Neue Integrationsbeauftragte Widmann-Mauz mag Begriff der Leitkultur nicht

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung kennt zwar jenseits geschriebener Gesetze auch ungeschriebene Regeln des Zusammenlebens. Ob für sie die einheimischen Regeln Vorrang vor den importierten haben, sagt sie aber nicht.

© Steffi Loos/AFP/Getty Images

In der Rheinischen Post vom 19. März hat sich die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz von der CDU, erstmals etwas ausführlicher zu ihren Vorstellungen von einer gelingenden Integration von Asylbewerbern geäußert. Immerhin stellt sie, anders als ihre Vorgängerin Aydan Özoguz von der SPD, nicht in Abrede, dass es jenseits des Grundgesetzes in Deutschland „ungeschriebene Regeln und Erwartungen“ gibt, „die anzuerkennen wichtig für ein gutes Miteinander ist.“ Gleichzeitig distanziert sie sich aber von dem von Innenminister Seehofer in diesem Zusammenhang gerne verwendeten Begriff der Leitkultur. „Ich mag den Begriff nicht sonderlich, denn er führt uns nicht weiter. Wir müssen uns vielmehr konkret darüber verständigen, was Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Gewaltlosigkeit als Grundfesten unseres Zusammenlebens bedeutet.“

Nun handelt es sich bei diesen Themen allerdings gerade nicht um ungeschriebene Regeln und Erwartungen, die im sozialwissenschaftlichen Fachjargon auch informelle Regeln genannt werden, sondern um gesetzlich formalisierte Vorschriften des alltäglichen Zusammenlebens. Einige der informellen Regeln wie etwa das gegenseitige Begrüßen per Handschlag aber auch der hohe Wert von Bildung und das Leistungsprinzip hat vor einiger Zeit Seehofers Vorgänger, Thomas de Maizière, unter der Überschrift „Wir sind nicht Burka“ in seinem Beitrag für die Bildzeitung beschrieben. Anders als seine Parteifreundin hält er den Begriff der Leitkultur für derlei Regeln für sehr gut geeignet, weil das Wort „leiten“ deutlich mache, dass es bei ihnen nicht um gesetzliche Vorschriften, sondern um eine „Richtschnur des Zusammenlebens“ gehe.

Könner können miteinander
Integration: Maizières Leitkultur-Thesen oder Kompetenz der Geholten?
Ob Vorschrift oder Richtschnur, immer geht es, wenn in gesellschaftlichen Gruppen verschiedene, unter Umständen sogar gegensätzliche informelle Regeln aufeinanderstoßen, um die Frage, welche sich als allgemeinverbindlich und damit als Standard durchsetzen. Das gilt zum Beispiel bei Unternehmenszusammenschlüssen, die nicht selten in einen Kampf unterschiedlicher (Unternehmens-)Kulturen münden oder auch bei Eheschließungen zwischen Ehepartnern, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten mit entsprechend unterschiedlichen Familientraditionen stammen. Wer passt sich an wen an, wessen Regeln setzen sich durch, welche Kompromisse werden gegebenenfalls geschlossen, welche Regeln werden abgeschafft? All diese Fragen des alltäglichen Zusammenlebens stellen sich um so dringlicher und auch konfliktreicher, je enger die Kooperationsbeziehungen zwischen allen Beteiligten werden und je gegensätzlicher ihre jeweiligen Sitten und Gebräuche sind.

Der allgegenwärtige Ruf nach einem möglichst engen Zusammenleben der einheimischen deutschen Bevölkerung mit einer sehr großen Zahl muslimischer Zuwanderer forciert daher notgedrungen die inzwischen hinlänglich bekannten Konflikte um die Vorrangigkeit ihrer unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Sitten und Gebräuche. Sie treten vor allem dort auf, wo Einheimische und Zuwanderer unmittelbar aufeinandertreffen, sei es am Arbeitsplatz, in den Kindergärten, in den Schulen, in Krankenhäusern oder auch an Essenstafeln für Bedürftige. Wer sie vermeiden möchte, muss entweder dafür sorgen, dass die Kontakte zwischen Einheimischen und Zuwanderern auf das Allernotwendigste eingeschränkt werden oder dass Klarheit darüber geschaffen wird, wessen Regeln gelten.

Mit dem Begriff der Leitkultur erheben einige Vertreter der Mehrheitsgesellschaft seit langem nicht nur Anspruch auf eine Allgemeinverbindlichkeit ihrer formellen, sondern auch ihrer informellen Regeln. Die muslimischen Zuwanderer sollen sich nicht nur an die Gesetze halten, sondern auch die Sitten und Gebräuche des Landes übernehmen, in dem sie auf Dauer leben wollen. Nur so können sie aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft integraler Bestandteil ihres größeren Ganzen werden. Das schließt nicht aus, dass die Mehrheitsgesellschaft im Laufe der Zeit auch Sitten und Gebräuche der Zuwanderer übernimmt, sofern sie dies für vorteilhaft, akzeptabel oder geboten hält. Das wird sie im Interesse ihrer Selbsterhaltung aber nur freiwillig und insoweit tun, wie ihre eigenen Sitten und Gebräuche weiterhin allgemeinverbindliche Richtschnur des Zusammenlebens bleiben. Alles andere käme einer Selbstabschaffung der eigenen Kultur gleich, von der einige Beobachter inzwischen allerdings schon ausgehen.

Dressur statt Aufklärung
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Die bisherige Integrationsbeauftragte, Aydan Özoguz, lehnt zusammen mit vielen anderen Verfechtern eines „multikulturellen“ Zusammenlebens jeglichen Anspruch der Mehrheitsgesellschaft auf einen Vorrang ihrer Sitten und Gebräuche ab. Nach deren Vorstellung beschränkt sich Integration allenfalls auf die Achtung geltender Gesetze bei gleichzeitigem Verzicht auf jegliche Allgemeinverbindlichkeit bislang geltender informeller Regeln des Zusammenlebens. Nach diesen dürften die Einheimischen bestenfalls selbst leben, niemals jedoch beanspruchen, dass Zuwanderer dies auch tun. Wer dies dennoch beansprucht, gilt den Multi-Kulti-Anhängern als fremden- und integrationsfeindlich, wahlweise auch als rassistisch oder nazistisch.

Wo die neue Integrationsbeauftrage, Widmann-Mauz, in dieser Frage steht, bleibt in Ihrem Interview mit der Rheinischen Post weitgehend unklar. Sie findet es zwar gut, dass Seehofer und de Maizière mit ihren Forderungen nach einer (deutschen) Leitkultur eine Debatte darüber befördern, „welche Werte uns prägen und wie wir zusammenleben möchten“, meidet aber die Frage, welche Werte, die hiesigen oder die importierten, für sie Vorrang haben und bezieht insofern keine eigene inhaltliche Position. Das hat sie vermutlich von ihrer neuen Chefin gelernt, die ihren Job auch vor allem als den einer Moderatorin versteht, die zwischen unterschiedlichen Meinungen und Positionen zu vermitteln hat.

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Kommentare ( 91 )

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wat nu
6 Jahre her

Wir müssen uns vielmehr konkret darüber verständigen, was Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Gewaltlosigkeit als Grundfesten unseres Zusammenlebens bedeutet.“
nee nee Frau Widmann-Mauz, wir werden die „heilige Kuh“ der Gleichberechtigung nun nicht für eine notwendige Integration opfern. Auch hier vertreten sehr viele jener Bürger, in dessen Auftrag u.a. Sie, Frau Widmann-Mauz zu agieren haben, die Auffassung, dass es sich bei dieser notwendigen Integration um ein Holschuld handelt. Erklärt, was es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter so auf sich hat, haben wir genug.

frank
6 Jahre her

Unsere Leitkultur wird für uns zur Leidenskultur, und damit für uns unumkehrbar, wenn es der Integrationsminiserin will.

ZurückZurVernunft
6 Jahre her

Wie feige und verlogen die Dikussion um die Leitkultur ist, zeigt die Tatsache, dass wir nicht bereit sind auch nur die geringsten Elemente anderer Kulturen anzunehmen.

Z.B. könnte man in Anbetracht unserer Massenscheidungen und des Heeres von Alleinerziehenden dazu übergehen, dass die Eltern bei der Eheschließung wieder zustimmen müssen bzw. hierfür die Bürgschaft übernehmen.

Wenn man anderen Kulturen gegenüber dchon nicht wirklich aufgeschlossen ist, ,dann sollte man zumindest auch den Mut haben unsere Kultur als Leitkultur zu propagieren

ZurückZurVernunft
6 Jahre her

LEITKULTUR: Unser modernes Weltbild (basierend auf Kopernikus, Newton, Darwin, Einstein,….), unsere technischen Errungenschaften ( Elektrizität, Auto, Flugzeug, Computer, Smartphone….),unsere Musik (Mozart, Bach, Beethoven,,,), Kunst, Rechtsprechung hat zum größten Teil europäische Wurzeln. Nun kann man aus Bescheidenheit sein.Licht ja unter den Scheffel stellen. Leider glaube ich, dass die Gegner einer Leitkultur wie Merkel, Özuguz und Widmann-Mauz nicht einmal erkennen, wie gigantisch die europäische Kultur allen anderen Kulturen überlegen ist. Weder die Indianer, noch die Afrikaner oder Aboriginees wären z.B. bis heute nicht in der Lage Glas odercStahl herzustellen, geschweige denn daraus Geräte wie MRT oder Computer zu bauen. Und Kultur auf… Mehr

Mozartin
6 Jahre her

Keine Kinder. keinen Abschluss, okay zu ihrer Zeit schon eine „Leistung“.
Vielleicht gab es da aber persönliche Hindernisse? – Nicht jedem erfüllt sich ein Kinderwunsch. –
Nur, warum sollten die dann für den Bundestag nicht mehr gelten?
Ich möchte niemand Begabtem den Weg zum „Bundespräsidenten“ verbauen, aber ich würde dies nicht dirket als Grundvoraussetzung zum Bundespräsidentenamt machen…?

Mozartin
6 Jahre her

Es wäre natürlich tragisch für Deutschland, wenn sich die politische Intelligenz aus dem Bundestag verabschiedete und ein „Rest“ zu unserem Leid-wesen unter der Moderation von Merkel bliebe. Im Übrigen hat es Merkel doch schon beantwortet mit „Wir alle sind Deutschland“. Damit ist sie schon viel weiter als alle Diskutierenden, indem sie den Namen Deutschland zwar beibehält, aber unter ihm alles für legal und legitim erklärt? Mal wieder von einem Ende, dass sie dann schon durchdrücken will? Deutschland als Überbegriff für „wie Du schon immer leben wolltest“? Ist das wirklich unser GG? Hat das im Ernst etwas mit seriöser Wissenschaft zutun?… Mehr

Schwabenwilli
6 Jahre her

Wenn ich rein vom optischen Eindruck auf ihre Amtsführung schließen soll dann „erst mal alles ruhig halten“ Zudem scheint mir dieses Amt eigentlich nur noch dazu da zu sein die Befindlichkeiten von Moslems zu regeln.

Johann Betz
6 Jahre her

„das gegenseitige Begrüßen per Handschlag“
Ich weiß ja nicht in welcher Region Deutschlands und in welcher Gesellschaftsschicht Sie leben, aber ich kenne Regionen und einheimische Gesellschaftsschichten, wo das nicht so üblich ist. Wahrscheinlich erinnert der Autor sich an den Fall von Schülern in Basel, die sich geweigert haben, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Aber an deutschen Schulen ist es wohl eher nicht üblich, dass Schüler vor der ersten Stunde mit Handschlag begrüßt werden.
Man sollte sich nicht an einer solchen Kleinigkeit aufhalten.

Rudolfo
6 Jahre her

Deutschland braucht keine Integrationsministerin sondern eine Abschiebe- und Ausschaffungsministerin.

Koko Lores
6 Jahre her

Niemand hat die Absicht sich hier in Deutschland zu integrieren.
Wozu also AWM?