Seit Maximilian Krah ist die AfD nicht nur innenpolitisch, sondern auch europapolitisch isoliert. Es brauchte keine Geheimdienstaffäre, keine Durchsuchungen, keine Correctiv-Story und keine Medien-Kampagne: Mit seinen Auftritten und Aussagen – nicht nur kürzlich, sondern über Jahre – hat er das Europa-Projekt der europäischen Rechten beschädigt. Und die jüngste Eskalation zeigt deutlich, woran es bei der AfD hakt. Und warum die anderen rechten Parteien Erfolg um Erfolg einfahren und möglicherweise bald die EU-Politik maßgeblich mitbestimmen, während die AfD zwar in einigen ostdeutschen Hochburgen wie ein Landesfürst residiert, aber außerhalb wie ein vogelfreier Vagabund umherstreift.
Keine europapolitische Perspektive
Bezeichnend ist der Vorgang, dass in der AfD keine Diskussion darüber stattfindet, wie es nun in Europa weitergeht. Sie kann sich auch nicht zu einer Ächtung Krahs durchringen. Ähnlich, wie sie dem Treiben des Spitzenkandidaten im gesamten Wahlkampf in Schockstarre zugesehen hat. Ausgerechnet der angebliche Traditionalist spielt den Anarchisten mit Cabrio und „Mad Max“-Attitüde. Wenig verwunderlich, dass nun der ehemalige Flügel und dessen sozialmediales Anhängsel die Gelegenheit gekommen sieht, noch einmal über geschichtspolitischen Revisionismus zu reden und darüber, „weshalb Krah Recht hat“, statt einen Weg aus dem Chaos zu finden. Eine fraktionslose AfD im EU-Parlament ist bedeutungslos, da kann sie noch so gut abschneiden. Die in einer ausländischen Zeitung gefallenen Worte sollen nun im großen Kontext der geschichtspolitischen Wende im Heimatland stehen.
Auch der Hinweis, Krah habe sich vorher schon ähnlich geäußert und nichts sei passiert, geht fehl; denn die Repubblica ist ein international gelesenes und wahrgenommenes Blatt und kein Smalltalk mit Thilo Jung, der in einer überschaubaren deutschen Bubble stattfindet. Ob nun Annalena Baerbock die Italiener über NGO-Schiffe belehrt oder Maximilian Krah über die richtige Einordnung der SS – es ist, aus europäischer Betrachtung, dieselbe deutsche Arroganz.
Es ist dabei höchst zweifelhaft, dass die Repubblica vorhatte, die AfD zu beschädigen. Vielmehr ging es wohl darum, Krah eine verfängliche Aussage zu entlocken, um den italienischen Wahlkampf zu beeinflussen, heißt: den Bündnispartner Lega in Schwierigkeiten zu bringen. Matteo Salvinis Partei, die bei der letzten EU-Wahl mit 40 Prozent vor Kraft kaum laufen konnte, droht auf magere 10 Prozent abzustürzen. Schlimmste Prognosen gehen von 8 Prozent aus. Ein SS-Skandal hätte die Lega wohl noch weiter runtergezogen. Die italienische Linke hätte genüsslich auswalzen können: Salvinis Partner auf EU-Ebene verharmlost die Verbrecher, die italienische Dörfer eingeäschert haben.
Wer den Tiger reitet wird von ihm gefressen
Während andere EU-Abgeordnete der AfD solche Schritte tunlich vermeiden, weil sie die fremde Mentalität nicht kennen und wissen, dass sie in eine Falle gelockt werden könnten, redete Krah fröhlich drauflos. Eben das, was die linke Presse wollte, denn die Repubblica ist das italienische Äquivalent zur Süddeutschen Zeitung. Krah hätte das wissen müssen. Aber wer glaubt, den Tiger reiten zu können, der muss bei Unfähigkeit damit rechnen, gefressen zu werden. Salvini hätte niemals ein Bündnis mit einer solchen Partei fortsetzen können. Die Lega wurde in den Bündnisaufschluss de facto hineingezwungen, nachdem die Sache international publik wurde.
Statt dass die AfD einsieht, was sie ihrem italienischen Ex-Partner für einen Bärendienst erwiesen hätte, beschuldigen Anhänger im „Vorfeld der Partei“ nunmehr die Franzosen und überhaupt alle des Verrats, verirren sich mit Vorwürfen, die anderen wollten die Macht für sich haben und wieder einmal den Blick auf das deutsche Geld. Dabei hatte Le Pen schon in ihrem Gespräch mit Alice Weidel im Zuge des „Remigrationstreffens“ in Potsdam auch die Personalie Krah als Problem benannt. Das Menetekel stand nicht nur einmal an der Wand.
Warnungen vor den Folgen gab es genug
Der eigentliche Vorwurf des RN ist nicht der Moralismus und die SS. Es ist der Vorwurf der Unberechenbarkeit des Ex-Partners. „Wir hatten offene Gespräche, aber es wurde nichts daraus gelernt. Nun ziehen wir die Konsequenzen“, sagt Alexandre Loubet, Wahlkampfleiter des RN. Das heißt: Die AfD hat keine Führung. Sie ist strukturell nicht in der Lage, mit uns zusammenarbeiten. Es gibt einen europäischen Wahlkampf und die AfD macht, was sie will. Lega und RN wollen Führung. Sie wollen sich darauf verlassen, dass die AfD sich an Regeln hält, die man gemeinsam durchsetzt.
Die AfD hat stattdessen lediglich Krah dazu gedrängt, aus dem Bundesvorstand auszutreten. Etwas, das Krah schon seit Wochen vorhatte. Und er soll nicht öffentlich auftreten. Etwas, das er seit Wochen nicht tun sollte. Die Bundes-AfD tut also genau: nichts. Nur in der AfD auf EU-Ebene brodelte es. Auch jetzt erklingt einzig von dort der Ruf danach, Krah aus der EU-Delegation auszuschließen. Nach zehn Jahren sollte auch die AfD ihren Laden in den Griff bekommen haben. Zehn Jahre nach Gründung der Lega Nord stellte diese bereits mehrere Regionalpräsidenten und war einmal an der Nationalregierung beteiligt. Doch die AfD liefert nicht. Und sie begreift nicht, dass ihr Missverhalten im EU-Ausland wahrgenommen wird und dass ein missratener Zeitungsartikel in einem bedeutenden ausländischen Blatt Auswirkungen auf alle hat.
Zurück zur Exit-Strategie des RN. Maximilian Krah hat nämlich der so oft gescholtenen „Melonisierung“ der europäischen Rechten und der De-Radikalisierung einen Dienst erwiesen. Le Pen, mittlerweile transatlantisch geläutert, kann mit Salvini, Wilders und möglicherweise Orbán nun die öffentliche Opferung der AfD zelebrieren. In zwei Tagen hat es die Partei geschafft, dass die rechten ausländischen Blätter, die aufgrund der Fraktionsgemeinschaft Verbündete waren, diese nun als „rechtsextrem“ (Libero) oder gar „kryptonazistisch“ (Il Giornale) betiteln. Alle Sünden, alles Schlechte wird nun auf sie abgeladen.
Die EU-Rechten werden ihre Chance nutzen
Das eröffnet Möglichkeiten. Die Reste der bisherigen ID-Fraktion ohne AfD und die Abgeordneten der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) werden nun intensiver zusammenarbeiten können, vielleicht doch das Projekt der großen Partei rechts von der EVP (dem EU-Pendant der CDU) durchsetzen. Eine Partei, die auch für die EVP deutlich attraktiver wäre. Dieser geeinte rechte Block hätte nicht genügend Zugkraft. Aber er würde auf europäischer Ebene das vorbereiten, was in Deutschland aufgrund der Causa Krah und ihrer Vorläufer undenkbar ist: das Zusammengehen von Zentrum und Mitte-Rechts.
Mit der vorhersehbaren Dezimierung Salvinis und der Stärkung Le Pens und Melonis dürften diese als Duo der Noch-Kommissionspräsidentin (oder ihrem Nachfolger) die Kooperation anbieten. Die Fortsetzung der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft bei Ursula von der Leyen kann man dann leicht vergessen. Dafür kein Green Deal, kein Verbrenner-Aus – und EU-Politik auf dem Rücken Deutschlands. Das Tandem Italien–Frankreich könnte eine ganze Wunschliste diktieren, die nötig wäre, um die Wahl eines EVP-Kandidaten, möglicherweise von den französischen Republikanern oder der italienischen Forza Italia, durchzusetzen. Aber: Die böse AfD wäre man los. Das würde auch den deutschen Christdemokraten gefallen.
Selbst die polnische PiS, gedemütigt von der EU und EVP, könnte dazu bewegt werden, von der Leyen zu wählen, wenn man an der Macht beteiligt wird und die vereinte Rechte auf einen anti-russischen Kurs einschwenkt, den es mit der AfD nicht gegeben hätte. Indes diskutiert das Parteimilieu der AfD noch darüber, dass Krah ja inhaltlich recht hätte und man noch einmal über die Rolle der SS sprechen sollte, und spielt die altrechte Leier von Reeducation und Schuldkult. Andernorts werden Bündnisse geschmiedet und die Weichen für die Zukunft gestellt.
Wer bei der Frage nach modernem rechten Bündnis oder „geschichtspolitischer Wende“ Letzterer höhere Priorität einräumt, hat es auch nicht besser verdient. In der Politik geht es nicht um Treue und Liebe. Man kann Leute mit seinen Großvaterkomplexen behelligen – oder man hat Freunde. Die AfD hat sich ganz aus eigener Kraft zum Sonderling auf der EU-Party gemausert, und das über Jahre. Krah war letztlich das Symbol einer Partei, der egal ist, was andere von ihr denken. Man mag anführen, dass die AfD ja eine „deutsche Partei“ sei, die sich auf Deutschland konzentriert. Sie sollte dann aber auch nicht mehr über „Brüssel“ schimpfen, wenn sie keinerlei Ambitionen hat, auf europäischer Ebene Bündnisse zu schließen, um „Brüssel“ zu ändern oder abzustreifen.
„Melonisierung“ als Schimpfwort des Flügels
In den äußersten rechten Reihen der AfD geht der Schimpfbegriff der „Melonisierung“ um. Die Hundertprozentigen werfen damit Le Pen und Wilders vor, andockfähig für das Zentrum zu sein, um neue Koalitionen zu schließen. Man ist lieber machtlos und sieht, wie linksradikale Bündnisse aufgrund eigener Selbstverzwergung die Macht in Deutschland halten. Was nützen einem 30 Prozent der Stimmen, wenn man mit niemandem regieren kann? An dieser Feststellung werden auch viele AfD-Wechselwähler verzweifeln und in die Resignation abdriften.
Dabei ist Melonisierung nur ein anderer Begriff für Realpolitik. Wer Letztere nicht als Mittel sieht, um seine eigenen Leute in Rang und Namen zu bekommen, um langfristig etwas zu ändern, sondern lieber in der Totalopposition verharrt, hat vielleicht gute Aussichten als religiöser Führer. Für eine politische Partei ist so eine Trotzauffassung, die die Höckes, Krahs und Gefährten an die Oberfläche spült, wenig vorteilhaft. Prinzipienreiterei ist eine moralische Aufwertung für das eigene Verlierertum. Strategen, die über Metapolitik, Verschiebung des Sagbaren und Großvaterkomplexe räsonieren, den Krieg aber nicht gewinnen, sind nutzlos. Politik wird dann woanders gemacht. Ob in Berlin, Brüssel, oder Straßburg. Nach Krah steht die AfD am Scheideweg: gäriger Haufen – oder Befreiungsschlag zur Partei mit Führung?