Gerechtigkeit treibt Komplexität, die der Wohlfahrt schadet

Irgendwann schmälert das Streben nach Fairness und Gerechtigkeit die Wohlfahrt. Spätestens kurz davor sollte man nach Wegen zur Umkehr suchen, weil sonst eine Abwärtsspirale von Bürokratiewachstum und Nutzenverlust droht.

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Beginnen wir im Kleinen. Ein Beispiel: Immer öfter kommen inzwischen Firmen auf die Ideen, den Mitarbeitern ein Fahrrad zur Verfügung zu stellen. Fraglos eine recht sinnvolle Verknüpfung von ökologischem Bewusstsein der zunehmend urbanen Gesellschaft, ein wenig Work-out und notwendigen Incentives in Zeiten des Fachkräftemangels. Dieser Mix beschert dem „Dienstfahrrad“ so etwas wie einen kleinen Boom. Groß genug jedenfalls, dass der Fiskus darauf aufmerksam wurde.

Bereits seit 2012 gelten daher beim Dienstfahrrad entsprechende Vorschriften wie beim Dienstwagen: Die aus der Nutzungsüberlassung des Dienstfahrrades, die private Zwecke nicht ausschließt, entstehenden Vorteile muss der Arbeitnehmer mit einem Prozent der Bruttopreisempfehlung des Händlers seinem zu versteuernden Einkommen hinzurechnen. Auf die zusätzliche Anrechnung des geldwerten Vorteils von 0,03 Prozent des Bruttolistenpreises je Kilometer Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz hat der Steuergesetzgeber beim Dienstfahrrad im Gegensatz zum Dienstwagen generös verzichtet.

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Für kluge Personalbüros wurde zudem ein kleines Steuer- und Abgabenschlupflöchlein offengelassen: die Barlohnumwandlung. Anstatt eines Dienstfahrrades beteiligt sich der Arbeitnehmer per besagter Barlohnumwandlung an den Leasinggebühren des Fahrrades. Unterm Strich radelt man damit ein weniger günstiger als beim Dienstfahrradmodell (sofern die Vorteile nicht durch die Leasinggebühren im Vergleich zum Barkauf aufgefressen werden).

Natürlich kann man jetzt sagen: Das ist doch bitte eine Frage der Fairness, dass Dienstwagen und Dienstfahrräder gleich behandelt werden, was macht denn der Antrieb für einen Unterschied? Oder man kann sagen: Das ist doch bitte eine Frage der Gerechtigkeit, dass Geldwertes mit Geld gleichbehandelt wird? Man könnte aber auch fragen: Wann kommt jetzt dann die Dienstfüller-Regelung, da ja anzunehmen ist, dass mit dem betrieblich beschafften und gestellten Schreibgerät auch außerdienstliche Einkaufslisten oder Merkzettel notiert werden (gegebenenfalls auf einem Dienst-Post-it-Block)?

An dem kleinen Beispiel zeigt sich, wie fraglos bedenkenswerte Fairness- und Gerechtigkeitsüberlegungen zu einer immer komplexer werdenden Regelungsdichte führen, die entsprechend höhere Aufwände in der privaten, betrieblichen und öffentlichen Verwaltung erfordern. Gesamtgesellschaftliche Zunahme von Bürokratie also.

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Da steckt vermutlich System dahinter. Urmenschliches System. Menschen schließen sich zu Gesellschaftsverbänden zusammen, um leichter Probleme zu lösen. Erreichte Problemlösungen werfen oft neue Fragestellungen auf – meist weniger gravierend, aber nachdem die schwerwiegenderen Probleme ja bereits gelöst sind, kann man sich um die Feinheiten kümmern. Dadurch neigt das Problemlösungsverhalten menschlicher Gesellschaften zu wachsender Komplexität. Der daraus geschaffene Nutzenzuwachs für die gesellschaftliche Wohlfahrt wird allerdings mit jedem Komplexitätsschritt kleiner – einerseits weil ja immer weniger gravierende Probleme behandelt werden und andererseits weil der wachsende Bürokratieaufwand auch wieder Nutzen vernichtet. Wachsende Komplexität führt zu abnehmendem Grenznutzen. Ein solcher Verlauf führt irgendwann zum Null-Zuwachs an Nutzen und direkt danach zu einem negativen Grenznutzen.

Irgendwann schmälert das Streben nach Fairness und Gerechtigkeit im menschlichen Miteinander die Wohlfahrt. Spätestens kurz davor sollte man nach Wegen zur Umkehr suchen, weil sonst eine Abwärtsspirale von Bürokratiewachstum und Nutzenverlust droht. Ich fürchte, dahin ist es nicht mehr weit. Laut einer BIHK-Studie von 2016 monieren 82 Prozent der Betriebe, dass bürokratische Vorschriften sie stark einschränken. Nach Berechnungen des IW Köln betragen die staatlich verursachten Bürokratiekosten von Unternehmen 47,6 Milliarden Euro jährlich. Laut dem ifo-Institut wäre die wichtigste Maßnahme zur Förderung privater Investitionen in Deutschland Bürokratieabbau. Wichtiger noch als Steuerentlastung oder Reduzierung der Lohnnebenkosten! Insbesondere in der Industrie werden die Investitionen zunehmend ins Ausland verlagert. Im Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums (2015) werden die Komplexität des Steuerrechts und ineffiziente Bürokratie als größte Hindernisse für Unternehmen in Deutschland dargestellt.

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Und in diesen Betrachtungen fehlt stets noch ein ganz erheblicher Faktor: Der Spaß am Unternehmertum. Der geht mit wachsender Bürokratie irgendwann verloren. Vermutlich schlagartig. Unternehmer sind keine Wirtschaftsverwalter. Unternehmer sind sich voll und ganz bewusst, dass die Marktwirtschaft Regeln und Rahmen braucht, die unweigerlich bürokratischen Aufwand erzeugen. Der muss aber genügend Freiraum für den unternehmerischen Geist lassen. Wenn sich Unternehmer nur noch als Bürokratiebefolger wahrnehmen, dann geht das notwendige Quantum Selbständigkeit verloren, aus der allein die Risikobereitschaft und Innovationskraft des Unternehmers entsteht. Unternehmer sind leidensfähig, aber keine Masochisten.

Die große Koalition hat sich da in der letzten Legislatur nicht mit Ruhm bekleckert. Zumindest nicht aus Unternehmersicht. In einer Umfrage des Bundesverband mittelständische Wirtschaft bekommt die GroKo im Bereich „Bürokratieabbau“ die schlechteste Note bei den unterschiedlichen Feldern der Wirtschaftspolitik: mangelhaft. Alles andere wurde wenigstens mit „ausreichend“ beurteilt, die Arbeitsmarktpolitik sogar mit „befriedigend“.

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Die Regelmäßigkeit der wachsenden Komplexität mit abnehmendem Grenznutzen in der gesellschaftlichen Entwicklung ist wahrscheinlich ein soziales Naturgesetz. Allerdings nur in seinem Verlauf. Nichts spricht dagegen, dass wir unsere Ausgangsposition im Verlauf durch grundlegende Reformen adjustieren. Zum Beispiel durch die Abschaffung der 112 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. Oder durch die Reduzierung der Steuerparagrafen von 33.000 auf 146, wie es Paul Kirchhof 2011 eindrucksvoll profund vorgeschlagen hat. Oder mit der Einführung von gesetzlich verpflichtenden Abfindungsregelungen, die sowohl Kündigungsschutz als auch die Arbeitslosenversicherung nebst entsprechender Verwaltung und Gerichtsbarkeit hinfällig machen. Um nur ein paar Ideen zu nennen.

Bei Unternehmensgründungen sind erfahrungsgemäß Investitionsbereitschaft und die Fähigkeit zum „think big“ die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Geld bewegt, haben bisher alle Bundesregierungen beträchtlich. Daran liegt es also nicht. Eine große Idee, die sich eine Regierung vornimmt und an der sie sich messen lässt, wäre mal was Neues. Bürokratieabbau würde sich hervorragend dafür eignen.

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Kommentare ( 15 )

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Swengoessouth
6 Jahre her

Im letztem Bundestag wurden 548 Gesetze verabschiedet. Die Anzahl Verordnungen habe ich nicht herausgefunden wird aber sicherlich um Faktor 10 höher sein. Jedes Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsanweisung schränkt unsere Freiheit ein. Wie konnten die Bürger vor 50 Jahren leben ohne diese gesetzliche Flut. Es muss einen auch nicht wundern wenn von 709 Abgeordneten 115 Juristen sind. Ich habe meine Firma die Rechtsform geändert. Ich warte seit Monaten auf Umsatzsteuer Erstattungen. Immer wieder kommen neue Forderungen und Ausreden warum das Finanzamt nicht zahlen kann. Aber wehe ich zahle aus irgendeinem Grund mal einen Tag zu spät, dann gibt’s keine Gnade. Wenns… Mehr

René Bräunig
6 Jahre her

Ich möchte hier gern nur einen smiley setzen. Dem Artikel ist nichts ninzu zu fügen.

Matthias Losert
6 Jahre her

„Bürokratieabbau würde sich hervorragend dafür eignen.“ – Hr. G. Maas

Bürokratische Komplexität entsteht durch „politische Sonderregelungen“, die mit dem Wort Gerechtigkeit beworben werden.
Die ersten Volkswirte wollten noch „Feudalrechte“ abschaffen – was nicht gelang. Weder die früher noch heutigen Rechte dienen der Steuerung vom Gebrauchswert bzw. Stoffumschlagswert.
Eine derartige Steuerung kann sich durch Ind.4.0 bzw. einem buchungstechnischen Referenzrahmen für den Güterkreislauf entwickeln.
Das wäre eine Komplexität ohne gesellschaftliche Sonderrechte – was gerechter wäre!

Nurmalso
6 Jahre her

Bürokratieabbau…. war das nicht eines der Zauberworte, mit denen die Westerwelle-FDP seinerzeit 14,6 Prozent der Wählerstimmen eingesackt hat? Dieses Thema ging dann offenbar genauso den Bach runter wie die FDP selbst. Oder hat die FDP an Merkels Seite den versprochenen Bürokratiebbau (oder überhaupt irgendwas) auch nur um einen Millimeter vorangebracht?

Jasmin Gerigk
6 Jahre her

Bürokratie ist selbstreferentiell. Hat Niklas Luhmann schon vor Jahrzehnten beschrieben.
Stimmt heute mehr denn je, und greift heute zunehmend auch in die individuelle Lebensführung ein. Bürokratie schadet nicht nur der gesellschaftlichen Wohlfahrt und den Unternehmen, sondern auch der Freiheit der Bürger.

Bambu
6 Jahre her

Die zunehmende Bürokratie führt auch dazu, dass man als Bürger den Eindruck hat, immer mit einem Bein im Knast zu stehen. Allein die Masse von Post, welche man heute von seiner Bank erhält, weil mal wieder eine neue europäische Richtlinie eingeführt wurde und welche zu einer regelmäßigen Benachrichtigung führt, ist schon der pure Horror. Wer will das alles noch lesen? Voller Sorge beschleicht mich auch der Gedanke, dass ich diesen Wahnsinn auch noch bezahlen darf, denn bei den Banken wächst das Geld ja auch nicht auf den Bäumen. Bestellungen im Internet unterlasse ich schon allein deswegen, weil ich keine Lust… Mehr

Marcel Seiler
6 Jahre her
Antworten an  Bambu

Was die Banken angeht: Sie ziehen sich aus dem individuellen Depot- und Vermögensverwaltungsgeschäft für „kleine“ Kunden auch zunehmend zurück, weil der Aufwand zu groß ist. Durch die bürokratischen Verpflichtungen kriegen diese Kunden also nicht eine bessere Leistung, sondern stattdessen gar keine. Die SPD kann stolz auf sich sein!

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Um auf das Fahrradbeispiel mal einzugehen. Es dürfte kein weiteres Land in der Welt geben, wo Menschen auf solche Regelungsideen kommen. So völlig Irre gibt es nur in Deutschland.

Bernhard Kopp
6 Jahre her

Die Erhöhung der Regelungsdichte bis zur Pfennigfuchserei, im Steuerrecht, im Baurecht, und wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet, ist weitgehend erwünscht. Nur damit werden Verwaltungsstellen mittlerer Qualifikation in der öffentlichen und privaten Verwaltungen erhalten und ausgeweitet. Das Streben nach Gerechtigkeit ist eine nützliche Erzählung.

L. Diehn
6 Jahre her

Gut, dass das Thema Bürokratie und Freiheit – hier die unternehmerische Freiheit – wieder einmal aufgegriffen wird. Nützen wird es nichts, die Bundesrepublik ist unfähig zu grundlegenden Reformen. Gerade gegenüber Unternehmern herrscht in der Politik großes Misstrauen. Beispielhaft zu nennen ist die Einführung des Mindestlohnes: Sofort verlangte die SPD die Stärkung der Kontrollen durch den Zoll, da unterstellt wurde, die Unternehmer würden in großem Maßstab das Gesetz umgehen. Nachdem die Kontrollen wenig erbrachten, forderte die SPD die Verdoppelung der Kontrollen, es kann offensichtlich in deren Vorstellung nicht sein, dass die Unternehmer sich in großer Mehrheit an das Gesetz halten. Ich… Mehr

Eco
6 Jahre her

Die Triebfeder ist weder Fairness und Gerechtigkeit sondern um die Misstrauensgesellschaft. Alles muss angeordnet und dokumentiert werden!
Die so geschähten Sekundärtugenden könnten uns davor schützen, aber das geht ja nicht.
Früher nannte man es Anstand und Moral, heute brauchen wir Compliance, selbstverständlich mit einer entsprechenden personellen Ausstattung und schriftlichen Anweisungen, deren Durchführung dokumentiert werden muss!