Kirchenasyl: Amtskirchen ignorieren Gesetze

Immer mehr ausreisepflichtige Migranten finden in Kirchen Unterschlupf – vor allem im großen Nordrhein-Westfalen. Gerechtfertigt wird das mit „besonderen humanitären Härten“. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerspricht: Um Härtefälle geht es praktisch nie.

picture alliance / epd-bild | Hans-Juergen Bauer

Immer öfter verhindern Kirchengemeinden die Abschiebung illegaler Migranten. Von knapp 130 gemeldeten Fällen im Jahr 2020 ging es in den Folgejahren stetig aufwärts: 245 Fälle im Jahr 2021, dann gut 390 Fälle im Jahr 2022. Zuletzt waren es mehr als 590 Fälle im Jahr 2023, Tendenz klar steigend.

Um das sogenannte Kirchenasyl hat sich eine ganze Industrie gebildet. Das „Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V.“ zum Beispiel organisiert die Umgehung der geltenden Gesetze professionell: mit zwei Geschäftsstellen in Köln und Münster, wöchentlichen Sprechstunden, einem vierköpfigen Vorstand und einem separaten „Arbeitsausschuss“.

Auch bundesweit vermitteln ganze Gruppen von Unterstützern Räumlichkeiten, in denen Kirchengemeinden Personen unterbringen, die sich illegal bei uns aufhalten. Meist ist es das Gemeindehaus, manchmal aber auch eine extra zu diesem Zweck angemietete Immobilie.

Auch insgesamt gehen die Zahlen steil nach oben. Im Jahr 2022 gab es in der gesamten Bundesrepublik offiziell 1.243 gemeldete Fälle von Kirchenasyl. 2023 waren es dann schon 2.065 Fälle. Und allein von Januar bis Oktober 2024 gab es jetzt mehr als 2.540 Fälle.

Es gibt kein Gesetz, das Kirchengemeinden erlauben würde, ausreisepflichtige Migranten dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Kirchenasyl hat also keine Rechtsgrundlage. Der Staat könnte jederzeit die rechtswidrig beherbergten Migranten abholen und regulär abschieben.

Das passiert aber nur äußerst selten.

Dabei betrafen 99 Prozent der Kirchenasyl-Fälle zwischen Januar und Oktober 2024 sogenannte Dublin-Verfahren. Nach dieser Regelung wird jeder Asylantrag, der auf dem Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats gestellt wird, juristisch nur durch diesen Staat geprüft und entschieden.

99 Prozent der Profiteure von Kirchenasyl waren also schon in einem anderen EU-Staat als Asylbewerber abgelehnt worden, zogen dann aber weiter nach Deutschland und beantragten hier einfach noch einmal Asyl. Entsprechend sollten die meisten Menschen im Kirchenasyl nach Bulgarien abgeschoben werden, weil sie schon dort einen – erfolglosen – Asylantrag gestellt hatten. Es folgen Kroatien und Rumänien.

Ganze 35 Fälle betrafen nicht das Dublin-Verfahren.

Das freilich ficht die Aktivisten nicht an. Sie rechtfertigen ihren massenhaften Rechtsbruch moralisch: „Abschiebungen würdigen die humanitäre Situation des Menschen nicht“, sagt zum Beispiel der Theologe und Migrationsaktivist Benedikt Kern in der „Rheinischen Post“. Betroffenen drohe ja die Trennung von Angehörigen in Deutschland. Und wenn sie nach den Dublin-Regeln in andere EU-Staaten abgeschoben werden, sei ihre Lage dort schlecht.

Nicht ganz überraschend schlägt sich die grüne NRW-Integrationsministerin Josefine Paul auf die Seite der Aktivisten: „Das Kirchenasyl ist ein wichtiges Instrument bei besonderen humanitären Härten“, lässt sie wissen. Es sollte dazu führen, dass die betroffenen Einzelfälle noch einmal genauer untersucht werden.

Dem widerspricht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vehement: „Tatsächliche Härtefälle (werden) in der Regel bereits im Rahmen des Dublin-Verfahrens identifiziert.“ Bei den allermeisten Fällen von Kirchenasyl könne von „besonderer Härte“ gar keine Rede sein. Von Januar bis Ende Oktober 2024 hat das BAMF folgerichtig auch deutschlandweit keine einzige Abschiebungsanordnung gegen Menschen in Kirchenasyl zurückgenommen.

Doch die kirchlichen Migrationsaktivisten – mit Rückendeckung der Amtskirchen – ignorieren das einfach. 2023 wurde nur ein (1) Prozent aller Fälle von Kirchenasyl trotz Aufforderung durch das BAMF beendet. „Im Zeitraum Januar bis Oktober 2024 waren es null Prozent“, erklärt das Amt nüchtern.

Die Aktivisten sitzen am längeren Hebel, denn für Rückführungen nach dem Dublin-Verfahren gelten knappe Fristen. Wenn es einem illegalen Migranten gelingt, diese Zeit im Kirchenasyl zu „überwintern“, kann er fast immer mindestens vorläufig in Deutschland bleiben.

Das Kirchenasyl hebelt also systematisch den Rechtsstaat aus. Aber was sind schon Gesetze, wenn es um Moral geht?

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