Festival der Scheinheiligkeit und Ignoranz

Die Deutschen machen jetzt einen auf Hypermoral. Man will dabei sein: wenn schon nicht als Fußballkünstler, so doch wenigstens als Weltmeister im Moralismus-Export. Und um Spuren zu hinterlassen – die im Wüstensand aber schnell verwehen. Außer Spesen, Moralismus-Export und Gratismut nichts gewesen?

IMAGO/shutterstock - Collage: TE

Der Wiener Schauspieler, Kabarettist und Autor Helmut Qualtinger (1928 – 1986) hat den wahrhaft trefflichen Satz geprägt: „Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.“ Dieser Satz kommt einem in den Sinn, wenn man den schier zur Hauptsache gewordenen ersatzreligiösen Begleitzirkus um die Fußball-WM herum betrachtet.

Auf Teufel komm raus, macht nun jeder „gute“ Deutsche mit viel Haltung, so gut er nur kann, auf Hypermoral – gegen die FIFA und gegen Katar: Schließlich will man ja zumindest mit einem Stückchen Stoff mit dem Aufdruck „1love/oneLOVE“ ein Zeichen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz sowie gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus setzen.

— Ali Ertan Toprak (@toprak_aliE) November 23, 2022

Alle wollten/sollten mitmachen: der Deutsche Fußballbund (DFB) mit seinen vermeintlichen Top-Fußballern, die Sportministerin Nancy Faeser, die Lufthansa, der Handelsriese REWE, die Öffentlich-Rechtlichen und… und … und …

Was bislang dabei herauskam, ist bestenfalls pubertär, wenn nicht infantil. Man mag es hochtrabend „virtue signalling“ (Tugend signalisieren!) nennen. Vor allem ist es scheinheilig, weil man dabei sein will. Wenn schon nicht als Fußballkünstler, so doch wenigstens als Weltmeister im Moralismus-Export. Und um Spuren zu hinterlassen, die aber im Wüstensand schnell verwehen:

  • Einen Lufthansa-Sonderflieger lässt man mit „DIVERSITY WINS“ beschriften. Und schon hat man ein Zeichen gesetzt. Mal abwarten, ob dieser Flieger womöglich bereits nach dem dritten Gruppenspiel der „Deutschen“ gegen Costa Rica vom 1. Dezember dann mit neuer Beschriftung „DIVERSITY LOOSED“ nach Old Germany frühzeitig zurückfliegen darf. So ähnlich – aber ohne „woke“ Begleitmusik – wie bei der WM 2018, wo man als Letzter der eigenen Vorrundengruppe und nach Niederlagen gegen Südkorea (0:2) und Mexiko (0:1) vorzeitig nach Hause durfte.
  • Der Mannschaftskapitän sollte nun 2022 mit einer Armbinde mit der Aufschrift „1love“ auftreten. Da hat man wenigstens präventiv schon mal Haltung signalisiert. Als die FIFA, die durchaus das Zeug zu einer weltweiten Mafia hat, die „Binde“ verbietet, zeigt man wieder Haltung und motzt, knickt aber ein und kickt doch.
  • Sportministerin Faeser fliegt besonders gratismutig extra zur ersten Niederlage (1:2 gegen Japan) der „deutschen“ Mannschaft“ und setzt sich neben FIFA-Präsident Gianni Infantino.
  • Die Startmannschaft der „Deutschen“ posiert vor dem Spiel mit einer vor den Mund gehaltenen Hand. Diese Geste bedeutet ja eigentlich: „Ich sage nichts.“ Sollte aber heißen: „Ich darf nichts sagen.“ Schon wieder ein Zeichen gesetzt. So mutig freilich war das nicht wie die Verweigerung der iranischen Mannschaft, die Nationalhymne mitzusingen.
  • Der „grüne“ Wirtschafts- und Klima-Minister Robert Habeck, der wegen möglicher Gaslieferungen am 22. März 2022 einen tiefen Bückling vor Katars Energieminister Saad Scharida al-Kaabi gemacht hatte, riet den deutschen Fußballern am 22. November bei „Markus Lanz“, die „1love“-Binde trotz Verbots durch die FIFA zu tragen und auszutesten, was dann passiert.   Wertegeleitete Außenpolitik à la Baerbock eben! Außer es geht um Gas.

Indes überschlagen sich so manche Netzblasen: Haltung, Haltung, BRAVO, Jungs! Mit eurer Geste „Hand vor dem Mund“ habt ihr unsere Ehre gerettet!

Immer hatte Sport mit Politik zu tun, heute als Hyper-Moralismus

Sport war noch nie ohne Politik zu haben. Nicht einmal bei den Griechen, Römern, Inka und Azteken. 1936 mit Hitlers Olympischen Spielen in Garmisch und Berlin kommt uns in den Sinn. Oder dass die „Feindstaaten“ Deutschland und Japan 1948 von den Olympischen Spielen in St. Moritz und in London ausgeschlossen waren. Oder dass die UdSSR bis 1952 nicht an Olympischen Spielen teilnahm und als Gegenstück die Spartakiaden aufbaute. Oder die Olympischen Spiele 1956 in Melbourne: Die Niederlande, die Schweiz und Schweden boykottieren die Sommerspiele wegen der Teilnahme der UdSSR und deren Einmarsch in Ungarn.

Im Jahr 1976 blieben 16 afrikanische Länder in Montreal den Spielen wegen Neuseeland fern, weil dessen Rugby-Mannschaft zuvor in Südafrika (Apartheid!) gegen dessen Rugbymannschaft gespielt hatte. 1964 bis 1988 war Südafrika als „Apartheidsstaat“ von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. 1980 boykottierten die USA sowie Deutschland, Kanada, Norwegen und die Türkei die Spiele in Moskau wegen des Einmarsches der UdSSR in Afghanistan. 1984 boykottierten die UdSSR sowie 19 Ostblock-Staaten inkl. DDR die Olympischen Spielen in Los Angeles. Die Olympischen Winterspiele vom Februar 2022 in China wurden von einer Reihe von Ländern „diplomatisch“ boykottiert: USA, GB, Kanada, Neuseeland, Japan usw.

Politik und Sport sind eben zumindest zweieiige Zwillinge. Nun aber geht es nicht mehr nur um Politik, sondern um Moralismus, um Hypermoral. Angefangen hatte dies spätestens bei der Fußball-EM 2021 in Deutschland. Weil Ungarn ein Gesetz erlassen hatte, das die Konfrontation von Schülern mit „queeren“ Themen untersagte, sollte die Münchner Allianz-Arena während des Auftaktspiels Deutschlands gegen Ungarn (Endstand: 2:2) in Regenbogenfarben geschmückt werden. Die UEFA untersagte es, der FC Bayern holte die Beleuchtung später nach. Für die „Deutschen“ indes war bei der EM im Achtelfinale nach einem 0:2 gegen England Schluss.

Immerhin gaben sich Mannschaftskapitän Neuer und Ministerpräsident Söder damals entsprechend „woke“. Neuer trug eine Regenbogen-Kapitänsbinde (die UEFA griff nicht ein), Söder zeigte sich als Zuschauer queer-gerecht mit Corona Regenbogen-Maske.

In Sachen Islam: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!

Allgewaltige vom DFB: Ihr wusstet seit 2010 Bescheid, was in Katar los ist. Dieses Land tritt die Menschenrechte mit Füßen, es unterstützt den islamistischen Terrorismus, beim Bau der Stadien kamen wohl Tausende von menschenunwürdig gehaltenen Gastarbeitern ums Leben. Man wusste es seit 12 Jahren, was los war und was geschehen würde. Jedenfalls waren am 2. Dezember 2010 in Zürich die Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar vergeben worden. Schon damals war im Zusammenhang mit Katar von Bestechung die Rede. Also konnte die Alternative für den DFB nur heißen: ganz wegbleiben oder einfach nur ordentlich Fußball spielen.

Seit mindestens 1990 weiß man auch ganz offiziell, wohin der Hase in islamisch geprägten Staaten läuft. Aber man hat es nicht zur Kenntnis genommen und nimmt es weiter nicht zur Kenntnis. Denn all die dortigen Verstöße gegen Menschen- und Freiheitsrechte, die Christenmorde, ja gar der islamistische Terror, die in Deutschland üblich gewordenen Ehrenmorde, Kinderehen, Genitalverstümmelungen, Messermorde haben angeblich rein gar nichts mit dem Islam zu tun. Klar: Der Islam hat nichts mit dem Islam zu tun!? Oder so ähnlich. So kürzlich erst wieder Deutschlands „feministische“ Außenministerin Baerbock zu den Unruhen im Iran. Das habe mit Religion nichts zu tun, so die zwar nicht religionswissenschaftlich, aber mit einem britischen Seminarschein in Völkerrecht qualifizierte Oberdiplomatin.

Aber: Worum es im Islam geht, will man nicht zur Kenntnis nehmen – von Merkel, Schäuble, Wulff über Steinmeier, die Kirchen bis hin zu Faeser. Dabei sollte man nur die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte“ der „Organisation der Islamischen Konferenz“ lesen – veröffentlicht 1990 von deren 56 Mitgliedstaaten (darunter Katar). In Abgrenzung zur „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der UNO von 1948 gelten Menschenrechte nach islamischer Lesart nur unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der Scharia.

Und dann noch nur mal so am Rande: Qatar Airlines zahlt qua Sponsorenvertrag seit 2018 pro Jahr rund 20 Millionen an den FC Bayern München. Im Winter macht die Mannschaft ihr Trainingslager im Wüstenreich. Der Sponsorenvertrag läuft bis 2023. 20 Millionen: Das ist ja ein schönes Sümmchen, da kann man glatt Neuers Jahresgehalt (geschätzt 18 Millionen) abdecken. Aber Geld stinkt ja nicht („pecunia non olet“), wie schon der von 69 bis 79 nach Christus herrschende Kaiser Vespasian bei der Einführung einer Latrinensteuer meinte.

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