Die Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, Naika Foroutan, versucht den Deutschen einzureden, die Väter des Grundgesetzes seien Anhänger ihrer Vorstellungen von einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft gewesen. Die Deutschen sollten daher akzeptieren, dass ihre Kultur angesichts eines stark gestiegenen migrantischen Bevölkerungsanteils inzwischen dem Untergang geweiht ist.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der deutschen Migrationsforschung eine Richtung entwickelt, die ihre Aufgabe weniger in der wertfreien Analyse von Migrationsprozessen als in der politischen Legitimierung eines bestimmten Gesellschaftskonzepts im Namen der Wissenschaft sieht, das ihren Vertretern als erstrebenswert gilt. Ob es sich bei einer solchen Art von Forschung überhaupt um Wissenschaft handelt, ist spätestens seit Max Webers zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geführten Auseinandersetzung mit den „Kathedersozialisten“ seiner Zeit eine in den Sozialwissenschaften bis heute umstrittene Frage.
Hegemonial durchgesetzt haben sich in der deutschen Migrationsforschung inzwischen gleichwohl nicht diejenigen Forscher, die möglichst wertfrei arbeiten, sondern diejenigen, die die Wissenschaft für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren und deswegen auf wissenschaftliche Objektivität wenig bis gar keinen Wert legen. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen daher auch nicht empirische Untersuchungen von Migration, sondern Diskursanalysen über Migration, mit deren Hilfe sie alle Kritik am multikulturellen Konzept von Gesellschaft als fremdenfeindlich, wahlweise auch als rassistisch oder islamophob brandmarken. So wie sich immer mehr Journalisten mit politischen Haltungen und Weltsichten gemein machen, die sie für moralisch überlegen halten, tun dies inzwischen auch immer mehr Migrationsforscher.
Der Bremer Politikwissenschaftler Stefan Luft schreibt in diesem Zusammenhang in einem Artikel über „Das Verschwinden des Pluralismus“ in der Migrationsforschung: „Festzuhalten ist, dass in Forschungseinrichtungen politische Aktivisten privatwirtschaftlich und staatlich finanzierte Ideologieproduktion betreiben. Sie insinuieren, über sichere Maßstäbe für politisches Handeln und über das nötige Wissen zu verfügen. Mit diesem Sendungsbewusstsein gestalten sie die soziale Wirklichkeit mit – zur Bewältigung der Herausforderungen tragen sie allerdings wenig bei.“
Als Paradebeispiel für diesen Typus von Wissenschaftler präsentierte sich jüngst die Direktorin des in Berlin angesiedelten „Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung“ (DeZIM), Naika Foroutan, in einem Beitrag für den Focus. Unter dem Titel „Sie erkennen ‚Ihr‘ Land nicht mehr? Dann haben Sie etwas falsch verstanden“, wendet sich die in Deutschland geborene Tochter einer Deutschen und eines Iraners in direkter Ansprache an all diejenigen autochthonen Deutschen, die angesichts eines inzwischen rund 30-prozentigen Anteils von Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung „das Gefühl haben, ihr ‚eigenes‘ Land nicht mehr wiederzuerkennen.“ Laut Foroutan besteht dieses Gefühl „zu Recht“, denn Deutschland sehe aufgrund der inzwischen hier so zahlreich lebenden Einwanderer und ihrer Nachkommen „anders aus, es ist jünger geworden, es spricht anders, es isst anders, es betet anders, es liebt anders, es hat neue Konflikte, es kleidet sich anders, es ist lauter als in den Jahren, die für viele bis heute ihr Deutschlandbild prägen.“
Berechtigt ist das Unbehagen gegenüber der so beschriebenen kulturellen Überfremdung in immer größeren Teilen der Bevölkerung laut Foroutan allerdings nicht, weil die autochthonen Deutschen ein Recht darauf hätten, ihre kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten zu bewahren, indem sie diese zu einer Leitkultur erheben, an die sich alle Einwanderer möglichst weitgehend anzupassen haben. Berechtigt ist es vielmehr nur, weil sich vor allem in den Großstädten des Landes die überlieferten kulturellen Regeln und Praktiken der autochthonen Deutschen faktisch auf dem Rückzug und die aus anderen Ländern importierten kulturellen Regeln und Praktiken auf dem Vormarsch befinden. Geschuldet ist dies, so Foroutan, dem schieren quantitativen Zuwachs der migrantischen Bevölkerung, die insgesamt in Deutschland zwar immer noch eine Minderheit, in zahlreichen Großstadtbezirken aber längst schon die Mehrheit bildet.
Mit leicht triumphalistischem Unterton rät Foroutan den Deutschen, die sich zunehmend fremd im eigenen Land fühlen, sich angesichts dieser Sachlage in ihr Schicksal einfach zu ergeben, anstatt sich gegen den fortschreitenden Niedergang ihrer Kultur zur Wehr zu setzen oder gar zu verlangen, dass die Migranten die historisch gewachsenen Regeln und Praktiken der deutschen Kultur übernehmen. Nahegelegt wird ihnen gleichsam die vollständige Kapitulation vor einer kulturellen Landnahme, die weder aufzuhalten noch zurückzudrängen sei. Um ihnen diese bittere Pille etwas zu versüßen, sollen sie sich an permanenten Aushandlungsprozessen mit immer mehr zugewanderten Bevölkerungsgruppen darüber beteiligen, nach welchen kulturellen Regeln und Praktiken sie ihr zukünftiges (Zusammen-)Leben zu gestalten haben. Jeglicher Anspruch auf den leitkulturellen Erhalt ihrer eigenen Kultur wird ihnen von Foroutan bestritten und als fremdenfeindlich gebrandmarkt.
Für ihren Kapitulationsaufruf nutzt die Professorin Begründungen, die sie zweifellos als stramme Aktivistin für eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft, nicht jedoch als ernstzunehmende Wissenschaftlerin ausweisen. So stellt sie unter Verweis auf den „Horror der Homogenität“ aus der Zeit des Nationalsozialismus die Behauptung auf, die Väter des Grundgesetzes hätten die heutige „Pluralität Deutschlands“ schon 1949 im Grundgesetz verankert. In der deutschen Staatsrechtslehre dieser Zeit, an der sich die Verfasser des Grundgesetzes maßgeblich orientierten, herrschte jedoch die Sichtweise, dass eine demokratisch verfasste Gesellschaft nur zufriedenstellend funktionieren kann, wenn in ihr „ein Mindestmaß an politischer, sozialer und kultureller Homogenität“ besteht. So beschreibt dies etwa der emeritierte Professor für öffentliches Recht an der Humboldt Universität zu Berlin, Volker Neumann, in seiner rechtshistorischen Studie „Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute“.
Ohne eine ausreichende Homogenität hielten es die maßgeblichen Staatsrechtler wie auch die Väter des Grundgesetzes für nicht ausreichend gesichert, dass überstimmte Minderheiten Mehrheitsentscheidungen widerspruchslos akzeptieren, sofern sich ihre Interessen stark widersprechen und es keinerlei über diesen Interessen stehendes sozio-kulturelles Gemeinschaftsbewußtsein gibt. Letzteres hielten sie daher für das Gelingen von Demokratie für unabdingbar. Das Grundgesetz vor diesem Hintergrund gleichsam zu einer Blaupause für eine multikulturelle Gesellschaft zu deklarieren, die laut Foroutan sich gerade nicht durch ein Mindestmaß an politischer, sozialer und kultureller Homogenität, sondern durch ein Maximum an politischer, sozialer und kultureller Diversität auszeichnen soll, zeugt entweder von einer erheblichen Unkenntnis der deutschen Verfassungsgeschichte oder von dem Willen, diese gemäß den eigenen politischen Zielen beliebig zurechtzubiegen.
Nicht minder kenntnisfrei und abstrus ist Foroutans Behauptung, „Deutschland ist das Land seiner Einwohner und Einwohnerinnen.“ In der Präambel des Grundgesetzes steht geschrieben: „Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“
Bei diesem „Deutschen Volk“ handelt es sich laut Artikel 116, Absatz 1 allerdings allenfalls zum Teil um Foroutans „Einwohner und Einwohnerinnen“ Deutschlands, zu denen in der Tat auch zahlreiche Ausländer gehören. Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist aber nur, „wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling auf dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“ – eine überraschend „völkisch“ anmutende Formulierung, die den Verfassungsschutz auf den Plan rufen könnte, würde sie ein Redner auf einer Veranstaltung zum Besten geben.
Laut Grundgesetz entscheidet über die Zugehörigkeit zum Deutschen Volk jedenfalls nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern auch eine in Artikel 116 nicht näher definierte Volkszugehörigkeit, die sich im Jahr 1949 vor allem auf die zahlreichen Vertriebenen deutscher Herkunft ohne deutsche Staatsangehörigkeit bezog. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre erhielten aufgrund dieses Artikels zusätzlich zahlreiche nach Deutschland ausgewanderte Russen deutscher Herkunft sofort die deutsche Staatsangehörigkeit.
Nicht gemeint sind mit der grundgesetzlichen Kategorie „deutsche Volkszugehörigkeit“ die zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen, die heute in großer Zahl, meist illegal, nach Deutschland einreisen und weder über irgendwelche ethnischen oder sonstigen Bezüge zu Deutschland noch über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Dasselbe gilt für die zahlreichen „Gastarbeiter“ und ihre Nachfahren, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Auch diese „Einwohner und Einwohnerinnen“ betrachtet Foroutan allerdings als berechtigt, sämtliche im Grundgesetz verankerten Grundrechte für sich in Anspruch zu nehmen, selbst wenn diese ausdrücklich nur Deutschen vorbehalten sind.
Auch hier liegt sie jedoch komplett falsch. Das Grundgesetz unterscheidet nämlich zwischen „Deutschenrechten“ und „Jedermannsrechten“, weshalb zum Beispiel das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Recht auf Vereinigungsfreiheit (Artikel 9) nur für Deutsche, das Recht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5) hingegen auch für Nicht-Deutsche gelten. Man muß laut Grundgesetz in Deutschland also schon die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, um alle Grundrechte in Anspruch nehmen und sich an Wahlen beteiligen zu dürfen.
Wenn unter Verweis auf den grundgesetzlich verankerten Minderheitenschutz von einer Aktivistin des Multikulturalismus gefordert wird, allen „Einwohnern und Einwohnerinnen“ in Deutschland die gleichen Rechte zu gewähren, dann verstößt dies nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern befördert sowohl bei vielen autochthonen Deutschen wie bei zahlreichen assimilierten Einwanderern aus gutem Grund die von dieser Aktivistin beklagte Migrationsmüdigkeit respektive Migrationsfeindlichkeit. Diese drohen sogar in offene Demokratiefeindlichkeit umzuschlagen, wenn diesen Bevölkerungsgruppen seitens der Multikulturalisten immer unverhohlender signalisiert wird, durch grenzenlose Einwanderung sollten sich einstige soziokulturelle Minderheiten allmählich in Mehrheiten verwandeln, um mit Hilfe des demokratischen Mehrheitsprinzips die – als nationalsozialistisch kontaminiert gebrandmarkte – deutsche Kultur zunehmend an den Rand zu drängen.
Eindrücklich beschrieben hat eine solche Entwicklung die US-Soziologin Arlie Russell Hochschildt in ihrem Buch „Fremd in ihrem Land“ am Beispiel der USA. Inzwischen ist dort ein Punkt erreicht, an dem in demokratischen Wahlen mit Hilfe von eingebürgerten Einwanderern zustande gekommene Mehrheitsentscheidungen von den unterlegenen, überwiegend autochthon geprägten Minderheiten nicht mehr anerkannt, sondern offen bestritten werden. Die von den staatsrechtlichen Vordenkern und Vätern des Grundgesetzes betonte Wechselwirkung zwischen einem Mindestmaß an gesellschaftlicher Homogenität und der Akzeptanz des demokratischen Mehrheitsprinzips ist in dem klassischen Einwanderungsland USA offenbar schon weitgehend erodiert. Das scheint die als Professorin beschäftigte, multikulturelle Aktivistin Foroutan aber ebenso wenig zu kümmern wie die problematischen sozialen und politischen Folgen der von ihr gefeierten, voranschreitenden Auflösung der deutschen Leitkultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ihres Heimatlandes.
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