Merkels „Vision“ einer „echten europäischen Armee“

Folgt jetzt eine Spaltung der NATO?

Frederick Florin/AFP/Getty Images

Kanzlerin Merkel hat soeben eine Rede vor dem Europäischen Parlament gehalten. Das tat sie auch früher von Zeit zu Zeit, erstmals übrigens im Jahr 2007. Auf so manche Themen und Probleme ist sie eingegangen; nein: sie hat sie gestreift und ist überwiegend im Wolkigen geblieben. Von „Solidarität“ als „Teil der europäischen DNA“ sprach sie. Die Probleme mit Flucht und Vertreibung erwähnte sie. Die Bankenunion kam vor, der Euro, ebenso der Quantencomputer. Daneben erfolgte ein Seitenhieb auf EU-Mitglieder, die in Sachen Rechtsstaatlichkeit „Alleingänge“ unternähmen. Merkel nannte diese Länder nicht, aber es war klar, wer gemeint war: Ungarn und Polen. Das war wohl der Grund, weshalb die deutsche Presse auf diese Rede geradezu euphorisch reagierte. Keine Spur von Amtsmüdigkeit oder Lustlosigkeit seien ihr anzumerken gewesen, ja Merkel habe gar auf den Attacke-Modus umgeschaltet, meinten manche Kommentatoren festhalten zu müssen.

Nun ja, man kann die Rede auch anders sehen, als eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen und Placebos. Vor allem aber kam eines nicht vor, was die EU in ihren Grundfesten erschüttert und noch lange erschüttern wird: der Brexit. Gerade hierzu wäre so manches Wort angebracht gewesen. Siehe hier.

Das vergleichsweise noch Aufsehenerregendste an Merkels Rede war die Redepassage, in der sie auf eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik einging. Europa – so Merkel – müsse „langfristig außenpolitisch handlungsfähiger“ werden. Zum Beispiel schlug sie erneut einen „europäischen Sicherheitsrat mit wechselnden, rotierenden Besetzungen der Mitgliedstaaten“ und eine „europäische Eingreiftruppe“ vor. Letztere gibt es übrigens bereits seit 2007; sie ist mit ihren „Battlegroups“ aber noch nie zum Einsatz gekommen, unter anderem weil die Truppensteller die Einsatzkosten zum Großteil selbst tragen müssten. Ziel müsse sodann, ganz im Sinne Emmanuel Macrons, aber frontal gegen US-Präsident Trump gerichtet, die „Vision“ einer „echten europäischen Armee“ sein. Um die Frage „Und die NATO?“ im Keim zu ersticken, fügte Merkel hinzu, dass dies „keine Armee gegen die NATO“ sein solle. Und weil man in Europa „mehr als 160 Verteidigungssysteme bzw. Waffensysteme“ habe und die Vereinigten Staaten von Amerika nur 50 oder 60 hätten, schlug sie vor, dass man an einer gemeinsamen Entwicklung von Waffensystemen innerhalb Europas und an einer gemeinsamen Rüstungsexportpolitik arbeiten müsse.

Leerformeln sind keine Vision
Europäische Armee? Merkel vor dem EU-Parlament
Das war es denn auch schon – ohne jeden Tiefgang, ohne wenigstens ein Stück Problematisierung, wie eine solche europäische Armee denn aussehen könnte. Ob es sich um eine Armee Europas oder der EU handelt. Wie es mit EU-Mitgliedern ausschaut, die keine NATO-Mitglieder sind, siehe Österreich. Wie es mit NATO-Mitgliedern ausschaut, die keine EU-Mitglieder sind, siehe Türkei. Ob das auf parallele Kommandostrukturen – hier Nato, dort europäische Armee – hinausläuft. Wie sich ein Europäischer Sicherheitsrat zum Weltsicherheitsrat verhält. Nein, da wäre etwas mehr lautes Nachdenken angebracht gewesen.

Vor allem aber wäre anzusprechen gewesen, wie es um eine europäische Armee nach dem Brexit steht, und was es bedeutet, wenn die Briten ihr „special relationship“ zu den USA vertiefen werden, unter anderem auch, was Rüstungsprojekte betrifft. Der NATO droht damit hinsichtlich Einsatz und hinsichtlich Rüstung eine Spaltung.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Armeen Frankreichs und Großbritanniens die stärksten innerhalb der EU sind – nicht nur, aber auch weil sie Atommächte sind. Wenn die Briten 2019 aus der EU ausgetreten sein werden, dann könnte womöglich eine der beiden einsatzfähigsten EU-Armeen raus aus der vor einem Jahr geschaffenen Europäischen Verteidigungsunion (EVU) gehen. Wenigstens hier den Briten ein Lockangebot zu machen und sie zum Bleiben zu gewinnen, das wäre Merkels Job gewesen, wenn sie denn schon von einer europäischen Armee schwärmt.

Nachtrag: Es ist wieder einmal der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) im Gegensatz zur deutschen Presse vorbehalten, Merkels „Vision“ als „Symbol für Ideenlosigkeit“ zu zerpflücken. Die NZZ und die „Basler Zeitung“ entwickeln sich eben immer noch mehr zum „Westfernsehen“ für alle Deutschen. (Für Wessis zur Erläuterung: Um der SED-dominierten Pressemanipulation zu entgehen, schaltete man Westfernsehen ein. ARD – Außer Raum Dresden, dem Tal der Ahnungslosen, weil es dort im Elbkessel keinen Empfang gab.)


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Kommentare ( 27 )

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Tesla
6 Jahre her

Nun, die Bundeswehr pfeift ohnehin aus dem letzten Loch, so dass man überhaupt schon deren Wehrtauglichkeit infrage stellen muss.

Die Einführung einer „Europäischen Armee“ dient aber vor allem der Abschaffung der Nationalstaaten und der Schaffung eines zentralistischen EU-„Superstaates“ mit einem EU-Parlament, das praktisch nichts zu entscheiden hat.

bkkopp
6 Jahre her

Für Auslandseinsätze entscheidet in Frankreich der ‚Imperiale Präsident‘ ohne Parlament. Bei Sarkozy/Libyen haben wir es zuletzt erlebt. Macron hat sicher im Sinn, dass eine ‚Europäische Armee‘ zumindest periodisch unter französischem Oberkommando wäre, womit der der französische Präsident einen Militärapparat für alle nur möglichen Aktionen zur Verfügung hätte, für die dann andere nicht nur mit bezahlen müssten, sondern auch Tote, Verletzte und Traumatisierte nicht mehr nur Franzosen wären.

Eloman
6 Jahre her

Wäre man Zyniker, könnte man sagen, die letzte europäische Armee war die **-**

Redaktion
6 Jahre her
Antworten an  Eloman

Ist immer noch die Fremdenlegion.

benali
6 Jahre her

Angela Merkel ist bekannt dafür – so kennen wir sie – dass sie auf Probleme keine Lösungen hat. Wer auch immer Problemlösungen erarbeitet in der Form von Handlungsanweisungen für nachgeordnete Bereiche, kennt eine der wichtigsten Fragen, auf die der Problemlöser mindestens eine gute Antwort haben muss: wie machen die das? Für Angela Merkel ist die Frage „wie machen die das“ absolutes Neuland, wie KI und IT. Alle von ihr vorgeschlagenen Problemlösungen haben die erkannten (wenn überhaupt) Probleme nicht gelöst. Über alle Probleme hat sich nach Merkels Problemlösung ein undurchdringlicher Schleier gelegt, aus dem immer wieder neue Probleme erwachsen sind. Ein… Mehr

BK
6 Jahre her

Das ist eine von Merkels Schönwetterreden. Mir persönlich fällt nichts aus ihrer langen Amtszeit ein, was dieses Land wirklich voran gebracht hat. Energiewende, und Fachkräftezuzug werden so ein Milliardengrab hinterlassen, wie es der Euro, und die ganze EU heute bereits sind. Merkels einziger Verdienst besteht darin, dass Schröder ein paar Reformen gemacht, und die EZB die Wirtschaft in billigem Geld ertränkt hat, was Merkel anschließend verbrauchen konnte. Sie hätte heute auch sagen können, lassen sie uns gemeinsam zum Mars fliegen, und wenn wir wieder zurück sind, so bauen wir die europäische Armee auf.

Luisa Nemeth
6 Jahre her

Danke, lieber Herr Kraus, für die Zusammenfassung der „visionären (weil sie ihre Vorstellungen über die Zukunft Europas darlegen sollte) und polemischen Sprechblasen, die, „wie Flasche leer“ diese Dompteurin abgesetzt hat. Im Circus maximus, vor minimaler Besetzung. Immer wieder jongliert sie verantwortungslos mit der Verantwortung für ca. 500 Mio EU-Bürger. Wer fällt denn noch auf solch einen Schmarrn hinein, wenn jeder 5. in D unterhalb der Armutsgrenze leben muss. Sie erinnert täglich mehr, mit ihrer Hybris, an dunkelste Zeiten. Das kommt wahrscheinlich gut an bei den dunklen afrikanischen Diktatoren, die alleine von uns seit ca. 70 Jahren astronomische Summen kassieren. Die… Mehr

RauerMan
6 Jahre her

Frau Merkel muß ja wenigstens in Teilbereichen Herrn Macron entgegenkommen. Hört sich gut an, ist aber populistisch, EU-Wahlen stehen vor der Türe und mit anderen Themen, z.B. Euro, Migration,Integration usw., ist kein Staat zu machen. Es wird zu einer Spaltung der Nato kommen müssen, da neue Strukturen nicht kompatibel sein werden. Schon innerhalb der europäischen Staaten wird das eine Aufgabe von Jahrzehnten sein, die Fallstricke kommen dann nach und nach zu Tage, einfach mal Experten dazu hören. Für die Gegenwart bedeutet das eine weitere Schwächung des Westens, vor dem Hintergrund eines immer mächtigeren Rußlands, das vor Kraft kaum laufen kann.… Mehr

Ivan Ivanov
6 Jahre her

„Die NZZ und die „Basler Zeitung“ entwickeln sich eben immer noch mehr zum „Westfernsehen“ für alle Deutschen“ – nein, lieber Herr Kraus, nicht für ALLE Deutschen, sondern für einen sehr sehr kleinen Teil der Deutschen.

Ralf Poehling
6 Jahre her

Wie kommt Merkel nun darauf? Nachdem andere schon seit Jahren davon reden?
Macron hat es ihr eingeflüstert, nachdem dieser nun ebenso spät auf den Zug aufgesprungen ist, um so von seinem absteigenden Ast auf den nächsten zu springen und den eigenen Fall noch zu verhindern.
Gott bewahre uns davor, dass diese Leute die Verteidigung Europas organisieren, denn bisher haben sie in allen anderen Punkten versagt.
Im Falle der Verteidigung wird ein Versagen unweigerlich lethale Konsequenzen nach sich ziehen. Für ganz Europa.
Merkel, Macron und ihr ganzes weichgespültes Umfeld müssen weg. Erst dann kann man über eine Restrukturierung der Verteidigung reden.

Stephan Stahl
6 Jahre her

Eine europäische Arme, unter Gutmenschenkommando, wäre dann nichts anderes als eine Gesinnungsarme. Prager Frühling lässt grüßen.