Noch vor ihrem Antritt gibt die neue Regierung einen katastrophalen Eindruck ab. Wobei der Fisch vom Kopf stinkt: Friedrich Merz fehlt jeder strategische Weitblick. Im Umgang mit der SPD – und erst recht in der Entwicklung sinnvoller Inhalte.

Ein zu Tode gequältes Zitat stammt von Altkanzler Helmut Schmidt: Wer Visionen habe, solle zum Arzt. Der Sozialdemokrat setzte sich über dieses Zitat mit all den Geisteswissenschaftlern in seiner Partei auseinander, die in Lehrsälen gelernt hatten, die Realität zu vergessen. Schmidt meinte damit sicher nicht, dass jedes übergeordnete Denken als Phantasterei abzutun sei – so wie das Zitat heute gerne missverstanden wird. Als Oberleutnant der Armee hatte er gelernt, dass jede Aktion einer Strategie folgen muss – sonst wäre sie sinnloser Aktionismus.
Friedrich Merz (CDU) hat sich auf den Weg gemacht, zu einem der Nachfolger Schmidts zu werden. Zwischendrin hat er 20 Jahre auf der Ersatzbank gesessen, um Angela Merkel (CDU) abzuwarten, die ihm in machtstrategischem Denken unendlich überlegen war. Die Zeit hat Merz unter anderem bei dem Investmentgiganten Blackrock verbracht. Dort war er aber nicht fürs strategische Geschäft zuständig, sondern dafür, Kontakte in die Politik herzustellen und zu nutzen. Eine Art Parshiper im Anzug. Als höchstes Regierungsamt hat der 69-Jährige die Stelle des Brexit-Beauftragten betreut – für das Land Nordrhein-Westfalen.
Was Merz indes gelungen ist, ist die Public Relation. Die PR. Merz hat es verstanden, sich als konservativer Hoffnungsträger zu verkaufen und als jemand mit wirtschaftlichem Sachverstand. Er ist beides nicht. Wie schnell er bereit ist, konservative Positionen aufzugeben, hat er bereits als Oppositionsführer bewiesen. Als designierter Kanzler hat er in der Übung ein nie gesehenes Tempo erreicht. Dass es ihm zudem an jedem wissenschaftlichen Sachverstand mangelt, zeigt sich jetzt ebenfalls. Mehr noch. Es fehlt Merz das, was mit Vision unglücklich beschrieben wäre, weil dann wieder das Schmidt-Zitat folgt. Aber dass es jede Strategie ist, die dem CDU-Vorsitzenden fehlt, das trifft es – und das führt dazu, dass Deutschland sich einen Rosstäuscher als führenden Politiker eingekauft hat. In einer Phase seiner Geschichte, in der es dringend einen Strategen bräuchte. Ganz besonders einen mit wirtschaftlichem Sachverstand. Mit echtem wirtschaftlichem Sachverstand.
SPD und Grünen haben ein strategisches Konzept. Die Sozialdemokraten wollen das gesamte private und wirtschaftliche Leben dem Staat unterwerfen, weil sie selber sich den Staat zum Untertan gemacht haben und die Hybris haben, alles besser zu wissen als die Bürger. Die Grünen wollen Deutschland deindustrialisieren im Glauben, dass dann in Madagaskar die Temperatur sinkt und in Bangladesch kein Plastikmüll mehr ins Meer schwappt. Wohin dieser Öko-Sozialismus führt, darauf hat die Ampel in nur drei Jahren einen Vorgeschmack geliefert. Die Vision der Taz-Autorin und des Talkshow-Dauergasts, Ulrike Herrmann, rückt immer näher: Die Vision von einem 84 Millionen Menschen starken Industrielandes, das auf Landwirtschafts-Nation im Handbetrieb umrüstet. Schmidt hat recht: Für manche Visionen gehört man wirklich zum Arzt.
Doch darum geht es nicht. Dass und warum die Strategien von SPD und Grünen dysfunktional sind, gehört in eigene Texte. Davon gibt es genug. Allein in diesem Webangebot. Entscheidend an dieser Stelle ist: Immerhin haben SPD und Grüne eine Strategie. Die fehlt den Christdemokraten vollständig. Merz Generalsekretär Carsten Linnemann hat in der Opposition mühsam ein neues Grundsatzprogramm zusammengetragen. Es war ein Wünschdirwas aus allen möglichen Einzelforderungen. Die Stellen, an denen sich diese einzelnen Forderungen zu arg widersprochen haben, hat Linnemann mit Formelkompromissen zugedeckt. Damit sind die CDU und ihr Grundsatzprogramm genau das Gleiche wie ihr Vorsitzender: ein Blendwerk. Eines ohne Substanz. Das beim ersten Widerstand in sich zusammenfällt. Genau das passiert jetzt in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD.
Die Sozialdemokraten setzen sich in allem durch. Aus zwei Gründen. Zum einen fehlt dem ehemaligen nordrhein-westfälischen Brexit-Beauftragten jede Verhandlungserfahrung. Zum anderen hat die CDU nach 20 Jahren Angela Merz und Friedrich Merkel gar keine Überzeugungen mehr, die sie durchsetzen könnte. Damit ist der Weg frei für jede Staats-Vision der SPD: angefangen mit der einer Wirtschaft, die nur noch produziert, was die Politik in Berlin erdacht, durchgeregelt und beschlossen hat. Bis hinein ins allerletzte Private: wie vertrauliche Äußerungen in eigentlich geschützten Internet-Räumen. Das, was als Essen auf den Tisch kommt – oder was sich als Verhütung beim Sex über den Penis gezogen wird.
Merz hat in Interviews seine politische Zukunft mit dem Gelingen der Koalitionsverhandlungen verknüpft. Als ob die “Brandmauer” nicht schon ein Schwur wäre, sich bedingungslos auszuliefern, hat Merz diesen Schwur damit erneuert und verdoppelt. Und warum? Wie argumentierte er? Als 69-Jähriger würde ihn das Aus seiner Karriere zu einem akzeptablen Zeitpunkt treffen. Sein SPD-Gegenüber Lars Klingbeil sei mit seinen 47 Jahren viel stärker vom Gelingen abhängig. So Deutschlands nächste Kanzler und Chef-Stratege.
Lars Klingbeil hat den Wahlkampf der SPD zur Europawahl zu verantworten. 13,9 Prozent. Das historisch schlechteste Ergebnis der Partei bei einer deutschlandweiten Wahl. Zudem hat Lars Klingbeil den Wahlkampf zur Bundestagswahl zu verantworten. 16,4 Prozent. Das historisch schlechteste Ergebnis der Partei bei einer Bundestagswahl. Musste Klingbeil zurücktreten? Nein. Die Partei hat ihn in Personalunion noch mit dem Vorsitzend der Fraktion belohnt. Aber wenn die Verhandlungen mit der CDU scheiterten, dann könne die SPD gar nicht anders, als Klingbeil zum Ende seiner Karriere zu zwingen. Sagt Merz. Öffentlich. Friedrich Merz hat den strategischen Weitblick einer knieenden Ameise.
Ein anderes Motiv des CDU-Vorsitzenden sich so zu äußern, war der Versuch, die Logik der “Brandmauer” umzudrehen. Mit dieser zwingen linke Parteien erfolgreich den Christdemokraten linke Positionen auf. Merz glaubt nun, dass die Angst vor dem Erfolg der AfD die SPD dazu zwinge, in einigen Fragen der Koalitionsverhandlungen Kompromisse einzugehen – allen voran im Kampf gegen illegale Einwanderung. Das zeigt einen strategischen Weitblick, der eine Entschuldigung fällig macht. Bei der knieenden Ameise. So blind wie Merz ist diese mutmaßlich nicht.
Angesichts seiner Biographie verbreiten einzelne Nutzer über X die Theorie, dass Merz die Schuldenbremse im Sinne seines alten Arbeitgebers, Blackrock, aufgeweicht habe. Es sei für den von Nutzen, dass sich nun Konzerne an dem Geld kommender Generationen bereichern könnten. Eine Theorie. Wenn aber Merz öffentlich damit prahlt, dass seine Karriere an einem Punkt angekommen sei, an dem er sie guten Gewissens beenden könnte, wirkt er diesen Theorien nicht gerade entgegen. Es sei denn, dass er meint, diese Karriere hätte mit dem Amt des Brexit-Beauftragten von Nordrhein-Westfalen einen seinem Potenzial würdigen Höhepunkt gefunden. Dann würde Merz zum ersten Mal tatsächlich strategischen Weitblick beweisen.
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Die knieende Ameise ist schon ein beeindruckendes Gleichnis.
Den Kern des Problems scheint mir diese Erkenntnis zu treffen:
„Zum anderen hat die CDU nach 20 Jahren Angela Merz und Friedrich Merkel gar keine Überzeugungen mehr, die sie durchsetzen könnte.“
Sie glauben an nichts. Sie sind Ungläubige im umfassenden Sinn.
Die heutigen Politiker/innen in Deutschland und der EU Kommission haben alle / fast alle Visionen. Helmuit Schmidt war klug und hatte recht
Das strategische Unvermögen des F. Merz ist derart eklatant, er sollte nicht einmal auf Gemeindeebene pol. Verantwortung tragen. Von seinen charakterlichen Defiziten ganz zu schweigen. Er ist des hohen Amtes so unwürdig, wie Merkel es war. Seit Merkel ist das aber die neue CDU-Kontinuität.
Die einzige Strategie die Merz hat ist die, Kanzler zu werden. Damit ist Strategie für ihn Genüge getan! Richtig ist aber auch, die gesamte CDU hat ihre Werte aufgegeben und sie hat auch keine strategischen Ziele mehr für das Land zu benennen. Jetzt geht es zusätzlich nur noch darum, gemeinsam mit Rot und Grün die AfD klein zu halten, besser aber zu verbieten. Jene Partei die aus dem ehemaligen CDU Programm ihre Ziele übernommen hat. Das ist etwas, was scheinbar die CDU zusätzlich final zermürbt!
Ein Freund aus den USA sagte betreffend Merz: „Forget about him. He is a Zero.“
Installiert.
Und der Mann soll Rechtsanwalt sein,spezialisiert auf Schulstreiche oder wie?!
Ich finde diesen Mann in jeglicher Beziehung ungeeignet, vollkommen überschätzt und sogar total überfordert, wichtige politische Ämter zu haben und Entscheidungen für 83 Millionen Menschen zu treffen.
Nebenbei:
Der Ausdruck Wendehals reicht leider nicht aus bei der Geschwindigkeit des Positionswechsels.
Wie wäre es mit „360 Grad Rotierer“?
Den haben sie doch bei Blackrock nur entsorgt und gedacht für Deutschland reicht der allemal um ihre Interessen durchzusetzen. Das wirft kein gutes Licht auf uns …
Darauf ist schon Frau Baerbock geeicht!
man kann auch ohne Verhandlungserfahrung gute Verhandlungsergebnisse erzielen. Das ist eine Frage der Persönlichkeit. Friedrich Merz ist halt flexibler als ein Gummiband und beherrscht den tiefen Kotau.
Friedrich Merz hat sehr wohl eine Strategie: er will Kanzler werden, koste es was es wolle. Und das ist der Nasenring, mit dem ihn die SPD durch die Manege führt.
Merkel hatte durchaus Recht, als sie über Merz als Kanzler sagte: „Er kann es nicht“
Scholz war von Tag_1 an mit dem Bankskandal in Hamburg gelabelt und Merz wird von Tag_1 als der größte Lügenkanzler aller Zeiten am Rednerpult im BT stehen. Ich hoffe es treten noch viel viel mehr CDU-Mitglieder aus dieser Partei aus obwohl ich weiß daß die Zahl der Mitglieder nur für die PR wichtig ist, ansonsten total unnötig. Notfalls muß die CDU halt Leute für den Betrieb ihrer Wahlstände bezahlen. Dann sind da auch nicht so große Gewissenskonflikte im Nachhinein im Spiel.