Christian Dürr wird Lindners Thronerbe

Christian Lindner designiert Christian Dürr zum Nachfolger als FDP-Fraktionschef im Bundestag. Mit Aufmüpfigkeit der Liberalen gegen die eigene Regierung ist nicht zu rechnen. In Fragen der Klima-, Migrations- und Gesellschaftspolitik ist die FDP damit klar auf Ampelkurs.

IMAGO / Christian Spicker
Christian Dürr (FDP)

Im Mittelalter spielte der Designationsgedanke eine bedeutende Rolle. Das Wort eines Königs bei der Kür seines Nachfolgers hatte Gewicht. Bei den Freien Demokraten, die sicher nicht im Verdacht des Royalismus stehen, besteht diese Mentalität fort. Der bisherige Vize-Fraktionschef der FDP im Bundestag, Christian Dürr, soll die Fraktion führen. Die Unterstützung des amtierenden Fraktionschefs Christian Lindner hat er: „Ich habe eben Christian Dürr als meinen Nachfolger als Vorsitzender der FDP im Bundestag vorgeschlagen. Christian ist ein erfahrener Finanzexperte, ein echter Teamplayer und wird mit Johannes Vogel als EPGF für eine starke Fraktion sorgen.“

Die Beförderung ist dem Personalkarussell der FDP geschuldet. Lindner übernimmt das Finanzministerium, der parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann wird Justizminister. Dürr, 44 Jahre alt und aus Niedersachsen, gilt als Finanzexperte. Fraktionsvorsitzende der Regierung hatten in der Vergangenheit die Aufgabe als „Einpeitscher“ bei der Abstimmungsdisziplin und galten als strategische Brücken zu den anderen Regierungsfraktionen.

Dürr war als Landtagsabgeordneter in Niedersachsen bis 2009 im Umwelt- und Klimaausschuss tätig und fungierte als Umweltsprecher der Fraktion. Nachdem er 2017 in den Bundestag einzog, wurde Dürr stellvertretendes Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuss sowie Leiter des Arbeitskreises für Haushalt und Finanzen. Man sieht, warum Lindner auf Dürr setzt: Er soll das finanz- und wirtschaftspolitische Profil der FDP verkörpern und zudem Brücken zur Ökologie schlagen. Dürr also als FDP-Scharnier der Ampel – oder als Figur eines Tandems aus „zwei Christians“.

Doch Umwelt- und Klimapolitik sind nicht Dürrs einzige Verbindungen zu den linken Regierungspartnern. Dezidiert linksliberal ist sein Eintreten für ein „modernes Einwanderungsgesetz“. Dürr schreibt dazu auf seiner Webseite: „Immer mehr Menschen gehen in den wohlverdienten Ruhestand, aber immer weniger rücken im Arbeitsmarkt nach. Kaum ein Land ist daher so händeringend auf Migration angewiesen wie unseres.“ Die Bundeslade der FDP, der Themenbereich „Digitalisierung“, darf als Schwerpunkt auch nicht fehlen.

Gesellschaftspolitisch gibt es starke Ansätze zur Verständigung mit Grünen und SPD. Dürr ist ein offener Verfechter der „Verantwortungsgemeinschaft“, also des Konstrukts, dass die Familie ersetzen soll. Zitat: „Die Verantwortungsgemeinschaft ist ein wichtiger Schritt, über den sich die FDP sehr freut. Was wird Familien denn weggenommen, wenn andere Menschen in unterschiedlichen Lebensmodellen füreinander Verantwortung übernehmen wollen?“

Dürr ist damit die logische Konsequenz einer linksgewendeten FDP, die ihren Schulterschluss mit den neuen Ampel-Alliierten in einer progressiv-ökologischen Allianz sucht, in der weniger alte liberale Werte, denn opportunistisches Machtkalkül und der Wunsch nach bestmöglicher gesellschaftlicher Anpassung zählen. Klimawandel und Wirtschaftswachstum gemeinsam denken – das geht, zumindest für einen kleinen Teil. Bei einer solchen Konstellation ist kaum davon auszugehen, dass „der andere Christian“ die parlamentarische Selbstbestimmung vor das Wohl der künftigen Bundesregierung setzt. Wer erinnert sich noch, dass derselbe FDP-Mann vor zweieinhalb Monaten den baldigen Kanzler öffentlich angriff?

Alles vergeben. „Unglaubliche Vorgänge“ werden leicht vergessen, wenn man als Steigbügelhalter der Macht am neuralgischen Schaltpunkt zwischen Legislative und Exekutive sitzt. Für die FDP gilt weiterhin die Lindner’sche Formel: weiter so!

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