Ist Deutschland ein Volksfest oder ein einziges großes Kreuzberg?

Was steht für Deutschland – der bizarre Berliner Stadtteil Kreuzberg oder ein Volksfest wie das Gillamoos in der bayerischen Hallertau? Das Feindbild der grünen Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sind die Deutschen, die sich auf Volksfesten wie dem „Gillamoos“ vergnügen. Aber was ist, wenn dies die Mehrheit ist?

IMAGO / Future Image

Was steht für Deutschland – ein Berliner Stadtteil wie Kreuzberg oder ein bayerisches Volksfest mit Bierzelten und Blasmusik? Und an wem soll sich Politik orientieren? CDU-Chef Friedrich Merz (67) hat beim politischen Frühschoppen auf dem Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg seine Vorstellung von Deutschland mit folgendem Satz erklärt: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.“

Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, die im Auftrag der Ampel deren Haushaltspolitik und damit die Schwerpunkte der Politik verteidigen sollte, sieht es ganz anders: Gillamoos, das sind  „die Menschen, deren Familien seit Hunderten von Jahren in diesem Land leben“ und etwas zurückgeblieben sind. Für Dröge haben die Menschen in Gillamoos nur eine Religion, nur eine sexuelle Orientierung, nur eine politische Überzeugung. Zu wenig, findet Dröge, ganz Deutschland muss ein großes Kreuzberg werden und Gillamoos ist für Dröge alles das, was nicht das grüne, das vielfältige Kreuzberg-Deutschland ist.

Verdrängte Wirklichkeit

Aber wer hat nun Recht? Dröge steht für absonderliche Behauptungen, etwa die,   dass die Wirtschaft gut durch die Krise gekommen sei. Dass die Krise Fahrt aufnimmt, wie alle Daten zeigen – das sieht sie nicht mit ihrer Kreuzberger Brille. Auch, wenn das Statistische Bundesamt gerade meldet, dass die deutsche Industrie den größten Auftragseinbruch seit drei Jahren hinnehmen muss. Um 11,7 Prozent schrumpften die Neuaufträge im Vergleich zum Juni. Selbst Habecks Wirtschaftsministerium kommt zu der Einschätzung: „Eine nachhaltige Belebung der Industriekonjunktur lässt sich daraus angesichts des eingetrübten Geschäftsklimas und der schwachen Weltkonjunktur aber nicht ableiten.“ Aber für Dröge ist alles prima. Es sind eben zwei parallele Wirklichkeiten, Gillamoos und Kreuzberg, solide Staatsfinanzen und Ampel-Haushalt widersprechen sich.

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Hätte die Bundespolitik auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Wirtschaft, könnte man die Haushaltsdebatte als Einleitung eines Insolvenzverfahrens verstehen – nicht nur, aber auch, weil der Bundesfinanzminister seinen eigenen Haushalt kritisierte und vor dem drohenden Staatsbankrott metaphorisch warnte. Denn der Haushalt ist nicht tragfähig, sondern überschuldet.

Die großen Verschuldungsermächtigungen, die insgesamt 522 Milliarden Euro bei einem Haushalt von 445 Milliarden Euro betragen, sind aus dem Etat genommen und in Sondervermögen versteckt. Man könnte einwenden, dass diese Sonderschulden bis 2027 gestreckt werden können. Doch erstens betragen laut Bundesrechnungshof die Schulden für den Etat 2024 eben nicht 16,6 Milliarden Euro, wie Lindner behauptet, sondern 85,7 Milliarden Euro. Außerdem existiert noch eine Finanzierungslücke von 14,4 Milliarden Euro, von der Lindner bis heute nicht weiß, wie er sie schließen soll, eine Lücke, die er euphemistisch „haushaltspolitischer Handlungsbedarf“ nennt.

Man könnte also die Finanzierungslücke noch auf die Schulden setzen und käme dann auf 101 Milliarden Euro. Rund ein Viertel des Haushaltes beruht also auf Krediten oder auf Geldern, von denen man noch nicht weiß, woher sie kommen. Lindner raunte in seiner Rede von einem „Eisberg“, der 2027/28 sichtbar werden würde, auf den wir zuhielten. Er warnte, dass der Eisberg seine Position nicht verändern wird, und schlussfolgert daraus vollkommen logisch, dass wir unseren Kurs, dass die Bundesregierung ihren Kurs ändern müsste. Das ist richtig, allein sie tut es nicht, und dass der Kurs Richtung Eisberg bleibt, dafür kämpft Dröge.

Dabei hat das Jahr 2028 das Zeug dazu, zum Jahr der Kollision der Bundesrepublik mit der Realität zu werden, denn die Realität schert sich weder um Gillamoos noch Kreuzberg. Denn 2028 werden die Finanzierungsspielräume der Sondervermögen nicht mehr bestehen und die Tilgungsverpflichtungen aus den Notlagenkrediten der Jahre 2020 bis 2022 werden fällig. Das ist der Eisberg, den Finanzminister Christian Lindner benennt und an dem das Staatsschiff zerschellen kann. Würde der Bundeskanzler über ein intaktes Erinnerungsvermögen verfügen, wüsste er das, denn er war damals Finanzminister, als die Notkredite aufgenommen wurden.

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Andere versuchen, den Eisberg zu vermeiden. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer planen oder realisieren fast ein Drittel der Industriefirmen eine Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland oder die Einschränkung der Produktion im Inland. Abwanderung, Produktionseinstellung oder Insolvenz, die man als Deindustrialisierung zusammenfassen kann, nehmen Fahrt auf. Wenn also der Tanker oder Kreuzer Bundesrepublik mit Lindners Eisberg kollidiert, wird die Regierung aus Gründen der von ihr verursachten und beschleunigten Deindustrialisierung und durch die Verrentung eines großen Teils der Babyboomer mit einem dramatischen Ausfall an Steuereinnahmen und einem nicht minder dramatischen Anstieg an Sozialleistungen keinerlei Manövriermöglichkeiten mehr haben. Um in Lindners Bild zu bleiben, sie würde dem Eisberg nicht mehr ausweichen können, sondern ihn in voller Fahrt rammen. Laut einer Studie der Universität Freiburg ist die Nachhaltigkeitslücke auf 17,7 Billionen Euro gestiegen, heißt, die Lücke für Rückstellungen für die Sozialkassen, für Rente, Gesundheit und Pflege geht in die Billionengröße.

Das alles ist bekannt. Der Finanzminister benennt die nahende Katastrophe, wenn auch nur in einem zugegeben nicht allzu originellen Bild, doch die Regierung tut alles, um das Desaster noch zu vergrößern.

Keine Achtung vor dem Volk

Hoch ist die Achtung nicht vor dem Volk, denn das einzige, was der Bundeskanzler als Antwort auf die berechtigte und letztlich sogar noch moderate Kritik von Friedrich Merz als Oppositionsführer vorzubringen hat, sind Worthülsen, so hohl klingende Phrasen vom Deutschlandpakt, von der Entbürokratisierung und der Beschleunigung. Doch blickt man genauer hin, verbergen sich hinter den eigentlich positiven Begriffen wie Entbürokratisierung und Beschleunigung nichts anderes als die Beschneidung und Einschränkung der Einspruchs- und Widerspruchsrechte der Bürger, denn Habecks Windradbesessenheit und Photovoltaik-Leidenschaft sollen durch die Bürger nicht mehr aufgehalten werden.

Dieser Bundeskanzler, das wurde im Plenum deutlich, hat den Deutschen nichts anderes zu bieten als Verluste und herbe Einschnitte, als Verlust von Freiheit, Verlust von Wohlstand und Verlust von innerer Sicherheit. Er ist der Kanzler, der einer falschen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik folgt, man möchte fast spotten, der Otto Grotewohl des klimaneutralen Deutschlands. Friedrich Merz hatte Scholzens Ampel richtig charakterisiert, als er ihr Klassenkampfrhetorik vorwarf. Sie baue am   bevormundenden, paternalistischen Staat, der hohe Steuern eintreiben würde und sie nach Abzug horrender Verwaltungskosten gönnerhaft verteilt. Klar, dass die Regierung das nicht gerne hört.

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Dabei hat Dröge nicht einmal ihrem Finanzminister zugehört, sie liest ja auch keine Wirtschaftsdaten und sieht den Eisberg nicht, vor dem Lindner warnte. Für Dröge gilt nur: „Wir als Ampel gehen die Aufgaben, die vor uns sind, an mit Tatkraft, mit Mut zur Zukunft …“ – und, möchte man da ins Singen geraten: „Hammer und Zirkel im Ährenkranz,/Zeichen des Glücks an der Wiege,/weit über die Grenzen des Vaterlands/trägt es den Ruhm unsrer Siege.“

Der Sozialismus oder die klimaneutrale Gesellschaft schreitet von Triumph zu Triumph voran. Hübsch übrigens, dass die Fraktionsvorsitzende der Grünen faktenbefreit behauptet, dass „die Preise deutlich gesunken“ seien, um etwas später die Anpassung der Regelansätze an die Inflation zu loben, eben wegen der „hohen Preise in diesem Land“. Wieso muss man die Regelsätze an die Inflation anpassen, wenn die Preise sinken? – Das wird Dröges Geheimnis bleiben.

Will man im Bild sehen, wie sehr sich die FDP verkauft und verbogen hat, dann muss man beobachten, wie sehr sich die Abgeordneten der FDP zum pflichtschuldigen Applaus für die faktenfreie Rede der grünen Fraktionsvorsitzenden gewunden und gequält haben – und nicht alle konnten sich überwinden. Diese Koalition hält nur noch der pure Machterhalt, die Posten und Pöstchen zusammen, ansonsten ist sie völlig zerrüttet.

Die Arbeitslosigkeit in Kreuzberg beträgt übrigens fast 10 Prozent; im Landkreis Kehlheim, da wo das Volksfest abgehalten wird, entwickelt sie sich gegen 2 Prozent. Das nannte man früher Vollbeschäftigung.

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Kommentare ( 8 )

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8 Comments
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Esteban
1 Jahr her

Bodenständigkeit und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, auch wenn dies von den „Progressiven“ gerne so vermittelt wird.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele dieser Bierzeltbesucher mehr interkulturelle Erfahrung mitbringen als so manch ein Bewohner eines Stadtteils wie Kreuzberg, wo Menschen mit Migrationshintergrund leider häufig „unter sich“ sind.
Am Wochenende wird zur Blasmusik geschunkelt, am Montag hat man dann im mittelständischen Betrieb eine Videokonferenz mit chinesischen Zulieferern, am Dienstag plant man die Beteiligung an einer Fachmesse in Madrid, am Mittwoch empfängt man Kunden aus Saudi-Arabien, und am Donnerstag fertigt man Exporte nach Italien ab.

Teiresias
1 Jahr her

Kreuzberg lebt wie ganz Berlin auf Kosten Anderer.
Funktioniert super, sagt man in Berlin.
Sollten alle machen, denkt man in Berlin.
Der Versuch läuft.
Ampelpolitik. Schuldenfinanziert leben auf Kosten der zukünftigen Anderen.

Sozialismus funktioniert.

Bis das Geld der Anderen alle ist – was auf diese Weise noch vor der Geburt der Anderen der Fall sein könnte, auf deren Kosten man zu leben gedenkt.

Last edited 1 Jahr her by Teiresias
Marcel Seiler
1 Jahr her

Viele verstehen unter Politik etwas anderes als ich: Für mich hat Politik die Aufgabe, die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen die verschiedenen Menschen ihre eigenen Lebensentwürfe so gut wie möglich leben können – unter der Bedingung, dass sie die Finanzierung dieser Lebensentwürfe auch selbst verdienen. Für andere hat Politik die Aufgabe, alle Menschen zu den Lebensentwürfen zu bringen, diese anderen gut finden. Über die Finanzierung denken diese anderen eher nicht nach.

verblichene Rose
1 Jahr her
Antworten an  Marcel Seiler

Geben Sie sich auch alle vier Jahre neue „Rahmenbedingungen“?
So wie ich das sehe, beackert die heutige Politik Probleme, die wir ohne sie nicht hätten!

flo
1 Jahr her

Aus einem Bericht von der Bundestags-Website: „Katharina Dröge wendet sich vor allem an Merz und zitiert seine Aussage in einem bayerischen Bierzelt: Nicht Kreuzberg ist Deutschland – Gillamoos ist Deutschland. Solche Bilder wähle Merz immer wieder, sagte Dröge, und er definiere damit, wer dazu gehöre und wer nicht, wer in diesem Land richtig sei und wer falsch. Wenn er von kleinen Jungs im Kindergarten spreche, deren Eltern muslimisch seien, dann spreche er von ‚kleinen Paschas‘, ukrainische Flüchtlinge nenne er ‚Sozialtouristen‘ Arbeitslose würden bei ihm zu ‚Arbeitsverweigerern‘. Was an Kreuzberg sei nicht deutsch, was sei an Gillamoos deutscher, fragte sie Merz:… Mehr

NochNicht2022
1 Jahr her

Katharina Dröge: Sie ist ein ausgesprochener Niemand, der noch nie gearbeitet hat, sondern seit 2004 als Maderl mit 16 Jahren, nunmehr schon fast zwei Jahrzenhte wirres grünes Sektenzeug daherschwätzt (Bsp. „Aufbruch in die Gesellschaft der Vielen“ oder „Digital bedeutet: Mit dem Internet“).

Biskaborn
1 Jahr her

Eine Dröge wird auch weiterhin ungeniert Unwahrheiten verbreiten dürfen da ihr niemand wirklich ins Wort fällt und zur Gegenrede ausholt. Das wäre auch Aufgabe eines soliden Journalismus, objektiver , realitätsbezogener Medien. Alles das gibt es nicht mehr und so darf diese Dame sich auch noch so richtig wohlfühlen bei ihren irrigen Ausführungen!

Ruhrie
1 Jahr her

Ich sag es mal so: Berlin-Kreuzberg, Duisburg-Marxloh und ein bayrisches Volksfest sind nicht unbedingt die Orte, an denen ich mich als Ruhrgebietler wohl fühle – man mag es mir verzeihen. Allerdings, wenn ich wählen müsste, bevorzuge ich das bayrische Volksfest.