Medien versagen

Fake News und „Lügenpresse”. Nichts schmerzt Leitmedien mehr als diese Vorwürfe. Falsch seien sie, populistisch und ungerecht. Es darf gezweifelt werden.

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Seit Alters her haben Publikationen, Medien, eine klare Aufgabe: Sie berichten, was passiert, was ist. Dabei treffen sie eine Auswahl, damit alles auf einigen Blatt Papier oder auf einem Online-Auftritt Platz hat. Oder in einem fünf- oder fünfzehnminütigen Nachrichtenüberblick in Funk und Fernsehen.

«All the News That’s fit to Publish», so lautet das Motto der grossen New York Times. Hier geht es nicht ums Überleben des Fittesten. Sondern um Kriterien, die eine zu publizierende News von einer nicht berichtenswerten unterscheiden. Das ist so selbstverständlich wie ewiger Anlass zu Zank und Streit. Dann gibt es noch die Meinung, also den Farbfilter, mit dem die Welt und ihre Ereignisse betrachtet werden. In der kubanischen Parteizeitung «Granma» gibt es nur einen Filter, und die Kriterien zur Publikation sind ganz einfach: Erfolgsnachrichten aus Kuba, schlechte Nachrichten aus dem kapitalistischen Ausland und ganz schlechte Nachrichten aus den USA.

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Bei offeneren westlichen Publikationen ist das Spektrum breiter, es werden auch verschiedene Meinungen und Filter zugelassen. In letzter Zeit machen aber Wörter wie Fake News, Lügenpresse oder Lückenpresse die Runde. Oftmals werden sie platt polemisch verwendet, aber es gibt immer mehr Anzeichen, dass in den Medien bedenkliche Entwicklungen stattfinden. Denn die Massenmedien hängen, obwohl soziale Medien längst ihr News-Monopol gebrochen haben, der Vorstellung an, dass, was sie nicht berichten, nicht wichtig oder vielleicht auch gar nicht passiert sei. Oder sie verschliessen die Augen vor Offensichtlichem, so wie in der Springer-Presse fast bis zum seligen Ende die Bezeichnung DDR in Anführungsstriche gesetzt wurde, als ob das an der Existenz des DDR-Staates etwas geändert hätte. Ausser, man ist der Auffassung, die DDR sei über zwei Gänsefüsschen gestolpert.

Aktuell ist ein sehr verstörender Vorfall zu vermelden. Wäre ich nicht selber Autor, hätte ich höchstwahrscheinlich nicht mitbekommen, dass es Tichys Einblick nach längerer Recherche gelungen ist, die Urheberin des sogenannten «Hetzjagd»-Videos zu treffen. Diese 19 Sekunden haben nun wahrlich zu Nachrichten Anlass gegeben. Sie dienten als angeblicher Beweis, dass es in Chemnitz zu Hetzjagden gekommen sei, sogar Pogrome, sogar Lynchmobs wurden gesichtet. Das Video ging viral, wie man heute so schön sagt, es wurde weltweit berichtet, ja, auch in der New York Times. Zudem führte es zu einer wochenlangen Regierungskrise und dem Rücktritt des Präsidenten des Deutschen Verfassungsschutzes.

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Also kann man mit Fug und Recht sagen, dass es zu den fundamentalen Aufgaben des Journalismus gehört, diesem Video, den Umständen, dem Urheber, dem Umfeld der in 19 Sekunden dargestellten Ereignisse auf den Grund zu gehen. Aber: Das geschah nicht. Keines der immer noch mit genügend Reportern versehenen Leitmedien recherchierte. Nur einer der Verfolgten konnte unwidersprochen seine Version in die Kamera sprechen. Es vergingen Wochen, dann erklärte sich die Autorin des Videos. Unterstützt von ihrem Mann und weiteren Zeugen sagte sie aus – und ist bereit, das eidessstattlich zu versichern – dass der gefilmten Szene eine Provokation durch die beiden Männer vorangegangen sei, bei der einem der Teilnehmer des Trauerzugs ein Bierbecherinhalt über die Kleider und wohl auch das Gesicht geschüttet worden sei.

Erst dann seinen die beiden Männer vertrieben worden, ohne dass vorher oder während Rechtsradikales oder Fremdenfeindliches gerufen worden sei. Aus Angst vor der militanten Anti-Fa möchten die Frau und ihr Mann anonym bleiben. Aber der Autor der Recherche verbürgt sich für die Authentizität. Das nennt man einen Primeur, einen Knaller, eine Enthüllung, eine News. Nachdem das Video dermassen weltberühmt wurde, kann es keinen Zweifel geben, dass diese Aussagen der Urheberin berichtenswerte News sind.

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Natürlich gibt es immer den Neidreflex, wieso sind andere darauf gekommen, und wir nicht. Es kann auch der Name der Quelle der News nicht erwähnt werden, was nicht fein, aber nicht unüblich ist. Oder es könnte nachrecherchiert werden: Stimmt das wirklich? Wer ist diese Frau? Wie glaubhaft ist ihre Aussage? Gibt es Zeugen, die das Gegenteil behaupten? Das alles sind die völlig normalen Vorgehensweisen der Medien. Das wären sie. Denn mehr als eine Woche nach der Publikation dieser Recherche herrscht in den deutschen Medien bleiernes Schweigen. Nichts, keine Notiz, keine Kritik, keine Infragestellung, nichts. Nur in «Cicero» und wenigen Blogs wurde die Recherche aufgenommen. Und in der Schweizer «Weltwoche». Aber ohne all diesen Organen zu nahe treten zu wollen: Bei deren Einschaltquote kann man leider nicht sagen, dass diese News im öffentlichen Diskurs angekommen wäre, einer breiten Mehrheit zumindest zur Kenntnis gebracht wurde.

Nachdem über Wochen hinweg viele, viele Worte darauf verschwendet worden sind, ob das Video echt ist, was man genau darauf sieht, ob das Wort Hetzjagd angebracht ist oder nicht, wessen Geistes Kind einer ist, der die Verwendung dieses Ausdrucks bezweifelt. Ob es nur symbolisch eine von vielen Hetzjagden darstellt, ob solche Hetzjagden in Chemnitz ständig stattfinden. Es gab wohl keinen Pixel dieses Videos und keinen semantisch nur noch erspürbaren Oberton in einer Aussage, dem sich die Journalisten nicht mit Hingabe gewidmet hätten. Und jetzt? Nachdem doch das Ergebnis einer Recherche vorliegt, die keine Kleinigkeit beinhaltet?

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Wie der «stern» schon vollmundig nach seiner vermeintlichen Entdeckung der «Hitler-Tagebücher» sagte: Die Geschichte muss umgeschrieben werden. Damals war das ein Flop. Hier müsste sie tatsächlich anders geschrieben werden. Aber diesmal herrscht Schweigen. Ein Schweigen, mit dem sich die Medien selbst schweren Schaden zufügen. Denn ihre Glaubwürdigkeit ist ihr wichtigstes Gut – und ihre beste Verteidigung gegen Vorwürfe wie Fake News oder Lückenpresse. Wäre es. «Schreiben, was ist», dekretierte Rudolf Augstein, der Gründer des «Spiegel», und mit diesem Satz schmückt dieser sich immer noch. Man ist immer öfter peinlich berührt, wenn man ihn mit dem Inhalt des Nachrichtenmagazins vergleicht. «Schreiben, wie es sein soll», müsste es heissen, «richten und urteilen, wie es uns passt» müsste es heissen, «im Namen des Guten das Böse bekämpfen, und weil wir wissen, was das Gute ist, wissen wir auch, was böse und falsch ist», sollte es heissen.«Wir schreiben weg, was uns nicht passt», sollte es heissen, da ist auch die verunsicherte Überheblichkeit drin, die den unter Auflagenschwund leidenden «Spiegel» umtreibt.

Das sollte man ohne die geringste Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, denn Aufklärung tut not wie nie, Einordnung, Analyse, Hintergründe, Recherchen, Skandale aufdecken. Natürlich ist es gut und richtig, dass fragwürdige Parteispenden untersucht werden. Es ist ja nicht der erste Parteispendenskandal, den der «Spiegel» aufdeckt. Aber absorbiert das schon alle Kräfte, wodurch für eine Nachrecherche des Chemnitzer Videos keine Ressourcen vorhanden sind? Das wäre tragisch und fatal.

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Kommentare ( 61 )

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61 Comments
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Marie-Jeanne Decourroux
6 Jahre her

Die öffentlich-rechtlichen Medien verstanden sich schon wie selbstverständlich als propagandistische Hilfstruppe der Parteien, als anfangs die AfD unter Bernd Lucke nur Euro-kritisch war. Sie schlugen sich ohne Gewissensbisse auf die Seite der offiziellen Politik bzw. ihrer Vertreter in den Rundfunkräten, denen die hochdotierten Intendanten, Redakteure und Moderatoren ihre lukrativen Stellungen verdanken.

Und die politischen »Wissenschaftler« und Journalisten der Leitmedien möchten sich dann und wann in den Kommentaren der Tagesthemen oder des Heute-Journals profilieren können, oder von Will, Illner oder Maischberger zu den Talkshows eingeladen werden.

Charakterlich sind wir Deutsche noch immer dieselben, verehrter Herr Zeyer. Was also erwarten Sie?!

Felix-Schmidt
6 Jahre her

Deutschland 2018: Eine Demokratiesimulation auf dem Weg in die Diktatur. Höchste Zeit, das endlich zu stoppen.
Wenn die CDU + die Medien meinen mit AKK gut zu fahren, sollen sie mal die Europawahlen abwarten.

Wolfgang Wegener
6 Jahre her

Das Ereignis in Chemnitz fand m 26. August, also heute vor genau 3 Monaten statt. Zwei Schwerverletzte wurde damals in ein Chemnitzer Krankenhaus eingeliefert, 33 und 38 Jahre alt und damit in einem Alter, bei dem man vorsichtig formuliert, sich wieder halbwegs erholt haben müsste (außer, die Verletzungen haben zum Tod geführt). Es handelt sich um Zeugen, die etwas über die Umstände der Tat sagen könnten. Davon bis heute kein Wort. Ich stimme Ihnen zu: Die „Bericht“erstattung im ÖRR und MSM war auch für mich, der ohnehin keine großen Erwartungen hatte, nochmal eine Wasserscheide, sie war absolut demaskierend. Letzte Anmerkung:… Mehr

Indigoartshop
6 Jahre her

Nicht das Wort „Lügenpresse“ ist vulgär. Nein, die Lügenpresse selbst ist vulgär.

Pars pro toto: Bericht aus Berlin von gestern. Da befragt ein sogenannter Journalist von Gebührenzahlers Gnaden den aktuellen Maaß zum Migrationspakt. Der Befrager nimmt dabei die Rolle des Stichwortgebers ein – offensichtlich alle Punkte abgesprochen -, damit Maaß die Agenda zum Migrationspakt runterrattern kann. Echt zum K…zen.

Eine Inszenierung der aktuellen Kamera auf niederstem Niveau. Für wie blöde hält man eigentlich den Bürger? Oder macht man sich über den Bürger nur noch lustig, da wehrlos und nur noch zum Zahlen der Zeche aufgerufen?

Ernst-Friedrich Behr
6 Jahre her

Die Tatsache, dass die Medien nach dem ganzen Rummel jetzt schweigen, ist die eine Geschichte. Die andere ist, dass ganz offensichtlich sowohl das Bundespresseamt als auch, wie zu vermuten ist, die Kanzlerin selbst mit der „Anti-Fa“ unter einer Decke steckt. Das ist der eigentliche Skandal. Wenn ich nicht zu alt wäre, würde ich darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen.

Petra Horn
6 Jahre her
Antworten an  Ernst-Friedrich Behr

Es ist eine ungeheuerliche Vermutung, aber sie wird leider durch die Tatsachen erhärtet.
Verschwörungstheorie ist, worüber nicht in den offiziellen / main stream Medien berichtet wird.
Wie geht der Satz: Finde heraus, wen du nicht kritisieren darfst, der hat die Macht.
Also lautet die Gretchenfrage: Wer oder was hat dafür gesorgt, daß Merkel, Kleber und der Rest der Presse diese kurze Auseinandersetzung absurderweise als „Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz“ vermarktet haben? Aus welchem Grund wird die Auflösung des Video-Rätsels verschwiegen?
Oder kurz gefragt: Steuert das eine Person/Gruppe oder hat sich die politisch-mediale Klasse gegenseitig selbst gleichgeschaltet?

Horst
6 Jahre her
Antworten an  Ernst-Friedrich Behr

Ich bin wahrscheinlich auch schon zu alt, aber ich wüsste auch nicht, wohin. Ich weiß ja nicht einmal, wie und wo ich meine Ersparnisse vor dem sich abzeichnenden Crash sichern kann.

Eberhard
6 Jahre her

Was nicht sein kann, auch nicht sein darf. So haben die abhängigen Medien der DDR gehandelt. Es gab durchaus auch Forderungen auf Richtigstellungen von Lesern. So auch gegen über dem Zentralorgan Neues Deutschland. Mir ist nicht eine bekannt, wo eine solche Richtigstellung tatsächlich erfolgte. Hätte ja auch dem Klassenfeind genutzt. Die vom normalen Bürger wurde einfach ignoriert. Bei solchen von amtlichen Personen oder Parteigremien wurde das über entsprechende Organe intern geregelt. Die DDR war eben kein Rechtsstaat. Nun aber wo in ganz Deutschland ein Rechtsstaat vorhanden, zeigt sich am Beispiel, wieweit unser Demokratieverständnis schon gelitten. Gäbe es doch durchaus noch… Mehr

Regina Lange
6 Jahre her

Leider sind Kommentare die ich beim Focus geschrieben hatte , in denen ich erwähnte, dass man bei Tichys Einblick nun dahinter gekommen wäre, wer dieses Video aufgenommen hat und was tatsächlich die Situation war, der qualitätsjournalistischen Netiquette zum Opfer gefallen! Man möchte darüber nichts hören, nichts lesen und schon gar nicht darüber berichten! Es müsste von Politikern und Journalisten Entschuldigungen Richtung Chemnitz hageln! Aber die Größe bringt man nicht auf! Die eigenen Fake-News zu entlarven ist ja auch keine schöne Sache! Da schweigt man lieber!

Kristina
6 Jahre her

Es hat mich überhaupt nicht gewundert, dass die Hintergrundgeschichte des sog. „Hetzjagdvideos“ nicht von den MSM aufgegriffen wurde. Das hätte doch alles in Frage gestellt. Es passte doch alles so schön: Der böse, rückständige Osten, wo überall an jeder Ecke Nazis lauern. Bei manchen Berichten hatte ich den Eindruck, die Nazis stehen kurz vor der erneuten Machtübernahme. Besonders schlimm waren „Spiegel“ und „Zeit“. Die Kolumne einer Dame im „Spiegel“ troff nur so von Hass und Hetze gegen die Sachsen und die Menschen, die es wagen, die Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Die Leserkommentare zu „Chemnitz“ in beiden Blättern waren teilweise noch schlimmer.… Mehr

The Angry Ossel
6 Jahre her
Antworten an  Kristina

Sie kennen die 3 Äffchen? Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Nehmen Sie die Realitäten, die Sie unter anderem in den Kommentarbereichen bei Spon und Zeit gelesen haben, ernst. Die Mehrheit der Westdeutschen denkt so. Und das nicht erst seit 2018. Ossibashing ist in breiten Kreisen des westdeutschen Spiessbürgetums bereits seit Ende der 1980er, spätestens seit Anfang der 1990er Jahre en vouge. Das kann man gut oder schlecht finden. Es ändert aber nichts an den harten Fakten. Sich hier auf die Insel der Informierten zu flüchten bringt Ihnen nur solange etwas, wie Sie nicht vor die Tür gehen. Das Land… Mehr

Malaparte
6 Jahre her

Moral, Verantwortungsbewusstsein, Pflichtbewusstsein, Wahrheit und Wahrhaftigkeit – vergesst es! Nicht nur die ÖR sind tief verwoben mit den Parteien, auch die meisten MSM haben ihre Unabhängigkeit verloren und das Renommees gleich hinterher geschmissen. Wenn man nicht gleich zum SPD Medienkartell gehört oder Anteile hält. Jetzt, da die Konzerne realisieren, dass ihnen sehr viele Leser nicht nur die Abos sondern gleichfalls die Gefolgschaft kündigen, in Folge dessen die Werbeeinnahmen ebenfalls rückläufig sind, steppt in den Führungsetagen der Bär. Die Gewinneinbrüche sind verheerend. Beide Seiten rücken nun noch enger zusammen, liefern sich auf Gedeih und Verderb aus. Investigativer Journalismus, Kontrolle der Regierung… Mehr

Thorsten
6 Jahre her

Wie in der DDR legt man sich lieber nicht mit derm Staatssystem an, denn sonst sind Arbeitsplatz und Privilegien futsch, und man kämpft in Prozessen gegen falsche Beschuldigeungen oder bekommt ungebeten Besuch…