Tichys Einblick
Merkels langes Ende

Merkel auf endloser Ich-Mission

Es ist ein sehr menschliches Gefühl, sich unersetzlich zu fühlen. Bei Mächtigen in Politik und Wirtschaft wird es gefährlich - Selbstüberschätzung und Realitätsverlust sind die Folge. Merkel scheint davon betroffen zu sein.

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Angela Merkels Kanzlerschaft neigt sich dem Ende zu. Immer erratischer wirkt ihre Politik. Wenn man jüngsten Berichten glauben mag, schwelgt die Kanzlerin in Untergangsszenarien, die mit ihrem Abtreten eintreten. Ihr Blick auf die Realität ist verstellt. Dass sich im Volk immer mehr Unmut über ihre Politik breitmacht, wird von Merkel natürlich registriert. Doch nicht sie, die anderen sind die Geisterfahrer. In ihrer persönlichen Filterblase aus Hofberichterstattern findet Kritik kaum noch statt. Wer sie doch äußert, ist „rechts“ und somit muss das exakte Gegenteil dieser Meinung automatisch richtig sein. Merkel wähnt sich mittlerweile auf historischer Mission. Aber es ist nur eine Ich-Mission – getragen von Selbstüberschätzung und Blindheit vor geänderten Wirklichkeiten.

Zentral in ihrem Denken ist der Augsburger Religionsfrieden von 1555, der die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten beendete. Doch schon einige Jahrzehnte später waren die Überlebenden der Konfessionskriege gestorben – der Schrecken verblasste. 1618 brachen die Konflikte wieder aus, fast jeder dritte Deutsche starb im 30-jährigen Krieg. Merkel wähnt sich in einer ähnlichen Situation. 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine neue, sorglose Generation herangewachsen, die der nächsten Katastrophe entgegensteuert. Der europäische Rechtsruck und die Präsidentschaft Donald Trumps tragen im Weltbilder Kanzlerin ihr übriges zur Misere bei. Sich selbst sieht sie als Retterin in der Not. Bedroht ist nicht nur der Weltfrieden, sondern auch das Fortbestehen der Demokratie.

Doch es gibt auch eine nüchterne Perspektive.

Neuerliche Konfessionskriege sind wohl kaum zu befürchten. Deutschland wird zunehmend zum Land der Ungläubigen. Schon 2030 könnte die Zahl der Kirchenmitglieder unter 50% fallen. Auch die AfD erzielt ihre größten Erfolge im mehrheitlich atheistischen Osten der Republik. Ihr christlich-konservativer Flügel spielt keine maßgebliche Rolle.

Der europäische Rechtsruck wird wohl kaum die Grundfesten der Demokratien erschüttern. Regierungsbeteiligungen wie die der FPÖ sind so selten wie kurzlebig. In Frankreich und Großbritannien verhindert das Mehrheitswahlrecht eine rechte Regierung, in den übrigen Ländern eine Allparteienkoalition.

Auch ist die Gefahr eines neuen Krieges eher gering einzustufen. Anders als gemeinhin angenommen, ist die Welt im Augenblick sehr friedlich. Auch die Kämpfe im Irak und in Syrien steuern langsam auf ihr Ende zu.

Und wo genau dauert ein neuer Krieg? Steigt etwa William Wallace angesichts des Brexits aus dem Grab, um erneut die Schotten gegen die Engländer anzuführen? Auch bleibt fraglich, ob der Nordirlandkonflikt erneut ausbricht. Zwar ist der jüngste Mord an einer britischen Journalisten bedauerlich – ein Bürgerkrieg ist das noch lange nicht. Angesichts der vielen Artikel, die vor einer Eskalation warnen, mag man sich fragen, ob so mancher Journalist die Sehnsucht nach neuer Gewalt in Irland hegt. Schließlich könnte man dann Nigel Farage, Boris Johnson, David Cameron und 17 Millionen britische Wähler umso leidenschaftlicher hassen.

Das „Europa der Vaterländer“ unterscheidet sich grundlegend vom Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Die heutigen rechten Parteien sind eng miteinander vernetzt – sonst würden die übrigen Parteien wohl kaum vor dem Ausgang der Europawahlen zittern. Ihr neuer Nationalismus richtet sich nicht gegen andere Staaten, sondern gegen Supra- bzw. Postnationen.

Weder untereinander noch mit Russland werden die europäischen Rechten Krieg führen. Auch neue Kreuzzüge sind nur schwer denkbar. Die AfD sprach sich wiederholt gegen eine Intervention im syrischen Bürgerkrieg aus. Parteichef Alexander Gauland und die zentrale Autorität der Partei in Islamfragen, Hans-Thomas Tillschneider, hatten beide erklärt, gegenüber der arabischen Welt eine freundliche Außenpolitik betreiben zu wollen.

Angeblich war es der Wahlsieg Trumps, der in Merkel die Entscheidung heranreifen ließ, eine vierte Amtszeit anzustreben. Ihm die Stirn zu bieten, sei die wichtigste Maxime ihrer Außenpolitik. Nun ist Trump kein Gentleman und bisher gelang es ihm immer wieder, ins diplomatische Fettnäpfchen zu treten. Aber kann man ihm auch nur eine einzige wirklich katastrophale Entscheidung vorhalten? In Bezug auf Amtsvorgänger George W. Bush ist dies kein leichtes Unterfangen. Seinem misslungenen Irakkrieg fielen über 300.000 Menschen zum Opfer. Merkel hatte die Invasion damals verteidigt. Nicht viel anders handelte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Donald Trump nicht zu seinem Wahlsieg gratulieren wollte – wohl aber dem iranischen Mullahregime zum Jahrestag der Islamischen Revolution. Bloße Rhetorik ist manchem wohl mehr wert als Menschenleben.

Auch sieht sich die Kanzlerin als entschiedene Gegnerin des Antisemitismus. Doch warum sie die Judenfeindschaft im Islam nicht mit gleicher Härte anspricht, bleibt ihr Geheimnis.

Im Übrigen ist es einfacher, Kriege zu verhindern als gedacht. Noch nie in der Geschichte haben ausgereifte Demokratien einander bekämpft. Also sollte Merkel daran gelegen sein, demokratische Werte hochzuhalten. In der Sarrazin-Debatte 2010 hatte sie dessen Werk ungelesen als „nicht hilfreich“ bezeichnet und zu verstehen gegeben, dass sie die Tendenz der deutschen Medien, die Meinungsfreiheit zu beschneiden, billigte.

Der Rechtsruck, den sie jetzt bekämpft, hat Merkel selbst herbeigeführt. Die Entmachtung des rechten CDU-Flügels lieferte den Nährboden für die AfD und ihre „alternativlose“ Politik wurde zur Namensgeberin der Oppositionspartei.

Wohl um ihren allmählichen Machtverlust zu kompensieren, steigert sich Merkel in ihre Rolle als Retterin der freien Welt hinein. Womöglich glaubt sie tatsächlich, was sie sagt. Der Blick in die Geschichte zeigt: Selbst zynischer Machiavellismus ist nicht so schlimm wie missionarischer Eifer.

Es bleibt nur zu hoffen, dass der Ausgang der Europawahl ein Ende der Großen Koalition einleitet, um diesem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu bereiten. Und zu überlegen wäre, ob Amtszeitbeschränkungen wie in den USA üblich nicht auch in Deutschland eingeführt werden sollten – um die Mächtigen vor sich selbst und die Regierten vor der Selbsttäuschung langjähriger Machthaber zu schützen.


Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist.


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