Die Papiere des Wahns

Am Werk sind Amtsverwalter statt Staatslenker. Es soll alles nach Ordnung aussehen. Ordnungs- und Regelungswahn sind der Gendefekt der Deutschen. Die Koalitionspapiere drehen den Bürgern eine lange Nase, aber die sollen es nicht merken. Die Bürger haben guten Grund, diesen Staat als Bedrohung zu empfinden.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Schon die Ampel war im Klein-Klein der großen Transformation versunken. Merz und sein Lager dagegen versprachen großspurig, schnell und gezielt das Wesentliche anzupacken, nur die wichtigsten Vorhaben im Koalitionsprogramm zu fixieren, beweglich zu bleiben und den Staat wieder beweglich zu machen.

Und nun? Sechzehn Verhandlungskommissionen, besetzt mit jeweils sechzehn Mitgliedern fabrizierten einen Berg Papier, 162 Seiten, die geeignet wären, als Realsatire abendfüllend auf- und vorgeführt zu werden. Zugleich spiegelt dieses Dokument den Zustand der politischen Klasse, ihre Allmachtsphantasien ebenso wie die tieferen Gründe der Dysfunktionalität dieses Landes.

Koalitionsverhandlungen
Friedrich Merz wird zur tragischen Figur der deutschen Politik
Bis ins letzte überflüssige und doch zugleich verräterische Detail reicht die allumfassende Begehrlichkeitsliste der Regierungsparteien. Selbstverständlich müssen auch „die gesundheitlichen Belange der queeren Community besonders berücksichtigt werden“. Welche besonderen Belange wären das denn? Ist für sie „gesund“ etwas anderes? Oder sind nur die „Fachpolitiker“ nicht mehr ganz gesund? Oder: Der Staat habe den „Zugang zu Verhütungsmitteln“ sicherzustellen. Bitte? Ist der Bürger selbst zum Verhüten nicht mehr in der Lage, ohne dass ihm Vater Staat dabei das Händchen führt? Oder: Der Staat wolle dafür sorgen, „den Führerscheinerwerb bezahlbarer zu machen.“ Brauchen wir auch dafür einen Politikwechsel? Oder tritt nun die Verzettelung an dessen Stelle? Wie verlogen die endlose Litanei der Regierungsvorhaben ist, zeigt etwa auch die Forderung, „die Auskunftsrechte“ für Journalisten zu „stärken“, wo doch zugleich (auf Wunsch der CDU) das Informationsfreiheitsgesetz abgeschafft werden soll.

Ein organisatorischer Fehler war es bereits, 16 mal 16 Berufsfunktionäre mir dieser Aufgabe zu betrauen. 16 mal 16 Wichtigtuer, jeder Einzelne vom Ehrgeiz besessen, sich zu profilieren. Mit neuen, zusätzlichen Sätzen und Vorhaben, womit sonst. Keiner will sich mit dem Vorschlag hervortun, Regelungen zu streichen, den Staat von Aufgaben zu entbinden, ihn zu entschlacken und zu verschlanken. Ergebnis: ein nicht enden wollender Maßnahmenkatalog, verfasst im besten Kirchentagsdeutsch. Wir wollen, dass alles gut wird. Tatsächlich sind diese Papiere ein ausgewalztes Glaubensbekenntnis. Wir glauben an die Allmacht des Staates. Die Freiheit der Bürger steht ihm im Weg, immer noch. Deshalb gehört sie lückenlos ausgemerzt.

Eine Rolle Wisch-und-weg wird dem Bürger angeboten. Sie ist Ressourcenverschwendung, wenn denn die Ressource Geist noch messbar wäre. Da wird Abarbeiten mit Regieren verwechselt. Es kann nicht anders sein, als dass damit auch die Entbürokratisierung als bürokratische Mammutaufgabe missverstanden werden muss. Ach, man wünschte sich einen wie Musk. Weniger rücksichtslos, klar, aber selbst die mildere Version kann es in Deutschland nicht geben, weil er sofort als Staatsdelegitimierer vom Verfassungsschutz verfolgt würde. Ganz sicher dient die Koalitionsverhandlungspapierüberproduktion dazu, diesen Staat vor freiheitlicher Politik zu bewahren. Diese Papiere lesen sich wie eine Gebrauchsanweisung zur Betreuung des systematisch entmündigten Bürgers.

Zurück in vordemokratische Zeiten
Koalition will Informationsfreiheitsgesetz abschaffen und Meinungszensur einführen
Am Werk sind Amtsverwalter statt Staatslenker. Es soll alles nach Ordnung aussehen. Ordnungs- und Regelungswahn sind der Gendefekt der Deutschen. Diese Papiere drehen den Bürgern eine lange Nase, aber die Bürger sollen es nicht merken. Im Gegenteil, lässt sich doch für jeden ein Wunschsätzlein finden. Dabei versagt der Staat im Großenganzen.

Man könnte auch sagen: Politisch ist dieses Land oversexed and underfucked. Kein Handeln, nur Gerede. Statt offen zu streiten über die großen Dinge – Sozialsysteme, Energie, Steuern, Migration –, werden unzähligen Scheinprobleme eingehegt und eingetopft. Rabatten statt Debatten. Soll am Ende niemand sagen, dass man sich nicht bemüht hat! Die Mühen der Ebene sind so stark, dass den Koalitionären die Luft ausgeht, wenn der steile Anstieg beginnt.

Wozu also das alles? Diese Papiere sind eine Art politische Bondage: Selbstfesselung zum Zwecke des Lustgewinns der unmittelbar Beteiligten. Einerseits. Andererseits der perfekte Ausdruck davon, wie sehr sie einander jetzt schon misstrauen. Ein weiteres Ziel ist zweifelsfrei auch die Verwirrung des Publikums. Es soll das Interesse an der Prozedur der Regierungsbildung verlieren und weghören, wenn später die Hammerschläge fallen. Verzettelung als Methode, das große Versagen im Nebel der Details zu verhüllen.

So beweisen die ersten Verhandlungsrunden die fundamentale Fehlorientierung der deutschen Politik. Die Parteien sind verkommen zu behördenähnlichen Organisationen. Fleiß soll für Stärke gehalten werden. Dahinter steckt die Hybris, alles regeln zu können, müssen und dürfen. Die Allmacht der Parteien versucht sich aus der Allzuständigkeit des Staates zu legitimieren. Es mündet die Fürsorglichkeit des Gouvernantenstaats aber im Freiheitsentzug. Das wird sich auch nicht ändern, wenn sich jetzt die „Führungsebene“ über die Papiere des Wahns beugt. Die Bürger haben guten Grund, diesen Staat als Bedrohung zu empfinden.


Unterstützung
oder

Kommentare ( 73 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

73 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Ananda
2 Tage her

Wenn man bedenkt in was für einem Luxus und Sicherheit die Deutschen leben könnten wenn die politischen Extremisten (Regierungen der letzten Jahre) die Steuergelder nicht in großen Teilen für gequirlten Mist verschwenden würde.
Und dann auch noch Krieg spielen wollen. Meine Mutter und meine Großeltern waren Vertriebene im II Weltkrieg, die alles verloren haben. Merz provoziert für seine Machtspielchen die ultimative Katastrophe.
Eigentlich müsste der Betrüger auf seine geistige Gesundheit geprüft werden, so wie der unser Land schädigt und gefährdet.

elly
2 Tage her

und sie kramen Altes hervor, verkaufen es als neue zündende Idee. Mit Mangel verwalten, statt Mangel beheben, wollen sie angeblich sparen:
Der Zugang zu Fachärzten soll über ein „verbindliches Primärarztsystem“ gesteuert werden. Erste Anlaufstelle bei der Arztwahl wäre demnach in aller Regel der Hausarzt oder die Hausärztin. Davon versprechen sich Politik und Ärztekammer eine schnellere Terminvergabe sowie eine zielgerichtetere Versorgung. Union und SPD gehen von Einsparungen aus, die im Jahr 2028 zwei Milliarden Euro erreichen könnten. “ https://www.zeit.de/gesundheit/2025-03/gesundheit-krankenversicherung-aerzte-anlaufstelle-patient
Das gabs schon einmal mit Praxisgebühr versehen. Vom Hausarzt eine Überweisung abholen. Jetzt kramen sie das Narrativ „Einsparungen“ raus.

Micci
2 Tage her

„Herles fällt auf“ ist jedes Mal eine Analyse von höchster Brillanz.
Die Kolumne erinnert mich aber so langsam an eine Dr.-House-Folge: Diagnostisch wie immer unerreichbar, der Kern des medizinischen Problems quasi in Sherlock-Holmes-Manier komplett aufgeklärt – und bei der Frage, was man nun tun sollte, die Antwort:
„Gar nichts. Der Patient stirbt. Wir können nicht das Geringste tun.“

Kassandra
2 Tage her
Antworten an  Micci

Ja. Wobei Danisch genau zu der letzten Erkenntnis auch bereits lange kam.

Wilhelm Roepke
2 Tage her

Der Autor irrt. Die Mehrheit der Bürger mag keine Freiheiten und liebt den bevormundenden Staat und derartige Politiker. Und genau deshalb erhalten solche Politiker stabile Mehrheiten.

Karamba
2 Tage her

Als älterer Mensch habe ich schon viele Politiker und Regierungen kommen und gehen sehen. Ein fataler Prozess, der uns schon seit Beginn der Merkel-Zeit begleitet, verfestigt sich immer mehr: Die Politik ist nicht (mehr) in der Lage zu gestalten, es wird nur noch verwaltet. Es fehlen klare Entwicklungslinien, es fehlen Zukunftsvisionen. In der Politik regiert allein die Beamtenmentalität. Ich bin gespannt, wann zum ersten Mal im Bundestag die altbewährten Ärmelschoner ausgegeben werden, die schonen auch beim Handy-Spielen die Kleidung der Abgeordneten.

Martin Mueller
2 Tage her

Die Frage ist auch, wie weit geht diese Koalition – verrät sie nicht nur den Wähler, sondern auch die eigene Kultur, das eigene Volk und das eigene Land?

Ich denke, bei diesen derzeitigen politischen Gestalten ist das alles möglich…

Diese Leute lösen keines der großen Probleme, ganz im Gegenteil. Denn dazu gehört politische Intelligenz, Rückgrat und Mut.

Schulden machen ist die Kunst der Loser.
Das kann der Dümmste…

Kassandra
2 Tage her
Antworten an  Martin Mueller

Aber Sie sehen doch mit eigenen Augen, dass das alles lange geschieht?
Unübersehbar, seit Merkel die Grenzen offen ließ…

Franck Royale
2 Tage her

Kurzum: die „parlamentarische Demokratie“ in Deutschland ist gescheitert und sollte reformiert oder ersetzt werden – egal ob durch das bewährte US-Modell oder eine moderne Monarchie. Hauptsache nicht mehr diese seit 20 Jahren vorherrschende deutsche Kakistokratie.

Jens Frisch
2 Tage her

„Ordnungs- und Regelungswahn sind der Gendefekt der Deutschen.“
Ich habe einmal die Theorie gehört, wonach der Deutsche Untertanengeist sich im 30 -jährigen Krieg entwickelt haben soll und via Vererbung an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben worden sein soll. Nach 30 Jahren Chaos und Anarchie sei unseren Vorfahren jede, wirklich jede Ordnung lieber als gar keine.

Armin Reichert
2 Tage her
Alf
2 Tage her

Die Bürger haben guten Grund, diesen Staat als Bedrohung zu empfinden?
Wie könnte den die „fundamentale Fehlorientierung der deutschen Politik“ geändert werden?
Weitere Verhandlungsrunden mit Politdarstellern werden daran nichts ändern.
Müssen wir uns monatelang mit diesem orchstrierten Unsinn („Ringen“) bespaßen lassen?
Oder gilt für die ganze Politik
„Wenn es ernst wird, muss man lügen“?