J. D. Vance: Fürchtet euch nicht vor euren eigenen Bürgern!

US-Vizepräsident Vance fordert in München eine Rückbesinnung auf demokratische Werte. Kritik an EU-Zensur, Migration und Brandmauern: Der Westen verliere seine Stärke nicht durch äußere Feinde, sondern durch Angst vor der eigenen Bevölkerung. Wir sahen einen Politiker neuen Typs.

IMAGO / Andreas Stroh

Die Gefahr kommt von innen. Ein metaphysisches Schlucken musste bei diesen Worten durch die Halle gehen. Denn die Münchner Sicherheitskonferenz blickt maßgeblich auf äußere Bedrohungen. Doch J. D. Vance machte klar: Darum würde es ihm heute nicht gehen. Nicht um Russland, nicht um China. Sondern um das, was die abendländische Zivilisation zusammenhält – oder eben nicht.

Es war nicht das erste Mal, dass Vance, nunmehr Vizepräsident der Vereinigten Staaten, das Treffen besuchte. Erst vor einem Jahr hatte er mit klaren Ansagen irritiert. Etwa in Richtung der damaligen Grünen-Chefin Ricarda Lang. Ihr hielt er vor, dass Deutschland in den letzten Jahren den unverzeihlichen Fehler der Deindustrialisierung eingeschlagen habe – einen Fehler, den seine Heimat nunmehr bitter bereue. Und das in Zeiten, in denen es nicht sicherer, sondern unruhiger wird.

Vorab hatte das Wall Street Journal bereits ausgeplaudert, was das Publikum erfahren würde. Für deutsche Ohren gab es da nur eine Nachricht: Vance würde gegen die Brandmauer opponieren. Sich einmischen. Eine Übergriffigkeit. In seiner Rede kam er solchen Vorwürfen zuvor: Wenn die USA es ausgehalten hätten, dass Greta Thunberg sie jahrelang beschimpft habe, dann würden die Europäer es auch aushalten, wenn Elon Musk sich ein paar Monate lautstark zu Wort melde. Einen Ronald-Reagan-Auftritt kann man dem Vizepräsidenten jedoch nicht absprechen.

Denn Vance ist ein Politiker neuen Typs. Das bringt allein sein jugendliches Alter mit sich. Vance gehört der Millennial-Generation an. Die meisten Länder schaffen es derzeit nur mit Mühe, dass die Babyboomer den Staffelstab an die X-Generation weitergeben. Auch deswegen stimmt die Realitätswahrnehmung von Vance mit jener der grauen „Experten“ nicht überein. Nicht nur die Ideologie spielt eine Rolle. Nicht nur die Erfahrung. Sondern ein Generationenkonflikt.

Vance ist nicht in den fetten Jahren des Wirtschaftswachstums aufgewachsen, sondern im Zeitalter der beginnenden Krisen des 21. Jahrhunderts. Die starren Kategorien des Kalten Krieges, die vorherige Generationen verinnerlicht haben, kennt er aus Geschichtsbüchern. Seine Weltsicht geht aber darüber hinaus. Für die Generation der Babyboomer ist das 20. Jahrhundert maßgeblich; für Millennials das 21. Jahrhundert.

Vor Vance sprach Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionspräsidentin erhielt von Alters- und Gesinnungsgenossen Applaus – deutlich mehr als der US-Vizepräsident. Aber Vance wollte nicht gefallen. Stattdessen griff er zielgenau Thierry Breton an, den er lediglich als „ehemaligen EU-Kommissar“ bezeichnete. Seine Äußerungen zur Rumänien-Wahl und die Einmischung der EU bewertete er als „schockierend“.

„Wir spielen im selben Team, wir müssen demokratische Werte leben“, hob Vance hervor. Und es war eben nicht dieselbe, fade, abgenutzte Formulierung, wie sie EU-Funktionäre in den Mund nahmen. Denn Vance sah einen „Rückzug“ von gerade jenen Werten in Europa. Subtil sprach er von den „Gewinnern“ des Kalten Krieges – und was aus ihnen geworden sei. Die kommunistischen Staaten hätten Meinungsfreiheit unterdrückt und Kirchen geschlossen.

Vance führte danach mehrere Beispiele an: wie Brüssel Social-Media-Plattformen wegen „Hass“ schließen wollte; dass es Razzien gegen Menschen wegen angeblicher Misogynie gebe, und dass ein britischer Veteran kriminalisiert wurde, weil er einige Meter entfernt von einer Abtreibungsklinik betete.

Beobachter hatten eine AfD-Rede erwartet. Vance hielt jedoch eine ADF-Rede. Er sah im Kampf gegen die Meinungs- und Religionsfreiheit die maßgebliche Auflösung europäischer Werte – ähnlich wie die Organisation. Dieser Umstand legt den Kosmos des Mannes aus den Appalachen offen: Nicht Fernsehen oder Zeitung, sondern das Internet, Newsletter sowie Nachrichten alternativer Medien und NGOs prägen sein Weltbild.

Dazu gehört auch ein dezidiert katholisches Substrat – nicht der weichgespülte Kirchenkaderkatholizismus der Pfarrgemeinderäte, von Zentralkomitees und Synodalen Wegen, von Verwässerung der Lehre zugunsten des Zeitgeists; sondern eine augustinische und thomistische Weltsicht, wie sie erst kürzlich bei der Verteidigung der ordo amoris in der Öffentlichkeit zutage trat. Der Säkularismus und die Aufklärung allein werden uns nicht retten. Auch nicht ein vager Rechtspopulismus oder rein ökonomische Erwägungen. Damit steht Vance tiefer in abendländischen Fußstapfen als zahlreiche angebliche europäische Rechte.

Letztere sind von der Konferenz ausgeladen worden. Nicht zum ersten Mal. Und Vance spannt den Bogen, dass deren Ausschluss symptomatisch ist für eine politische Klasse, die Angst hat. Die eine andere Meinung nicht erträgt. Die glaubt, bestimmen zu können, wie Menschen fühlen oder denken. Sie hat keine Vorstellung von der freedom of surprise, die Innovation erst möglich macht. Eine Demokratie, die sich so unter Angriff sieht, ist wenig wert. Zu Rumänien sagt er deswegen: „Wenn man mit ein paar Werbeanzeigen eine Demokratie ins Wanken bringen kann, war sie wohl nie wirklich stark.“

Im Publikum sieht man bei solchen Aussagen wenig Reaktion. Nicht einmal höflichen Applaus. Der Einzige, der einen guten Tag hat, ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Vielleicht wird das Chamäleon der deutschen Politik irgendwann, wenn Merz zwischen rot-grün-schwarzer Koalition und Brandmauer zerrieben wurde, doch noch eine Schlüsselrolle im neuen transatlantischen Sinne einnehmen. Am Flughafen hatte er Vance samt Familie begrüßt – die Stimmung war gut.

„Ich bin tief davon überzeugt, dass es keine Sicherheit gibt, wenn sie die Stimmen ihrer eigenen Leute fürchten“, sagt Vance. Die Frage muss sein, warum es diese transatlantische Allianz gibt. Was die positive Vision ist, mit der der Westen zusammenhält. Was gilt es zu verteidigen? Sinnvoll ist das Bündnis nur, so erklärt Vance, wenn auch die europäischen Staaten ein demokratisches Mandat haben. Dass Stimmen nicht zum Schweigen gebracht werden. Die Krise, in der sich diese Länder befinden, ist hausgemacht. Die Stimme der Menschen zählt – es gibt keinen Anlass für eine Brandmauer, so der Vizepräsident. Der Bürger besitze „Weisheit“.

Was Vance damit meint: Auch die Regierungen besitzen kein totales Wissen. Sie können nicht alles planen und bestimmen. Weisheit heißt bekanntlich, zu wissen, was man nicht weiß. Das ist übrigens die Gabe, die gute Könige auszeichnet: zu wissen, wann Berater, Vasallen und Generäle es besser wissen, um dann zu delegieren. In der Demokratie geht es nicht nur darum, die Stimmungen im Volk zu erfassen, sondern diese ernst zu nehmen – auch wenn sie auf den ersten Blick irrational erscheinen mögen. Es gibt Ereignisse, Dilemmata und Probleme, die Politiker gar nicht ahnen können. Sie müssen adressiert werden.

Vance wird deswegen konkret und bezieht sich auf den Anschlag am Vortag in der bayerischen Landeshauptstadt. Das Thema, das die Menschen am meisten bewegt, aber am wenigsten aufgenommen wird, ist die Massenmigration. Attentate wie das gestrige habe es immer wieder gegeben. „Ein 20-jähriger Afghane, bereits polizeibekannt, führt seine Tat aus. Wie oft muss es geschehen, damit unsere Zivilisation den richtigen Weg einschlägt?“

Diese Tatenlosigkeit führt zu den Bewegungen, die die Eliten so fürchten. Aber als Reaktion darauf Bürger zu isolieren, Medien zu schließen oder sogar Wahlen zu annullieren, das zerstört die Demokratie. Er ruft den europäischen Anführern zu: Ihr habt eine Wahl. Und er zitiert Johannes Paul II.: „Fürchtet euch nicht!“ Fürchtet euch nicht vor euren eigenen Bürgern. Fürchtet euch nicht vor der Zukunft, nur weil ihr nicht mit ihnen übereinstimmt.

Der Applaus ist danach verhalten. Journalisten müssen jetzt einordnen. Weil sie davon ausgehen, dass die Bürger an die Hand genommen werden müssen. Vielleicht war Vance für den Zuschauer auf Phoenix zu verstörend. Vance, so liest man bereits in sozialen Medien und hört von „Experten“: Er baut sich seine eigene Realität. Unausgesprochen: Er lebt in Fake News.

Es stimmt. J. D. Vance kommt aus einer anderen Dimension. Es ist die richtige.

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Kommentare ( 178 )

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Grumpler
1 Monat her

So ganz nebenbei bekommt die Ampel vorgeführt, wie die Mitglieder der US-amerikanischen Regierung (bisher) an EINEM Strang ziehen. Da geht’s Schlag auf Schlag! Vieleicht wacht man in Berlin und Brüssel und anderswo ja doch nochmal auf…

Avallion
1 Monat her
Antworten an  Grumpler

Naja diese Technokraten sind wach, nur vertreten die eine andere Agenda als wohl Mr. Vance & Co., eine Agenda der Zerstörung des Abendlandes !!!
Und eine Agenda der persönlichen Bereicherung, des Raffens und der Gier !

Privat
1 Monat her

Genauso müssen Politiker aussehen und auftreten. Und handeln.
Dazu im Vergleich…. naja

Fulbert
1 Monat her

Die Vorstellung eines autonomen Individuums als Dreh- und Angelpunkt des Politischen, wie es zum Grundverständnis der US-Amerikaner gehört, wird in Deutschland nicht nur nicht begriffen, sondern als Gefahr empfunden. Der Bürger ist in diesem Land stets Untertan, der den Vorgaben der Obrigkeit zu folgen hat. Es herrscht also ungeachtet der demokratischen Rahmenbedingungen im Grunde ein autoritäres Verständnis des Verhältnisses von Bürger und Staat vor. Dass sich Gerichte und Behörden immer stärker dem Schutz der Regierung verschreiben, unterstreicht dies. Leider muss man konstatieren, das trotz 75 Jahren BRD die DDR wohl das dem deutschen Staatsverständnis angemessenere Modell war.  

Avallion
1 Monat her
Antworten an  Fulbert

Nun gut, aber es gibt nicht ein bisschen Demokratie, genau wie es nicht ein bisschen Schwanger gibt. Es nützen da keine „Rahmenbedingungen“ ! Entweder es gibt Demokratie in der BRD oder es gibt eben keine und gleich gar nicht „Unsere“ ! In der BRD tendiere ich eher zum letzteren !

Will Hunting
1 Monat her

Ich finde es auch total witzig. Deutschland ist sicherheitspolitisch ein Schmarotzer, Parasit.
Die Feststellung, daß.die Sicherheit eher von innen, als von außen bedroht wird ist, wie man folgerichtig ( München zuletzt) sieht, korrekt. Aus dem jetzigen Blickwinkel der USA heisst das….warum sollen wir jemanden schützen der seinen Eigenschutz ignoriert und die Partei, die diesen garantiert, ausschließt? Global denken ist keine Stärke der deutschen Handlungsreisenden.

Last edited 1 Monat her by Will Hunting
Eberhard
1 Monat her

Wie recht er doch hat. Demokratie muss alles umfassen. Einseitige Rechte oder Linke Demokratie sind eigentlich schon Diktatur. Die sogenannten Volksparteien gehen kaputt, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ein großes Meinungsspektrum zu bedienen. Aber nur aus einer möglichst großen Meinungsvielfalt lassen sich akzeptable Problemlösungen ableiten. Etwas was unsere heutigen und von den Parteien hochgepäppelten Politiker nicht mehr draufhaben. Stattdessen wollen sie Millionen von Wählern ausgrenzen und ihre Wahlentscheidung damit nichtig machen. Diese Art der Politik hat, trotz vieler Warner, bis heute eindeutig zu den größten politischen Fehlentscheidungen geführt, die den heutigen Niedergang Deutschlands verursachen. Was blieb denn… Mehr

Avallion
1 Monat her
Antworten an  Eberhard

Naja, „linke Demokratie“ gibt es aber nicht, wie man in der BRD sieht !

Deutscher
1 Monat her

Und den Bürgern sei gesagt: Fürchtet euch nicht vor der eigenen Meinung!

Detlef Spitzbart
1 Monat her

Natürlich hat der Vance zum Teil auch Recht. Seine Rede richtete sich gegen die europäische, aber auch die amerikanische Wokeness und Dekadenz, die uns, die westliche Zivilisation, derzeit von innen heraus schwächt. Das tut sie zweifellos! Dennoch: Auf einer Münchener Sicherheitskonferenz hätte ich mehr und anderes erwartet. Vor allem die genaue Bezeichnung des Feindes. Den aktuellen Feind zu kennen und zu benennen, also Putins imperialistisches Russland, wäre das gewesen, was nach Carl Schmitt, an den hier trotz all seiner Verfehlungen wieder zu erinnern ist, eigentlich das Politische ausmacht. Und weil genau diese Benennung gefehlt hat, geradezu eine grauenhafte Leerstelle blieb,… Mehr

Deutscher
1 Monat her
Antworten an  Detlef Spitzbart

Nun, wo ist das Problem? Von Hofreiter über Baerbock und Lindh bis hin zu Merz und Strack-Zimmermann sind alle deutschen Politiker von Rang und Relevanz Ihrer Meinung und bringen diese zum Ausdruck, wenn sie nicht mal danach gefragt worden sind. Reicht das nicht?

Und warum sollte Vance eine Meinung äußern, die nicht seine ist?

Last edited 1 Monat her by Deutscher
Riffelblech
1 Monat her

Sie haben Alle in der Ampel und im rosaroten Umkreis gewusst was unter Trump kommen wird , zumindest aber geahnt . Das es für die „“ Supersupersuperdemokraten „“ der Ampel und enganliegende Freunde doch so dicke kommt hätten sie nicht geahnt . Jeglicher Versager und Rohrkrepierer der Ampel „ verwehrt“ sich gegen ein Statement des allergrößten Freundes und Beschützers ( bis vor wenigen Stunden ) das die eigenen Balken im Auge aufzeigt . Bis dato sahen wir ( diese Ampelregierung und Freunde ) diese doch immer nur in den Augen der Anderen . Und nun plötzlich wird dieser Politik ,unter… Mehr

Avallion
1 Monat her
Antworten an  Riffelblech

Genau das ist so herrlich anzusehen ! Weltgeschichte im Zeitraffer !!!!
Die nicht in Jahrzehnten, nicht in Jahren, sondern höchstens noch in Monaten oder Wochen geschrieben wird !!!

johnsmith
1 Monat her

Jedes Volk bekommt offenbar was es verdient – wir haben intellektuelle Niedrig-Leister wie Habeck, Baerbock, Scholz, Steinmeier, die eine solche Rede wie Vance sie gehalten hat noch nicht einmal vom Teleprompter fehlerfrei ablesen könnten, geschweige denn schreiben und vorbereiten könnten.

Europafriend
1 Monat her

Das war eine „Hammer-Rede, und denen, an die sie vor allem gerichtet war, steht der Schaum vorm Mund. So reagieren Ertappte …