In diesen Tagen gab Österreich eine Obergrenze bekannt. Wie bei anderen Nachbarn auch wird lange vor der deutschen Grenze zunehmend gefiltert, wer nicht reinkommt. Die Folge: Rückstaus und weitere Verschärfungen. Glauben Sie nicht, dass das ohne Merkelwort geschieht.
Seehofer droht, das entsetzte Europa fordert, selbst manches Mainstream-Medium jammert schon – aber die Kanzlerin bleibt eisern: keine Obergrenzen für Flüchtlinge.
Vera Lengsfeld hat in „achgut“ die Theorie belebt, es sei der Tunnelblick der Macht, der Merkel immun mache gegen die Realitäten, sei es die Migrantenkriminalität oder die zunehmende Unruhe in der Bevölkerung. Sie bringt herrliche Anekdoten aus dem unterhaltsamen Buch „Die Torheit der Regierenden“ der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman und eine noch lustigere aus ihrer eigenen (und Merkels) Vergangenheit: In der damaligen DDR hatten die Genossen auf der Fahrtroute von Wandlitz nach Berlin alle Häuser gestrichen, allerdings nur bis zu der Höhe, die Erich Honecker aus seiner Limousine sehen konnte. Darüber blieb alles wie im Rest der DDR, grau und trostlos. Kein Wunder, dass Erich, der Letzte, seine Zone als blühende Landschaft empfand.
Würde die Kanzlerin nur ARD und ZDF schauen, sie hätte auch den „Honecker-Blick“ auf eine fröhliche, bunte Republik. Aber wir wissen nicht, ob und was sie schaut, ob ihr täglicher Pressespiegel von allem Ungemach bereinigt ist, ob sie einen Fürsten Potemkin hat.
Andere Theorien sind, dass sie vielleicht verrückt ist. Oder nur starrsinnig. Oder gar bösartig. Ich hatte einen ganz anderen Traum: Dass sie schlauer ist, als wir alle ahnen.
Ich habe Angela Merkel einmal getroffen. Auf einem „Focus“-Fest, an dem ich als damaliger stellvertretender Chefredakteur des „Focus“ und sie als Kanzlerin teilnahm. Da es mich nie zu den Mächtigen zog, sondern eher zu den Schönen, kreuzten sich unsere Wege zunächst nicht. Sie ließ ihre Sonne über Verleger und Gefolge strahlen, ich genoss zahlreiche Biere und eine deutlich lustigere Gesellschaft. Aber wie es der Zufall wollte, kam ihre Gruppe an meinen Tisch und die Kanzlerin saß neben mir.
Es gibt kein einziges gutes Interview mit Angela Merkel. Die Fragen sind vorhersehbar, die Antworten nichtssagend. Was also war zu tun? Konversation um der Konversation willen? Etikette und Alkohol leiteten schließlich meine Worte. „Und“, startete ich frech, „was haben Sie denn inzwischen von den Männern gelernt?“
Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen! Sie fing sich schnell. „Ihr fasst euch immer an“, antwortete sie fast amüsiert. „Ich habe das genau studiert. Wenn zwei Männer sich die rechte Hand geben, ist interessant, was die linke tut. Mal touchiert sie den Oberarm, mal führt sie den Anderen in eine Richtung. Das ist eine Körpersprache der Macht,“ sagte sie. Und jetzt schon freundlich: „Das Erstaunliche ist, das funktioniert!“
Angela Merkel ist Naturwissenschaftlerin. Sie beobachtet und zieht ihre Schlüsse. Sie schießt nicht schnell, sie trifft. In der Berliner Kakophonie bleibt sie oft still, und meistens ist das gut so.
Nehmen wir Köln und den folgenden Eiertanz. Gabriel fordert irgendwas, natürlich fordert auch Maas. Die Kanaillen sind in der Regierung! Die müssen nicht fordern, die müssen machen! Vielleicht hat Maas vergessen, dass er Justizminister ist. Für Angela Merkel hat sich nach Köln nichts geändert. Würde sie „nach rechts“ schwenken, macht sie Rot-Rot-Grün möglich.
Sie mögen denken, dass ja selbst die Linkspresse nach Köln vom Kurs abgekommen sei. Täuschen Sie sich nicht! Es wird weiter verdreht, getäuscht, beschwichtigt. Merkel weiß das. Die linke Pressemeute würde sofort Witterung aufnehmen und loshetzen. „Umfallerin“ wäre das Lieblingswort der Kommentatoren.
Ein Beleg für diese These: Als die Anti-Russland-Propaganda auf dem Höhepunkt siedete, machte Merkel Minsk möglich. Putin findet immer noch lobende Worte für die deutsche Kanzlerin. Der Macho hat sich sogar ein ganz klein wenig entschuldigt. Weil er einst bei einem Staatsbesuch im Kreml seinen Labrador im Saal spazieren ließ. Als Zeichen seiner Überheblichkeit, denn Merkel hat Angst vor Hunden, was der alte KGB-Kempe Putin natürlich weiß. Die Situation, von Merkel überspielt, bereitete dem Lümmel sichtlich Freude (Bismarck lässt grüßen). In den Folgejahren gab es Revanchen, es war ein teurer Spaß.
Natürlich weiß Merkel auch um die Wut in großen Teilen der Bevölkerung, aber sie weiß, Wut ist ein Affekt, kommt aus dem Augenblick. Der Kanzlerin bleibt noch ein Jahr Zeit, die Probleme auf ihre Art in den Griff zu bekommen. Was gelingen kann, wenn Polizei und Justiz endlich ihre Arbeit machen. So wie es im Gesetz vorgesehen ist. Da müssten noch mehrere Sozis gefeuert werden, aber das wäre ein anderer Traum.
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