Latife Arab und die Enthüllungen: Zwischen persönlichem Drama und politmedialer Instrumentalisierung

Latife Arab, bekannt geworden durch die Biographie „Ein Leben zählt nichts“, gerät ins Visier des „Spiegel“, der ihre Schilderungen über ihre Herkunft aus einem arabischen Clan anzweifelt. Die Autorin weist die Vorwürfe zurück und hat angekündigt dagegen vorgehen zu wollen. Was steckt dahinter?

IMAGO, Screenprint Heyne - Collage: TE

Die Geschichte um Latife Arab – gefeierte Bestseller-Autorin und angebliche Clan-Aussteigerin – ist mehr als eine persönliche Glaubwürdigkeitskrise. Sie zeigt, wie Medien, Politik und gesellschaftliche Narrative gezielt miteinander verknüpft werden, um Stimmungen zu lenken und Debatten zu steuern. Der plötzliche Umschwung von Bewunderung zu Zweifeln an ihrer Geschichte offenbart, dass es in diesem Fall nie wirklich um ihre persönliche Wahrheit ging – sondern um ihre Rolle in einem größeren Spiel.

Der Aufbau: Von der Aussteigerin zur Symbolfigur

Latife Arab wurde über Monate hinweg als Symbol für die Gefahren krimineller Clans inszeniert. Mit ihrem Buch „Ein Leben zählt nichts“ erzählte sie eine Geschichte, die perfekt in den politmedialen Zeitgeist passte: eine mutige Frau, die archaischen patriarchalen Strukturen entkommt und die Schattenseiten krimineller Familien offenlegt. In der Berichterstattung wurden ihre Aussagen, wie sie selbst angibt, teilweise anonymisiert und unterm Pseudonym veröffentlicht, um sie zu schützen. Doch diese Schutzmaßnahmen unterstreichen auch, wie sensibel die Geschichte gestaltet werden musste, um eine maximale Wirkung zu entfalten.

Der Fokus lag stets auf den Namen „Al-Zein“ und „Rammo“ – zwei Clans, die als Synonym für spektakuläre Verbrechen und Clan-Kriminalität in Deutschland gelten. Erst diese Assoziation machte ihre Geschichte zum Bestseller und katapultierte sie ins öffentliche Bewusstsein. Ohne diese Namen hätte ihr Buch wohl kaum die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.

Das politische Kalkül: Ein brisantes Thema neu verpackt

Die Veröffentlichung von Latife Arabs Geschichte erfolgte nicht im luftleeren Raum. Sie fügt sich vielmehr passgenau in eine politisch aufgeladene Debatte ein, die bereits Monate vor der Veröffentlichung ihres Buches ihren Lauf nahm. Im Oktober 2023 forderte Olaf Scholz im Spiegel: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Seine Aussage löste einen Sturm der Kritik aus, insbesondere da Scholz vorgeworfen wurde, eine Sprache zu nutzen, die sonst eher der politischen Rechten zugeschrieben wird.

Nur wenige Monate später, im Januar 2024, lenkte ein viel diskutiertes sogenanntes „Geheimtreffen der Rechten“ erneut die Aufmerksamkeit auf das Thema Abschiebung krimineller Migranten. Das Treffen spiegelte ein bekanntes Muster wider: Während die Rechte pragmatische Vorschläge präsentierte, versuchte die Regierung, das Thema nur symbolisch aufzugreifen, jedoch ohne – wie immer- konkrete Maßnahmen. Diese Zurückhaltung war umso auffälliger, da die Themen Migration, kriminelle Flüchtlinge und Clan-Kriminalität längst zu den drängendsten Anliegen der Bevölkerung gehören. Der öffentliche Druck wuchs, und Scholz konnte es sich nicht leisten, das Thema zu ignorieren. Doch wirkte jeder seiner Versuche, das Thema zu adressieren, halbherzig und vermittelte vielmehr den Eindruck, dass die Koalition das Problem eher taktisch ausschlachten wollte, anstatt es entschlossen anzugehen.

Genau in diesem Klima erschien Latife Arabs Buch im März 2024. Es wirkte wie ein Katalysator, der die politische Rhetorik mit einer emotional aufgeladenen persönlichen Geschichte untermauerte. Ihr Werk bot die perfekte moralische Rechtfertigung, um über Clan-Kriminalität und Abschiebungen zu sprechen, ohne sich dem Vorwurf der „rechten Rhetorik“ auszusetzen. Doch während die Geschichte kurzfristig nützlich schien, offenbarte sich schnell, dass es weder Scholz noch seiner Regierung jemals um echte Lösungen ging.

Bis heute wurden keine konkreten Maßnahmen umgesetzt, obwohl das Thema Abschiebungen und Clan-Kriminalität in der Debatte omnipräsent bleibt. Stattdessen hat sich die Regierung über die Uneinigkeit in den eigenen Reihen selbst ausmanövriert und letztlich die Kontrolle verloren.
Inmitten dieser politischen Ohnmacht wurde Latife Arabs Geschichte nicht nur instrumentalisiert, sondern auch überhöht – umso schneller, als sie ihren Zweck erfüllt hatte, wieder fallengelassen.

Die Rolle der Medien und des Verlags:
Verrat an der Literatur und DDR-Romeo- Spione 2.0

Aber nicht nur Politik und Medien, sondern auch der Heyne Verlag tragen hierbei eine immense Verantwortung. Latife Arabs Buch wurde nicht deshalb verlegt, weil es literarisch herausragend oder von tiefgreifender gesellschaftlicher Bedeutung war. Die Frage, ob ihre Geschichte „auch ohne Clan“ für ein Buch gereicht hätte, entlarvt diese Dynamik. Nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.

Der Heyne Verlag setzte in den Vertrag einen speziellen Passus ein, der die Autorin verpflichtete, die Wahrheit ihrer Erzählung zu garantieren. Sollte sich herausstellen, dass die Geschichte nicht der Wahrheit entspricht, müsste sie den Vorschuss zurückzahlen und für eventuelle Schäden des Verlags aufkommen, wie der Verlag dem Spiegel bestätigte. (Der Spiegel, Ausgabe 50/2024, Artikel „Sie inszeniert sich als Clan-Aussteigerin und Überfallopfer – wohl zu Unrecht“) Diese Klausel zeigt, wie der Verlag sich selbst absicherte, während er gleichzeitig bereit war, eine reißerische Erzählung mit fragwürdiger Grundlage auf den Markt zu bringen – solange sie gut in den politischen Zeitgeist passte und sich verkaufte.

Dieser „Wahrheitsvertrag“ ist nichts anderes als moralische Heuchelei. Die Verlage sind sich mitunter durchaus bewusst, dass viele autobiografische Erzählungen durchsetzt sind von Übertreibungen, Lücken und subjektiven Perspektiven. Doch während sie sich an solchen Geschichten bereichern, verschieben sie das gesamte Risiko auf die Autoren. Wird die Wahrheit hinterfragt, lässt man die Autoren fallen wie eine heiße Kartoffel – und präsentiert sich selbst als unschuldiges Opfer.

Dabei muss man sich fragen: Warum hat der Verlag nicht selbst intensiver geprüft, ob Latife Arabs Geschichte haltbar ist?

Die Antwort ist klar: Es ging nicht um Literatur oder Wahrheit. Es ging darum, eine Story zu vermarkten, die den politmedialen Diskurs der Zeit befeuerte.

Die Demontage: Von der Heldin zum Sündenbock

Kaum ist das Dauerthema Clan-Kriminalität erst einmal wieder medial ausgeschöpft, setzt nun offenbar die gezielte Demontage von Latife Arab ein. Der Spiegel – der selbst maßgeblich dazu beigetragen hatte, sie zur Symbolfigur zu stilisieren – wendet sich plötzlich gegen sie.

Berichte über Ungereimtheiten in ihrer Geschichte und Zweifel an ihrer Herkunft sowie der Authentizität ihrer Schilderungen wurden laut. Es wirkt weniger wie investigative Aufklärung, sondern eher wie das strategische Abwickeln eines „abgenutzten“ narrativen Instruments.

Besonders pikant ist die Rolle eines Spiegel-Reporters, der zuvor einen Fernsehbeitrag über Latife Arab veröffentlicht und später eine private Beziehung zu ihr eingegangen war. In der Berichterstattung wird dieses Detail fast beiläufig erwähnt, als solle seine Bedeutung verschleiert werden.

Im Spiegel heißt es: „Mitte Oktober erreichten den Spiegel Hinweise, wonach sich Latife Arab in einem ‚Dickicht aus Übertreibungen, Halbwahrheiten und Lügen‘ verloren haben könnte. Ein Reporter von Spiegel TV äußerte erste Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, nachdem er einen Beitrag über sie veröffentlicht hatte. Später gingen die beiden eine private Beziehung ein, und er war an der weiteren Recherche nicht mehr beteiligt. Nachdem die Redakteure diese Hinweise erhalten hatten, baten sie Latife Arab in einem Telefonat, Details zu ihrer Herkunft zu nennen. Der Spiegel zeichnete das Gespräch mit ihrem Einverständnis auf.“ (Quelle: Spiegel vom 6. Dezember 2024: „Sie inszeniert sich als Clan-Aussteigerin und Überfallopfer – wohl zu Unrecht“ von Jörg Diehl, Lukas Eberle, Katrin Elger, Roman Höfner, Roman Lehberger und Wolf Wiedmann-Schmidt.)

Es scheint, als ob der Reporter, der einst Latife Arab unterstützte, und „eine Beziehung“ mit ihr einging, sich nun als moralisch überlegener Beobachter inszenieren wollen. Dass er an der anschließenden Recherche nicht mehr beteiligt war, wird in der Darstellung als Zeichen seiner ethischen Integrität präsentiert. Doch genau dieses Detail wirft nicht nur einen Schatten auf die journalistische Unabhängigkeit, sondern erinnert an die Praktiken der „Romeo-Spione“ der DDR, bei denen persönliche Beziehungen genutzt wurden, um politische oder journalistische Ziele zu verfolgen.

Diese Verstrickung wirft grundlegende Fragen auf: Wie unabhängig und glaubwürdig kann eine Recherche sein, wenn private Verhältnisse die journalistische Objektivität gefährden?

Die Enthüllungen über Latife Arab erscheinen so weniger als neutrale Aufklärung, sondern vielmehr als inszenierte Farce, bei der persönliche und berufliche Grenzen absichtlich überschritten wurden, um die Autorin nach ihrer medialen Nutzungsdauer „abzuwickeln“.

Die Sondierung hinter den Kulissen

Noch absurder wird es, wenn man die Entstehung des Narrativs hinter ihrer Geschichte betrachtet.

Es wirkt fast so, als hätte man Latife Arab nicht nur ermutigt, sondern gezielt sondiert, eine solche Erzählung öffentlich zu machen. Die politisch aufgeladene Atmosphäre und die gezielte Instrumentalisierung ihrer Geschichte als moralischer Anker für den Diskurs um Clan-Kriminalität legen nahe, dass sie von Anfang an als Werkzeug in einem größeren Spiel diente. Die Frage ist nicht, warum ihre Geschichte so schnell aufgegriffen wurde, sondern warum niemand sie kritisch hinterfragte, bevor man sie öffentlich als Symbolfigur etablierte.

Der Vorwurf, Latife Arab habe übertrieben oder gelogen, mag zutreffen oder auch nicht – doch entscheidend ist, wie Medienhäuser wie der Spiegel mit solchen Geschichten umgehen. Sie werden zunächst bereitwillig gehypt, um Klicks, Quoten und politische Relevanz zu generieren, und anschließend rücksichtslos zerlegt, sobald das mediale Interesse nachlässt oder die Risiken zu groß werden.

Was treibt Redaktionen dazu, solche fragwürdigen Strategien zu verfolgen? Relotius 2.0?

Ist es die Angst vor einem neuen Relotius-Skandal – einer journalistischen „Bombe“, die man frühzeitig entschärfen will? Der Fall Claas Relotius hatte das Vertrauen in die Integrität des Journalismus erschüttert. Relotius, ein einst gefeierter Spiegel-Reporter, hatte über Jahre hinweg fiktive Geschichten und Fakten in seine Reportagen eingebaut, um seine Texte noch spektakulärer zu machen. Die Enthüllung seiner Machenschaften war eine Zäsur für den gesamten deutschen Journalismus und hinterließ eine bleibende Wunde: das Misstrauen gegenüber der Wahrhaftigkeit journalistischer Berichterstattung.

Die Frage ist also, ob es bei der Berichterstattung über Latife Arab möglicherweise ein ähnliches Motiv gibt – der Versuch, eine weitere „Bombe“ zu entschärfen, bevor sie zu einem Skandal eskaliert. Oder ist es schlichtweg die Gier nach immer neuen Schlagzeilen, selbst wenn diese auf dem persönlichen Ruin der einst gefeierten Protagonistin basieren? Zumindest zeigt dieses Vorgehen eine systematische Bereitschaft, persönliche und berufliche Grenzen zu missachten, Geschichten auf Kosten anderer auszuschlachten und sie dann mit moralischer Selbstgerechtigkeit fallen zu lassen. Vom Anspruch an saubere, professionelle Arbeit kann keine Rede sein. Stattdessen wirkt das Ganze wie eine inszenierte Farce, bei der Glaubwürdigkeit und Ethik längst auf der Strecke geblieben sind.

Zum Umgang mit den Ungereimtheiten

Die heutigen Zweifel basieren zudem auf fragwürdigen Aussagen. Selbst wenn Latife Arab gelogen haben sollte, ist es besonders zynisch, ihrem Bruder jetzt mehr Glauben zu schenken als ihr. Der Bruder stammt aus dem gleichen familiären Umfeld, dem Latife Arab zu entkommen versuchte – einem Umfeld, das durch patriarchale Strukturen geprägt ist, in denen Schweigen, Kontrolle und Angst herrschen. Es ist grotesk, dass gerade diese Strukturen jetzt genutzt werden, um ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Dass diese Dynamik ausgerechnet dazu dient, sie öffentlich zu diskreditieren, zeigt, wie wenig sich der gesellschaftliche Umgang mit solchen Themen verändert hat.

Es verdeutlicht auch, wie wenig Verständnis Gesellschaft und Politiker für die Realität von Clanstrukturen haben. Nur weil etwas möglicherweise nicht auf ihren eigenen Erfahrungen basiert, heißt das nicht, dass es nicht existiert oder irrelevant sei. Aber vergessen wir eines nicht: es ging nie um Problemlösungen.

Unterm Strich bleibt: Der Heyne-Verlag und die Journalisten haben sich genau zu dem gemacht, was sie eigentlich nie sein sollten – ein verlängerter Arm für politische Interessen und Profit. Die Wahrheit? Irgendwo im nirgendwo.

Am Ende bleibt die bittere Erkenntnis, dass es nie um Latife Arab ging, weder um ihre noch um irgendeine Wahrheit. Weder um Literatur noch um gesellschaftliche Probleme die es zu lösen gilt.

Es ging um die Steuerung von Narrativen, um die Nutzung von Geschichten für politische Zwecke und um die Manipulation öffentlicher Debatten. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie die Literaturbranche ihre eigentliche Aufgabe – die Förderung von Literatur und Kunst – verraten hat, um politisch zu gefallen und wirtschaftlich zu profitieren. Vom heutigen Journalismus ganz zu schweigen.

Eine Lektion darüber, wie Macht funktioniert – und wie wenig Platz dabei für die Wahrheit bleibt.

Doch eine Tatsache bleibt unbestritten: die hausgemachten Herausforderungen im Bereich Migration und die damit verbundene Kriminalität, vor allem auch Gewalt gegen Frauen.

Latife Arab möchte gegen die Anschuldigungen des Spiegel vorgehen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 0 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

0 Comments
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen