Gender-Kernschmelze in Corona-Zeiten

In der Pandemie stoßen innerweltliche Religion und Biologie zusammen. Dabei können nicht beide gewinnen.

imago/Steinach

Verändert sich der Wahrnehmungsrahmen – und Corona rahmt vieles neu – dann ergibt sich ein neuer interessanter Blick auf Thesen. Und darauf, wie Medien damit hantieren. Ein schönes Beispiel dafür liefert die ZEIT in ihren sowohl frauen- als auch genderpolitischen Beiträgen. Vor noch nicht allzu langer Zeit, andererseits schon eine Epoche zurück, nämlich im Januar 2020 verkündete eine ZEIT-Autorin die genderpolitische Kernthese schlechthin: Männer und Frauen gibt es eigentlich nicht. Es handelt sich um Konstrukte.

Geschlechtergrenzen seien mitnichten „biologisch differenziert“. Als Referenz diente ihr eine Wortmeldung der Schriftstellerin Joanne K. Rowling. Die Harry-Potter-Erfinderin hatte sich übrigens gar nicht explizit zur Existenz von zwei oder mehreren Geschlechtern geäußert; sie meinte in einem Tweet nur, jemand, der von der biologischen Determination der Geschlechter ausgehe, sollte deswegen keine beruflichen Nachteile erleiden. (Mit ihrem Kommentar bezog sich Rowling auf den Fall einer Frau, deren Arbeitsvertrag genau wegen dieser Meinung nicht verlängert worden war). Rowling war wegen ihrer Wortmeldung umgehend von einer wutschäumenden Twittererschwadron niedergemacht worden.

Es gibt also, erstens, keine biologisch bestimmten Geschlechtsdifferenzen. Zweitens gibt es sie zumindest in Corona-Zeiten doch, wie zwei andere ZEIT-Autorinnen im Mai 2020 schrieben: Männer sterben deutlich häufiger an Covid-10. „Das liegt an ihren Genen und ihrem Verhalten“.

Das trifft zu, und dafür gibt es tatsächlich eine Reihe von Gründen. Die beiden Thesen ’keine biologischen Geschlechtsdifferenzen’ versus ’beim Virus aber doch’ könnte man auch unter ’Software versus Hardware’ zusammenfassen. Beziehungsweise ’innerweltliche Religion versus Biologie’.

Drittens führte die Autorin Jana Hensel kürzlich in der ZEIT ein, dass Frauen als biologisch abgrenzbares Geschlecht offenbar existieren, und als solches die soziale Hauptlast in den sogenannten systemrelevanten Berufen während der Corona-Krise tragen.

Dabei wiederum handelt es sich um eine Behauptung ohne Belege (Näheres hier). Aber Hensels These setzt doch irgendwie Geschlechtskategorien voraus, von denen wiederum die Anhängerinnen Judith Butlers nichts wissen wollen.
Außerdem behaupteten etliche Journalisten in verschiedenen Medien, Länder, die von einem weiblichen sozialen Konstrukt geführt werden, kämen besser durch die Pandemie als männerkonstruktgeführte.

Wann immer in den Medien die Wortverbindung “Frauen” und “besser” auftauchen, empfiehlt sich die Frage: Besser als wer? Tatsächlich kommt das von einer Premierministerin geführte Neuseeland ungefähr so gut durch die Viruskrise wie das männergeführte Israel, aber deutlich schlechter als Belgien, das Land mit den weltweit meisten Covid-19-Toten pro Einwohner, und regiert von einer Premierministerin. Das wiederum von einem Mann regierte Südkorea steht sehr viel besser da als Deutschland. Und brauchte dafür noch nicht einmal einen Shutdown. 
Medienvirologisch lässt sich übrigens feststellen: Die Wanderlegende “weiblich regierte Länder kommen besser durch die Corona-Krise” wird fast ausschließlich von Journalistinnen und Politikwissenschaftlerinnen verbreitet.

Die Behauptung einer These einschließlich ihres Gegenteils betrifft nicht nur die Frage, ob es eine biologische Grundlage der Geschlechter gibt oder nicht. Der Autor Jan Fleischhauer schreibt:
„Stattdessen beklagen die gleichen Leute, die am Morgen noch vehement eine Ausweitung des Shutdown verlangt haben, am Nachmittag, welchen Rückschlag eine Verlängerung der Kita-Schließung für den Feminismus bedeuten würde. Man kann sogar in einem Medium beides gleichzeitig lesen, ohne dass das eine mit dem anderen in Beziehung gesetzt wird. Manchmal auch von derselben Person.“

Verschiedene Thesen in ein und demselben Medium beziehungsweise dem gleichen Milieu könnten sogar belebend wirken. Nur müssten sie dann untereinander in irgendeine Verbindung treten. Bei Hegel – dem deutschen Staatsphilosophen schlechthin – führen These und Antithese bekanntlich zur möglichst gescheiten Synthese.

In der Geschlechterfrage der Corona-Ära stehen beide Thesen allerdings apodiktisch nebeneinander. Sie leben noch nicht einmal in friedlicher Koexistenz. In der Psychologie heißt das ’kognitive Dissonanz’. Eine Synthese ist schwer vorstellbar. Um es mit einem Sparks-Song zu sagen: „This Town Ain’t Big Enough For Two Of Us“.

Die Dissonanz gab es allerdings in der linken Identitätspolitik schon vorher. Man könnte sagen: Wenn es etwas Verbindendes im heutigen linken Lager gibt, dann Inkonsistenz.

Corona wirkt nur als Kontrastmittel, um sie besser zur Kenntlichkeit zu bringen.

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Kommentare ( 30 )

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GP
4 Jahre her

Apropo Gender, wer die Möglichkeit hat auf Netflix die 2. Staffel der englischen Serie After Life zu sehen, unbedingt Staffel 2, Episode 6 schauen. Das „8-jährige Schulmädchen“ ist eine tödliche Satire auf die Genderwissenschaft. Diesem Irrsinn kann man nur mit Spott begegnen denn der erste Fehler wäre überhaupt ein vernünftiges Gespräch mit diesen Gender-Spinnern zu suchen.

GermanMichel
4 Jahre her

Gänse sind sprichwörtlich dumm , fliegen aber in perfekt aerodynamischer Formation über den halben Globus und finden exakt ihr Ziel. Dumme Individuen können als Gruppe unbewusst intelligente Strategien verfolgen. Feminismus, Kukturmarxismus und Migration dienen zunächst mal der Zersetzung. Die alte Ordnung wird zerstört, aus den Scherben etwas neues gebaut, mit neuen Nutznießern. Linke wollen One World, weil es eine von Linken beherrschte Welt sein wird. USA wollen Demokratie überall, weil die demokratische Welt von den USA beherrscht wird. Gegen eine deutsche Konservative aber demokratische One World, egal wie gut, würden sie bis aufs Blut kämpfen. Es geht um die eigene… Mehr

MartinL
4 Jahre her

Würde diese schlichte Behauptung zutreffen, die Frauen in Afrika hätten die längsten Leben der Menschheit….

GermanMichel
4 Jahre her

Und genau das ist ja auch die Schwäche im nicht-Linken Lager, seit Jahrzehnten: nicht verstehen zu können dass Konsistenz, Wahrheit, Logik etc für Linke und Feministen überhaupt keine Bedeutung haben.

Die agieren wie vollkommen opportunistische Wildtiere, rein Ergebnisorientiert. Und da sie in Sachen Intelligenz, Attraktivität, etc nur wenig bis überhaupt nicht konkurrenzfähig sind, nutzen sie andere Strategien im Konkurrenzkampf.

Martin L
4 Jahre her

Man könnte sagen, es geht immer nur darum, dass ich einen Platz an der Sonne möchte. Und zusätzlich geht es noch um Kränkungen aus der Kindheit, die ich rächen möchte.
Man könnte vermuten, dass es auch allen Revolutionären immer nur darum ging.

Martin L
4 Jahre her

Die linke Ideologie ist immer voller Widersprüche. Das ist nichts Neues. Einerseits ihre Affenliebe zum Islam, andererseits all die Einstellungen des Islams, die nicht ganz so konform zur linken Ideologie sind. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Es geht für die Masse bei der linken Ideologie um das „Gemeinschaftsgefühl“: Man gehört dazu. Man ist eine große glückliche Familien. Wie das Paradies ist es ein Glücksversprechen, aber im Diesseits: Wenn wir das und das machen, bricht endlich das große Glück für alle aus.
Es bedient emotionale Bedürfnisse. Logik ist dazu nicht nötig.

Gottfried
4 Jahre her

Dummheit ist aber anscheinend sehr sexy, sonst würden nicht so viele Menschen auf diesen Quatsch abfahren!

MartinL
4 Jahre her
Antworten an  Gottfried

Diese Art der Dummheit ist halt extrem bequem. Zum Einen muß man selbst nichts leisten, denn es steht einem qua Geschlecht, Herkunft etc. eh alles zu. Bzw. hat man halt das falsche, dann geriert man sich als Vorkämpfer für dieses.
Die Anderen, denen man das erarbeitet wegnimmt, sind eh das Veraltete, das Böse, weil sie die Herrlichkeit der eigenen Gesinnung nicht einsehen wollen.
Links ist halt nicht nur bratzdumm – sondern auch stinkend faul.

Gottfried
4 Jahre her

Gender-Unfug ist genau richtig! Als ob wir keine anderen Probleme hätten!

Albert Pflueger
4 Jahre her

„Wenn es etwas Verbindendes im heutigen linken Lager gibt, dann Inkonsistenz.“ Das ist eine gelungene Zusammenfassung. Andere nennen es „Pech beim Denken“. Es ist die Neigung, Dinge gleichzeitig gut zu finden, die sich gegenseitig ausschließen. Wie erneuerbare Energien und e-Mobilität. Offene Grenzen und Sozialsysteme. Migration und billige Mieten in Großstädten. Klimaschutz und Umweltschutz. Klimaschutz und Fernreisen. Oder der Dauerbrenner: Mehr Geld, weniger Arbeit, hohe Löhne, niedrige Preise. Das kann man alles prima unter einen Hut bringen, wenn man darauf achtet, sich nicht allzusehr in der Realität zu verorten. Besonders viele eigene Kenntnisse sind hinderlich.Die weibliche Neigung, der gerade anwesenden Mehrheit… Mehr

bfwied
4 Jahre her

Zur Geschlechterfestlegung bzw. Rollenbestimmung gibt es einen norwegischen Film:
https://www.youtube.com/watch?v=B1U_sXZtIMU
38 Min. lang. Es lohnt sich!

Auswanderer
4 Jahre her
Antworten an  bfwied

Danke für den Link! Exzellent!