Medien: Kampf um die Deutungshoheit

Die „klassischen“ Medien kooperieren zunehmend mit Politikern und Parteien im Kampf um gute Stories, Quoten und Reichweiten. Der Wettbewerb um mediale Beachtung und Priorisierung hat bei vielen Protagonisten zu einer bewussten Emotionalisierung der Kommunikation geführt. Ziel ist, durch die virtuelle Erzeugung von Empörung und Betroffenheit Rückenwind für die eigene Polit-Agenda zu schaffen.

Michele Tantussi/Getty Images

In Hamburg hat im Januar 2019 eine Podiumsdiskussion zur „Debattenkultur einer empörten Gesellschaft“ stattgefunden. In der Einladung dazu hieß es: „Der Ton der öffentlichen Auseinandersetzung wird rauer. Der Austausch von Argumenten und der Erkenntnisgewinn treten in den Hintergrund, stattdessen kennzeichnen kollektive Erregung und Empörung einen sich zuspitzenden Kampf um Meinungsführerschaft und Deutungshoheit.“ Und der „Spiegel“ ging kürzlich im Rahmen einer Titelgeschichte mit der Headline „Tierisch wütend“ der Frage nach: „Warum so viele Menschen im Alltag die Nerven verlieren und ausrasten.“

Unverkennbar ist, dass der öffentliche Diskurs hierzulande immer stärker emotionalisiert und irrationalisiert wird. Das dürfte vor allem auf den zunehmend harten Kampf um die mediale Wahrnehmung zurückzuführen sein. Politische Parteien, Verbände, Gewerkschaften und NGOs buhlen im gnadenlosen Wettbewerb um die Beachtung von Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen und Zeitschriften, ohne deren Funktion als Multiplikatoren und Meinungsbildner sie nur eingeschränkt „stattfinden“ würden. Verschärft wird die Gemengelage durch die Vielfalt neuer Medien, die mit der Möglichkeit zu anonymen Wortmeldungen nicht gerade zur Versachlichung beitragen. Wer glaubt, sich gegenüber diesen Rezipienten auf das Angebot seriöser Sachinformationen beschränken zu können, findet sich sehr schnell am vernachlässigten Ende der publizistischen Nahrungskette wieder.

Mediale Inszenierung

Dieses Phänomen erklärt sich nicht zuletzt durch das veränderte Selbstverständnis der Medien und die daraus resultierende Erwartungshaltung gegenüber den Akteuren, die möglichst attraktive, also in Wort und Bild gut verwertbare „Nachrichten“, Anlässe und Inhalte liefern sollen. Redaktionen beschränken sich schon lange nicht mehr auf die Vermittlung von Informationen und Kommentaren, sie sind längst zu Erfindern, Regisseuren und Dramaturgen „exklusiver“ Stories geworden, die die Resonanz erhöhen und die Reichweite vergrößern.

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Hier hat sich in den letzten 20 Jahren ein tiefgehender Wandel vollzogen, der sich keineswegs auf die besonders affinen Boulevardblätter beschränkt. Inzwischen kämpfen selbst die Nachrichtenmagazine mit ungewöhnlichen Methoden um die Gunst von Lesern und Zuschauern. Verlagsstrategen lassen keinen Zweifel daran, dass Printmedien ohne Online-Angebote und Kommerzialisierung keine wirklichen Überlebenschancen mehr hätten. Dabei wächst die Grauzone, in der sich die Grenzen zwischen journalistischer Arbeit und mehr oder weniger verbrämter Manipulation vermischen. Problematisch wird diese Praxis, wenn für den Nutzer nicht mehr klar erkennbar zwischen Nachrichten, Kommentaren, Unterhaltung und „Werbung“ unterschieden wird. Diese Differenzierung sorgt bisher zumindest bei gedruckten Medien für ein gewisses Maß an Klarheit und Wahrheit.

Kampf um Quoten

Diese Transparenz ist dagegen bei den Online-Angeboten der Verlage sowie den öffentlich- rechtlichen und privatwirtschaftlichen TV-Sendern nicht mehr sichergestellt. Wenn überhaupt, erschließen sich relevante Informationen über Hintergründe und Intentionen dem Zuschauer im Kleingedruckten oder erst bei der Verfolgung des kaum lesbaren Nachspanns. Beim Kampf um Quoten scheint der Zweck mittlerweile (fast) jedes Mittel zu heiligen. Das oft diskret kolportierte Argument, ohne eine gewisse Auflockerung der früher sakrosankten Spielregeln und Rahmenbedingungen sei die deutsche Medienvielfalt in ihrer Existenz gefährdet, taugt nicht zur Generalabsolution. Gerade die Medien sind in hohem Maße auf Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Akzeptanz angewiesen. Wer diese Selbstverpflichtung leichtfertig zur Disposition stellt, trägt dazu bei, ihre Rolle als „Vierte Gewalt“ im Staat zu untergraben.

Kumpanei mit Medien

Die zunehmende redaktionelle Inszenierung erweist sich jedoch auch wegen der Selbstinszenierungs-Rituale von Parteien und Interessengruppen als problematisch. Auf dieser Seite bestimmen Spin-Doktoren über Inhalte und Verpackung der jeweils gewollten Botschaften. Sie bemühen sich, die redaktionellen Wünsche nach aufmerksamkeitsstarken „Knüllern“ mit Alleinstellungsmerkmal zur Förderung der Quote zu erfüllen. Damit wird die früher allgemein anerkannte Polarität zwischen Medien und den Objekten ihrer Berichterstattung aufgehoben. Diese Fehlentwicklung gipfelt häufig in einer falsch verstandenen Kumpanei. Und: De facto werden diejenigen Politiker und Interessensachwalter belohnt, die die Klaviatur zur Bedienung redaktioneller Erwartungen besonders gekonnt erfüllen. Wer interessante Aufhänger und emotionale Highlights liefert, kann mit einer sprunghaft zunehmenden TV-Präsenz rechnen.

Die ESBA-Formel

Zu den wegweisenden Altmeisterinnen dieses abgekarteten Spiels mit verteilten Rollen gehört zweifelsfrei Claudia Roth, deren gesamte politische Karriere auf ein konsequent ungesetztes Kommunikationskonzept zurückzuführen ist, das sich auf die Formel ESBA bringen lässt. Die Anfangsbuchstaben stehen für die Erreichung folgender öffentlichkeitswirksamer Ziele: Empörung, Skandalisierung, Betroffenheit und Aktion. Wer hat sie nicht vor Augen – Frau Roth, die mit rollenden Augen und bebender Unterlippe – in Robin-Hood-Attitude – unerträgliche Zustände vor der Kamera anprangert, daraus möglichst pauschale Schuldzuweisungen gegenüber dem politischen Gegner ableitet, sodann die Zuschauer einer solidarischen Mithaftung unterwirft, um schließlich sofortige Maßnahmen zur wie auch immer gearteten Problemlösung zu fordern.

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Auch wenn diese Strategie inzwischen bei allen Parteien die mediale Selbstdarstellung bestimmt, ist nicht zu verkennen, dass den Grünen die zweifelhafte Ehre der Erfindung und Perfektionierung gebührt. Bis heute deckt niemand sonst so raffiniert, professionell und erfolgreich die emotionalen Bedürfnisse vieler Bundesbürger ab, die die meist gewollte Beschränkung auf Teilwahrheiten gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Es ist den Grünen offenbar gelungen, im Bewusstsein erstaunlich großer Teile der Bevölkerung eine Art Monopol für alle Fragen von Moral und Ethik aufzubauen. Diese angemaßte Gralshüterrolle sorgt nicht nur für mediale Bevorzugung und Parteinahme, sondern macht die Partei in den Augen vieler Zeitgenossen auch vermeintlich unangreifbar. Es scheint zu reichen, das „gute Gewissen der Nation“ für sich zu reklamieren. Der derzeitige demoskopische Höhenflug der Grünen dürfte nicht zuletzt auf diese Zusammenhänge zurückzuführen sein.

„Betroffenheitskult“

Die „Neue Züricher Zeitung“ hat bereits 2015 angesichts der unkontrollierten Zuwanderung nach Deutschland in einem lesenswerten Kommentar kritisiert: „Die Massenmedien kaschieren ihren Voyeurismus mit einem Betroffenheitskult, dessen Legitimation sie neuerdings daraus ableiten, dass die ohnehin an chronischer Hysterie leidenden sozialen Netzwerke wieder einmal in besonders starke Erregung geraten sind. Man reagiert auf ein angebliches Marktbedürfnis. Doch die Mediengesellschaft schaut nur in den Spiegel und sieht sich selbst. Die kurzlebigen Bekundungen von Betroffenheit sind letztlich ebenso sehr ein soziales Zeichen für Abgestumpftheit und ein allgemeines Desinteresse am Geschehen auf diesem Globus. Das moralische Bewusstsein scheint erst jetzt zu erwachen, da das Flüchtlings- und Migrationsdrama näher rückt und bereits in unseren Hinterhöfen und Straßen sichtbar wird.“

Und weiter schrieb die NZZ: „Seit einigen Tagen ist in der Medienarena eine Kehrtwende zu beobachten. Boulevardblätter skandalisieren den Rassismus, appellieren ans moralische Empfinden ihres Publikums und zeigen in Berichten, dass Flüchtlinge und Migranten auch Menschen sind, denen respektvoll zu begegnen ist. Diese publizistische Haltung ist ehrenwert. Die weniger schöne Folge ist allerdings, dass die emotionsgeladene Aufbereitung des Themas keinen Unterschied mehr macht zwischen Rassisten und denjenigen, die kritische Einwände zur Bewältigung der Zuwanderungsströme haben. Die medial gesteuerte Empathie für das Schicksal der Flüchtlinge wird abklingen in dem Mass, wie die Zuwanderung anhält. Was wird dann geschehen?“

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Kommentare ( 26 )

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26 Comments
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Schwabenwilli
5 Jahre her

Die Frage ist doch wie lange das Lügengebäude der Meinungshoheit stehen wird. Die momentane Entwicklung zeigt mir das der Zenit der Linken schon überschritten ist, auch wenn es vielleicht nicht den Anschein hat.

Malaparte
5 Jahre her

Kumpanei mit der politischen Kaste und den Profiteuren der unkontrollierten, undifferenzierten Massenzuwanderung. Vermutlich nicht umsonst. Keiner dieser Verleger ist so naiv zu glauben, dass die Millionen „Neuen Mitbürger“ einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Auflagenzahlen oder Klicks beitragen werden. Und komme man mir nicht mit der angeblichen Unabhängigkeit der Journalisten. Vielmehr dürfte das Ziel eine Partizipation am durch „Zwangsgebühren“ finanzierten ÖR sein; die Pläne zur jährlichen automatischen Gebührensteigerung sind ja jüngst öffentlich geworden. Direkt an der mazedonischen Grenze stehen bereits weitere (gewaltbereite) tausende, um sich ihren Platz in der sozialen Hängematte zu sichern. Auf den griechischen Inseln und in der… Mehr

Genco Steins
5 Jahre her

Und ihre Protagonisten der „Guten Sache“ werden auch immer mit Herz und Seele, leuchtenden Augen, hektisch ambitioniert oder panisch betroffen dargestellt. Hauptsache: Emotions! Zur Förderung der Empathie mit diesen guten, jungen Menschen, die sich so leidenschaftlich für unser aller Zukunft einsetzen. Infantilisierung und Schönfärberei zur Gemütserhaltung der unteren Klassen: Gib‘ doch mal einer die Feuerzangenbowle in Auftrag!

teanopos
5 Jahre her

Mit dem Einflößen von Gesinnung beginnt es in diesem Land bereits in der Schule, angeblich unter guten Vorzeichen, Nunmehr in der zweiten, gar dritten Generation. Die Mittel und Methoden sind also perfektioniert. Nicht folgenlos. Der Bürger bekommt seine „Schuld“ ständig vorgehalten, über alle möglichen Kanäle, zu allen möglichen Themen. Auch um Geld locker zu machen, für die Guten selbstverständlich, er will doch wenigstens bezahlt werden, zumindest die professionell Guten. Dieses Land wird/wurde nicht nur kriegerisch, sondern über die Zeit auch moralisch vernichtet bzw. gebrochen – in Selbstaufgabe. Selbstauf- und Hingabe, Aufopferung für etwas anderes „als man selbst“, und das soll… Mehr

wayfour84
5 Jahre her
Antworten an  teanopos

Sehr gut gesagt. Das ging mir mal sehr ähnlich. Ist zehn Jahre her. Da las ich das Buch von Heinz Nawratil: Der Kult mit der Schuld.

Mayor Quimby
5 Jahre her

Ich stelle hier mal eine philosophische Frage:

Wer ist eigentlich abergläubischer, die Hexe oder der Hexenjäger?

Hadrian17
5 Jahre her

Tja, Faktenrecherche, genaue Beobachtung, Geduld, Durchdenken der Konsequenzen von Entscheidungen bis in die dritte Ebene der Folgen … Eigenschaften, die jeder Schachspieler beherrschen muss, will er sich nicht blamieren, scheinen im Politzirkus verpönt. Aber das scheint nur so. Tatsächlich ist das wohl anders. Hinter den Kulissen wird wohl heftig daran gearbeitet werden, die Gesellschaft umzubauen. Die „Denker“ sind heute unsichtbar. Was sich da „vorne“ tummelt, ist eher vernachlässigbar. Es wird nur peinlich darauf geachtet, dass sich kein heller Kopf auf die Bühne verirrt, der die ganze Inszenierung stören oder gar gefährden würde. Interessant ist also weniger, was passiert – und… Mehr

Thomas Hellerberger
5 Jahre her

Tja, so funktioniert eben Politik im 21. Jahrhundert. Heule mit den Wölfen, oder streife allein (und ohne Rudel) durch den Wald.
Ich warte nicht auf die Wiederkehr besserer früherer Tage (die ich auch noch kenne) sondern auf den rechten Robert Habeck, von der AfD. Nur so geht’s.

Kassandra
5 Jahre her

Deshalb werden ja auch hässliche Bilder, die jetzt innerhalb des Landes statt an den Grenzen zu finden sind – wie das vom Hamburger Jungfernstieg mit dem wohl enthaupteten Kleinkind samt blutend erstochener Mutter – harsch bis hin zu Hausdurchsuchungen verfolgt und geahndet. Obwohl der Mann, der die Aufnahmen machte, die Leichen gar nicht auf Video hatte – sondern nur die Blutlache – und den Satz von einem entsetzten Anwesenden gesprochen.

kiki667
5 Jahre her

Bei einer halbwegs intelligenten Bevölkerung hätten die alle mit ihrem Affentanz keine Chance, egal ob Medien oder Politiker, Organisationen, Gewerkschaften, Öffentlich-Rechtliche usw. Das erschreckende für mich ist, dass der größte Teil der Deutschen inzwischen wirklich komplett verdummt ist und sich beliebig steuern lässt, ohne es zu merken.

Linus
5 Jahre her
Antworten an  kiki667

Volltreffer! Versenkt!

Philipp Tertuete
5 Jahre her
Antworten an  kiki667

Die Bürger werden emotionalisiert, wie bei der Fankultur. Sie fiebern dann für Ihr Lager, natürlich wissen sie auch, dass alles Getürkt ist. Die Deutschen halten sich ja auch für so schlau und mutig. In Realitas sind sie dumm und feige, denn nichts anderes ist die Obrigkeitshörigkeit. Man bekämpft nur den Schwächeren. Deshalb darf der Islam hier auch sein Zerstörungswerks vollbringen. Er ist bereits zu mächtig.

von Kullmann
5 Jahre her

Für Moralisten spielt Geld keine Rolex. Für ihren Moralanspruch, lassen sie die Unmoralischen übers Finanzamt zahlen, damit für sie noch eine Rolex drin ist. Das tut gut, ist allemal besser als eine religiös erforderliche Selbstgeißelung.