Tichys Einblick
Verharmlosung und Verschleierung

Judenhass auf der Documenta: Das Antisemitismus-Problem der Claudia Roth

Das Antisemitismus-Problem auf der Documenta war monatelang bekannt. Doch die zuständige Kulturstaatsministerin Roth deckte die Ausstellung bis zuletzt – weil dieser postkoloniale Antisemitismus so gar nicht ins woke Weltbild passt. Dieses eklatante Versagen ist ein Rücktrittsgrund.

IMAGO / Sven Simon

Claudia Roth war empört: Eine „klare Grenzüberschreitung“ sei das, sagte die Kulturstaatsministerin am Wochenende dem Interviewer der Süddeutschen Zeitung in einem Ton, den man vernehmen zu können glaubt, obwohl das Interview nur gedruckt wurde. Monatelang hatte die feuilletonistische Öffentlichkeit da bereits über das Antisemitismus-Problem bei der internationalen Kunstausstellung Documenta in Kassel diskutiert, die mit Staatsgeldern gefördert wird.

Schon im Januar hatte das „Bündnis gegen Antisemitismus Kassel“ Hintergründe dazu veröffentlicht und diese jüngst noch einmal dargelegt. Um die Ergebnisse kurz zusammenzufassen: Nicht wenigen Künstlern aus der ersten Reihe der Veranstaltung konnte eine überdeutliche Nähe zur antiisraelischen bis antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS und zum israelfeindlichen Lager nachgewiesen werden.

„Bis sich Israel auflöst“

So unterzeichneten mehrere Vertreter aus dem indonesischen Künstlerkollektiv „Ruangrupa“ erst im vergangenen Jahr einen „Letter Against Apartheid“ (Brief gegen Apartheid). Darin werden der „Kolonialmacht“ Israel neben „ethnischer Säuberung“ auch „Massaker“ in Gaza vorgeworfen. „Ruangrupa“ ist nicht irgendein Kollektiv auf der Documenta, sondern die Gruppe, die die Ausstellung in diesem Jahr kuratiert.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Ein anderes Beispiel betrifft den palästinensischen Künstler Yazan Khalili vom Kollektiv „The Question of Funding“. Khalili hatte 2014 in einem Interview Israel als „weiß-kolonial-europäisches Projekt“ bezeichnet. Die Boykottbewegung müsse Israel so lange boykottieren, „bis es sich selbst als jüdischen Staat auflöst“.

Zuletzt kam noch die Aufregung über die Bildserie des Palästinensers Mohammed Al Hawajiri hinzu. Diese trägt den Titel „Guernica Gaza“ und kombiniert welthistorische Gemälde, etwa von Picasso, mit Aktuellem aus Israel und den Palästinensergebieten. Heraus kommt dabei, dem Titel entsprechend, unter anderem ein Vergleich zwischen Guernica, einer spanischen Stadt, die 1937 von deutschen und italienischen Angreifern in Schutt und Asche gelegt wurde, und Gaza – und somit eine Gleichsetzung von Wehrmacht und israelischen Streitkräften.

Die Documenta lässt Roth sich nicht kaputt machen

Nun also intervenierte Roth im Süddeutsche-Zeitung-Interview mit deutlichen Worten, sprach von einer „klaren Grenzüberschreitung“. Endlich, mochte sich manch einer gedacht haben! Aber Halt! Die Staatsministerin aus dem Kanzleramt hatte gar nicht den Antisemitismus und die Israelfeindlichkeit bei der Documenta gemeint, sondern die Berichterstattung darüber. Dass nun von einer „Kunstmesse der Schande“ gesprochen werde, das sei „eine klare Grenzüberschreitung“.

Einige Tage zuvor hatte sie bereits in einem Spiegel-Interview triumphiert, die Ausstellung solle doch „auch ein Anlass zur Freude sein“. Sie werde nicht „als Kulturpolizistin den Daumen heben oder senken über einzelne Kunstwerke“. Und sowieso habe bei ihrem jüngsten Israel-Besuch keiner nach Problemen bei der Documenta gefragt.

Diese Probleme handelte Roth in der üblichen Phraseologie schnell ab, ohne konkret zu werden: „Antisemitismus und Rassismus (!) und andere Formen der Diskriminierung“ würden sich nicht mit dem Grundgesetz vertragen. Sorgen der Juden seien „sehr wichtig“ und sie nehme diese auch „sehr ernst“. Aber letztlich schien doch alles in Butter. Die Documenta, ein Höhepunkt ihrer Amtszeit, wollte sich Roth nicht kaputtmachen lassen.

Postkolonialer Antisemitismus

Auch deswegen nicht, weil die Ausstellung so gut in ihren Ideenhaushalt passen wollte. Seit Amtsantritt im Dezember hat die Staatsministerin mehrfach ihre Sympathien für einen woken Postkolonialismus in Kunst und Kultur erkennen lassen. Entsprechend begeistert war sie nun auch von der postkolonialen Prägung der Documenta, von der „Perspektive des globalen Südens“, mit der man dort konfrontiert werde.

Gleichzeitig war es ganz offenbar diese postkoloniale Begeisterung, die Roth blind für den Antisemitismus machte, der in Kassel bei Weitem nicht zum ersten Mal Hand in Hand mit dem „Antirassismus“ daherspaziert kommt. Im woken binären Weltbild, das die Menschheit in „Farbige“ und „Weiße“ einteilt, gehören Israelis und Juden zu den Letzteren und sind damit automatisch Unterdrücker.

Ein unglaublicher Skandal
Protest gegen antisemitische Hetze auf Documenta – Claudia Roth wiegelt ab
Menschen aus dem „Globalen Süden“ hingegen werden zu strukturellen Opfern erklärt. Deswegen konnte der Antisemitismusvorwurf gar nicht stimmen. Stattdessen habe man Äußerungen in der Antisemitismus-Debatte „auch als rassistisch (gegenüber den Künstlern; Anm. d. Verf.) verstehen können“, wie die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schorman, im Vorfeld in einer atemberaubenden Verkehrung der Tatsachen behauptete.

Auch Roth erhob diesen Vorwurf implizit: Wo wir denn seien, „wenn die Herkunft der Kuratoren schon den Generalverdacht mit sich bringt“, fragte sie im Spiegel, ignorierend, dass es nicht um die Herkunft ging, sondern um konkrete Äußerungen der Betroffenen. Roth hinterfragte die postkoloniale Perspektive nicht, sondern trug sie, explizit im Kontext der Antisemitismus-Debatte, sogar noch offensiv weiter.

„Wir“, so verteidigte sie die Künstler, „müssen auch zur Kenntnis nehmen, was in anderen Regionen Realität ist und wie in anderen Regionen über koloniale Vergangenheit geredet und diskutiert wird.“ Das las sich dann schon fast wie eine Rechtfertigung des Kolonialismus-Vorwurfes gegen Israel.

„Der Jude“ als Schwein und mit SS-Runen

Und so raste der Documenta-Zug ungehindert auf eine Wand zu, in die er dann am Montag schließlich mit Vollgas hineinkrachte. Da nun gingen plötzlich Ausschnitte von einer großen Gemäldeleinwand auf der Documenta durchs Netz, die von der indonesischen Künstlergruppe „Taring Padi“ verantwortet wird. Diese versteckt ihren Antisemitismus nicht einmal mehr, sondern zeigt ihn in seiner offensichtlichsten und ekelhaftesten Form.

Auf dem unübersichtlichen Wimmelbild fällt der Blick nach einiger Zeit auf ein Wesen mit Schweinskopf. Auf einem Halstuch ist der Davidstern gut erkennbar abgebildet. Auf dem Helm prangt der Schriftzug „Mossad“. An anderer Stelle bleibt der Blick an einem Mann hängen mit Hut, Schläfenlocken und scheinbar im Kaftan, offenbar ein stereotyp gemalter ultra-orthodoxer Jude, auf dessen Kopfbedeckung sich auch noch SS-Runen befinden.

Da schien dann auch die Kulturstaatsministerin nicht mehr herumlavieren zu können, tat es aber zunächst doch noch. „Aus meiner Sicht“ sei das „antisemitische Bildsprache“, ließ Roth am Montag über ihre Pressestelle verbreiten. Aus ihrer Sicht? Gibt es da immer noch etwas zu diskutieren? Vor einem ARD-Mikrofon sprach Roth dann von „eindeutig antisemitischer Bildsprache“ und forderte notwendige Konsequenzen.

Roths Versagen

Die Documenta hat in der Zwischenzeit beschlossen, das Gemälde zu verdecken. Gleichzeitig relativiert „Taring Padi“ den Antisemitismus weiter, indem es erklärt, dass das Werk „in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird“. In einer Stellungnahme lamentiert die Gruppe „über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“ und erklärt das abgedeckte Gemälde deswegen „zu einem Denkmal der Trauer“.

Ob das die Konsequenzen sind, wie Roth sie sich vorstellt? Indes sollte die Staatsministerin mit der Aufarbeitung sowieso bei sich selbst anfangen. Sie trägt an dieser Affäre einen maßgeblichen Anteil. Ihr Antisemitismus-Problem liegt nun offen zutage. Nicht etwa, weil Roth selbst eine Antisemitin wäre. Auch nicht, weil sie die Serie „Guernica Gaza“ hätte abhängen oder die anderen betroffenen Künstler ausladen lassen müssen. Dazu hatte sie gar nicht das Recht.

Die Bedenken aber hätte Roth ernst nehmen müssen, anstatt den postkolonialen Antisemitismus zu verdrängen, weil sie ihn nicht in ihr Weltbild einfügen konnte. Dass ihre Verweise auf die Kunstfreiheit im Vorfeld nur vorgeschobene Argumente waren, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen des Problems abzuwehren, wird spätestens bei einem Gedankenspiel deutlich.

Stellen Sie sich dazu vor, all das Genannte hätte sich im Kontext einer rechten Kunstausstellung ereignet – wie hätte sich Roth wohl in diesem Fall verhalten? Hätte sie dann auch auf die Kunstfreiheit rekurriert? Oder wohl eher direkt im allerschärfsten Ton durchgegriffen?

Anzeige
Die mobile Version verlassen