Im Gegensatz zu euch selbsternannten Guten weil Linken habe ich mich davon emanzipiert, gut wirken zu wollen und versuche stattdessen, im Rahmen meiner Möglichkeiten so etwas wie gut zu sein.
Eigentlich kann man, wenn man so einen Kommentar veröffentlicht wie ich vorgestern, die Uhr danach stellen, wann der erste linksgrüne Weltverbesserer einen auf das Elend in der Dritten Welt aufmerksam macht, an dem man durch die westliche Ausbeutung selbstredend in hohem Maße beteiligt sei. Nicht wundern bräuchte man sich da, heißt es, wenn die Menschen sich hier zu uns auf den Weg machen würden und nun sei es an uns, etwas zurückzugeben.
Ja, ein dahin gepfeffertes „Ich muss gar nix“ erscheint im ersten Augenblick egoistisch, mitunter kaltherzig. Denn in der linken Welt ist das so einfach. Da ist der gut, dessen „gut sein“ man unmittelbar erkennen kann. An Aussagen, wie solchen, dass es eben unsere verdammte Pflicht sei, die Grenzen offen zu lassen und all diese Menschen aufzunehmen. Dass wir mindestens eine Teilschuld an der Situation in den Heimatländern dieser Leute tragen. Und an dem ewigen Kampf gegen alles, was in der linken oder einfach nur politisch ahnungslosen und sich deshalb der Mehrheit anschließenden Welt irgendwie als rechts, rassistisch oder was auch immer gilt.
Kapitalismuskritik ist schon eine feine Sache. Ich kenne das. Ich war auch mal so. Da kann man so gut unterteilen. In Gut und Böse, Oben und Unten. Und doch hat es irgendwie immer diesen pseudointellektuellen Touch, durch den es so wirkt, als hätte man die Welt nur besser durchschaut als alle anderen und der zumindest kurzzeitig darüber hinwegtäuscht, dass man sich ähnlich einfacher Narrative bedient wie das rechtsradikale Spektrum, welches man so sehr verabscheut.
Es ist so leicht, moralisch und gut zu wirken, wenn man links ist. Weil es so scheint als gehöre man zu den Menschen, denen die anderen am meisten am Herz liegen. Zu denen, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, während die anderen alle nur egoistisch und kaltherzig an sich denken. „Die Frau ist 27 und hat ein hübsches Gesicht. Was weiß die schon vom Elend dieser Welt? – auf jeden Fall nicht so viel wie ich.“
In der linken Gutmenschenwelt spricht man den Leuten gerne ab, dass sie sich mit den Dingen befasst haben, wenn sie nicht zu den gleichen Schlüssen kommen wie man selbst. Denn wenn ich Ahnung von der ganzen Ausbeutung, der neoliberalen Scheißpolitik, dem Syrienkonflikt und den Waffenlieferungen hätte, dann würde ich ja kaum so reden. Dann müsste ich ja eigentlich auch links sein. Denn nur wenn man links ist, hat man Ahnung von all dem.
Und in der Tat habe ich nie Entwicklungshilfe vor Ort geleistet. Das dürfte jedoch aber auch auf einen Großteil meiner linken Kritiker zutreffen. Stattdessen bestand mein erster Kontakt mit dem Elend der Dritten Welt wie bei so vielen durch den Fernseher.
10 Mark hatte ich damals an ein Herz für Kinder gespendet. Mein ganzes Taschengeld von einem Monat. Bitterlich geweint hatte ich, woraufhin meine Mutter mir den Anruf bei der Spendenhotline erlaubte. Da war ich sechs Jahre alt und nichts hatte mich bis dato in meinem kleinen Leben so berührt wie die Bilder der hungernden Kinder aus Afrika, die über den Bildschirm flimmerten.
Anscheinend muss das so etwas wie ein einschlagendes Erlebnis in meiner Kindheit gewesen sein. Die Armut dort wurde zum Herzensthema. Bis heute kann man mich mit Bildern von hungernden Kindern zum Heulen bringen. Als wäre ich immer noch sechs. Als würde ich immer noch denken, man könne mit 10 Mark die Welt retten. Die Dritte Welt hat mich politisiert, diesen Planeten als einen ungerechten Ort wahrnehmen lassen, den ich, wie so viele andere, zu einem Besseren machen wollte. Und ich habe, wenn ich ehrlich bin, bis heute nicht aufgehört, mir die Frage zu stellen, wie man das am Besten anstellt.
Die einfachste Antwort auf all die komplexen Fragen fand ich schlussendlich im linken Spektrum. Plötzlich gab es vor allem einen Schuldigen und das war der Westen. Die neoliberale Ausbeutung durch IWF, WTO und Co in Afrika und die bösen Ressourcenkriege im Nahen und Mittleren Osten. Der ewige Klassenkampf war nicht mehr nur eine nationalstaatliche Angelegenheit, sondern etwas Globales. Und ich fühlte mich schuldig. Am Elend in Afrika und an der Radikalisierung junger Moslems im Mittleren Osten. Todenhöfer lässt grüßen.
Der Vorteil an Links ist, dass man Idealist bleiben kann. Dass man sich nicht an der Realität die Hände schmutzig machen muss. Zum Links-Sein bedarf es anders als früher keinen Mut mehr. Längst ist der romantisierte Klassenkampf im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Kapitalismuskritik ist hipp und nichts, weshalb man irgendetwas befürchten müsste. Der Linke selbst wird romantisiert wie seine Vorbilder der 68er und deshalb muss er sich auch nicht rechtfertigen und die Tauglichkeit seiner Ideen an der Realität beweisen. Er steht auf der Seite der Guten. Er kämpft um Gerechtigkeit, während die anderen zwangsläufig für Ungerechtigkeit sein müssen. Er will die Menschen in Afrika nähren, die Flüchtlinge der Welt aufnehmen und die Kriege im Mittleren Osten beenden, während der sadistische Rest im eigenen Saft brät.
Er weiß, dass „wir“ Schuld sind. Wir und das kapitalistische Unrechtssystem. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich das Durchschnittseinkommen eines Normalverdieners allein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von 2497 auf 4839 Dollar praktisch verdoppelt hat (inflations- und kaufkraftbereinigt). Diese Entwicklung beruht entgegen dem gängigen Vorurteil nicht allein auf der Tatsache, dass die Einkommen in den Industriestaaten um ein Vielfaches gestiegen sind. Stiegen die Durchschnittseinkommen für das reichste Fünftel der Weltbevölkerung um 75%, von 8315 auf 14623 Dollar, verlief die Steigerung beim ärmsten Fünftel ebenfalls rasant. Hier erhöhte sich das Durchschnittseinkommen von 551 auf 1137 Dollar, also um mehr als die Hälfte. Weltweit konsumieren die Menschen heute mehr als doppelt so viel wie 1960. Die materielle Entwicklung ab der 1960er Jahre bis heute hat dazu geführt, dass weltweit über drei Milliarden Menschen von Armut befreit wurden. Das Entwicklungsprogramm der UNO stellte fest, dass die weltweite Armut in der zweiten Hälfte des 20. Jh. stärker als in den vergangenen 500 Jahren abgenommen hat. Eine einzigartige Entwicklung in der Geschichte. Die durchschnittliche Lebenserwartung in den Entwicklungsländern hat sich im selben Zeitraum ebenso mehr als verdoppelt. Zugleich hat sich die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, halbiert. Von fast 37% auf unter 18%. Das ist immer noch zu viel, ja, aber es zeigt, dass die Welt nicht mehr ganz so ungerecht ist wie wir es oftmals empfinden. Hatten vor etwas mehr als einer Generation noch 90% der Landbevölkerung in den Entwicklungsländern keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, sind es heute weniger als 25%. Auch im Bereich der Schulbildung und der Demokratisierung gab es erhebliche Verbesserungen. Und man könnte ewig so weiter machen.
All diese Entwicklungen hängen in aller erster Linie mit der Einführung der Marktwirtschaft, also unmittelbar mit dem Kapitalismus zusammen. Als Linker verweist man gerne auf den Kolonialismus, um sein Geschichtswissen zu beweisen. Tatsächlich zeigt man jedoch nur seine Geschichtsblindheit und verkennt damit, dass der Kapitalismus überall dort, wo er als Wirtschaftssystem eingeführt wurde, zu einem rapiden Anstieg des Wohlstandes geführt, während der Sozialismus einem Großteil der Staaten großes Elend gebracht hat.
Aber natürlich wird man sich auch damit nicht zufrieden geben und auf die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich verweisen. Und ja, die ist größer geworden und doch ist das kein schlagendes Argument gegen den Kapitalismus. Wenn es allen besser geht, ist es relativ unerheblich, ob die einen dies schneller erreicht haben als die anderen. Entscheidend ist, dass es einem Großteil der Weltbevölkerung besser geht und nicht, dass es allen gleich oder dass es dem anderen besser geht als einem selbst. Nur wer Reichtum für ein größeres Problem hält als Armut, wer ein Problem damit hat, dass einige schneller Millionäre werden, während andere gemessen an ihrer Ausgangsbasis nur ein wenig reicher geworden sind, tut sich mit dieser Rechnung schwer. Und ja, vor allem das linke Spektrum tut dies. Weil es nämlich in der Regel gar nicht darum geht, dass es den Menschen insgesamt besser, sondern dass es einigen nach der eigenen Auffassung ZU gut geht. Links ist und bleibt eine Ideologie – entweder des naiven Idealismus, des Postulats der Gleichheit oder schlicht des Neides.
Und auch an den Konflikten im Mittleren Osten, aber auch in Regionen Afrikas ist sicher nicht „der Westen“ und sein kapitalistisches System Schuld. Vor allem der westliche Kapitalismus, der zunehmende Wohlstand und mit ihm die Bildung und Demokratisierung haben zu einer beispiellosen Befriedung von Regionen geführt. Die Probleme des Mittleren Ostens sind andere. Der Irakkrieg 2003 war ein Fehler, aber die Konflikte existieren weit länger.
Und dann kommt so etwas wie die Flüchtlingskrise. Das durch den Kapitalismus und westliche Kriege verursachte Elend live vor der Haustür und endlich kann man die eigene Schuld abarbeiten. Und natürlich lässt man sich das nicht kaputt machen von bösen Menschen, die der Ansicht sind, dass es nicht so eine gute Idee sei, wenn man versucht, die komplexen Probleme der Welt auf deutschem Boden zu lösen. Dass das zu negativen Begleiterscheinungen führt, mit denen wir weder Asylbewerbern noch uns selbst einen Gefallen tun. Aber was weiß ich herzloser, unempathischer Mensch schon darüber.
Die Wahrheit ist jedoch, dass Links eigentlich gar nicht so altruistisch ist. Dass Links eigentlich so ziemlich das genaue Gegenteil davon ist. „Wie viel Helfermoral kann man sich leisten?“ fragte mein liberaler Dozent einmal. Und genau darum geht es. Zählt für mich am Ende das Ergebnis der Handlung oder die gute Absicht?
Ich bin davon überzeugt, dass dem wirklichen „Gutmenschen das Ergebnis am Ende wichtiger sein müsste als die gute Absicht oder das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und weil es mir eigentlich auch mit sechs immer schon eher darum ging, dass die hungernden Kinder im Fernsehen was zu essen haben und nicht um das gute Gefühl, was ich dabei empfinde, wenn ich 10 Mark spende, habe ich eben irgendwann aufgehört, links zu sein und 10 Mark zu spenden oder alle Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen zu wollen. Denn diese Probleme löst man nicht mit bloßem Aktionismus aus guter Absicht heraus, der am Ende nicht selten negative Begleiterscheinungen mit sich bringt.
Nein, ich bin nicht unempathischer als früher. Nicht kaltherziger oder egoistischer. Ich stelle mir auch immer noch oft dieselben Fragen. Lediglich die Antworten haben sich verändert und das ist das Entscheidende. Ich habe schlicht aufgehört, meine emotionalen Befindlichkeiten über die Ratio zu stellen. Habe aufgehört, vor allem gut wirken zu wollen und mich stattdessen darum bemüht, im weitesten Sinne so etwas wie gut zu sein und keine Hetzjagden auf jene zu veranstalten, die meine Ansichten nicht teilen.
Es war der fundamentale Fehler unserer Regierung, diese Probleme, die in rasender Geschwindigkeit auf uns zukamen, so lange ignoriert zu haben. Alles wäre besser gewesen als die jetzige Situation. Viel einfacher und deutlich effektiver hätte man Flüchtlingshilfe vor Ort und in den Nachbarländern organisieren können. Ohne Menschen zu entwurzeln und uns in Unsicherheit und kulturelle Konflikte zu führen. Aber auch jetzt kann die Antwort nicht heißen, dass wir alles bedingungslos schlucken uns ausbaden müssen. Auch jetzt müssen immer noch Lösungen her, die besser sind als jetzigen. Die Welt ist zu komplex für eure einfachen Antworten.
Nur leider ist gerade das hier in Europa und vor allem in Deutschland nicht möglich. Denn der Diskurs ist immer noch tabuisiert bzw. überlässt man ihn jenen, die sich mich stolz geschwellter Brust „Gutmensch“ nennen, obwohl sie genau das eben nicht sind, weil ihnen in aktionistischen Scheuklappen letztlich egal ist, welche Konsequenzen ihre Einstellung mit sich bringt. Jenen, die Menschen wie mich und all die anderen Kritiker zu unempathischen Schlechtmenschen degradieren und als Rassisten diffamieren, weil ihre Absichten vermeintlich gut, während wir innerlich hässlich sind.
Aber mir ist es egal, was ihr von mir haltet. Ob ich für euch ein Rassist ohne erkennbaren Rassismus bin oder ein herzloser Kapitalist, der doch genauso viel gegen Armut und Elend hat wie ihr. Denn im Gegensatz zu euch habe ich mich davon emanzipiert, gut wirken zu wollen und versuche stattdessen im Rahmen meiner Möglichkeiten so etwas wie gut zu sein. Und ganz vielleicht bin ich am Ende dadurch mehr Gutmensch als ihr es jemals gewesen seid.
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