Die Zensoren unseres Jahrhunderts unterliegen (noch) relativ starken Einschränkungen: Sie können die physische und soziale Existenz ihrer Opfer deutlich schlechter vernichten, als ihre historischen Vorgänger es konnten. Aber sie haben erzwungenermaßen begriffen: Wer zuerst und mit voller Wucht das Denken kriminalisiert, der muss später gar nicht mehr viele physische Knebel verordnen.
Kaum eine Woche vergeht, in der die Medusa aus Amadeu-Antonio-Stiftung und wechselnden Bundesministerien nicht einen ihrer Köpfe oder Wurmfortsätze in den sozialen Medien emporreckt, um den Bürgern mal wieder zu erklären, wer die Bösen im Lande sind. Diese als Aktionen zugunsten des sozialen Friedens getarnten Diffamierungs- und Erziehungskampagnen firmieren gerne unter imperativen Hashtags wie #NoHateSpeech und #NichtEgal. Netzaffine Autoren wie faz donalphonso oder TE-Autor Dushan Wegner halten beständig dagegen, indem sie nicht nur die finanziellen und organisatorischen Verquickungen der Urheber aufdecken, sondern auch auf die beunruhigenden, aber doch recht offensichtlichen historischen und literarischen Parallelen dieser staatlich geförderten Gesinnungsschnüffler hinweisen, aber auch Autoren der Achse des Guten, die den Geldströmen nachgehen und im Bundesfamilienministerium fündig werden.
Doch, so könnte man mittlerweile schon ernsthaft fragen, wenn man das Drama auf Twitter regelmäßig verfolgt, geht es dabei eigentlich „nur“ um die Meinungsfreiheit? Wären die Praktikanten von #NoHateSpeech und Bundesjustizminister Heiko Maas also bereits zufriedengestellt, wenn sich jeder Bürger ab jetzt wirklich überlegen würde, welche Texte er im Internet absondert? Nein, denn es geht um mehr.
Exemplarisch für die viel weitergehenden Absichten der großen und kleinen Brüder im Netz ist ein Tweet des #NichtEgal-Teams, den Dushan Wegner aufgriff. Dort wurde behauptet, „Hass und Volksverhetzung sind Straftaten.“ Was für ein Blödsinn, urteilte die Twitter-Gemeinde, und bald darauf musste #NichtEgal nachschieben: „Hassrede ist immer freie Meinung wenn nicht strafbar.“ Und zwei und zwei ist immer vier wenn nicht fünf. Ein weiterer Fehltritt, der als Beleg für die intellektuelle und juristische Schwäche der Erfüllungsgehilfen von Maas und Schwesig dient, möchte man meinen. Doch gerade durch diese vermeintlichen Fehltritte arbeiten sie tatsächlich weiter auf ihr Ziel hin, das da lautet: Wer hasst, soll sich zumindest als Verbrecher fühlen.
Es ist kein Zufall, dass #NichtEgal auf berechtigte Nachfragen zur rechtlichen Dimension von Hassreden ausgesprochen pampig reagiert. Denn gerade die Schwammigkeit und kaum mögliche Abgrenzbarkeit dessen, wogegen sie zu kämpfen behaupten, stellen überhaupt den einzigen Ansatzpunkt für ihr Tun dar. Indem sie der nichtjustiziablen Emotion „Hass“ kriminelle Etiketten anhängen, dringen die Inquisitoren unserer Tage viel weiter vor als nur bis zum ins Internet abgesonderten Text: Sie verhängen den Riegel direkt vor unseren Köpfen. Nicht nur das, was wir schreiben, sollen wir uns zweimal überlegen, sondern schon das, was wir empfinden.
Wieso ist diese Strategie insbesondere heutzutage so effektiv? Angenommen, man möchte gewisse Mitmenschen zum Schweigen bringen, kann sie aber gleichzeitig nicht so belangen oder zensieren, wie man es gerne möchte. Hier hat man wirklich aus der Geschichte gelernt. Eine Karikatur auf die Karlsbader Beschlüsse zeigt eine Runde bereits völlig geknebelter Herren und fragt: „Wie lange mochte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?“ Ein Jahrhundert nach den absolutistischen Reaktionären wandten die Kommunisten eine Kombination aus körperlichem und geistigem Knebel an: Was zersetzendes und gesellschaftsfeindliches Gedankengut war, wurde an jeder Ecke gelehrt und bei wem die Lehre offensichtlich nicht haften blieb, für den gab es den Gulag. Deshalb war vielen Genossen immerhin bewusst, dass ihr Regime im Grunde verbrecherisch war, wodurch die innere Hürde, selbst immerhin zum stillen „Gedankenverbrecher“ zu werden, nicht sonderlich hoch war.
Die Zensoren unseres Jahrhunderts unterliegen dagegen (noch) relativ starken Einschränkungen: Sie können die physische und soziale Existenz ihrer Opfer deutlich schlechter vernichten, als ihre Vorgänger es konnten. Aber sie haben erzwungenermaßen begriffen: Wer zuerst und mit voller Wucht das Denken kriminalisiert, der muss später gar nicht mehr viele physische Knebel verordnen. Dabei ist es besonders tragisch, dass es ihnen gelungen ist, sich in den staatlichen Strukturen der Bundesrepublik, aber auch bspw. der USA und Großbritanniens, einzunisten. Denn anders als im Absolutismus oder Kommunismus verstehen sich die Bürger dieser Staaten primär nicht als Opfer und heimliche Feinde ihrer jeweiligen Obrigkeit. Aber gerade weil der „gute“ Bürger durchaus ein Ideal unserer Gesellschaft ist, ist letztere so anfällig für die hinterhältige Gedankenkonditionierung: Wer aus eigentlich begrüßenswerten Motiven heraus ein guter Bürger sein möchte, dessen innerer und äußerer Widerstand gegenüber staatlicher Gängelei wird ungleich schwächer sein als der desjenigen, der sich sicher sein kann, in einem Unrechtsstaat zu leben.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Anti-Hass-Kampagnen vor allem des schlechten Gewissens bedienen, um auf der Gedankenfreiheit herumzutrampeln, denn ein starkes soziales Bewusstsein wird heute schließlich insbesondere den jüngeren Generationen beschieden. #NichtEgal definiert: „Hass ist verachtend, diskriminierend, ehrverletzend und unsachlich.“ Damit wollen sie sagen: „Mit deinem Hass tust du jemandem ganz doll weh – und das willst du doch nicht etwa, oder?“ Abgeschaut haben sie sich diese Masche in den USA, wo damit bereits ganze Universitäten auf Linie gebracht wurden. Sie erfüllt einen einzigen Zweck: Diejenigen mit den besseren Argumenten auf ihrer Seite sollen zum Schweigen beschämt werden, damit die anderen, die nichts außer ihren eingebildeten Privilegien vorzubringen vermögen, das Sagen haben können. Die harten Fanatiker, die gänzlich unbedarft Hassenden, lässt man dagegen in Ruhe, von denen, die für die eigenen Belange hassen, ganz zu schweigen.
Aber wäre ein bisschen weniger gefühlter und geäußerter Hass nicht doch begrüßenswert? Hass ist die starke emotionale Reaktion eines Menschen auf wahrgenommene Verstöße gegen sein Wertesystem. Basierend auf diesem Wertesystem kann er einem Gerechtigkeitssinn folgen, wie ein Hass auf Lügner, oder er kann vollkommen losgelöst von konkreten Handlungen auftreten, wie ein Hass auf Hautfarben oder Religionen. Diese weit voneinander verschiedenen Wertesysteme existieren in jeder Gesellschaft. Was ein Mensch dann wiederum mit seinem Hass anfängt, liegt innerhalb seiner persönlichen Verantwortung – dies kann durchaus in strafbaren Handlungen münden, wird es aber oft nicht, sondern kann sogar produktive Formen annehmen.
Weil Hass aber zu den menschlichen Grundemotionen gehört, erscheinen Mitmenschen immer seltsam unmenschlich, wenn sie behaupten, sie wollen und würden nichts und niemanden hassen. Denn im Grunde leben sie damit im Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber allem und jedem. Wer heute angesichts der himmelschreienden Inkompetenz, der schleichenden Einschränkung der Meinungsfreiheit und der gravierenden falschen Weichenstellungen für die Zukunft nicht etwas Empörung, Wut und sogar Hass empfindet, der hat schon aufgegeben – und damit hätten diejenigen, die verlangen, dass man sie für ihre Fehler liebt anstatt verachtet, gewonnen. Feiern wir unseren Hass also ein wenig, denn er gehört zu unserer Freiheit. Mein Hass gehört mir!
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