Kickls mögliche Kanzlerschaft führt zur preußischen Kernschmelze

In Deutschland kann man Fassungslosigkeit fassen – jedenfalls dann, wenn im Ausland mal wieder die Politik etwas tut, was einem nicht gefällt. Mit Kickls möglicher FPÖ-Regierung wächst die Angst, dass die deutsche Brandmauer bricht. Politiker sehen „Warnsignale“, Journalisten erklären, warum uns das „Angst“ machen soll.

IMAGO

Ein selbsternannter „Bündniskanzler“ lässt sein Bild monumental auf dem Münchener Siegestor ablichten, mit einem Zweiklang als Slogan, der als Dreiklang sicherlich unangenehme historische Erfahrungen geweckt hätte. Ganz Deutschland zetert. Nicht über den Robert-Habeck-Kult, sondern über die schrecklichen Zustände im kleinen Nachbarland Österreich. Wie schon im Falle Argentiniens, Polens, Ungarns, Italiens, der Niederlande und der USA ist man für den mittlerweile zum Rammbock angewachsenen Balken blind geworden.

Da ist es auch nicht verwunderlich, wenn ausgerechnet Habeck, der in seiner Messias-Rolle eigentlich zum bedenkenswertesten Kandidaten in diesem politischen Wahlkampf avanciert ist, sich folgendermaßen über die Zustände in Wien auslässt: „Österreich ist ein Beispiel, wie es nicht laufen darf. Wenn die Parteien der Mitte nicht bündnisfähig sind und Kompromisse als Teufelszeug abtun, hilft das den Radikalen.“

Für die Union ordnete Alexander Dobrindt das Geschehen ein: „Wenn die Polarisierung im Land voranschreitet, dann werden die radikalen Parteien einfach weiter zunehmen, und das gilt es in Deutschland genau zu verhindern.“ Österreich sei ein „Warnsignal“, wobei der CSU-Politiker namentlich die Grünen als Ursache identifizierte. „Übrigens auch da sieht man, dass in der Vergangenheit die Grünen maßgeblich in der Regierung mit beteiligt waren und verhindert haben, dass in Migrationsfragen andere Lösungen entwickelt werden, dass die Migrationsfrage vom Kopf auf die Füße wieder gestellt wird.“

Deutsche Politiker nutzen also die österreichischen Verhältnisse aus, um in ihrem Sinne die Wiener Vorgänge zu interpretieren. Wenn Habeck von Kompromissen spricht, dann waren es bisher auch stets die Kompromisse der Anderen; diese Selbstherrlichkeit hat Dobrindt nicht zu Unrecht bei der Migrationsfrage aufgespießt. Damit bleibt die Debatte jedoch weiterhin auf einem provinziellen Niveau, wie es in Politik wie Medien üblich ist, wenn es um die Welt außerhalb Deutschlands geht. Außen- und Europapolitik wird immer nur dann relevant, wenn die Rechnung auf dem Teller der Deutschen liegt, oder im Zuge von Massenmigration anklopft.

Denn das, was derzeit zwischen den Wiener Tapeten der Macht geschieht, ist einerseits Teil einer längerfristigen Entwicklung, teils ein Ausstrahlen auf Deutschland. Die FPÖ ist nicht seit jüngster Zeit ein Machtfaktor in Österreich: Sie war an Koalitionen auf Bundesebene beteiligt und hat Landeshauptmänner auf Landesebene gestellt. Sie hat Ausgrenzung erlebt, allerdings niemals dieselbe Brandmauerstrategie, die sie wie die AfD von jeglichem Amt ferngehalten hätte. Die mögliche Kanzlerschaft Herbert Kickls ist dennoch ein Novum, weil sie es bisher nicht bis an die Spitze geschafft hat.

Letztere Entwicklung mag der Albtraum für manche Linke und Zentristen sein. Sie ist aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Österreich eine zwingende Entwicklung, wenn sich die übrigen Parteien nicht gegen die erdrückende Zahl der FPÖ-Abgeordneten und der hinter ihnen stehenden Wähler verbünden können. In Österreich ist daher nicht so sehr die Brandmauer denn vielmehr die nationale Front gescheitert. Während die CDU mit der Linkspartei flirtet und in Thüringen mit dem BSW koaliert, waren die abenteuerlichen deutschen Farbkombinationen dem österreichischen Gusto dann doch etwas zu experimentell. In der Hinsicht erscheint die FPÖ als tonangebende Mehrheitspartei, die auch den Kanzler stellt, beinahe konservativ.

Österreich fügt sich demnach in den Trend. Der Ausblick ist aber das, was Parteipolitikern und Medien in Deutschland so zu schaffen macht. Die FPÖ dürfte als AfD-Pendant nicht den Kanzler, nicht die Regierung stellen; im Grunde sollte sie gar nicht existieren. Für zahlreiche, insbesondere grüne Anhänger, aber auch Christdemokraten, erscheint die Vorstellung, dass die AfD nur ein höheres Bürgermeisteramt einnehmen könnte als unvorstellbar.

Diese Verdrängungsstrategie hat sich paradoxerweise als Lebenselixier der AfD herausgestellt. Weil die übrigen Parteien die Nationalfront üben, haben sie damit indirekt ein Zweiparteiensystem geschaffen: die AfD und die Nicht-AfD-Parteien. Damit ist die AfD tatsächlich entsprechend ihrem Parteinamen für viele Bürger das Bekenntnis gegen die Regierung geworden, weil Friedrich Merz mit den Grünen liebäugelt. Wen muss man wählen, wenn man die Grünen nicht in der Regierung haben will? Das BSW hat in wenigen Monaten seine Unschuld verloren.

Politische oder mediale Korrekturen wird es nicht geben. Der Bunker ist schalldicht geworden, und so wird die AfD bei der Wahl wahrscheinlich näher an den 30 Prozent denn an 10 Prozent stehen. Auch in der Österreich-Betrachtung leisten die Parteien und Medien dieser Entwicklung Vorschub: Indem sie Hitlers Wiederkehr in Kickls Gestalt suggerieren, werden die Bundesbürger vergleichen können, ob Österreich in einem Monat noch besteht oder nicht. Wie beim Brexit schreiben Journalisten Katastrophenszenarien so hoch, dass sie nicht erfüllbar sind; wenn die Maximalkatastrophe ausbleibt, sind sie der Lüge überführt. Die Gegenseite erscheint dann ohne Zutun glaubwürdiger.

Der Bild-Journalist Paul Ronzheimer warnt: „Was in Österreich passiert, muss uns Angst machen“. Dass der von der Bild bejubelte Sebastian Kurz nur mit dem FPÖ-Stützrad zur Macht kam, hat man längst vergessen. Angst machen immer nur die anderen, nicht heimische Medien und heimische Politiker. Den AfD-Wählern wird unterstellt, sie hätten Angst vor Veränderung; Angst haben aber insbesondere auch jene Vertreter der kulturellen Hegemonie, dass ihre im gesamten Westen bröckelnde Herrschaft nicht nur eine vorübergehende Erscheinung ist.

Dass der größte Populist Deutschlands eine öffentliche Leinwand auf historischen Triumphbögen erhält, gehört zu den bemerkenswertesten Vorgängen im Nachfolgerstaat Preußens. Hugo von Hoffmannsthal hat nicht zu Unrecht konstatiert, dass dort, wo beim Österreicher die Selbstironie sitzt, beim Preußen das Selbstgefühl dominiert. Letzteres ist fragil geworden. Welche Regierung in diesem Jahr auch immer das Ruder übernimmt: sie wird sich in einem veränderten Europa wiederfinden, in dem ein geschwächtes Deutschland händeringend nach Verbündeten sucht.

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Kommentare ( 40 )

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Raul Gutmann
11 Stunden her

Den AfD-Wählern wird unterstellt, sie hätten Angst vor Veränderung

Läßt sich der Widersinn jener Aussage angesichts des irrationalen Transformationswillens der „woken“ Globalisten auch nur ansatzweise übertreffen?
Eine nur geringfügige Stufe kleiner ist der beliebte Vorwurf in Form einer Projektion: die AfD-Wähler wollten eine andere Republik.
Erstens sind es die „woken“ Globalisten, die Deutschland derart verändern, daß zunehmend von einem failed state die Rede ist. Wenn man die 50er/60er Jahre bildhaft aufruft, drängt sich zweites das Geständnis auf: Ja, das gegenwärtige Deutschland ist nicht das, was uns nützt oder erfreut. Das Deutschland besagter Dekaden war wesentlich lebenswerter.

bfwied
12 Stunden her

Wieso wird eigentlich die Werteunion immer, auch hier, weggelassen. Maassen hat doch vollkommen recht mit dem, was er sagt. Und die AfD sollte auch hier nicht immer mit abwertenden Adjektiven genannt werden. Befremdlich.

November Man
12 Stunden her

Die liberal demokratische AfD hat noch eine langen, weiten und steinigen Weg bis zu einer erfolgreichen Regierung vor sich. Aber sie wird es schaffen. Man muss nur warten können.
Lange kann sich das linksextremistische Kartell nicht mehr an der Macht halten. Die positiven Vorgänge in Österreich sollten uns allen Hoffnung geben und aufzeigen wie es richtig geht.   

siebenlauter
13 Stunden her

Bündniskanzler passt schon. Wer sich mit der Herkunft und Semantik des Begriffs Faschismus bekannt gemacht hat, wird dem wohl zustimmen.
Nur scheinen die Deutschen doch allmählich zu begreifen, dass wir das – auch in grün – nie wieder brauchen.

mojo33
13 Stunden her

Nun ist Österreich also ein Warnsignal. Vor einigen Jahren bei der Impflichtdebatte konnten wir gar nicht österreichisch genug sein.

Karlito
13 Stunden her

Wie der Ende des Virenwahns verspätet in Deutschland einkehrte, wird es den Bolschewoken ergehen. Unvergessen Lauterbachs verschärfte Masken- und Spritzenpflichten vom Herbst 2022, die schlicht nicht mehr durchsetzbar waren. In Deutschland bestimmt die Politik nicht die Realitäten, sondern die Realitäten überholen die Politik.

Wir sollten daher gespannt sein, welche Änderungen Kickl in Österreich wird umsetzen können. Wenn ihm eine Wende gelingt, die Österreichs Wohlstand in den nächsten 20 Jahren sichert, wäre dies prinzipiell auch bei uns möglich. Aber ich glaube nicht recht daran.

norbertb783
13 Stunden her

Es ist/wäre doch für die Altparteien so einfach: Sie müßten nur eine vernünftige Politk für die Bürger machen – und schon wäre die AfD Geschichte. Wenn sie es nicht tun, dann sind die Altparteien irgendwann (hoffentlich sehr bald) Geschichte!.
Insofern habe ich mich über die Wahl vonTrump gefreut und würde mich freuen wenn Kickl der nächste österreichische Bundeskanzler werden würde, dann kann er zeigen daß Politk auch anders machen kann.
Milei in Argentien zeigt daß es geht und daß es wirksam ist und das Volk trägt es mit.

Klaus Kabel
14 Stunden her

An die Grünen:

Selbstmächt’ger Bösewicht und Sünder
Ich hasse Dich und Deine Brut –
Dein Untergang, der Deiner Kinder
Entflammt mein Aug’ zu froher Glut;
Auf Deiner Stirn gefurchtem Feld
Trägst Du als warnendes Exempel
Des Volksfluchs untilgbaren Stempel –
Du Vorwurf Gottes in der Welt!

„Ode an die Freiheit“ Alexander Puschin

Last edited 14 Stunden her by Klaus Kabel
Ohanse
14 Stunden her

„…nach Verbündeten sucht.“ Das wird unterhaltsam. Verbündete sein wollen können eigentlich nur die, denen es noch schlechter geht als Deutschland. Also die Franzosen. Aber was soll dabei dann noch herauskommen können? Zwei Todkranke ergeben keinen Gesunden. Und dann wird es auch schon sehr einsam. Niemand wird sich so einen Klotz ans Bein binden wollen.

Aegnor
14 Stunden her

Zwar ist der Norddeutsche Habeck ein Preuße wie er im Buche steht – fast schon eine Karikatur eines Preußen in seinem Streber- und Spießertum. Aber der arme angestrahlte Triumphbogen steht immer noch in München, wo man es sich verbittet als „Nachfolgestaat Preußens“ beleidigt zu werden.