Gütesiegel: Die Stiftung Medientest erleichtert Ihnen die Wahl

Kleists Lösung: Ein „Gütesiegel“ könne dem Internetkonsumenten „auf Anhieb vor Augen führen, wer es mit wem zu tun hat“. Es könne mit dem TÜV-Kennzeichen auf Elektrogeräten vergleichbar sein.

via PUBLICO

Spät erscheint auch dieser Rückblick wieder, erst nach der vollständig verrauchten Woche, um ja kein Dementi der einen oder anderen Meldung zu verpassen. Es kamen aber keine, obwohl eigentlich erwartet.

In der vergangenen Woche sprach der Intendant des Saarländischen Rundfunks Thomas Kleist bei der Verleihung des Deutsch-Französischen Journalistenpreises und machte einen Vorschlag, wie die Medienqualität zu verbessern sei. Unsereiner denkt immer, eine Verbesserung sei gar nicht mehr möglich. Bei den Medien, die jemand wie Thomas Kleist üblicherweise im Auge hat, handelt es sich schließlich um Qualitätsmedien, die von diesen Medien ja selbst Qualitätsmedien genannt werden. Der Fingerzeig des Intendanten ging tatsächlich in eine andere Richtung.

„Hasskommentare“, so Kleist in Paris, verbreiten sich wie ein „Lauffeuer” im Netz, alternative Medien wirkten wie “Spaltpilze” in der Gesellschaft.

Auch „neue Internetanbieter“ und die steigende Zahl sogenannter Influencer mache es nicht einfacher, den Wahrheitsgehalt bestimmter Sachverhalte im Netz zu identifizieren. Kleists Lösung sieht folgendermaßen aus: Ein „Gütesiegel“ könne dem Internetkonsumenten „auf Anhieb vor Augen führen, wer es mit wem zu tun hat“. Es könne mit dem TÜV-Kennzeichen auf Elektrogeräten vergleichbar sein. Verlässliche Informationen, auf deren Grundlage Meinungsbildung stattfinde, seien die Basis einer Demokratie. Leider führte er nicht aus, welche Internetschrifttumskammer das Gutzeichen auf Anhieb auf einzelne Beiträge drücken soll. Die Begriffe „Spaltpilz“ und „Spalter“ haben eine gewisse Tradition, gerade in Deutschland. Fachkräfte fürs Gütesiegeln und gegen das Irremachen müssten sich also finden lassen. Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung kann Dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen garantiert sachdienliche Hinweise geben. Die von der Kahane-Stiftung getragene Internetplattform „Belltower“, die ihrerseits das Gütesiegel problemlos bekäme,

zeigte vor kurzem jedenfalls, wie ein Ungütesiegel aussieht, und zwar für die Jury der Leipziger Jahresausstellung. Die hatte nämlich den Maler Axel Krause zu eben dieser Schau eingeladen, obwohl Krause Sympathien für die AfD geäußert hatte (keine Sorge, Kause ist mittlerweile wieder ausgeladen). Seine Bilder zeigen unpolitische Szenerien.

Aber, so der Kahane-Wachturm, Werk und Künstler dürfe man heute – auch und gerade heute! – nicht mehr trennen:

„Glücklicherweise“, so Belltower, „bilden sich im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen eindrucksvolle Vernetzungsinitiativen von Zivilgesellschaft und Kunstschaffenden, die der Normalisierung der AfD und damit der Verrohung des politischen Diskurses entgegentreten wollen – auch und gerade in Leipzig. Das alles kann auch dem Verein Leipziger Jahresausstellung nicht verborgen geblieben sein. In Bezug auf die Einladung Krauses führt der Verein seine Satzung, eine demokratische Wahl der eingeladenen Künstler*innen und die Trennung von Werk und Autor als Argumente ins Feld. Letzteres ist 2019 eine wohl eher theoretische und bestenfalls antiquierte Figur, […] Das Mantra des Vereins nur ein Werk zu zeigen und nicht die Gesinnung des Künstlers, scheint vor diesem Hintergrund nicht zum Selbstschutz geeignet.“

So ähnlich, nur eben positiv und natürlich verdichtet in einem wohlgestalteten virtuellen Stempel stellen wir uns das Gütesiegel vor. „Grüner Punkt“ als Name ist ja schon vergeben, aber es gibt ja noch eine breite Vielfalt für schöpferische Ideen von Kulturschaffenden. „#WirsindmehrPilz“, irgendwas mit der Silhouette von Frank-Walter Steinmeier – für Kreativität gibt es keine Obergrenze.

Publico sagt ja zum Gütesiegel, von mir aus auch zum Ungütestempel. Mit ihm fiele dem Leser die Orientierung noch leichter als sowieso schon.

Einen Text, der jedes Gütesiegel gleich welchen Namens verdient, verschickte die Oper Leipzig in der vorigen Woche. Die Leipziger Handelshochschule beabsichtigt, Angela Merkel aus irgendeinem Grund die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Zum Festakt in der Oper soll es eine musikalische Umrahmung geben. Um diese Tatsache wiederum medial zu umrahmen, führte die Presseabteilung der Oper gleich selbst ein Interview mit ihrem Opernintendanten Ulf Schirmer, und verschickte es an Journalisten.

„Ich empfinde es als Ehre, der Graduierung der Absolventen sowie dem Festakt zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel durch die Handelshochschule einen feierlichen Rahmen zu geben“, sagte Schirmer vermutlich zu seiner Pressesprecherin.

„Dr. Angela Merkel stellt eine Figur von welthistorischer Bedeutung dar und es freut mich ganz besonders, diesen außergewöhnlichen Anlass hier in ihrer Studienstadt Leipzig gemeinsam mit dem Gewandhausorchester musikalisch gestalten zu können.

Welche Gedanken liegen der Planung des musikalischen Programms für solch einen Festakt zu Grunde?

Prof. Ulf Schirmer: […] Für einen Festakt wie diesen wählt man Musik mit einem heiteren und offenen Charakter. Außerdem fragt man natürlich, wofür steht das Orchester und das Haus musikalisch und welche Musik entspricht Frau Dr. Angela Merkel?

Für welche Werke haben Sie sich entschieden?

Prof. Ulf Schirmer: Was wir wissen ist, dass die Bundeskanzlerin ein gern gesehener Gast der Bayreuther Festspiele ist und die Werke von Richard Wagner gerne hört und sieht. Die Oper Leipzig ist zudem bekannt für ihre intensive Auseinandersetzung mit den Werken Wagners, das Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ war also schnell gesetzt.
[…]
Was macht Musik mit einem Festakt wie der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Dr. Angela Merkel?

Prof. Ulf Schirmer: Das kann ich Ihnen sagen: Sie bedeutet Erhebung! Musik feiert, würdigt und segnet die Anwesenden und den Akt als solchen.“

An der Formulierung: „Was macht das mit uns“, liebe Leser, erkennen Sie seit mindestens fünf Jahren einen Qualitätsartikel (Praxisbeispiel: „was macht bento mit uns?“). „Was macht Musik mit einem Festakt“ resp. mit dem Akt als solchen – so stellen wir uns die schöpferische Weiterentwicklung der Sprache vor, die nötig ist, um auch das nächste Qualitätssiegel einzuheimsen.

Nicht ganz unpassend zu dieser Stimmungslage veröffentlichte der SPIEGEL in seiner neuen Ausgabe ein Interview mit Egon Krenz. Wem danach ist, der soll das Heft in Supermärkten und Tankstellen durchblättern.

Apropos „Verleihung der Doktorwürde“: Diese Formulierung suggeriert fälschlicherweise, sie müsste irgendwann wieder zurückgegeben werden. Muss sie nicht, jedenfalls, wenn sie nichts mit Ehre zu tun hat. Familienministerin Franziska Giffey besitzt ihren Doktortitel immer noch, trotz der 238 Plagiatsstellen, Blindzitate, Falschzuschreibungen und anderer Mängel in ihrer Promotion. Es können auch 2.380 sein, jedenfalls nach amerikanischer Zitierweise der Texte von VroniPlag.

In einem Tagesspiegel-Interview sagte Giffey zwar in der vergangenen Woche: „Wenn du schnell laufen willst, geh’ alleine. Wenn du weit kommen willst, geh’ gemeinsam“, und jeder sogenannte durchschnittliche unbefangene Leser hätte gedacht, sie mache sich jetzt auf, gemeinsam mit Ursula von der Leyen zu gehen, die eine nach Brüssel, die andere an die SPD-Spitze, jedenfalls raus aus dem Kabinett von Dr. Merkel, der Frau von welthistorischer Bedeutung.

Tatsächliche meinte Giffey mit dem konfuzianischen Zitat nur irgendwas zur SPD, wahrscheinlich zur Doppelspitze. Die Prüfung ihrer Promotion, so die Ministerin so ziemlich am Ende ihres Interviews, laufe. Bis dahin werde sie natürlich als Ministerin Dr. Giffey weitermachen.

Das heißt, die Prüfung läuft, um genau zu sein, schon ziemlich lange. Giffeys Plagiatsaffäre begann im April, die Überprüfung der Promotion im Mai 2019. Im Fall des Freiherrn zu Guttenberg gab es die ersten Hinweise auf Plagiate in seiner Doktorarbeit am 12. Februar 2011. Am 1. März trat er zurück. Seinen akademischen Grad hatte er vorher schon abgelegt.

Auf diesem kleinen Unterschied nicht übermäßig herumgeritten zu sein ist übrigens ein weiteres Verdienst der verlässlichen Informationsmedien, die sich der Löschung von Lauffeuern verschrieben haben.

Es gibt ja nicht ohne Grund auch ein Qualitätssiegel der Verschwiegenheit. Was würde das mit uns machen, wenn wir uns darauf nicht mehr verlassen könnten?


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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Bea McL
5 Jahre her

Hassreden verbreiten sich wie Lauffeuer im Netz und alternative Medien spalten die Gesellschaft. Da hat der gute Mann natürlich recht! Seit Merkel ist alles alternativlos und da macht keiner ihrer demütig unterworfenen Sklaven*_Innen ein Geheimnis draus. Alternativen würden bedeuten wir hätten eine Wahl, und eine Wahl muss definitiv und alternativlos ausgeschlossen werden. Der von oben installierte Klimahype arbeitet im Moment noch für sie, der daraus in Kürze resultierende und fatale Wirtschaftseinbruch trifft die gesamte Gesellschaft (sind wir noch EINE?) und wird unabsehbare Folgen haben. Die in unglaublichem Maße steigenden Delikte, insbesondere gehen Mädchen und Frauen, eerden ihr übriges tun um… Mehr

mmn
5 Jahre her

Die zunehmende Verwendung der Frage „Was macht das mit uns?“ (noch besser: „mit mir?“) registriere ich auch seit Jahren. Nach meinem Eindruck ist sie ein guter Indikator dafür, daß Befindlichkeiten, Gefühle, die Subjektivität des einzelnen „Journalisten“ immer mehr in den Vordergrund geraten. Qualitätskriterien für Medien stehen fast schon seit Jahrzehnten immer mal wieder zur Diskussion. Merke: Mainstream-Medien sind durchaus dafür, da ihnen ein Qualitätssiegel das irgendwie verlorengegangene Grundvertrauen großer Teile der Bevölkerung (ja, gewisse Selbstzweifel haben diese Medien vielleicht doch) zurückzugewinnen verspricht. Voraussetzung für ihre Bereitschaft ist allerdings, daß sie selbst (und/oder ihre Verbündeten) bestimmen dürfen, was hohe Qualität ist.… Mehr

Lotus
5 Jahre her

Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks: „Verlässliche Informationen, auf deren Grundlage Meinungsbildung stattfinde, seien die Basis einer Demokratie.“ Stimmt, und die Staatsmedien tun alles, um die Informationen, auf deren Grundlage Meinungsbildung stattfindet, sortiert und gefiltert an das Publikum zu bringen. Gestern wieder ein hervorragendes Beispiel im ZDF. Ganz Deutschland spricht über die Gruppenvergewaltigung in Mühlheim. RTL kommt gestern in den 18:45 Uhr-Nachrichten „RTL aktuell“ der Informationspflicht nach und berichtet ausführlich. Es wird auch deutlich gesagt, dass die fünf Täter Bulgaren sind. Dann, direkt anschließend, die ZDF-„heute“-Nachrichten um 19:00 Uhr. KEIN Wort über Mühlheim, dafür ein fast dreiminütiger Filmbeitrag zum Thema… Mehr

Tesla
5 Jahre her

Die Kapelle spielt weiterhin Humbatätärä auf dem Narrenschiff. Jetzt muss sie ihre Musik schon mit „Gütesiegeln“ schönsaufen, um sich weiterhin selber feiern zu können.

Danton
5 Jahre her

„von welthistorischer Bedeutung.“ Der Mannn ist Intendant. Warum macht er Frau M. so klein? Will er zur AfD wechseln und seine Kündigung erzwingen? Ein ganzes Volk in die Irre zu führen und Hass und Zwiedracht zu sähen hat der ganze Kosmos noch nicht gesehen. Die Frau hat evolutionäre Bedeutung. Spätestens im neuen Koran-Testament wird Frau M. in den Rang einer Tochter Allahs erhoben, Herr Intendant.

Hoffnungslos
5 Jahre her

Muss so viel Unterwürfigkeit der Kunstszene in Leipzig gegenüber den vermeintlich Mächtigen wirklich sein? Merken diese dankbaren Taschenträger eigentlich gar nicht wie abstoßend ihr Verhalten ist? Der freie, offene, aufmüpfige Geist von Leipzig, wo ist er nur hin? In der Musikszene scheint er jedenfalls nicht zu Hause zu sein.

Markus Gerle
5 Jahre her

Auch ich fände ein Gütesiegel a la „100% PC und regierungskonform“ für Medien nicht schlecht. Es würde einem viel Zeit ersparen. Auch wäre es witzig, zu schauen, was die Medien dann alles unternehmen, um das Siegel nicht zu bekommen. Anmerken möchte ich, dass der Hinweis zum Spiegel wenig hilfreich ist. Weder in meinem Supermarkt noch in der von mir meistens besuchten Tanke, gibt es den Spiegel zum Durchblättern. Und in meinem Frisiersalon gibt es das Blatt auch nicht mehr. Dafür aber die Auto, Motor, Sport. Zumindest die Käufer der Print-Ausgabe von TE können doch wohl erwarten, dass die Redaktion von… Mehr

Amerikaner
5 Jahre her

Hasskommentar ist der Sammelbegriff für Regierungskritik geworden. Von daher, wer immer „gegen den Hass vorgehen“ möchte, möchte im Grunde nichts anderes als einen autoritären Gesinnungsstaat erzeugen, in dem die Regierung dem Volk die Meinung erlauben muss.

Stephan Stahl
5 Jahre her

Gab es das nicht schon mal „Index Librorum Prohibitorum“ was für Gläubige.

Manfred Mannheimer
5 Jahre her

Der nächste Schritt wäre dann wohl ein Gesetz, das Internetanbieter zur Sperrung von Internetangeboten ohne Gütesiegel verpflichtet. Früher konnte man mit dem Volksempfänger alternativ die BBC hören … .