Bauministerin hilflos

Da sie das Wohnungsbauziel nicht erreicht, hat Bauministerin Klara Geywitz neue Pläne: Sie will die Leute dazu bewegen, aufs Land zu ziehen. Die lassen sich aber nicht einfach wie Tetris-Steine in frei stehende Flächen verschieben. Zumal die Infrastruktur auf dem Land das Leben in Städten attraktiver macht.

picture alliance/dpa | Patrick Pleul
Klara Geywitz (SPD), Bundesbauministerin, Fürstenwalde, Brandenburg, 15. Juli 2024

Einen „neuen Aufbruch für das Bauen“ versprach die SPD im Bundestagswahlkampf 2021. Der seinerzeitige Kanzlerkandidat Olaf Scholz stellte eine „Bau-Offensive“ in Aussicht: „Jährlich sollen 400.000 neue Wohnungen entstehen.“ Die magische Zahl schaffte es dann auch in den Ampel-Koalitionsvertrag, der einen „Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“ versprach. Die SPD glaubte angesichts von Wohnungsnot und steigenden Mieten in den Städten ihr soziales Image gestärkt.

Das Problem: Von 400.000 neuen Wohnungen jährlich kann nun, im dritten Ampel-Jahr, keine Rede sein. Schlimmer noch: Gerade erst hat das Ifo-Institut noch einmal seine Einschätzung bekräftigt, dass Deutschland sich diesem Ziel nicht nur nicht nähert, sondern sogar weiter davon entfernt. Demnach steht zu befürchten, dass 2025 oder 2026 nur noch 175.000 neue Wohnungen gebaut werden könnten. 2023 waren es laut Bundesregierung noch 294.400 – das entspräche einem Rückgang von etwa 40 Prozent.

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Untermauert wird diese Annahme von aktuellen Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt: Demnach brachen die Baugenehmigungen für Wohnungen im Mai 2024 um 24,2 Prozent ein im Vergleich zum Vorjahresmonat. Hintergrund für die Entwicklung sind auch Inflation und zwischenzeitlich gestiegene Zinsen.

Klara Geywitz ist als „Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen“ für die Angelegenheit verantwortlich. Die Sozialdemokratin muss jetzt dabei zusehen, wie sich ihre planwirtschaftlichen Zielvorgaben einigermaßen spektakulär in Luft auflösen. Und weil das ausgegebene Ziel ganz offensichtlich nicht erreicht werden kann, sattelt die Ministerin hilflos auf eine andere Idee um: Sie will die Menschen dazu bewegen, aufs Land zu ziehen.

Bereits 2023 hatte Geywitz auf leerstehende Wohnungen im ländlichen Raum verwiesen. Nun bekräftigte sie im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, in Deutschland stünden knapp zwei Millionen Wohnungen leer: „Wir werden Ende des Jahres eine Strategie gegen den Leerstand vorlegen. Denn es ist auch viel umweltfreundlicher, vorhandene Häuser zu nutzen, statt neu zu bauen.“ Deshalb suche man nun mit der Wissenschaft und anderen Ressorts nach neuen Wegen, „Menschen für die Nutzung von leerstehendem Wohnraum zu interessieren“.

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Man fragt sich als erstes, warum diese Strategie erst Ende 2024 kommt, wo die Ministerin doch schon Anfang 2023 auf den Leerstand hingewiesen hatte. An sich hat Geywitz recht: Laut dem Zensus von 2022 standen zum Stichtag 15. Mai 2022 bundesweit 1,9 Millionen Wohnungen leer, was einem Anteil von 4,3 Prozent entspricht. 38 Prozent davon waren zu diesem Zeitpunkt zum Bezug verfügbar. Klingt also erst einmal plausibel, den in den Städten überschießenden Bedarf mit dem Überangebot in der Fläche zusammenzubringen.

Nur lassen sich Bürger nun einmal nicht einfach wie Tetris-Steine in frei stehende Flächen verschieben. Diese Vorstellung ist ebenso größenwahnsinnig, wie es offenbar die Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen jährlich war. Geywitz weiß selbst: Die Landflucht hat konkrete Gründe. Infrastrukturelle Nachteile sorgen dafür, dass für viele Städte ungleich attraktiver sind als das Land.

Zwar weisen auch einige mittlere Städte moderate Leerstandsquoten aus: In Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg zum Beispiel waren es 2022 laut einer Übersicht der Zeit unter Beruf auf den Zensus 6,7 Prozent, in Schwerin 6 Prozent und in Erfurt immerhin noch 4,3 Prozent (zum Vergleich – Berlin: 2 Prozent; München: 2,4 Prozent). Trotzdem befinden sich natürlich viele der leerstehenden Wohnungen eher in abgelegenen Regionen, besonders stark in Ostdeutschland.

Diese Regionen drohen in der postmodernen individualistischen Gesellschaft nicht nur ihr soziales Gefüge zu verlieren. Sie sind auch infrastrukturell einfach weniger attraktiv als Regionen mit weniger Leerstand. Der Anschluss ans Internet mag dabei vielfach nicht mehr das größte Problem sein: Ein funktionsfähiges Internet bekommt man mittlerweile in fast ganz Deutschland ins Haus, wie ein Blick in den Breitbandatlas des Bundes zeigt (bei höheren Geschwindigkeiten ist das Gefälle allerdings noch erheblich).

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Die Verkehrsanbindung ist da schon ein größeres Problem – und hier trägt die Politik eine konkrete Mitverantwortung. Auf die heruntergewirtschaftete Bahn können sich etwa Arbeitnehmer, die vom Umland in Städte pendeln, kaum verlassen. So lag die „Reisendenpünktlichkeit“ des DB-Regionalverkehrs im Juni dieses Jahres bei nur 89,1 Prozent. Aufgepasst: Als pünktlich gelten hier alle Züge mit einer maximalen Verspätung von 15 (!) Minuten.

Zugleich sind die Spritpreise im Vergleich zu 2020 massiv gestiegen. Kostete 2020 der Liter Benzin (E10) laut ADAC noch 1,36 Euro, waren es 2023 1,79 Euro. Davon fließen 86 Prozent als Steuern an den Staat. 11,9 Prozent macht die CO2-Abgabe aus, die 2021 eingeführt, zuletzt zum 1. Januar noch einmal angehoben wurde und auch künftig weiter steigen wird. Es wird also teuer, wenn man regelmäßig vom Land aus weite Strecken zurücklegen will oder muss.

Weitere, teils politisch verursachte Probleme ließen sich anführen, etwa, dass seit Jahren die Zahl der Krankenhäuser rückläufig ist und Hausärzte auf dem Land fehlen. Kurz gesagt: Die Vorstellung der Bundesministerin, Bürger in die Fläche zu verschieben, ist im besten Fall naiv; eher aber dürfte sie bei vielen Bürgern auf Wohnungssuche als ein frecher Schlag ins Gesicht ankommen – von einer Regierung, die erst große Versprechungen machte und am Ende bei unverhohlenen Umzugstipps für das Fußvolk landete.

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Kommentare ( 65 )

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Emsfranke
3 Monate her

Das ist doch die Jahrhundertidee. Warum ist unsere supermächtige Ursula da nicht drauf gekommen? Da ziehst du nun auf´s Land, weil du in der Nähe deines Arbeitsplatzes keine Wohnung/Haus bezahlen kannst oder keine Bleibe findest. Und weil von dort keine Bahnanbindung oder brauchbare Busanbindung vorhanden ist und du weit fahren musst, kaufst du dir einen modernen Diesel, wegen geringerem Verbrauch. Der wird abgezahlt, weil teuer. Und nun tatataaaa, kommt Superursel und will die Karre aus dem Verkehr ziehen, weil das Klima leidet. Der Wissing schreibt zwar noch einen Brief mit der Bitte um Gnade für die armen Steuermalocher an die… Mehr

Peter Klaus
3 Monate her

Wenn 5 bis 6 Millionen (Leistungsträger + Familie) das Land verlassen würden, hätte man doch wieder Platz für (zusätzliche) Leistungsempfänger. Die aktuelle Regierung arbeitet ja eifrig daran, vielleicht ist ja dies das einzige, was man zu Stande bringt.

Last edited 3 Monate her by Peter Klaus
agricolabauer
3 Monate her

Wer sagt denn, dass wir hier auf dem Lande diese Art von Stadtvertriebenen überhaupt haben wollen? Leidvolle Erfahrungen mit z. B. „Ruhrgebietlern“ oder mit städtischen Mietnomaden zeigen, dass es gravierende kulturelle Unterschiede zwischen Vollstädtern und Volldörflern gibt. Wer seine einzige Wohnung oder das ererbte Haus von Oma so unters Mietvolk bringen will, sollte schon mal Rücklagen für die vielen mit Sicherheit kommenen Prozesse bilden.

Juergen Semmler
3 Monate her

Das vielsagende Titelfoto verrät mehr als 1000 Worte: Klara G. wirkt wie ein Fremdkörper in ihrer Montur auf der Baustelle…und könnte man Gedanken lesen, so hörten wir den verzweifelten Schrei: „ HILFE, ich bin kein Bauexperte….holt mich hier raus !!!“ Klara Geywitz = = Christine Lambrecht 2.0. Deluxe superieur… Geywitz (Dipl. Politikwissenschaftler !!!) hat von Bauwesen und Stadtentwicklung genauso viel „Ahnung“ wie ein Ochse vom Schlittschuhlaufen. Würde ein Maurer-Azubi Klara bitten, ihm die Gewichte für die Wasserwaage zu holen, dann finge Klara aber an, nach denen zu suchen…und zu suchen…und zu suchen… Auch vorstellbar, dass Klara in der Küche eine… Mehr

Kassandra
3 Monate her
Antworten an  Juergen Semmler

Özdemir hat mal so eine Schutzweste vorgestellt – was mir bei dem Bild dann halt auch wieder eingefallen ist: https://www.youtube.com/watch?v=hcjzv_ViRQc&ab_channel=Gr%C3%BCneStuttgart
Nicht, dass sich der grüne nicht ähnlich lächerlich machte.

DeppvomDienst
3 Monate her

Als gäbe es auf dem Land noch ungenutzten Wohnraum ? Hier in Gronau im schönen Westmünsterland, wollten unsere Nachbarn in der absoluten Pampa auf riesigem Grundstück, ihren Sohn ein eigenes Haus neben dem der Eltern bauen lassen. Das Alte ist ein wahres renoviertes Schmuckstück. Leider muss es jetzt abgerissen werden, denn eine Baugenehmigung bekam man nur bei Abriss des alten Hauses. Also wird jetzt ein Doppelhaus gebaut und gute Wohnsubstanz netto zerstört, weil Beamte es so wollen. Auch wir sollten schon vor drei Jahren von der Stadt Gronau aus unserem gemieteten Neubau ausquartiert und dieser dann abgerissen werden. Begründung: Obwohl… Mehr

agricolabauer
3 Monate her
Antworten an  DeppvomDienst

Das hat Methode. Die grünifizierten Bauämter versuchen seit Jahren durch Neuinterpretation des Baurechts erfolgreich, alte Bausubstanz zu vernichten. Aus Wohnhäusern sollen Wiesen und Gebüsche werden.

GR
3 Monate her

Vermietung ist lästig und rentiert sich nicht. Der Callcenterboy meint, niemand muß mehr als eine Wohnung besitzen. Jetzt muß ich noch einen Anteil an der CO2-Abgabe meiner Mieter zahlen. Geld raus aus der EU ist das einzig vernünftige.

thinkSelf
3 Monate her

„Demnach steht zu befürchten, dass 2025 oder 2026 nur noch 175.000 neue Wohnungen gebaut werden könnten. „
Wieso „nur noch“? Es spricht nicht gerade für die Intelligenz von Investoren das überhaupt noch Wohnungen gebaut werden.

Nibelung
3 Monate her

Die kommen dem Betrachter so vor, wie ein Hotelier, der eifrig mit dem Slogan wirbt „Zimmer frei“, wohlwissend, daß er schon lange keine Kapazitäten mehr besitzt und auch so eine Art Schildbürgerstreich darstellt, weil sie das Geschäft nicht kennen und völlig verantwortungslos handeln und das in nahezu allen Bereichen, wo es mittlerweile müßig ist, sich ständig wiederholen zu müssen. Das Ende vom Lied wird dann sein, daß sie die Zuwanderung drastisch reduzieren müssen, denn wenn sie auf die Zwangszuweisung in Privathäusern bauen, werden sie eine Bürgeraufstand am Hals haben, denn das wäre eine der schwersten illegalen Zugriffe auf die persönliche… Mehr

Alf
3 Monate her

Bundesregierung verfehlt Wohnungsbauziel erneut deutlich. Kann es sein, daß die Nichterreichung dieses Ziel gewollt ist? Kann es sein, daß alle anderen – außer der Bundesregierung – ihr Ziel verfehlt haben? Selbst auf dem Land gibt es keinen Wohnraum, der soweit vorhanden, überhaupt erschwinglich wäre. Wenn der Druck auf dem Wohnungsmarkt zu groß ist, weil: die Bauindustrie am Boden liegt? keiner mehr bei irrlichternden Rahmenbedingungen investieren will? zu viele ausländische „Bürger“ den vorhandenen Wohnraum besetzen? die Rentnergeneration in viel zu großzügigen Häusern lebt? u.a. Wenn das Volk die weitsichtige Politik der Ampel nicht begriffen hat, den Wumms nicht hört, was kann… Mehr

Laurenz
3 Monate her

Warum erinnert mich der Artikel so an den Sender Gleiwitz?