Geständnisse eines Pianisten: Ich wähle SPD, aber …

„Ich selbst war ja 25 Jahre Mitglied der SPD und habe viele Freunde in der Partei gefunden. Aber ich wurde von den Führungspersönlichkeiten der Partei in Politik und ihren Sprüchen maaslos enttäuscht.“

S. Schollmeyer

Braunschweig kann nur Sänger Bosse? Nein, denn der Pianist, Keyboarder und Musikproduzent Jan-Heie Erchinger beispielsweise ist ebenfalls Braunschweiger, sogar Gründungsmitglied der Echo-Preis ausgezeichneten Jazzband Jazzkantine, Initiator erfolgreicher Musikprojekte mit ellenlanger Diskographie, ihm gehört eine Musikschule für den Nachwuchs und wenn Sigmar Gabriel nach Braunschweig kommt, spielt ihm Erchinger schon mal das Einmarsch-Piano.

Merkelland Exkursion 3
Mir würde das Abwahlrecht reichen
Kein Wunder also, dass Braunschweig aufhorcht, wenn so einer was Politisches sagt. Ein guter Grund ihn für unsere Nachbarschaftsrubrik „Merkelland“ zu befragen: Denn Erchinger ist – bzw. war es jahrzehntelang – bekennender SPD-Fan. Sogar Mitglied! Seine politischen Diskussionen im Facebook sind regionale Social-Media-Bestseller.

Ja, der Musiker traut sich was. Er schaut übers niedersächsische Notenblatt hinweg nach Berlin. Und er polarisierte auch innerhalb der SPD, weil er kein Blatt vor den Mund nahm. So war ihm ein Artikel in der Braunschweiger Zeitung über seine Erfahrung auf der Documenta Kassel Anlass genug, sich auch einmal gegen den Mainstream kritisch mit der Immigrationspolitik der GroKo-Regierung zu befassen. Seinen Braunschweigern warf er am Freitag im Feuilleton Brocken hin wie diesen hier:

„Die Schlepperkriminalität und das Ertrinken haben mich die letzten zwei Jahre massiv beschäftigt und auf Facebook zu tausenden Streitigkeiten geführt. (…) Wir müssen Realitäten anerkennen und unsere Außengrenzen schützen und normalisieren! Ich meine, es sind auch deswegen sehr viele ertrunken, weil zum Beispiel in italienischen Häfen bringende NGO’s viele geradezu zur Flucht verleiten. Traurig!“

Merkelland IV
Trotz Schlüsselfinders weiter links herum gedreht
Jan-Heie Erchinger ist nun nach vielen Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten. Und Jan-Heie Erchinger wählt zur Bundestagswahl trotzdem SPD. Wie geht das zusammen?

Im Gespräch zwischen zwei Terminen für Musikschüler, die er am Piano ausbildet, gibt er zu, dass er sich sogar eine GroKo wieder vorstellen könnte. Für eine erfolgreiche Realpolitik sei das prinzipiell gar keine so schlechte Option. Ihm sei die soziale Komponente in der Politik wichtig. „Das kann die SPD einfach besser als die Union.“ Als Beispiel aus Niedersachsen nennt er die Abschaffung der Studiengebühren. Gerechtigkeitsorientierte Bildungspolitik ist für den Musiker elementar.

„Und wenn das Handwerk jammert, dass sie keine Leute finden, dann sage ich: Tja, das ist eben Marktwirtschaft. Zahlt einfach besser, dann bekommt ihr auch besser Leute. Wie wäre es denn mal mit Teilhabe-Perspektiven? Dass der Bäckergeselle beispielsweise weiß: Du kannst hier noch was werden und wirst nicht alt auf den hinteren Plätzen in der Backstube.“

Merkelland Exkursion 2
Die Grünen: Einsatz für alle Menschen
Das allerdings sei seine Perspektive mit Blick auf sein Niedersachsen. „Bundespolitisch muss ich dann leider zugeben, dass ich Herrn de Maizière oft näher bin als Aydan Özoguz. Und auch einem Heinz Buschkowski, der ebenfalls Genosse ist und dem ich wesentlich und elementar näher bin als dem Genossen Maas.“ Heiko Maas hätte sich doch vor allem durch seine Umfallerqualitäten profiliert. Als ein Stichwort nennt er die Vorratsdatenspeicherung.

Erchinger redet Sätze fast wie vom Manuskript. Man merkt ihm an, dass er diese Themen schon etliche Male in Diskussionen und auf Facebook gedreht und gewendet hat. Im Interview muss er gebremst werden, damit man ein paar Kernsätze mitnehmen kann.

Er ist enttäuscht, erzählt er, dass sich Leute, die sich jahrelang gegen Überwachung ausgesprochen hätten, plötzlich interessiert daran sind, Kommentare im Netz genauer zu überwachen. „Ich selbst war ja 25 Jahre Mitglied der SPD und habe viele Freunde in der Partei gefunden. Aber ich wurde von den Führungspersönlichkeiten der Partei in Politik und ihren Sprüchen maaslos enttäuscht.“ (er bittet im Gespräch explizit um diese spätere Schreibweise „maaslos“). Ein Bespiel sei auch Sigmar Gabriels linkspopulistischer Kommentar beim G20 Gipfel: „Während ganze Straßenzüge in Flammen stehen kritisiert der beifallheischend, dass so wenig afrikanische Staatsoberhäupter geladen wären. Hallo? Das ist G-20!“

Merkelland Exkursion 1
Angela Merkel: Mehr geht eben nicht
Auch der Spruch von Martin Schulz ist ihm übel aufgestoßen, dass ausgerechnet Merkel einen Anschlag verübt hätte, während Erchinger gefühlt in ganz Europa die U-Bahnwaggons um die Ohren fliegen. „Das finde ich so etwas von daneben, dass ich nicht nur Frau Özoguz Beschwichtigungssprache für meinen SPD-Austritt verantwortlich mache. Wenn ich nun trotzdem meine Kreuzchen bei den Genossen mache, dann nur deswegen, weil meine eigene Partei noch nicht am Start ist, die ich Ende des Jahres gründen werde.“ Dann, erzählt er, hätte er sich seine Kreuze natürlich selbst gegeben. „Es heißt ja immer, man soll sich einbringen. Das habe ich ausdrücklich vor. Und Ihr könnt das auch.“, sagt’s und verabschiedet sich. Der nächste Schüler wartet schon. Politikfreie Zone!

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Kommentare ( 30 )

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Frank
7 Jahre her

Auch prominente Künster singen oder spielen das Lied, was sie benötigen, um in Deutschland oben zu sein. Eine Auszeichung oder Preis reicht heute nicht mehr aus, wenn der Rundfunk- und Fernsehrat überwiegend rot ist. Kunst kommt heute nicht mehr unbedingt von Können, sondern durch Gunst und Gabe. Da wird er wissen, welche Farbe sinnbildlich gesprochen sein Klavier haben muss. Berühmtheit ist vergänglich.
Auch Vasal des Sozialabbau-Kanzlers Schröder, der sich nicht scheute, die Rentner in die Altersarmut zu schicken? Das lässt auf seine Gesinnung Rückschlüsse ziehe, wie es um sein soziales Gewissen bestellt ist.

gymmat
7 Jahre her

Tut mir aufrichtig leid, aber für dieses Forum habe ich mir fest vorgenommen, nett zu bleiben?

Jay Ve
7 Jahre her

Die Seiten die sie da aufzeigen, zeigen das Gesicht des linken Extremismus und haben nichts mit dem politischen Programm der Partei zu tun.

Sabine Ehrke
7 Jahre her
Daniela Gmeiner
7 Jahre her

Lieber Herr Wallasch, mit gesundem Menschenverstand kann ich den Künstler nicht verstehen. Ob er aber im Winter eine neue Partei, erfolgreich, gründen kann, hängt davon ab, ob Frau Merkel, mit wem auch immer, weiter regiert. Dann könnte seiner Partei, bei einer von ihm akzeptierten GROKO, Herr Maas im Wege stehen und bei Durchsetzung des Impulspapiers von Frau Özoguz, wird er als Musiker, arbeitslos, denn Musik erlaubt der friedliche Islam ja nicht. Aber ich kann zwar die Meinung Ihres Freundes nicht verstehen, aber ich würde alles tun, damit er diese weiter sagen kann. In Bezug auf Herrn Maas (SPD), sollte er… Mehr

Old-Man
7 Jahre her

Ich bin verwundert über das gelesene.Er ist zweifelsohne ein guter Musiker,der schritt aus der SPD ist auch gut begründet,aber was dann kommt lässt mich zweifelnd zurück.Als,bin Ich drin wenn Ich draußen bin,oder warum wähle Ich etwas,das ich Inhaltlich ablehne? Das passt irgendwie nicht zusammen.

Ruhrpottlerin
7 Jahre her

Solche Leute kenne ich zuhauf. Ich kann sie immer schlechter ertragen. Wie schaffen Sie das?

Andrea Fritz
7 Jahre her

Sozial wäre, den Pflegekräftemangel durch eine anständige Bezahlung zu beheben und nicht osteuropäische Kräfte in den Westen zu locken, um über diese Lohndumping durchzuführen. Pfleger sind überlastet und schlagen sich trotzdem mit einem Gehalt am Existenzminimum herum. Anstatt diesem Sektor 40 Mrd. € zukommen zu lassen, wird das Geld Wirtschaftsmigranten und (zum großen Teil) nicht identifizierten Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Sozial wäre auch gewesen, das Handwerk nicht für unqualifizierte Kräfte zu öffnen und damit einen Abfall an Qualität in Kauf zu nehmen, natürlich wieder Hand in Hand mit fallenden Löhnen. Die SPD ist in ihrer Haltung nicht sozial, sie trägt… Mehr

Harry James mit Armbrust
7 Jahre her

Mir fehlen die Worte. Er mag sie nicht, aber wird sie wählen – ganz alternativlos?

Was haben wir aus unserem Land gemacht? An welcher Stelle hätten wir eingreifen müssen?

Matthias Losert
7 Jahre her

„Und wenn das Handwerk jammert, dass sie keine Leute finden, dann
sage ich: Tja, das ist eben Marktwirtschaft. Zahlt einfach besser, dann
bekommt ihr auch besser Leute. Wie wäre es denn mal mit
Teilhabe-Perspektiven? Dass der Bäckergeselle beispielsweise weiß: Du
kannst hier noch was werden und wirst nicht alt auf den hinteren Plätzen
in der Backstube.“

Die hinteren Plätze in der Backstube sind noch in Deutschland??? – Pianisten hocken bei Lifeauftritte auf der Bühne, aber vorgefertigte Rohlinge zum Aufbacken werden in Osteuropa gemacht: dank niedrigen Transportkosten und günstigeren Lohnkosten ein Gewinnfaktor. So läuft das in der monetären Marktwirtschaft.

Kassandra
7 Jahre her
Antworten an  Matthias Losert

Weiß er, dass Bäcker nachts aufstehen müssen? Auch Sonntags?
Und dass das fast keiner mehr will?
Und dass gefrorene „Teiglinge“ die wie auch immer aufgebacken „schmecken“ gekauft werden, weil sie billiger sind?

R. Scholl
7 Jahre her
Antworten an  Matthias Losert

Jepp, der Herr mag ja von vielen Dingen Ahnung haben, aber nicht von Wirtschaft. „Zahlt einfach besser“ – ja klar, der Kunde ist leider nur nicht bereit, mehr zu bezahlen, und es wollen ja am liebsten alle studieren. Wenn er nur eine geringe Vorstellung hätte, mit welch schmalem Salär sich manch ein Inhaber eines Handwerksbetriebs zufrieden geben muss, dann würde er sich eine solch dümmliche Aussage verkneifen. Und ich weiß sehr genau, wovon ich rede!