Hans-Peter Bartels (SPD) zerlegt die eigene Partei

Süffisant breitet SPD-Urgestein Hans-Peter Bartels seine Kritik an der SPD aus, die sich bereits freut, wenn sie Dritte wird. Mit dem Personal sei keine Renaissance denkbar, Selbstkritik dazu tabu. Ruhen jetzt alle Hoffnungen auf Boris Pistorius als Alternative?

picture alliance/dpa | Gregor Fischer

Die nachfolgenden Sätze stammen von keinem Oppositionspolitiker, auch nicht von einem der wenigen verbliebenen regierungskritischen Medienprofis. Sätze wie diese: Den Rücksturz der SPD „in die Realität einleiten können nicht Klingbeil, Esken und Kühnert, den muss der SPD-Kanzler selbst anführen.“ „Scholz schießt – aber leider am Tor vorbei … Er führt nicht.“ „Die unselige Tendenz zur Bevormundung hat die Partei von Olaf Scholz … perfektioniert.“ Die Wähler „erwarten keine pompöse ‚Respekt‘-Propaganda, sondern einfach Achtung vor ihrem ganz normalen Lebensentwurf.“ Diese Sätze stammen von einem Mann, der über Jahrzehnte hinweg für die SPD stand und die SPD repräsentierte: Hans-Peter Bartels.

Hans-Peter Bartels (HPB) ist nicht irgendwer. Der heute 63-Jährige, promovierter Politikwissenschaftler, war von 1998 bis 2015 für Kiel direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter. 2014/2015 war er Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und von 2015 bis 2020 Wehrbeauftragter des Bundestages (Details siehe unten). Seit Mai 2022 ist HPB Präsident der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“. Er schreibt allmonatlich die Kolumne „Zwischenruf aus Berlin“ in der Zeitschrift für „Europäische Sicherheit & Technik“ (ESUT). Die ESUT ist offizielles Organ der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.“ (GSP) sowie der Clausewitz-Gesellschaft e.V. und der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V. (IDLW)

HPBs SPD-Vivisektion

Da die SPD ja noch lebt, kann man HPBs „Zwischenruf“ zur Lage der SPD im aktuellen Juli-Heft von ESUT nicht einmal als herkömmliche Obduktion bezeichnen; es ist vielmehr eine Sektion am lebenden Objekt, also eine Vivisektion. Nachfolgend über die eingangs zitierten Aussagen hinaus HPBs Hammerdiagnosen zur SPD:

  • Dass die SPD am 9. Juni bei der Wahl zum EU-Parlament auf 13,9 Prozent abgestürzt sei, dafür könne man (so HPB mit einer gewissen Süffisanz) „tausend Gründe“ anführen: „widerborstige Koalitionspartner, missgünstige Opposition, undankbare Wähler, gemeine Medien, fiese Social-Media-Welt, böse Rechtspopulisten, sozialer, technischer Wandel, Klimakrise, Krieg, Inflation ….“
  • HPB dann über die SPD: „Sie kämpft nicht mehr um 40, sondern um 15 Prozent, nicht mehr um Platz 1, sondern sie verkauft es schon als Erfolg, nicht Vierter, sondern Dritter geworden zu sein.“
  • HPB über wirkliche Probleme: Sonne und Wind statt Atom und Kohle, „koste es, was es wolle“. „Dazu Riesendebatten um liberale Herzensthemen wie Geschlechteridentität und Cannabis-Legalisierung – die allerdings von vielen gerade nicht als die Hauptprobleme unserer Zeit wahrgenommen werden.“
  • HPB: „Meine Erfahrung ist, dass Wähler sich nicht gerne als ‚Zu-Erziehende‘ sehen. Politik ist kein Kindergarten … Sie wollen nicht mit pädagogischem Gestus vorgerechnet bekommen, was Politik für ihr Portemonnaie tut, um dann dankbar ihre Wohltäter zu erkennen und zu wählen.“
  • HPB über das Politik-Personal: „In sich geschlossene Politik-Karrieren werden immer mehr die Regel.“ Das heißt für HPB: Mit solchem Personal ist keine Renaissance der SPD wie derzeit in Großbritannien denkbar.
  • HPB: „Selbstkritik gilt als tabu. Dann schon lieber Wählerbeschimpfung, überall Nazis, widerlich!“
HPBs Ausweg?

Bartels hat seinen „Zwischenruf“ etwas nebulös so überschrieben: „Großer IBuK, kleiner IBuK – wer rettet die SPD?“ „IBuk“ heißt: Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Diese obliegt in Friedenszeiten gemäß Art. 65a (1) des Grundgesetzes dem Bundesminister der Verteidigung. Mit Verkündung des Verteidigungsfalls geht die Befehls- und Kommandogewalt gemäß Art 115b Grundgesetz auf den Bundeskanzler über.

Es geht also derzeit um Boris Pistorius („kleiner IBuK“) und Olaf Scholz („großer IBuk“). HPB schreibt dazu und meint Pistorius: „Als Retter in der Not sehen Teile der Öffentlichkeit den populärsten Politiker Deutschlands. Es ist erstaunlicherweise ein Sozialdemokrat.“ Der allerdings seine Partei mit Vokabeln wie „Kriegstüchtigkeit“ quäle. HPB abschließend: „Aus dem kleinen IBuK könnte dann ein großer IBuk werden … Prognose; unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.“

Hierzu muss man wissen, dass Bartels selbst ein veritabler Verteidigungsminister gewesen wäre. Hätte Scholz ihn bereits im Dezember 2021 genommen, wäre der Bundeswehr und der ganzen Nation die 13-Monate-Peinlichkeit einer völlig überforderten Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erspart geblieben. Aber einen Verteidigungsminister Bartels hätte vermutlich die SPD-Fraktion nicht mitgemacht. Denn deren Vorsitzender Rolf Mützenich ist ein eingefleischt-militanter Pazifist. Ihm wäre ein Bartels ein zu guter Kenner und ein zu sehr in der Truppe anerkannter Mann gewesen. Deshalb auch hat Mützenich 2020 Bartels’ erneute Wahl zum Wehrbeauftragten des Bundestages verhindert und ihm die bis dahin in Sachen Bundeswehr ahnungslose Eva Högl (SPD) vor die Nase gesetzt.

Ist die aktuelle HPB-Kolumne also ein Racheakt für das Abservieren im Jahr 2020? Wohl nicht, denn dann hätte Bartels hierfür nicht vier Jahre warten müssen. Bartels geht es wohl wirklich um die SPD, für die er 22 Jahre stand. Wird er der SPD als Mahner erhalten bleiben? Man weiß es nicht. Oder ist ihm seine Gattin Susanne Gaschke, vormals für die SPD Kieler Oberbürgermeisterin 2012/2013 zehn Monate lang, jetzt für die „NZZ“ tätig, mit ihrem Austritt aus der SPD schon mal vorausgegangen. Gaschke hatte 2020 ihr „Parteibuch“ nach 33 Jahren SPD-Mitgliedschaft abgegeben und dies unter anderem mit dem „ehrlosen“ Umgang der SPD mit ihrem Gatten Hans-Peter Bartels begründet.

Es scheint HPB wirklich um eine SPD zu gehen, die eben nicht in erster Linie „Transferempfänger, Armutsflüchtlinge und Diverse“ repräsentieren solle, sondern diejenigen, „die zum Leben jeden Tag arbeiten gehen, weil sie auf ihr Gehalt angewiesen sind, die einen Chef über sich haben, die Kinder großziehen oder alte Eltern betreuen, für Haus, Auto und Urlaub sparen, die Steuern … zahlen und sich an die Regeln halten.“ Ob Bartels nun ein Parteiausschlussverfahren droht?

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Kommentare ( 61 )

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61 Comments
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hassoxyz
1 Monat her

Bartels gehört zu den wenigen Mitgliedern in der SPD-Fraktion, die man noch als aufrechte Sozialdemokraten der politischen Mitte bezeichnen kann, vgl. einem Schmidt, Schröder, Beck oder Müntefering. Er sollte sich als Außenseiter fragen, ob er weiterhin einer Fraktion bzw. Partei angehören will, die immer stärker von radikalen Utopisten, Spinnern und verkappten Kommunisten wie Nancy Faeser, Kevin Kühnert, Saskia Esken, Rolf Münzenich, Helge Lindh oder Bärbel Bas kontrolliert wird. Die SPD von heute ist nicht mehr sozialdemokratisch, sondern richtig sozialistisch bis kommunistisch. Sie gleicht mehr einer radikalen Sekte aus ideologischen Funktionären als einer Volkspartei aus Bürgervertretern. Bartels hat erkannt, daß diese… Mehr

Rolfo
1 Monat her

Da sich die SPD nicht klar von den Grünklimatischen abgrenzen kann sondern die zwei gar nahezu baugleich sind, kann sie weg.

William Munny
1 Monat her

Respekt vor dem Lebensentwurf. Eine wirklich tolle Formulierung. Das meine ich ernst. Unsere jetzige Regierung liegt die ganze Nacht wach und überlegt wie sie uns noch mehr schaden könnten

Sonny
1 Monat her

Eine Volkspartei ist die spd schon lange nicht mehr. Sie ist, ebenso wie der Rest dieser Regierung, ein Zusammenschluß von kleinen Verliererparteien, um die echten Gewinner abzusägen.
Hätten wir insgesamt eine echte und objektive Presselandschaft, wäre es niemals zu diesem Zerstörungsextremismus gekommen, in dem wir feststecken.

Stefan Z
1 Monat her

„Da die SPD ja noch lebt“ Wie kommen Sie darauf Herr Kraus? Die SPD ist nur noch ein Zombie, der planlos durch die Gegend wankt und nach frischen Steuermilliarden geifert. Das diese Partei mal Politiker wie Brandt, Schmitt oder Wehner hervorgebracht hat ist kaum noch zu glauben. Wann hat es in der BRD jemals einen 13,9,%-Kanzler gegeben? Herr Scholz müsste im Angesicht seiner Vorgänger vor Scham im Boden versinken und nie wieder auftauchen. Aber er lächelt oder lacht er uns aus? und macht völlig ungerührt weiter. Der Mann hat null Respekt. Weder vor seinem Amt noch gegenüber den Bürgerinnen und… Mehr

Evero
1 Monat her

Es sind einzelne SPD-Dinosaurier, die noch klaren Durchblick haben. Im Interesse des Ganzen wäre es sehr wünschenswert gewesen, wenn die echten Sozialdemokraten den die SPD kapernden Radikalssozialisten und Antifa-Terroristen schon vor ihrer Rente gesagt hätten, wie schädlich fùr das Land und hoffnungslos verpeilt die SPD-Politik ist.
Aber was soll ich sagen: Ideologen sind nicht bekehrbar. Die müssen wie Hitler die Kapitulation, das endgültige Ende ihres abwegigen Regimes spüren., um aufzugeben.

Last edited 1 Monat her by Evero
Hieronymus Bosch
1 Monat her

Der Niedergang der SPD begann schon mit Schröder, der außer großen Versprechungen in seinen Armani-Anzügen nichts geleistet hat. Scholz hatte ohnehin niemand auf der Rechnung, bis Laschet kam. Bubi Kühnert war vorher im Call-Center tätig, Esken und die restliche Führungstruppe streiten um den Titel des besten Schönredners! Dass diese Partei noch die Partei von Wehner und Brandt sein soll, steht nur noch in den Geschichtsbüchern. Der Niedergang des politischen Systems zeigt sich exemplarisch an der SPD, nur haben die Genossen es noch nicht gemerkt! Sie leben solange in ihrer Blase, bis sie platzt!

Evero
1 Monat her
Antworten an  Hieronymus Bosch

Ideologie statt pragmatische Politik und Zusammenhalt der Gesellschaft.
Die SPD ist längst keine Volkspartei mehr.

Stefan Z
1 Monat her
Antworten an  Hieronymus Bosch

Der Unterschied zwischen Laschet und Scholz war nur ein zeitlicher. Laschet lachte vor der Wahl und Scholz lachte uns nach der Wahl aus.

Neo-Realist
1 Monat her

Hans-Peter Bartels sollte sich bei der AfD vorstellen,

er hat die richtige Einstellung für eine realistische und intelligente und ideologie-freie und geerdete Politik der Mitte

Axel Fachtan
1 Monat her

Was für ein Deutschland wünscht sich die USA ? Ein völlig machtloses. Ein beliebiges Spielfeld der amerikanischen Wirtschafts- und Machtinteressen. Ein Deutschland, das kulturell zerstört wird. Ein Deutschland, das sich Nordstream wegsprengen lässt und sich nicht wehrt. Ein Deutschland, das öffentlich nicht einmal merkt, dass seit mehr als 30 Jahren ein hybrider Krieg zur Zerstörung des Landes geführt wird. Ein Deutschland, in dem alle Führungskräfte ihre Macht von den transatlantischen Turboegoisten herleiten. Ein Land, in dem ein Friedrich Merz gemeinsam mit Blackrock die deutsche Wirtschaft filetiert und tranchiert hat und das auch als Kanzler weiter so betreiben wird. Mission accomplished.… Mehr

Evero
1 Monat her
Antworten an  Axel Fachtan

Genau so ist es. Mich würdd es nicgt whndetn, wenn maßgebliche Leute der SPD und der Grünen auf der Lohnliste der CIA stehen würden.
Die CDU macht es freiwillig und kriecht den US-Falken in den Hintern.

Es gibt viel zu tun in Deutschland, wenn Deutschland je wieder den Deutschen gehören soll und nicht fremdbestimmt. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern ist das Normalste der Welt.

Stefan Z
1 Monat her
Antworten an  Axel Fachtan

Die Amerikaner können aber nichts dafür, dass die Mehrheit der deutsche Bevölkerung diesen Kurs unterstützt und wählt.

Lizzard04
1 Monat her

„Menschen, die für Haus, Auto und Urlaub sparen“? Sorry, aber gefühlt wird hier das aktuelle Feindbild der regierenden Mischkote beschrieben. Und von Scholz den „Rückfall in die Realität“ zu erhoffen, hat was vom Glauben an den Weihnachtsmann. Dazu muss man sich nur dessen Statements und wirklich unerträglichen Regierungserklärungen anhören. Scholz selbst verkörpert als Erster Realitätsferne, egal ob das die Energiepolitik, Einwanderung oder welches Thema auch immer betrifft. Man sollte bei dieser Partei nicht auf „Heilung“, sondern auf konsequente Abwahl hoffen!

Stefan Z
1 Monat her
Antworten an  Lizzard04

Ich glaube ja, dass Scholz wie Biden auch nur vom Teleprompter abliest. Man müsste nur mal herausfinden, wer die Texte dazu schreibt. Dann wüssten wir auch endlich, wer uns tatsächlich regiert. Diese Truppe kann es ja wohl nicht wirklich sein.