Durch Kapitalaufzehrung sinken die Produktivität und das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotential und damit die Möglichkeiten für Reallohnsteigerungen. Aber für die Bedienung von Sonderinteressen wird immer wieder was anderes behauptet. Von Norbert F. Tofall
Sowohl die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris als auch der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington haben in den letzten Jahren Beiträge zum Verhältnis von Ungleichheit und Wirtschaftswachstum veröffentlicht. [1] Auf der Grundlage von empirischen ökonometrischen Analysen und sogenannten Simulationsrechnungen wird behauptet, dass Länder mit höherer Einkommensungleichheit ein geringeres Wirtschaftswachstum und kürzere Wachstumsphasen aufweisen würden als Länder mit geringerer Einkommensungleichheit.
Zwischen 1990 und 2010 hätte das Wirtschaftswachstum in Deutschland und anderen Ländern um ein Fünftel höher sein können, wenn sich in diesem Zeitraum die Einkommensungleichheit nicht erhöht hätte. Diese Analysen sind vielfach kritisiert worden, [2] weshalb der behauptete Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und Wirtschaftswachstum höchst strittig bleibt.
Einkommensungleichheit wirke als Wachstumshemmnis, weil der private Konsum geschwächt werde. Reiche konsumierten einen geringeren Anteil ihres Einkommens als Arme. Darüber hinaus verringerten sich die privaten Ausgaben für Bildung. Einkommensschwache Haushalte könnten weniger in Bildung investieren, was zu einer Schwächung des Humankapitals und zu einem geringeren gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotential führe. [3]
Aber Spaß beiseite: An der selektiven Fokussierung auf mögliche Wachstumstreiber zeigt sich, wie das Thema Ungleichheit in vielfältigen Bezügen als Vehikel genutzt werden kann, um in demokratischen Entscheidungsprozessen Sonderinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen durchzusetzen.
Nehmen wir zugunsten der Autoren dieser Studien und Simulationsrechnungen an, dass das gar nicht ihre Absicht ist. Auffällig bleibt dann trotzdem, dass im ersten Argumentationsstrang stillschweigend unterstellt wird, dass sich die Nachfrage nach Kapitalgütern (Investitionen) im Verhältnis zur Nachfrage nach Konsumgütern verändert. Man müsse also nur die Konsumnachfrage steigern, dann steigere sich auch die Nachfrage nach Kapitalgütern, also die Höhe der Investitionen, und dadurch das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotential.
Durch Kapitalaufzehrung sinken jedoch die Produktivität und das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotential und damit die Möglichkeiten für Reallohnsteigerungen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir uns aufgrund der Geld- und Niedrigzinspolitik der Zentralbanken seit 2007/2008 ohnehin bereits in einem Prozess der Kapitalaufzehrung mit der Folge geringerer Produktivität und geringerem Potentialwachstum befinden könnten. Die Investitionsschwäche in den westlichen Industrienationen sollte deshalb sehr ernst genommen werden.
Während es also durchaus Effekte der heutigen Geld- und Zinspolitik der Zentralbanken auf die Einkommensungleichheit und das Wirtschaftswachstum gibt, ist die Beziehung zwischen Ungleichheit und Wachstum höchst vage. Sicher ist jedoch, dass die Aussage „Ungleichheit wirkt als Wachstumshemmnis“ allein mit Blick auf die egalitäre Gesellschaft Nord-Koreas keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
[1] Siehe OECD: In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Paris 2015; Era Dabla-Norris; Kalpana Kochhar; Nujin Suphaphiphat; Frantisek Ricka; Evridiki Tsounta: “Causes and Consequences of Income Equality: A Global Perspektive”, in: IMF Staff Discussion Note 15 (13), Washington D.C. 2015; Federico Cingano: Trends in Income Inequality and its Impact on Economic Growth, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, No. 163, Paris 2014.
[2] Mit ausführlichem Literaturüberblick siehe Galina Kolev; Judith Niehues: The Inequality-Growth Relationship. An Empirical Reassessement, Working Paper Version; IW-Report 7/2016 sowie Martin Beznoska, Ralph Henger et al.: Faktencheck Gerechtigkeit und Verteilung: eine empirische Überprüfung wichtiger Stereotype, IW-Report 29/2016. Allgemein zur ökonomischen Entwicklung und Wachstum siehe Erich Weede: „Economic Development and Growth“, in: Masamichi Sasaki; Jack Goldstone; Ekkart Zimmermann; Stephen K. Sanderson (Ed.): Concise Encyclopedia of Comparative Sociology, Leiden, Boston 2014 sowie Erich Weede: „Wachstum und Verteilung in einer globalisierten Welt“, in: Tilman Mayer; Robert Meyer; Lazaros Miliopoulos; H.Peter Ohly, Erich Weede (Hrsg): Globalisierung im Fokus von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Bestandsaufnahme, gesis – Leipzig-Institut für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011.
[3] Vgl. René Bormann; Fedor Ruhose; Achim Tuger: Bekämpfung der Ungleichheit. Rückbesinnung auf den Kern sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO Direkt 16/2017, S. 2.
[4] Friedrich August von Hayek: Kapitalaufzehrung (1932), in: Friedrich A. von Hayek: Geld und Konjunktur, Band II: Schriften 1929 – 1969, herausgegeben von Hansjörg Klausinger, Tübingen 2016, S. 193 – 215, hier S. 199 – 200.
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Ja sicher. In Deutschland hat kommt die Arbeit immer an erster Stelle. Wenn die Industrie uneingeschränkte Mobilität verlangt dann hat sich der Arbeitnehmer selbstverständlich daran anzupassen. Ein eigenes Haus ist dann nur Ballast. Allerdings ging es ja um die Aufzehrung der Substanz bzw. die Frage warum die Deutschen durschnittlich so wenig Vermögen haben. Wer Jahrzehnte lang einen Teil seines Einkommens in die eigene Immobilie steckt anstatt den gleichen Bezraan den Vermieter zu überweisen, der hat eben am Ende mehr Vermögen. Ein Großteil der Deutschen tut dies eben nicht, bleibt ein Leben lang Mieter und gönnt sich dafür ab und an… Mehr
Deflationspolitik ist volkswirtschaftlicher Schwachsinn PUNKT.
mfg
„Durch Kapitalaufzehrung sinken die Produktivität und das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotential und damit die Möglichkeiten für Reallohnsteigerungen.“ ???
Ein Kommentar von mir, hier im Link als Leserbrief:
http://georgtsapereaude.blogspot.de/2014/10/saettigungseffekte.html
Würde für Ihren Kommentar gern 5 Punkte vergeben.
Verteilung von Mitte nach Oben und Unten.
Beispiel Mitte:Mutter Lohnsteuer 1 netto 1300,-
Unten Tochter (Eigene Wohnung, Ausbildung will Fachabitur machen)
Bafög 788,-+Kindergeld 192,- = 980,-€
Oben: günstige Arbeitskraft, hohe Staatsverschuldung..
Sprache ist Politik: Das Wort „Wirtschaftswachstum“ konstituiert sich durch das monetäre Wertmass und der summarischen Zusammenführung von Konten in denen das Wertmass gezählt wird. Wenn Sie die monetäre Echokammer verlassen und sich an die Differenzierung von Hr. K. Marx erinnern, unterscheiden Sie zwischen monetären Tauschwerten und überwiegend chemisch-physikalischen Gebrauchswerten. Beide Werte repräsentieren unterschiedliche Zahlenräume und Wachstumsvorstellungen. Beim Gebrauchswert kann es langfristig zwangsläufig zu Ungleichheit kommen, was an und für sich nur evolutionärer Entwicklungszustand aus dem Zusammenspiel der Wachstumsfaktoren von Raum und Zeit ist. Problematisch wird lediglich ein interevolutionäres Körper in Körper Raumproblem, was ohne Lösung zerstörerisch wirkt. Ich kann Ihnen… Mehr
„Da die Produzenten von Kapitalgütern keine Möglichkeit haben, ihre Nachfrage von Produktionsmitteln im Verhältnis zur Steigerung der Nachfrage nach Konsumgütern auszudehnen, muss diese eine Umleitung der Produktion in der Richtung jener Güter hervorrufen, die schnell fertiggestellt werden können. Das bedeutet jedoch nicht nur, dass die vorhandenen Arbeitskräfte nun anders verwendet werden, sondern auch, dass ein Teil der vorhandenen Zwischenprodukte auf kürzerem – und weniger ergiebigem – Weg der Konsumtion dienstbar gemacht wird, als ursprünglich beabsichtigt war, und ein Teil der aufgebrauchten Zwischenprodukte nicht mehr ersetzt wird.“ Das mag stimmen in den früheren Zeiten. Aber nicht mehr in Zeiten der globalen… Mehr
China ist ein treffenderes Beispiel als Nordkorea. Hohe Investitionsquote, steigende Produktivität, hohe Einkommensungleichheit, realtiv hohe Einkommenszuwächse aller Lohngruppen. Deutschland: Niedrige Investitionsquote, die letzten Jahre stagnierendes Produktivitätswachstum, niedriger Lohnzuwachs, niedrige Einkommensungleichheit. Das steigende BIP ergab sich aus der sinkenden Arbeitslosigkeit aber nicht aus steigender Produktivität. Bedenkliche Entwicklung, vor allem im Zusammenhang mit den hohen Kapitalablüssen/Auslandsinvestitionen. Lange Zeit hatte China die höchste Reinvestitionsquote Weltweit, was m.e. einen wesentlich höheren Einfluss auf das Wirtschaftswachstum hatte, als niedrige Zinsen oder Helikoptergeld. Niedrige Zinsen führen eher zu Fehlallokationen und Kapitalmarktinflation, Helikoptergeld (eine vergleichbare Wirkung erhofft sich die Regierung möglicherweise aus der derzeitigen Migrationswelle, die bisher… Mehr