friedliches Zusammenleben einstehen“, teilte sie mit. „Das war nicht meine Absicht und das bedauere ich zutiefst.“

Nach der Sitzung erklärte Özoguz: „Es war ein Fehler, diese Instagram-Story zu teilen. Ich bitte um Verzeihung.“ Ihr Ansinnen sei es, in der Gesellschaft Brücken zu bauen und die Menschen zusammenzubringen. „Dieser Post hat aber das genaue Gegenteil bewirkt. Ich distanziere mich davon.“

Özoguz distanziert sich – von einem Post? Von sich selbst? Von der Handlung? Nebensächlich. Ein bisschen Nebel und die SPD-Karriere geht geräuschlos weiter. Das Statement von Özoguz bedient sich zudem der linken Strategie des Gaslightning. Sie sagt nicht, dass ihr das Teilen des Bildes selbst leidtut; nein, es tut ihr leid, dass „durch den geteilten Beitrag Gefühle von Mitbürgerinnen und Mitbürgern verletzt wurden“. Die Leser und ihre blöden Gefühle eben. Die Wahrnehmung der anderen ist der Gradmesser, nicht das tatsächlich Vorgefallene.

Würde es Özoguz wirklich ehrlich meinen, dann würde sie zurücktreten. Doch wie erwähnt: Im Ältestenrat standen nicht einmal Rücktrittsabsichten im Raum.

Der Fall geht dabei tiefer. Dafür reicht die kurze Überlegung, ob ein FDP-, Unions- oder gar AfD-Politiker in einem öffentlichen Amt danach noch haltbar gewesen wäre. Die Süddeutsche Zeitung hat monatelang eine Schmierenkampagne gegen den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger geführt. Wegen eines antisemitischen Flugblattes im Schulranzen von vor 35 Jahren. Jetzt steht die Bundestagsvizepräsidentin im Rampenlicht wegen eines antiisraelischen Postings von vor zwei Tagen; derselbe empörte Blätterwald ist aber erstaunlich still.

Zweierlei Maß sind in der Medienlandschaft nichts Neues. Es gibt aber noch eine andere Entwicklung, und die ist in der Tat sehr neu für die Geschichte der Bundesrepublik. Unterstützer der Fatah hat es in der SPD immer gegeben. Israelfeindlichkeit war jedoch in der deutschen Gesellschaft über Jahrzehnte geächtet. Es handelt sich um einen Grundkonsens der alten Bonner Republik. Antisemiten und Israelfeinde galten per se als unfein.

Heute bestimmen antiisraelische Studentencamps die Universitäten des Landes. Bezeichnend ist, dass Innenministerium und Verfassungsschutz weiterhin den Antisemitismus von rechts geißeln, den linken Antisemitismus aber noch immer nicht so recht sehen will. Die Israelfeindlichkeit migrantischer Milieus aus dem Orient sowie in linken Milieus „übersieht“ man ganz. Greta Thunberg etwa, die man vorher auf das Podest erhoben hat, rüffeln zwar konservative Medien und Politiker; auf der anderen Seite bleibt Schweigen angesichts des aktuellen „Engagements“.

Das ist die Methode, die nun auch bei Özoguz zum Tragen kommt. Was vor einigen Jahren unverzeihlich war, wird im richtigen politischen Kontext verzeihlich; das Fenster des Unsagbaren verschiebt sich – aber lediglich im linken Spektrum. Macht man darauf aufmerksam, dass Özoguz eine längere Geschichte von Berührungspunkten mit islamischen Milieus anhängt, so muss sich nicht die Vizepräsidentin des Bundestags, sondern der Kritiker rechtfertigen.

Eine antizionistische Vizepräsidentin?
Özoguz leistet sich antiisraelischen Ausfall
Der Rückendeckung für Özoguz hängt damit der fade Beigeschmack an, dass man lieber eine mutmaßliche Israelfeindin deckt, als zuzugeben, dass man die falsche Frau auf den Posten gesetzt hat. Früher hätte man gesagt: Das beschädigt das Amt. Heute, da alles beschädigt ist, wirkt das wie eine Mahnung aus dem letzten Jahrhundert. Die Erosion der Bundesrepublik lässt Politiker wie Bürger abstumpfen; was den Raubbau an Vertrauen und Legitimität in die Republik nochmals beschleunigt. Dabei sollte aber auch die Union nicht vergessen, dass sie es selbst war, die unter Angela Merkel die damalige Migrationsbeauftragte in Amt und Ehren befördert hat, und damit mitverantwortlich für ihren Aufstieg ist.

Auch andere Institutionen haben an Bissigkeit und Gewicht verloren. Wenn einst der Zentralrat der Juden ausholte, dann musste man sich ducken. Josef Schuster erklärte zum Özoguz-Posting, dass „antizionistische Narrative“ bedient würden, die „im vergangenen Jahr zu den schlimmsten israel- und judenfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland geführt“ hätten.

Früher hätte das den Sturz jedes Politikers unausweichlich gemacht. Heute verpufft das Wort bei drei Bundestagsfraktionen, die auch bei Grundrecht und Haushalt lediglich mit den Achseln gezuckt haben. Der pro-israelische Konsens der alten Republik ist beerdigt worden.

Rot-Grün-Gelb also tatenlos, die CDU/CSU selbst am Aufstieg von Özoguz beteiligt – bliebe da vielleicht die AfD als Bewahrerin der alten Substanz? Von Storch hat den Aufschlag gemacht. Ihre Partei hätte sich damit profilieren können, indem sie ihr pro-israelisches Profil gegenüber den traditionell palästinenserfreundlichen Linken schärft.

Dass die AfD aber kaum das Thema in der Art und Weise aufgegriffen hat, wie man es von einer Oppositionspartei erwarten würde, liegt an eigenen, internen Problemen. Am Mittwoch hat AfD-Chef Tino Chrupalla seiner Partei einen Bärendienst erwiesen, indem er die bis dahin zementierte Israel-Allianz aufgelöst hat. Im Bundestag kritisierte er „exklusive Solidaritätsbekundungen“ und „einseitige Parteinahmen“. Es sei Zeit, sich objektiv und kritisch mit der israelischen Regierung auseinanderzusetzen.

In der AfD, wo man seit Jahre äquivalent zu anderen europäischen Rechtsparteien versucht, ein Bekenntnis zu Israel zur Leitlinie zu machen, hat das nicht nur zu Irritationen geführt, sondern auch Gräben aufgerissen. Stammwähler hat Chrupalla damit massiv verunsichert. Dabei ist auch der Ruf des AfD-Chefs nach der Einstellung deutscher Waffenlieferungen nichts Neues. Kollegin Alice Weidel hatte bereits im August Waffenlieferungen an Israel infrage gestellt.

Aber wozu das alles? Partei- wie wahlstrategisch führen diese Bekenntnisse ins Nirgendwo. Denn antiisraelische Parteien gibt es in Deutschland schon genug. Auch deswegen kann Özoguz auf ihrem Posten bleiben.

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Kommentare ( 103 )

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103 Comments
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Ralf Poehling
1 Monat her

Ich sage das jetzt völlig wertungsfrei: Türken bleiben immer irgendwie Türken, wohin sie auch gehen. Das selbe gilt ja auch für Deutsche, Italiener oder die meisten anderen Nationalitäten auch. Beim auswandern nimmt man seine Kultur mit. Daran ist erst mal nichts schlimm. Kritisch wird das dann, wenn man seine Vorurteile und Feindbilder vom Heimatland mit in die neue Heimat nimmt und diese dann dort auch noch politisch vertritt. Schäuble hatte unrecht. Das Potential türkischer Frauen in Deutschland mag vorhanden sein, die können was, aber deren Weltbild ist meist doch eher türkisch als deutsch. Qualifiziert das für ein politisches Amt in… Mehr

Westfale
1 Monat her

[Wikipedia entnommen:] Saliah Aydan Özoguz. Türkin. Seit 1989 „auch“ Deutsche. Über O. Scholz auf SPD-Landesliste. In der Folge SPD-Beitritt. Stammplatz auf SPD-Liste(n). „Schwerpunkt von Özoğuz’ Arbeit ist die Integrationspolitik; dabei vertritt sie die Ansicht, Deutschland sei kein laizistischer Staat.“ „Als der Bundestag im Juni 2016 mit der sogenannten Armenien-Resolution den Völkermord an den Armeniern anerkannte, kritisierte Özoğuz das geplante Votum im Vorfeld deutlich. Laut Özoğuz werde die Abstimmung geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien verhindern. Özoğuz gab an, dass über ein vergangenes Geschehen in der Türkei „ohne vernünftige Aufarbeitung“ abgestimmt werde, und warf den Initiatoren der Armenien-Resolution politische Motive vor.“ „Anfang November 2016 sprach… Mehr

DeppvomDienst
1 Monat her

Anti- Semitismus IST salon- fähig und das schon länger als viele glauben. Schon 2018 wurde ich zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels von verschiedensten Seiten darauf hingewiesen, meine Solidarität NICHT öffentlich zu zeigen. Der Vermieter verbot das Aufhängen der JUDENFAHNE. Der Arbeitgeber das Tagen eines Pins, am liebsten auch im privaten, denn 80 – 90% der ärztlichen Mitarbeiter stammen aus Feindstaaten Israels ! 2023 unternahm ich dann erst gar keine größeren Versuch mehr. Es blieb aber – bis heute – beim Freundschaftspin an der privaten Jacke. Der führte dann diesen Sommer dazu, das ich im Getränkemarkt von zwei jungen bärtigen… Mehr

bfwied
1 Monat her
Antworten an  DeppvomDienst

Es kann durchaus der Verdacht aufkeimen, dass wir erneut das Jahr 1934 oder, im Osten, 1950 erleben. Wo soll man sich denn hier engagieren, warum sollte man hier investieren, wenn der Rechtsstaat auf allen Feldern auf dem Boden liegt? Es sind die Feinde der Vernunft, die Feinde der Demokratie und der Freiheit ans Ruder gekommen, an den Endpunkt des langen Marsches durch die Institutionen, zu dem Dutschke aufforderte 1968. Das geht nicht mehr so schnell gerade zu richten. Irgendwann wird das Faustrecht zur Regel werden, und da die Rotgrünen das auch befürchten – das weiße Volk ist schließlich ihr Feind… Mehr

hoho
1 Monat her

Israel ist durch Juden geführt aber nicht alle Juden sind Israel, eine Kritik (am liebsten fundiert) ist dabei immer erlaubt. Dass man sich dabei entschuldigen muss ist für mich nur dann gerechtfertigt, wenn es dabei zu tief in Hetze gegangen ist. Aus dem Artikel erfahre ich davon nichts und kann keine Meinung darüber bilden.
Die Beiträge, die sich mit Israel und der angeblichen oder echten Feindlichkeit dagegen beschäftigen lese ich nach allen den Jahren nur, wenn ich feststellen will, ob dieser Bereich immer noch nur ideologisch betrachtet wird. Das ist leider weiter der Fall.

bumo111
1 Monat her

Die alten Reflexe funktionieren nicht mehr in Deutschland. Wo überall nur noch Faschisten oder Antisemiten sein sollen wird es schwierig. Israel muss sich auch den Fragen nach seiner Strategie stellen. Nur Bomben ist auch etwas wenig. Und ich glaube weiterhin dass dieser Überfall der Hama bewusst in Israel zugelassen wurde. Wahrscheinlich etwas aus dem Ruder gelaufen. Aber wer die israelischen Sicherheitskräfte selbst erlebt hat dem ist ein solches Versagen nicht erklärbar. Und setzt man die öffentlichen Maßstäbe dieses Konfliktes für den Russland Ukraine Krieg an, dann passt nichts mehr zusammen. Dann sehen wir unterschiedliche Propagandaebenen.

Last edited 1 Monat her by bumo111
Peter Schulze
1 Monat her

Am 14. Mai 2017 schrieb die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), im „Tagesspiegel“ den Satz: „Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“

Siggi
1 Monat her

Wie kann die SPD such nur hinter diese radikale Islamisten stellen? Die Liste der Verfehlungen ist nicht nur eindeutig, sondern auch lang. Das ist ungeheuerlich. Ich hoffe, die SPD wird an ihr ersticken.

Siggi
1 Monat her

Trotz Israel-Hass:Landes-SPD Hamburg stellt Özoguz als Kandidatin auf
Ihre Partei will sie wieder für Bundestag nominieren.
Kann man den Hass auf Israel noch deutlicher ausdrücken? Ich glaube nicht.

Zum alten Fritz
1 Monat her

Ab wann wird man in Deutschland realisieren das Semiten mehrere verschiedene Völker einer Sprachfamilie sind. Der politische Begriff ist Unsinn. Hebräisch und Arabisch gehören zu dieser Sprachfamilie.
Also man kann sich über israelische Politik streiten, wenn man will oder nicht. Über Religionen kann man sich wundern oder auch nicht.
Mord bleibt Mord, Krieg bleibt Krieg. Für Humanisten gibt nur Eins, über dieser Gewalt zu stehen und alles zu tun diese zu beenden.

Simplex
1 Monat her

Wenn ich den Artikel in der Jüdischen Rundschau von Frau Gärtner aus 2022 hier zitiere, dann, weil er noch mehr auf diesen „Themenkomplex“ eingeht. (Aydan Özoğuz und ihr Distanzproblem zu islamischen Hardlinern)
Die Jüdische Allgemeine kommentiert aktuell: „Zeit für den Rücktritt, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz!“.
Hier wird regelrecht „Tacheles“ geredet. Es ist zum Fremdschämen. Man schämt sich ein Deutscher zu sein, könnte man meinen.
Noch verwerflicher ist die mutmaßliche Kumpanei zwischen diesen Zirkeln, Clans, Parteien und Exekutive. Da werden doch schon bald gegen das eigene Staatspolitik Strippen gezogen. Scholz bei Erdogan – das passt doch alles zusammen. Was geschieht mit uns?

Last edited 1 Monat her by Simplex