Für Kevin Kühnert öffnet sich der Weg zur Macht

Norbert Walter-Borjans will nicht mehr für den SPD-Parteivorsitz kandidieren. Damit bietet sich Kevin Kühnert eine entscheidende Chance. Er könnte die Politik der zukünftigen Ampel maßgeblich beeinflussen – und ihr den linken Stempel der Jusos aufdrücken.

IMAGO / Political-Moments
Kevin Kühnert und Olaf Scholz während des Bundestagswahlkampfs, August 2021

Mission accomplished? Das ist der Eindruck, den Norbert Walter-Borjans erwecken will. Schon bei seiner Wahl zum Co-Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie hatte er angekündigt, dass er kein weiteres Amt anstrebe. Im Dezember 2019 war die Partei an einem Tiefpunkt ihrer Geschichte angelangt – wie so oft bei der Übernahme eines neuen SPD-Vorsitzenden. Doch nicht nur der überraschende Wiederaufstieg der Sozialdemokraten ereignete sich unter seiner Ägide – ob dieser Phönixflug auf „NoWaBo“ zurückzuführen ist, steht dabei auf einem anderen Blatt. Walter-Borjans gehört zu den wenigen Parteivorsitzenden der jüngeren SPD-Vergangenheit, der weder aus dem Amt gejagt wurde noch verzweifelt aufgab. Wenn so ein Erfolg als SPD-Chef aussieht, dann hat ihn der 69 Jahre alte Politrentner tatsächlich errungen – und kann sich nun einen ruhigen Lebensabend gönnen. Die Ankündigung, nicht mehr als SPD-Vorsitzender zu kandidieren, ist daher keine große Überraschung.

Den Großteil der Medien beschäftigt dieser Fall, weil Cincinnatus-Momente in einer Republik, die 16 Jahre lang von derselben Person regiert wurde, selten geworden sind. Da verabschiedet sich tatsächlich einer, der sagt: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen. Reihenweise liest man Artikel über diesen selten gewordenen, würdigen Abgang eines Politikers. Dabei scheint kaum jemand die wahre Dimension dessen zu begreifen, was sich andeutet. Walter-Borjans’ Abgang war bereits klar, als er eingesetzt wurde. Und niemand hat das besser gewusst als sein Steigbügelhalter Kevin Kühnert.

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Man mag darüber lächeln, wenn Kühnert von den etablierten Medien zum größten politischen Nachwuchstalent der gegenwärtigen Bundesrepublik gekürt wird. Aber darin steckt eine Menge Wahrheit. Keine Partei, weder in der künftigen Regierung noch in der Opposition, verfügt über einen jungen Politiker in dieser Machtposition und ist so gut vernetzt – das gilt von der Linken bis hin zur AfD. Es gibt keinen Anti-Kevin. Kühnert möchte die Vermögenssteuer wieder einführen, spricht Kollektivierung und Enteignung das Wort, fordert die Vergemeinschaftung von Gewinnen – und stellt den Sinn von Eigentum insgesamt infrage.

Doch Kühnert gehört nicht zum Typus des schlafwandelnden Utopisten, wie er bei den Grünen weit verbreitet ist. Kühnert ist ein mit allen Wassern gewaschener Sozialist, ein gewiefter Stratege und mit einem unheimlichen Instinkt für die Macht gesegnet. Das macht ihn deutlich gefährlicher als die verschrobenen roten Ideologen im Schlafwagenabteil. Kühnert ist zwar nicht der Lokomotivführer, aber steht in der strategischen Position des Heizers, der Kohle für den SPD-Zug nachschaufelt – oder nicht.

Kühnert hat sich geschickt in diese Position manövriert. Angefangen mit seinem Kampf gegen eine Erneuerung der Großen Koalition 2017/2018 gewann er nicht nur innerparteiliche, sondern auch öffentliche Beachtung wie lange kein Juso-Chef vor ihm. Das Scheitern des Votums beflügelte seinen Aufstieg, statt ihn zu besiegeln. 2019 ließ er sich mit einem der besten Ergebnisse der Geschichte der Jusos wiederwählen – und verkündete zügig, dass er bei der nächsten Wahl nicht zur Verfügung stünde. Lange vorab plante er den Aufstieg auf Bundesebene. Dass er in den laufenden Koalitionsverhandlungen als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Arbeit und Wohnen“ agiert, ist ein Ritterschlag – und eine Anerkennung seiner Position. 49 Jusos sitzen im neuen Bundestag. Eine inoffizielle Kühnert-Fraktion in der Fraktion. Und damit ein Hebel, den Kühnert innerparteilich wie auf Ampel-Ebene genüsslich ziehen kann.

Der nächste Wohnungsbauminister?
Kühnert im SPD-Vorstand für Immobilien zuständig
Womöglich wird Kühnert aus taktischen Gründen kein Ministeramt  anstreben. Klar ist: Die ideologisch gewollte Verjüngung der Partei soll und muss fortgesetzt werden. Ein nächster SPD-Parteichef wird nicht aus der Rentnerloge stammen. Der Name Lars Klingbeil kursiert. Der eigentliche Drahtzieher des SPD-Wahlerfolgs erscheint als naheliegende Option. Doch Klingbeil gilt als Ministerkandidat. Ein Kanzler mit einem SPD-Chef im Kabinett? Ungewöhnlich. Kühnert könnte es recht sein, sich in den Koalitionsverhandlungen teuer zu verkaufen und anschließend selbst an die SPD-Spitze streben. Stellvertretender Vorsitzender ist er bereits. Und er bietet sich der Parteilinken als mächtiger „Anti-Scholz“ an, der die Interessen der Ideologen wirkmächtig gegenüber dem künftigen Kanzler vertreten kann. Dieses Potenzial bietet kein anderer SPD-Vorsitzender.

Zudem könnte Kühnert als Aushängeschild der SPD-Linken Brücken zum grünen Koalitionskollegen schlagen: ob Miete und Wohnen, Geschlechteridentität, Klimaschutz oder Massenmigration. In seiner Zeit als Juso-Chef hatte die SPD-Jugendorganisation den Klimaschutz zum zentralen Thema gekürt. Kühnert ist außerdem gegen eine „Militarisierung“ der Außengrenzen, bezeichnete die Anlage von Ankerzentren als „Kasernierung“. Gegen Darstellungen wie einen möglichen Kontrollverlust an den Grenzen wehrte sich Kühnert, das sei falsch und führe „in die Irre“. Es wird sich zeigen, wie ernst es der offen homosexuell lebende Kühnert mit seinem Appell gegenüber Linken und Linksliberalen meint, man müsse das „Schweigen“ über den Islamismus beenden.

Der NDR agitiert mit Polit-Kitsch
Sankt Kevin, der Held
Die sechsteilige NDR-Dokumentation über „Kevin Kühnert und die SPD“ kann als Meisterstück ikonographischer Art betrachtet werden. Doch sie enthält Wahrheiten, ähnlich wie der Spruch vom „Nachwuchstalent“. Eine Wahrheit sollten Freunde wie Feinde Kühnerts kennen. Sie betrifft das Verhältnis zwischen Kühnert und Scholz. Aus seiner Aversion gegen den damaligen Finanzminister macht der Berliner in der Doku zuerst kein Geheimnis. Als Scholz für den Parteivorsitz kandidiert, „freut“ sich Kühnert: der sei „etwas Unverwechselbares“. In Wirklichkeit lanciert Kühnert das Duo aus Esken und Walter-Borjans. Es sind Attrappen, um Scholz zu verhindern. Der kentert. Und Kühnert wartet, bis eine der Attrappen fällt. Der Zeitpunkt ist jetzt erreicht. Macht Kühnert jetzt den letzten Schritt – den Griff nach der Macht?

Aber auch das ist ein Zeichen von Herrschaft: nicht gezwungen sein, jeden Schritt zu tun. Anders als der sklerotische Rest des SPD-Apparats hat Kühnert Zeit. Er ist jung, er hat seine Möglichkeiten. Er kann warten, bis sich andere verbrennen. Das kommt alles sehr bekannt vor. Der gelehrigste Schüler der Kanzlerin ist ein ehemaliger Juso-Chef.

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Kommentare ( 28 )

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Takeda
3 Jahre her

Nun, ich denke wirklich überrascht muss man nicht sein. Es war von Anfang an klar, das Scholz nur eine Marionette sein wird. Ähnlich wie bei Biden, der öffentlich einen seriösen, ja, vielleicht sogar einen kleinen konservativen Eindruck erwecken soll, ziehen im Hintergrund eher antidemokratische Kräfte als Strippenzieher die Fäden. Wie bei Kretschmann oder Ramelow, um mal lediglich zwei zu nennen, ist der Schein mehr als sein. Wobei ich glaube, das Scholz keine direkte Linksextreme „Vergangenheit“ hat. Aber er ist der G20-Versager von Hamburg, als Linksextreme Terroristen bürgerkriegsähnlich Hamburg terrorisierten. Cumex und Wirecard sei noch nebenbei erwähnt. Aber wir Deutschen haben… Mehr

Wenzel Dashington
3 Jahre her

Kevin Kühnert, ist das Der mit der antrainierten Eloquenz, der bisher Nichts zum Wohlstand dieses Landes beigetragen hat und nun diesen Wohlstand großzügig verteilen will?

Evero
3 Jahre her

Die Kühnerts sind das Problem. Sie waren und sind nie Teil der Lösung.
Ich erinnere nur daran, dass nicht die FDP letztlich die sozialliberale Koalition von Helmut Schmidt gekippt hat, sondern die linken Abweichler in der SPD.
Dieses Schicksal könnte auch einen Kanzler Scholz ereilen.
Sozialdemokraten sind bürgerlich. Sozialisten sind antibürgerlich.

Last edited 3 Jahre her by Evero
HavemannmitMerkelBesuch
3 Jahre her

Ich kann diesen ganzen Wust politischer Ränke, Intrigen und Machtspielchen gar nicht mehr ertragen. Diese ewige SPD mit dem ewigen Hang zum Untertan roter autoritärer Gesellschaften ist mit einem solchen „nicht weniger Aparatschik als alle anderen „Funktionäre““ wie schon immer in ihrer Geschichte nicht anders als sie je war. Demokratie oder gar Basisdemokratie hätte solche kindische NDR Jubel- und Klatschpropaganda-Orgie nie nötig gehabt, sie ist Ausdruck, das hier wie immer wieder nur stramme steife Politkommissare die auf Linie, Gesinnung und Haltung von klein auf Gretaisiert wurden, zur Macht geschrieben werden. Demokratie zeichnete sich, als sie wirkte und noch nicht ihrer… Mehr

Thorsten Lehr
3 Jahre her

Herr Kühnert ist symptomatisch für den Zustand der politischen Klasse in diesem Land und erinnert mich fatal an die lächerlichen Gestalten im Politbüro der zusammenbrechenden DDR 1.0. Diese Person hat in ihrem kurzen Leben nicht von Wert auf die Beine gestellt und kaum mit eigener Hände Arbeit den eigenen Lebensunterhalt verdient aber will anderen sagen wie‘s geht. Wenn der Sozialismus wirklich die Ideologie der Erfolglosen, Faulen und Neidischen ist, dann ist Kevin Kühnert die ideale Verkörperung dieser. Es hat aber auch sein Gutes, mit solchen Personen in der Regierung kommt der Zusammenbruch umso schneller und die Überlebenden können neu anfangen.

Evero
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten Lehr

Im politischen Geschäft muss man nichts kõnnen. Man muss nur zur rechten Zeit am richtigen Platz sein. Zum Beweis der These gibt es genügend aktuelle Beispiele.

Judith Panther
3 Jahre her

Kühnert ist schon als Kommunistenkader auf die Welt gekommen, das verrät sein gesamter Habitus. Er gehört von seiner wahren Gesinnung her genau so wenig zur SPD, wie Hell´s Angie zur CDU gehört. Diese Spezies geht aus dem gleichen Grund in die Politik, wie ein Bankräuber in die Bank und ein Pädophiler in die KiTa. A.M. ist die linkeste Krähe, die sich je bei den Schwarzen ins Nest gesetzt und allen anderen die Augen ausgehackt hat. SED mit ganzem Herzen und ganzer Seele: Herz aus Granit, Seele aus Senfgas. Beide, die Mao-Matrone und der Stalinist, sind zwar so links, daß sie schon… Mehr

Iso
3 Jahre her

Das wird bestimmt bald Christians bester Kumpel, und in FDP Kreisen ist man schließlich auch nach allen Seiten offen. Da kann er schon mal üben sich tiefer zu bücken, was ein ziemlich würdeloses Schauspiel ist. Jeder blamiert sich halt so gut er kann. Weiter so, ich hab´s erwartet, und bin nicht enttäuscht.

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Kühnert ist deswegen so gefährlich, weil er keine Kinder hat und wohl auch keine mehr kriegen wird. Solche Leute können alles riskieren, auch „nach mir die Sintflut“.

Beispiele erspare ich mir, Angela Merkel reicht als Prototyp.

Milton Friedman
3 Jahre her

Ja und nein. Ja: Als Sohn zweier Verwaltungsbeamten sich als Jean D‘Arc der Arbeiterklasse zu sehen ist ein Indiz psychischer Störung. Und psychische Störungen sind gut für den Machtwillen, aber u.U. sehr schlecht für die Gesellschaft. Nein: Wenn Kühnert wirklich Macht versteht, muss er wissen, was die größte Gefahr für seine Machtbasis (die SPD) ist: Die Grünen. Die Grünen sind das neue Links und so lange sich die SPD davon nicht distanziert, sondern imitiert, wird sie unweigerlich untergehen. Und so wie Kühnert sich seit Jahren äußert, will er imitieren. Ein Parteivorsitz bringt Kühnert gar nichts, wenn die Partei aus den… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Milton Friedman
jorgos48
3 Jahre her
Antworten an  Milton Friedman

Die Basis der SPD in der Arbeiterschaft ist immer noch vorhanden. Sollte sich der Klimazirkus als große Theaterkulisse herausstellen und die Energie Versorgung zB im Winter zusammenbrechen, wird der Grüne Traum in der Bevölkerung sehr schnell ausgeträumt sein. Die kalte Wohnung und der teure Sprit machen dem Ökoidealismus ganz schnell den Garaus. Ob die traditionellen SPD Wähler einer Politik nach Kühnerts Vorstellungen die Treue halten wenn die Deindustrialisierung die Arbeitsplätze vernichtet und der Zustrom von Migranten weiter anhält, das ist sehr fraglich. Bezahlen muss all das der Otto Normalverbraucher mit seinen Steuern und Abgaben. Das kann ganz schön weh tun.

Milton Friedman
3 Jahre her
Antworten an  jorgos48

Das mit der Basis sehe ich auch so, würde es jedoch eher als Liebesbedürfnis auffassen, welches vor jeder Wahl auf der Suche nach Erwiderung geht. In der alten SPD war das einfach gefunden. Heute, als Grüne-in-Schlecht, hat sich die Partei geviertelt in den Umfragewerten. Diese Arbeiterschaft ist auch nicht mehr klar umrissen wie 1890. Es gibt auch keine Arbeiterviertel mehr, nur noch Problemviertel. „Arbeiterkinder“ die ihre Arbeiterherkunft stolz ins Twitterprofil schreiben, aber für sich Handwerk oder Berufsausbildung kategorisch ausschließen, die Arbeit verabscheuen. Die Arbeiterklasse von damals ist tot. Das einzige Verbindende der Arbeiterschaft ist der Mangel an Zeit, bei 38-40h,… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Milton Friedman
Klaus Kabel
3 Jahre her

Ich zitiere den französischen Philosophen Andre
Glucksmann: „Den Vollidioten erkennt man eben daran, daß er durch nichts aus der Fassung zu bringen ist. Er ist stets bereit, sich über das eine Meinung zu bilden, was er nicht versteht, und unfehlbar über das zu urteilen, was er nicht weiß“.
Ich weiß gar nicht, warum mir ausgerechnet bei Kevin dieses Zitat einfällt.