Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal Hitlers Angriff auf die Sowjetunion. Ökonomische Gründe spielten eine zentrale Rolle dabei.
Im Denken von Hitler spielten wirtschaftliche Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle, wie ich ausführlich in meinem Buch „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ gezeigt habe. Hitlers Ziel war es, neuen „Lebensraum im Osten“, also in Russland zu erobern. Daraus hatte er keinen Hehl gemacht und dies offen in seinem Buch „Mein Kampf“, in seinem sogenannten „Zweiten Buch“ und zahlreichen Reden bekundet.
Hitler hing einer Theorie an, die auch von marxistischen Theoretikern wie Rosa Luxemburg oder Nicholai Bucharin vertreten wurde, der Theorie von der „Schrumpfung der Märkte“. Er hielt den Weg, den die deutschen Unternehmen gegangen waren, nämlich primär auf Exporte zu setzen, für einen großen Fehler. Nach Hitlers Meinung würden die Absatzmärkte infolge der Industrialisierung ehemaliger Entwicklungsländer immer mehr schrumpfen. Deshalb führe die Exportorientierung in die Sackgasse, nur neuer Lebensraum im Osten könne die Probleme lösen.
„Der Mensch lebt nicht von Ideen, sondern von Getreide und Korn, von Kohle, Eisen, Erzen, lauter Dinge, die im Boden liegen. Und wenn dieser Boden fehlt, nützen alle Theorien nichts. Es ist nicht ein Problem der Wirtschaft an sich, sondern des Bodens“, so Hitler. In einem Vortrag mit dem Titel „War der Zweite Weltkrieg unvermeidlich?“
formulierte Hitler seine Theorie, die er seit seinen frühen Reden und „Mein Kampf“ immer wiederholt hatte: „Will man den Lebensraum nicht erweitern, dann muss eines Tages ein Missverhältnis entstehen zwischen der Volkszahl, die dauernd wächst, und dem Lebensraum, der gleich bleibt. Das ist die Absicht der Natur: Dadurch zwingt sie nämlich den Menschen zu kämpfen, genau wie jedes andere Wesen in der Welt. Es ist der Kampf um die Ernährung, der Kampf um die Grundlagen des Lebens, um die Rohstoffe, die die Erde bietet, die Bodenschätze, die unter ihr liegen, und die Früchte, die sie dem bietet, der sie bebaut.“ Diesen Lebensraum wollte Hitler in Russland erobern.
Ihm ging es keineswegs darum, für privatkapitalistische Unternehmen neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte zu erschließen, denn für die Zeit nach dem Krieg und in den eroberten Gebieten schwebte ihm eine Planwirtschaft vor. Kurz nach dem Angriff auf die Sowjetunion, am 28. Juli 1941, erklärte er: „Freilich lässt sich ein sinnvoller Einsatz der Kräfte eines Volkes nur mit einer Planwirtschaft von oben her erreichen.“ Und etwa zwei Wochen darauf sagte er: „Was die Planmäßigkeit der Wirtschaft angeht, stehen wir noch ganz in den Anfängen…“ Diesen Gedanken wiederholte er etwa ein Jahr später: Auch nach dem Krieg würde man „auf eine staatliche Lenkung der Volkswirtschaft nicht verzichten können“, da sonst jeder Interessenkreis ausschließlich an die Erfüllung seiner eigenen Wünsche denke.
Hitler bewunderte zunehmend das sowjetische Wirtschaftssystem, das er dem kapitalistischen für weit überlegen hielt. „Wenn Stalin noch zehn bis fünfzehn Jahre an der Arbeit geblieben wäre“, so sagte Hitler im August 1942 im kleinen Kreis, „wäre Sowjetrussland der gewaltigste Staat der Erde geworden, da können 150, 200 oder 300 Jahre vergehen, das ist so eine einmalige Erscheinung! Dass der allgemeine Lebensstandard sich gehoben hat, daran ist kein Zweifel. Hunger haben die Menschen nicht gelitten. Alles in allem gesehen, muss man sagen: Die haben Fabriken hier gebaut, wo vor zwei Jahren noch unbekannte Bauerndörfer waren, Fabriken, die die Größe der Hermann-Göring-Werke haben.“ Bei anderer Gelegenheit sagte er, ebenfalls im internen Kreis, Stalin sei ein „genialer Kerl“, vor dem man „unbedingten Respekt haben“ müsse, besonders wegen seiner umfassenden Wirtschaftsplanung. Es stehe für ihn außer Zweifel, so fügte er hinzu, dass es in der UdSSR, im Gegensatz zu den kapitalistischen Staaten wie etwa den USA, Arbeitslose nicht gegeben habe.
Mehrfach erwähnte der Diktator im kleinen Kreis, man müsse die großen Aktiengesellschaften, die Energiewirtschaft und alle anderen Wirtschaftszweige, die „lebensentscheidende Rohstoffe“ produzierten (z.B. die Eisenindustrie) verstaatlichen. Selbstverständlich war der Krieg nicht der richtige Zeitpunkt für die Realisierung solch radikaler Sozialisierungskonzepte. Hierüber waren sich Hitler und die Nationalsozialisten bewusst, die ohnehin alle Mühe hatten, die Sozialisierungsängste der Unternehmer zu beschwichtigen. So heißt es in einem Aktenvermerk des SS-Chefs Heinrich Himmler vom Oktober 1942, dass „während des Krieges“ eine grundsätzliche Änderung der kapitalistischen Wirtschaft nicht möglich sei. Jeder, der dagegen „anrenne“ würde ein „Kesseltreiben“ gegen sich heraufbeschwören. In einem im Juli 1944 von einem SS-Hauptsturmführer verfassten Bericht wird die Frage „Warum betreibt die SS Wirtschaft?“ so beantwortet: „Diese Frage wurde besonders von Kreisen aufgeworfen, die rein kapitalistisch denken und es nicht gern sehen, dass Betriebe entstehen, die öffentlich sind oder zumindest einen öffentlichen Charakter haben. Die Zeit des liberalistischen Wirtschaftssystems fordert den Primat der Wirtschaft, d.h. erst kommt die Wirtschaft und dann der Staat. Demgegenüber stellt sich der Nationalsozialismus auf den Standpunkt: Der Staat befiehlt der Wirtschaft, der Staat ist nicht für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ist für den Staat da.“
In einem Gespräch mit Mussolini Ende April 1944, bekannte Hitler, er sei zu der Überzeugung gelangt, der Kapitalismus hätte seine Rolle ausgespielt, die Völker würden ihn nicht mehr ertragen. Den Krieg würden nur Nationalsozialismus und Faschismus und „vielleicht der Bolschewismus im Osten“ überleben.
Rainer Zitelmann ist Autor von „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ – Quellenangaben zu allen Zitaten in diesem Buch:
https://www.amazon.de/dp/3957681898/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1498023084&sr=8-1&keywords=zitelmann+hitler
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Es ist doch längst alles gesagt und geschrieben. Und wir haben gehört, gelesen und gelernt, was wir lernen sollen. Alles bis ins Detail passend gemacht dazu, uns den Kopf gesenkt halten zu lassen und das Rückgrat gelenkig genug, um jederzeit auf Anordnung den kollektiven Kotau zu vollziehen. Die Deutschen (so es dann noch welche gibt) sollen und werden auch 2191 bußfertig zum 250. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion niederknien und ihre unsühnbare Schuld beteuern. Übrigens sind die Klerikalhistoriker in heller Aufruhr. Jüngst veröffentlichten Unterlagen des Auswärtigen Amtes zufolge könnte der römische Legionär, der Christus mit dem Lanzenstich tötete, ein… Mehr
Alles ist Geopolitik. Es geht immer um die Erschließung von Ressourcen für das eigene Volk. Dabei spielt die Balance aus Bevölkerungsdichte, dem individuellen Ressourcenbedarf eines einzelnen und die nutzbar zu machende Landmasse und ihre Bodenschätze eine entscheidende Rolle. Man kann über seine lokalen Verhältnisse leben, wenn man entsprechende Handelspartner hat, die den höheren Ressourcenbedarf durch den Verkauf ihrer nicht selbst benötigten Ressourcen kompensieren. Allerdings führt dies zu Abhängigkeiten vom Handelspartner und damit zu einem wirtschaftlichen Druckmittel, was bis zur Erpressung politischer Art missbraucht werden kann und oftmals auch wird. Mann muss sich seine Handelspartner genau aussuchen, damit neben dem wirtschaftlichen… Mehr
Wie immer mehr als interessant.
Leider mit Kommentarbereich… Nichts ist peinlicher und als über den zweiten Weltkrieg philosophierende Foristen.
Man sollte nicht vergessen: Die Ölfelder im Kaukasus waren ein enorm wichtiges Kriegsziel, damit die Kriegsmaschine überhaupt weiterlaufen konnte. Wahrscheinlich war es DAS Kriegsziel schlechthin. Daher drehte Hitler auch vor Moskau ab, um so schnell wie möglich in den Kaukasus vorzustoßen. Warum war Stalingrad der Wendepunkt? Weil danach klar war, dass die Deutschen nicht mehr genug Öl und Benzin für Fabriken und Panzer haben werden, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Zu den Rohstoffproblemen gesellten sich Material- und generell logistische Probleme. Ruhiges Hinterland zum Testen und Experimentieren, wie die USA oder die Sowjets, hatte Deutschland damals nicht. Man war… Mehr
Ich finde die Diskussion, ob Überfall oder Präventionskrieg lächerlich.
Was war geschehen: 2 Mächte hatten Osteuropa unter sich aufgeteilt. 2 Mächte hatten Polen unter sich aufgeteilt. (Wie schon mal im 18. Jahrhundert). Nur einer Macht wurde von anderen Mächten der Krieg erklärt. Clever von der einen der beiden Mächten, dumm von der anderen.
Was aber immer selbst für jeden Deppen klar war: Wenn nach einiger Zeit beide Mächte noch da sind, wird es zum Kampf kommen (Es kann nur einen geben.). Wer dann zuerst zuschlägt, ist vollkommen egal.
Einer von vielen tragischen Irrtümern des Kleingeistes Adolf Hitler. Nicht das Land entscheidet über das Schicksal eines Volkes, sondern sein Humankapital. Dazu der Witz eines niederländischen Journalisten: Wie kommt das? Die Russen haben alles und können nichts, die Deutschen haben nichts und können alles. Auf winzigen Landflecken leisten Nordostasiaten (Koreaner, Taiwanesen, Japaner, Singapurianer) zehnmal mehr die Bewohner der riesigen ehemaligen Sowjetunion.
Hitler hat nie verstanden, dass es nicht immer nur Krieg braucht, um zu herrschen. Politische Macht hat er nicht verstanden, so hat er auch nie verstanden, dass Deutschland in Europa quasi schon die alleinige Führungsmacht war, nachdem die Franzosen und Engländer ihm Österreich und das Sudetenland gaben. Der Vertrag von Versailles war die Tinte nicht mehr wert, denn aufgerüstet wurde trotzdem, und auch das war kein sonderliches Problem, lediglich der Flottenvertrag war dem Empire wichtig, um weiter „rule the sea“ spielen zu können. Ich verweise da auf S. Haffner: Hitler hat mit einem Gewaltakt sondergleichen das exakte Gegenteil dessen erreicht,… Mehr
Dann haben wohl Napoleon, Cäsar, Alexander der Große, Kyrus, Dschingis Khan, … auch nicht verstanden, dass sie auch ohne Krieg hätten herrschen können?
Das ist doch gar nicht vergleichbar. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg war klar, dass Imperien im Sinne von „Kolonialreich“ zu teuer und aufwendig sind, weshalb sich auch das britische Empire und das französische Kolonialreich auflöste. Politischer Einfluss durch Handel und Diplomatie ist etwas anderes, als militärische Herrschaft, und ersteres hatte Hitler enorm, spätestens nach ’39 und auch mit der klugen Bündnispolitik mit der UdSSR. Die hätte er mal besser beibehalten.
Und warum führen die USA dann ständig Stellvertreter Kriege in den sogenannten „Pivot“ Staaten, die ihnen die Kontrolle über Eurasien sichern?
Es ist doch lange bekannt, daß sich die Nationalsozialisten als die neuen Kommunisten sahen und eine durchweg linke Politik betrieben. Sie verachteten das Bürgertum. Sie waren im Gegensatz zu den Kommunisten nicht internationalistisch. Sie wollten kein „Proletarier aller Völker vereinigt Euch“ unter sowjetischer Führung. Eigentlich war das ein linker Bruderkrieg, bei dem Hitler Stalin um kurze Zeit zuvorgekommen ist.
Und deswegen wurde der sozialrevolutionäre Flügel der Bewegung im Rahmen des Röhm-Putsches auch ausgelöscht.
Wie immer wieder: Es ging dabei nicht um Ideologie, sondern einfach um Macht. Röhm war Hitler zu unabhängig, zu „wild“.
Er war das Bauernopfer Hitlers für die Zustimmung der alten Eliten, denen Röhms Ansichten zu revolutionär waren und die ihre Stellung gefährdet sahen – besonders die Reichswehr durch Röhms Idee eines Volksheeres in Tradition der frz. Revolutionsarmeen.
Ich war gerade noch am Kriegerdenkmal hier im Dorf, habe eine Kerze angezündet. Als erstem ist gedacht Anton Br., gefallen am 26.06.1941. Vier Tagen nachdem Barbarossa anhob. Nur, wem sagen diese Daten, diese Namen noch irgendwas: Fall Weiß, 22.06.1941, Brest, Doppelkessel von Wjasma-Brjansk, Rollbahn, 08.09.1941, Straße des Lebens, 19.11.1942, Operation Wintergewitter, 31.01.1943. Hier ein Link zu einem „Dankmal“ ein paar Dörfer weiter, an dem ich neulich vorbeigekommen bin: https://ibb.co/ZXvDNqN. Eine Tafel besagt: „Zum Dank für die Heimkehr aus dem 2. Weltkrieg“ Millionen hatten diese Gnade nicht. Und weitere Millionen hatten danach keine Heimat mehr. Nein, die Geschichte meint es nicht… Mehr
Es sind die Menschen die Geschichte machen: Hitler konnte nur seine Kriegspläne durchsetzen, weil genug mitmachten.
Dieses Jahr würde er seinen 106. Geburtstag feiern. Er musste vom ersten Tag der Operation Barbarossa an dabeisein, EK II inklusive. In der alten Bundesrepublik wurde er dann ein erfolgreicher Unternehmer. Sein posttraumatisches Stresssyndrom rief ihm die Erlebnisse bei Brjansk und Gomel fast jeden Tag ins Bewusstsein zurück. Bis an sein Lebensende.
Hitler als vermeintlicher Anhänger der zentralen Lenkung liess im Dritten Reich zugleich ein gewaltiges, durchaus gewolltes Chaos an Kompetenzen und sich überschneidenden Institutionen zu. Keine kriegführende Nation im II. Weltkrieg leistete sich eine zweite Streitmacht mit „politischen Soldaten“, keiner der Gegner und Verbündeten verfolgte eine solche Fülle an teils aberwitzigen Rüstungsprojekten, die neben- und gegeneinander entwickelt wurden. Die SS versuchte sich zum Ende des Krieges sogar an Fluggeräten, obwohl sie keine Luftwaffe besass. Von übergeordneter Planung keine Spur.