Vier Zeugen für das Leben: Italienischer Verfassungsgerichtshof berät über assistierten Suizid

Am 26. März berät der italienische Verfassungsgerichtshof über eine Aufweichung der Gesetzgebung zur Suizidbeihilfe. Gehör finden auch vier unheilbar kranke Patienten – die nicht nur weiterleben möchten, sondern verlangen, dass ihr Recht auf Schutz ihres Lebens nicht weiter ausgehöhlt wird.

Maria Letizia Russo wird am 26. März vor dem römischen Verfassungsgerichtshof aussagen.

Assistierter Suizid ist ein Reizthema, das existenzielle Ängste weckt: vor Kontrollverlust, vor Hilflosigkeit und unerträglichen Schmerzen. Zugleich ein Thema, das gerade aufgrund dieser Implikationen ungern diskutiert, und zumeist nur diffus-emotional wahrgenommen wird.

Umstrittenes Gesetzesvorhaben wird beraten
Britisches Gesetzesvorhaben zu assistiertem Suizid – Tod statt Hilfe?
Eine wichtige Rolle spielen die Begrifflichkeiten, die mit dem Thema assoziiert werden: Es geht um Humanität, Selbstbestimmung, Freiheit, Menschenwürde – große Worte, deren genauer Inhalt aber im Dunkeln bleibt. So ist etwa die Annahme, der Mensch, zumal der unter Angst vor Schmerzen leidende Mensch, entscheide absolut frei und unbeeinflusst von äußeren und inneren Umständen, schlicht abwegig. Dennoch bleibt „Autonomie“ ein Kernbegriff derer, die Zugang zu assistiertem Suizid fordern, während Alternativen, die größere tatsächliche Selbstbestimmung sicherstellen könnten, außen vor bleiben.

Dasselbe gilt für „Mitleid“: Die Erfahrungen in Ländern, die niedrigschwelligen Zugang zu assistiertem Suizid und Euthanasie bieten, etwa Belgien, die Niederlande oder Kanada, belegen durchweg, dass die Normalisierung von assistiertem Suizid keinen Zuwachs an Menschlichkeit bringt, sondern eine lebensfeindliche Atmosphäre schafft, in der Menschen sich genötigt fühlen, zu sterben, um anderen nicht zur Last zu fallen, und in der nicht selten Euthanasierung finanziell lohnender ist als Therapien und Palliativversorgung. Tötung wird als Hilfe deklariert.

Vor diesem Hintergrund ist die Anhörung, die am 26. März am römischen Verfassungsgerichtshof stattfinden wird, von besonderer Bedeutung. Denn hier werden tatsächlich Betroffene selbst zu Wort kommen: Unheilbar Kranke werden den Verfassungsrichtern ihre Sicht der Dinge schildern.

Beihilfe zum Selbstmord steht in Italien unter Strafe. Allerdings hatte der Verfassungsgerichtshof bereits 2019 festgestellt, dass keine Strafbarkeit vorliegt, wenn vier Parameter erfüllt seien: Zum einen müsse der Patient dazu in der Lage sein, eine freie und informierte Entscheidung zu treffen, er müsse an einer unheilbaren Krankheit leiden, und diese müsse „Quelle physischen oder psychischen Leidens sein, das er oder sie als unerträglich betrachtet“. Zudem ist Voraussetzung, dass der Patient lebenserhaltenden Maßnahmen unterliegt, deren Abbruch seinen baldigen Tod herbeiführen würde. Dies liegt etwa bei Anschluss an Beatmungsgeräte vor, oder wenn der Patient über eine nasogastrale Sonde ernährt werden muss.

Nun geht der Gerichtshof der Frage nach einer Aufweichung dieser Kriterien nach. Im Raum steht die mögliche Abschaffung des vierten Parameters. Damit würde für die Beantragung eines assistierten Suizids ausreichen, dass der Betroffene zu einer „freien und informierten“ Entscheidung in der Lage ist, an einer unheilbaren Krankheit leidet, und sein Leiden als unerträglich empfindet. Dies könnte dann auch Menschen betreffen, die etwa infolge eines Verkehrsunfalls dauerhaft im Rollstuhl sitzen, oder womöglich auch Menschen, die unter Depressionen leiden.

Dass hier nicht bloß „Sachverständige“ und „Experten“ einbezogen werden, sondern unheilbar erkrankte Menschen selbst, ist ein wichtiges Signal. Zwei haben bereits vor dem Gerichtshof für die Ausweitung der Sterbehilfe plädiert. Nun werden vier Patienten, die nach einer Gesetzesänderung assistierten Suizid in Anspruch nehmen könnten, die gegenteilige Position vertreten.

„Die Vorschrift, die die Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe stellt, ist eine Vorschrift zum Schutz der Schwachen. Ihre Anwendbarkeit einzuschränken, bedeutet, den Schutz des Lebens zu verringern“, so Carmelo Leotta, außerordentlicher Professor für Strafrecht an der europäischen Universität von Rom, gegenüber TE. Er ist einer der beiden Anwälte, der die vier Menschen vertritt: „Die vier italienischen Patienten, die gegen Suizidbeihilfe sind, fordern, dass der Schutz ihres Lebens nicht eingeschränkt wird“, so Leotta weiter.

Er begrüßt die Anhörung: Der Verfassungsgerichtshof sei für alle da, er solle auch die Stimmen der Betroffenen hören. Die Patienten haben eine Teilnahme am Verfahren gefordert, um dafür einzutreten, dass die Abhängigkeit von lebenserhaltenden Maßnahmen als eine der Voraussetzungen für die Straffreiheit der Sterbehilfe beibehalten werden müsse, da ansonsten der Schutz ihres Rechts auf Leben eingeschränkt würde: Der Zugang zu assistiertem Suizid hinge dann lediglich von der Aufrechterhaltung des eigenen Lebenswillens ab, unabhängig von einer objektiven Bewertung der Schwere des Zustands, der wiederum bei einem Antrag auf lebenserhaltende Maßnahmen erforderlich sei.

In einer Verlautbarung verweisen die Anwälte der Patienten auch darauf, dass das Leben ihrer Mandanten als unheilbar Kranke als weniger schützenswert eingeordnet würde als das Leben gesunder Menschen. Denn für diese gelte das Prinzip der Nichtverfügbarkeit weiterhin.

Gesetz zur Suizidassistenz stockt
Es geht darum, das Leben zu schützen
Gewöhnlich werden die Schicksale unheilbar Kranker lediglich genutzt, um die Notwendigkeit einer Liberalisierung der Suizidbeihilfe zu propagieren. Dass auch Betroffene in dieser Frage durchaus geteilter Meinung sind, dass es auch jene gibt, die trotz unheilbarer Krankheit Sinn und Erfüllung finden, am Leben festhalten, und ihre eigene Situation nicht als Rechtfertigung betrachten, um den Schutz des Lebens auszuhöhlen, wird häufig ignoriert; oft wird nicht bedacht, dass auch sie von gesetzlichen Regelungen betroffen sind, die assistierten Suizid erleichtern. Vor dem römischen Verfassungsgerichtshof können diese Menschen nun für sich selbst und ihre Würde eintreten.

Sie widersprechen dabei jenen, die suggerieren, dass es inhuman sei, einem Menschen den Zugang zur Selbsttötung zu verwehren. Sie machen deutlich, dass für den Erhalt einer menschenfreundlichen und menschenwürdigen Gesellschaft die Freigabe des assistierten Suizids keineswegs alternativlos ist. Eine wichtige Maßgabe auch im Hinblick auf Deutschland, wo eine Regelung zum assistierten Suizid noch immer aussteht.

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Kommentare ( 19 )

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19 Comments
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brummibaer_hh
1 Tag her

Es ist schon lustig. Da bemängelt der Autor, die Autonomie Betroffener würde versucht zurück gedrängt zu werden. Deren Autonomie selbst zu entscheiden, wann sie wie sterben möchten, ist ihm aber dann doch wohl ein bisschen zu viel Autonomie. Das ist wie Tichys Einblick zum Thema Meinungsfreiheit. Man dürfe ja nicht mehr alles sagen. Sagt dann jemand etwas, das Tichys Einblick missfällt – dann möchte Tichys Einblick, dass das nicht so weiter geht. Freiheit, ob nun die Autonomie sterbenskranker Menschen oder die Meinungsfreiheit, sind aber keine Einbahnstraßen, die vom Wohlwollen dieses Mediums hier abhängen. Freiheit ist auich immer die Freiheit des… Mehr

Montgelas
23 Stunden her
Antworten an  brummibaer_hh

Zur Autorin, die offenbar aus dem katholischen Dunstkreis kommt: „Von 2022-2024 war sie als Moderatorin und Redakteurin bei dem katholischen Fernsehsender EWTN tätig, sowie als freie Mitarbeiterin u.a. für die katholische Wochenzeitung Die Tagespost.“ Zitiert aus der Autorenbeschreibung von TE.
Die Einordnung dieses Artikels als katholisch-tendenziöser Gastbeitrag dürfte damit nicht schwer fallen!

LiKoDe
1 Tag her

Bürger, die eine Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen möchten, wollen einfach nicht zum Weiterleben gezwungen werden.

Für Juristen ist es schwierig, sowohl diesen Bürgern als auch anderen Bürgern, die trotz schwerer gesundheitlicher Einschränkungen weiterleben wollen, gerecht zu werden.

hoho
1 Tag her
Antworten an  LiKoDe

Das alles wäre deutlich einfacher, wenn man die Bürger mit Respekt behandelt hätte. Wenn sie die Freiheit zu entscheiden hätten, würden sie selbst auch entscheiden. Dafür ist aber der Staat zu übergriffig, man will alles regeln und kontrollieren. Es ist natürlich gut wenn man die Situationen regelt, wo die Leute kaum etwas alleine machen können und selbst beim Scheiden aus dem Leben auf die Hilfe von anderen angewiesen sind. Es ist sehr schwer wenn überhaupt möglich die Rechte auf Selbstbestimmung zu garantieren, wenn man gleichzeitig die Leute zwangsimpfen will. Wirtschaftlichen Zwängen werden wir nicht fliehen können auch nicht am Ende… Mehr

brummibaer_hh
1 Tag her
Antworten an  hoho

Dann sollten Sie vielleicht nicht LiKoDe kritisiseren, sonmdern den Autor, der den Leuten die „Freiheit zu entscheiden“ nämlich absprechen möchte, weil es doch angeblich viel bessere Lösungen gäbe für sie. Und so respektiere ich natürlich auch die Sicht der 4 Menschen, die trotz schlimmster Leiden am Leben hängen. Aber umgekehrt sollten auch diese sehen, dass andere lieber diesem Leben, das sie nicht mehr als lebenswert ansehen, ein Ende machen wollen. Die 4 haben die Freiheit zu entscheiden weiter zu leben – die Freiheit zu sterben haben aber die, die das nicht möchten, nicht.

Tin
1 Tag her

Man nimmt krasse Beispiele um es der Mehrheit „schmackhaft‘ zu machen.
Wer glaubt, es dient zum Wohle der Menschheit, ist genauso unterbelichtet, was die Solidarität bei den Pandemieplanspielen betraf. Schwangerschaft ist zudem keine Krankheit, aber für Eugeniker, Euthanasiefans eher schon. Viel Spass im „Neuen Normal“.

Judith Panther
1 Tag her

Die Kosten, die chronisch Kranke verursachen, sind vermutlich nur ein Aspekt, weshalb man ihnen gerne bei der Selbsttötung behilflich ist. Der andere Aspekt, sie kostengünstig entsorgen zu wollen, dürfte darin bestehen, daß Pharmosi an ihnen nicht mehr genug verdienen und daran, daß Ärzte sich bei Palliativpatienten, unheilbar Kranken oder anderen aussichtslosen Fällen nicht mehr als Lebensretter, Helden, als die „Götter in Weiß“, Herrscher über Leben und Tod, feiern lassen können. Das erscheint mir offensichtlich in Anbetracht der Summen nämlich, die man andererseits aufwendet, um z.B. ein 250 g „schweres“ Frühchen allein auf normales Geburtsgewicht hochzupäppeln, statt es in Frieden dorthin… Mehr

murphy
1 Tag her

Der Staat verwehrt den Menschen auch nicht den Tod. Suizid ist nicht strafbar.
Und in welchen „Notfall“ hat der Staat ein tötungsrecht?

primus
1 Tag her
Antworten an  murphy

Hat der Staat eine Lizenz zum Töten? Es ist Heute eine Aktuelle Frage ! Zum Beispiel millionenfach im Krieg. Oder ist das zu Ehren der Heimat zulässig?

murphy
1 Tag her

Gestern war ein Jahrestag für ein Suizid gekoppelt mit einem Verbrechen (Mord an 149 Menschen), der Flug 4U 9525. Allein in diesem Zusammenhang sollte man sich über den Problemkreis Suizid ein paar Gedanken machen. Es gibt in D pro Jahr ca. 3000 Verkehrstote. Von Autohassern mit Radfahrer-Verstand wird dazu gesagt „jeder Tote ist einer zu viel“. Aber was ist mit den 11 -12000 Suiziden? Diese sollte man nicht verschweigen wie es heute wohl Doktrin ist, sondern man sollte die Ursachen erforschen und – nach Möglichkeit – beseitigen. Oder dient ein Soziologie-Studium nur dazu, damit links verblendete Ideologen erfolgreicher gegen Rechts… Mehr

maru
1 Tag her

Woher wissen Sie das?

Steuernzahlende Kartoffel
1 Tag her

Was sind denn die  „Alternativen, die größere tatsächliche Selbstbestimmung sicherstellen könnten“?

ralf12
2 Tage her

Es ist inhuman, einem Menschen den Zugang zur Selbsttötung zu verwehren. Allerdings muß die Entscheidungshoheit bei dem betreffenden Patienten liegen. Wenn der trotz unheilbarer Erkrankung so lange wie möglich leben möchte, ist das sicherzustellen. Wenn er aber schmerzfrei aus dem Leben scheiden möchte, ebenso. Das zumindest, wenn er geistig in der Lage ist, diese Entscheidung zu treffen. Das Recht, in würde und schmerzfrei aus dem Leben zu scheiden sollte genau so unverletzlich wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit sein.

Franzl74
2 Tage her

Die Argumentation, es könnte Druck aufgebaut werden ist schwach. Man könnte ebenso argumentieren:
-Wenn es erlaubt ist sein Vermögen zu Spenden, könnten Menschen moralisch gezwungen werden alles zu spenden.
-Wenn es erlaubt ist auszuwandern, könnten Menschen moralisch gezwungen werden auszuwandern.
-Wenn einvernehmlicher Sex erlaubt ist, könnten Menschen zu Sex moralisch gezwungen werden.
Nicht komplett abwegig, aber Menschen vor moralischen Zwängen zu schützen ist Nannystaat.

hoho
1 Tag her
Antworten an  Franzl74

Es ist ein guter Argument, weil solche Dinge tatsächlich passieren und ich spreche hier nicht über Familien in Not sondern über den Beamten die den Leuten Suizid empfehlen, weil ihre Behandlung teuer wäre. Das sind keine Märchen sondern Fälle aus mehreren westlichen Ländern. Ich kann es verstehen, wenn die Leute kein gutes Gefühl haben, wenn jemanden beim Sterben geholfen werden sollte. Nun Das Leben ist nicht einfach und wir müssen schwere Entscheidungen treffen. Ich sage jetzt nicht, dass jedem so geholfen werden sollte nur dass sich jeder die Verantwortung stellen sollte statt alle eigene Rechte auf den Staat abzugeben. Hätte… Mehr