Tichys Einblick
Interview

„SPD hat keinen Plan“

Die Demoskopen reiben sich die Augen: Die SPD ist vielerorts auf das Niveau von Grünen, Linken und AfD abgerutscht. Rechnerisch könnten Linke und AfD hier und da auf Blockadestärke wachsen

Lukas Schulze/Getty Images

Tichys Einblick: Herr Binkert, in Ihrer Sonntagsfrage für Bayern liegen die Grünen vor der AfD und beide vor der SPD. Was sagt das?

Hermann Binkert: Dass die SPD hinter der AfD liegt, ist auch in anderen ost- und westdeutschen Bundesländern schon der Fall. Viel gefährlicher für die SPD ist, dass die Grünen deutlich vor ihr liegen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich daran bis zum Wahltag etwas ändert. Die Grünen sind dann, neben Baden-Württemberg, auch in Bayern die stärkste Kraft links der Mitte. Wo die SPD keine Perspektive mehr hat, selbst eine Regierung führen zu können, bleibt sie unter 20 Prozent.

Bei der AfD ist auch die Ablehnung deutlich höher als bei allen anderen Parteien. Stößt die AfD an ihre Wachstumsgrenzen?

Die AfD hat zwar einen hohen Anteil sehr sichere Wähler, aber das geringste Potenzial nach oben. Das heißt, der Anteil derer, die die Partei grundsätzlich als Wahloption ausschließen, ist bei der AfD am höchsten. Es bleibt aber zu beachten, dass das vergleichsweise hohe Potenzial der anderen Parteien nie voll ausgeschöpft werden kann, weil es sich aus ganz unterschiedlichen Quellen speist.

Was bedeutet das für die Zukunft des Parteiensystems – von drei Parteien zu sechs Parteien?

Es hängt immer weniger von der reinen Stärke einer Partei ab, sondern immer mehr an der Offenheit für Konstellationen, die für parlamentarische Mehrheiten reichen.

Das Dreiparteiensystem war einfach zu verstehen: Rechte CDU. Linke SPD, und die FDP hat als Zünglein an der Waage den Ausschlag für die Regierungsmehrheit gegeben und dafür gesorgt, dass die Tassen im Schrank blieben. Heute ist die Lage unübersichtlicher: Gegen Linke und AfD werden Koalitionen immer schwieriger. Lautet die neue Regel: Jeder mit jedem?

Es kann in der Tat zu derartigen Mehr- heitsverhältnissen kommen, dass Linke und AfD über eine rechnerische parlamentarische Mehrheit verfügen. Dies trifft vor allem auf ostdeutsche Länder zu, und wenn FDP und Grüne an der Fünfprozenthürde scheitern. Wenn eine Partei die Zusammenarbeit mit Linke und AfD grundsätzlich ausschließt, erklärt sie letztlich, dass es Wahlergebnisse gibt, die zur Regierungsunfähigkeit führen. Das wäre nicht gut für die Demokratie. Deshalb sollten die Parteien offen sein für Minderheitsregierungen und Tolerierung.

Wie würden Wähler auf eine Koalition der CDU und SPD mit der Linken auf Landes- und Bundesebene reagieren – in den ostdeutschen Ländern ist das für die SPD ja wohl kein Problem mehr?

Koalitionen sind immer Herausforderungen, das galt selbst für christlich-liberale Koalitionen. Für CDU und SPD ist es jeweils immer besonders schwierig, wenn sie als kleiner Partner in eine Regierung einsteigen. Das gilt für die CDU, die in Baden-Württemberg einen Ministerpräsidenten der Grünen stützt, und für die SPD, die in Thüringen einen Ministerpräsidenten der Linken stützt. Wenn nun auch die CDU mit der Linken koaliert, verliert sie mit Sicherheit noch mehr bürgerliche Wähler.

Und eine Koalition von CDU oder CSU mit der AfD – würde die Ablehnung, wie die Potenzialanalyse sie zeigt, auf die Union negativ durchschlagen?

Das ist eine hypothetische Frage, die zudem von mir prophetisches Wissen verlangen würde. Meinungsforscher können die politische Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung recht genau messen, aber sie sind keine Propheten. Vor denjenigen, die sich als Propheten verstehen, möchte ich warnen. Politiker sollten ihre Entscheidungen nicht von der Demoskopie abhängig machen, sondern von den politischen Inhalten.

Woher kommt der aktuelle Zuwachs bei den Grünen? Sind es SPD-Wähler, die in der Flüchtlingsfrage das Original des unbegrenzten Zuzugs wählen, nachdem manche SPD-Oberen da ja doch etwas zurückhaltend wurden?

Die Grünen gewinnen sowohl Wählerstimmen von der CDU als auch von der SPD. Grüne und AfD sind für die Wähler gut kalkulierbar. Beide vertreten in der Regel völlig entgegengesetzte Konzepte. Die Grünen sind in ihren Positionen klarer und entschiedener als die SPD.

Ist der Verlust der SPD nur ein kurzfristiger Effekt oder strukturell? Hat die SPD ihre klassische Klientel der aufstiegsorientierten Arbeitnehmer verloren?

Die Lage für die SPD ist im Moment dramatisch. Das liegt nicht nur an Inhalten, sondern auch am Personal. Trotzdem wäre es zu früh, das Totenglöckchen für die SPD zu läuten. Das, was man Anfang 2017 den Schulz-Hype nannte, auch wenn es ein Anti-Merkel- Hype war, gab es ja wirklich.

Hat sich mit der Auflösung der klassischen Arbeitnehmerschaft auch die Basis der SPD aufgelöst?

Die SPD muss sich neu erfinden, ohne ihre Wurzeln zu kappen. Im Moment sieht es für Außenstehende nicht danach aus, dass sie dafür einen Plan hat.

Wo bleibt die FDP – hat sie eine solide Wählerschaft, oder wird sie zwischen AfD und CDU zerrieben?

Die FDP hat aktuell auf Bundesebene eine Wählerschaft, die den Einzug ins Parlament sichert, und sie hat ein Potenzial, das an das der Grünen und der SPD heranreicht. Als bürgerlich-liberale Kraft hat die FDP eine sichere Zukunft. Auch ihr hilft es, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen.


Dieses Interview ist in Tichys Einblick, Ausgabe 10/2018, erschienen.

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