Christian, der Kampf geht weiter

Wer die Wahlen in Sachsen und Thüringen gewonnen hat, ist noch ein wenig unklar. Sicher ist, wer sie verloren hat: die Ampel, allen voran die FDP. Deren Chef Christian Lindner wirkt nun wie die westdeutsche Linke vor deren Untergang.

picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Am Grab von Holger Meins spielte sich eine legendäre Szene ab: Rudi Dutschke warf Erde auf den Sarg, hob die Faust zum Gruß und skandierte: „Holger, der Kampf geht weiter!“ Der dem Tode geweihte Anführer der Studentenrevolte von 1968 sprach dem zu Tode gehungerten Terroristen Mut zu. Toter war die deutsche Linke nie. Wenige Monate später ging die proletarische Linke im Deutschen Herbst unter – vom Proletariat verlassen, ja sogar verachtet und gehasst.

Szenenwechsel: Nach den desaströsen Wahlen in Sachsen und Thüringen hat sich FDP-Parteichef Christian Lindner der Öffentlichkeit gestellt. Ok. Nur auf X. Aber immerhin: Er schrieb: „Wir geben unseren Kampf für liberale Werte nicht auf. Schon morgen geht es wieder weiter.“ Jetzt noch eine Schippe Erde auf den Sarg und Christian „Dutschke“ Lindner hat seinen Abgang aus der Geschichte rundgemacht. Nicht ganz so legendär und pathetisch wie Rudi – aber dafür so peinlich wie gehabt.

— Christian Lindner (@c_lindner) September 1, 2024

Der Kampf für liberale Werte? Welcher Kampf bitte schön? Lindner ist wie ein Trainer, der nach dem 0:12 die Abwehrleistung seiner Mannschaft feiert. Meint Lindner das Selbstbestimmungsgesetz, das Meinungsäußerungen unter schwere Strafen stellt? Meint er Presseverbote über das Vereinsrecht? Meint er Sondereinsatzkommandos aus Staatspolizisten und Staatsjournalisten, die morgens um 6 Uhr gemeinsam Wohnungen der Opposition stürmen? Meint er Polizeichefs, die der Bevölkerung klarmachen, ihre Sicherheit im öffentlichen Raum nicht mehr sicherstellen zu können – aber Zeit genug haben, X-Nutzer zu verfolgen, die Ricarda Lang als dick bezeichnet haben?

Was auch immer Christian Lindner meint. Der Gegenwert zu den liberalen Positionen, wie sie die FDP unter ihm vertritt, liegt bei einem Prozent. Einer von hundert findet noch, dass Lindners Partei wichtig ist. Die Tierschutzpartei hat mittlerweile mehr Anhänger. Die Erben von Theodor Heuss und Hans-Dieter Genscher haben das letzte Tafelsilber der Glaubwürdigkeit verscherbelt. Ihnen bleibt nur noch ein hohles Pathos, das Dutschke als das brauchbare Original erscheinen lässt.

Die FDP ist an der Seite von Angela Merkel (CDU) aus dem Bundestag geflogen. Dann hat sich die FDP aber in Opposition zur Merkel-CDU neu erfunden: Sie war die Partei, die auf Rechtstaatlichkeit bei der Einwanderung bestanden und dabei die schrillen, rassistischen Töne anderer vermieden hat. Sie war die Partei, die erst sachte, dann lauter gegen die unsinnige und Menschenrechte verletzende Corona-Politik protestiert hat.

Das hat wieder Bürger zurück zur FDP gebracht. Das hat die Partei so stark gemacht, dass sie dem alten Koalitionspartner CDU eine Nase drehen konnte und sich stattdessen für eine Koalition mit SPD und Grünen entschied. Von da an ging’s bergab. Die einstige Wirtschaftspartei machte alles mit: Habecks Heizhammer oder der Ausstieg aus der Atomkraft mitten in der „Zeitenwende“. Selbst Habecks Gasumlage ist nicht an der FDP, sondern am Machtwort des sozialdemokratischen Kanzlers gescheitert.

Diesen Kampf für liberale Werte will Lindner fortführen? Lächerlich. Bürger, die aus den Corona-Maßnahmen rauswollten, haben die FDP gewählt. Doch die FDP hat zum Dank diese Maßnahmen verlängert. Selbst als die so unsinnig wurden, dass angeblich noch eine Maskenpflicht im Zug, aber nicht im Flugzeug, notwendig war. An dem Tag, an dem Justizminister Marco Buschmann (FDP) mit Karl Lauterbach die Maßnahmen verlängerte, berichtete TE exklusiv über eine Studie. Diese besagte, dass die „Durchseuchung“ abgeschlossen, Corona nun definitiv harmlos und die Maßnahmen endgültig sinnlos seien.

Brisanterweise kam diese Studie aus einem FDP geführten Ministerium. Von einer zurecht völlig unbekannten Ministerin. Diese Frau hätte an dem Tag in die Geschichte treten und die Menschenrechte verletzenden Maßnahmen beenden können. Doch die FDP-Funktionärin entschied sich, so für die liberalen Werte zu „kämpfen“, wie es die Lindner-FDP halt tut: die eigene Studie totschweigen, dem Koalitionspartner gegen jede Vernunft nachgeben und sich so an der Regierung halten. Dieser Kampf geht weiter, sagt Lindner, doch seine Ex-Wähler sind schon längst mit dem Kopf beim Leichenschmaus.

Die FDP hat in der Ampel jeden einzelnen liberalen Wert verraten und ins Absurde gekehrt. Ihr bleibt nur noch ausgehöhltes Pathos und Beerdigungen wie die von Sachsen und Thüringen. Die proletarische Linke war im Herbst 1977 am Ende. Sie hat sich im Januar 1978 neu erfunden. Auf dem Berliner „Tunix“-Kongress. Dort wandte sie sich vom deutschen Proletarier ab – nicht, dass das noch nötig gewesen wäre. Stattdessen sollten der Klimaschutz und der postkolonial Unterdrückte das Zielobjekt der deutschen Linken werden. Das hat später zu einigen erstaunlichen Erfolgen geführt. Vielleicht braucht die liberale Bewegung auch einen solchen Kongress. Nur eins ist sicher: Christian Lindner sollte nicht dabei sein, der taugt nur noch für Beerdigungen. Der Kampf geht weiter, Asche drauf und ab dafür.

Anzeige

Unterstützung
oder