Langsam wird ein Muster daraus. Die EZB verliert ihre Querdenker und Dissidenten. Die machen ihren Mund aber auch erst als Pensionäre auf. Warum das trotzdem eine gute Nachricht ist.
Erst wenige Tage ist es her, dass mit Sabine Lautenschläger das einzige deutsche Mitglied des inneren Kreises im Zentralbankrat der EZB zurückgetreten ist. Man hörte von ihr kein Wort über die Gründe, man durfte sie sich denken. Manchmal regt ja die Verhüllung einer Sache die Fantasie der Menschen stärker an als ihre Enthüllung, mag sie sich gedacht haben. Die nie um eine passende Anspielung verlegenen Franzosen würden das vielleicht als geldpolitisches Negligé bezeichnen. Offenbar hält man diesen Job nicht aus, wenn man bei Verstand ist. Das ist schlecht, denn allmählich scheinen der EZB die auszugehen, die noch selbst denken. In der Wirtschaft nennt man das Fachkräftemangel.
Der Brandbrief
Nun, wenige Tage später und ganz aktuell veröffentlichen ehemalige Notenbanker aus Deutschland, Frankreich und Österreich einen als Memorandum bezeichneten Brandbrief und warnen vor den Folgen der Geldpolitik des Herrn Draghi, wissend, dass seine gekürte Nachfolgering Lagarde, seit Jugendtagen geübt im Synchronschwimmen (Sie war in dieser Disziplin immer Mitglied der französischen Nationalmannschaft) nicht aus der Reihe tanzen und damit auch nicht die von ihrem Vorbild und Vorgänger gezeichnete Linie verlassen wird. Über ihr Verhältnis zum Rechtsstaat („Wir verletzten alle Vorschriften…“ in einer Anmerkung zur Eurorettung) und zur Obrigkeit („Benutze mich…“ in einem Brief an Präsident Sarkozy, Honi soit qui mal y pense) müssen wir uns jetzt daher nicht so lange auslassen.
Die geläuterten Gallier: Geldwienix
Die eigentliche Überraschung an diesem Memorandum war nicht, dass Otmar Issing, der ehemalige Bundesbankpräsident Schlesinger und Jürgen Stark es unterzeichnet (und wahrscheinlich federführend formuliert) hatten. Von diesen Herren ist man klare Worte als Resultat geübten Selberdenkens gewohnt. Die eigentliche Überraschung war die öffentliche Unterstützung durch zwei pensionierte höchstrangige Geldpolitiker aus den französischen Reihen. Was geht da vor?
Befassen wir uns zuerst mit dem ersten Phänomen.
Das System Draghi
Menschen, die mit den inneren Mechanismen der Macht in der EZB vertraut sind, sprechen schon seit langem vom „System Draghi“, welches der Herrscher über unser Geld nach dem Muster des „Systems Merkel“ über die geldpolitischen Entscheidungsprozesse gelegt hat wie eine Spinne ihr Netz. Da werden Abstimmungen so angesetzt, dass der Vertreter Deutschlands bei besonders wichtigen Themen seine Stimme nicht im Dissens zu Protokoll geben kann, weil er turnusmäßig im Rat sein Stimmrecht verliert. Diese geniale Innovation der Entkoppelung von Verantwortung und Vollmacht hat man eingeführt, weil sonst vermeintlich zu viele Menschen im Rat abstimmen dürfen, da der Euro schon so viele Mitglieder hat. Schön, oder? In dieser Situation ist es dann nicht so, dass Malta, Zypern und Luxemburg gemeinsam dreimal so viel zu sagen haben, wie das mit 26% des Kapitals und einer Billion Target-2 Salden haftende und im Risiko stehende Deutschland, sondern dass sie – mathematisch betrachtet – unendlich mal so viele Stimmen haben wie Deutschland, dessen Stimme in dem entscheidenden Moment bei null liegt.
Da werden wichtige Entscheidungen in einem Küchenkabinett vorbereitet und de facto entschieden, dessen Mitglieder sich durch fortgesetzte, bedingungslose und andauernde Loyalität zum Fürsten der Druckerpresse auszuzeichnen haben. Da werden Mehrheiten der von dieser Politik profitierenden Südländer durch einen Stahlpakt gegenseitiger Abhängigkeit zementiert, denn jedes dieser Länder weiß, dass es am Tag der Zinswende pleite ist, zahlungsunfähig, banka rotta wie die Italiener der Renaissance zu sagen pflegten. Ja, die Aussicht auf den Konkurs des eigenen Landes, der auch immer ein Konkurs der dortigen politischen Klasse ist, der wir entstammen, schweißt uns zusammen.
Die Wirtschaft war wüst und leer und der Plan schwebte über den Wassern
Da wird Dissens systematisch zum Schweigen gebracht, weil auch die Vertreter der Hartwährungsfalken wissen, dass jeder hohe Posten, den die EZB unter den ihren zu vergeben hat, die Unterstützung des südlichen Blocks erfordert. Da muss man „konsensfähig“ sein um satisfaktionsfähig zu werden. Die komplett und bedingungslos an den neo-Keynesianischen Modellen ausgerichtete volkswirtschaftliche Abteilung der EZB gibt dabei den Diskussionsrahmen vor, in dem man sich zulässigerweise zu bewegen hat. Ihre Analysen atmen den Geist des Machbarkeitswahns, der Anbetung des Konsums und der allmächtigen Nachfrage, die quasireligiöse Überzeugung die Wirtschaft mit der Druckerpresse und ihrer „unbegrenzten Feuerkraft“ steuern, ja planen zu können. Der Geist der Planwirtschaft schwebt über den Wassern des Main.
Vom Echoraum zum Kartenraum zum Kommandostand der Schlacht ums Geld
Da wird ein Korpsgeist aufgebaut und gepflegt gegen den der Echoraum der Selbstvergewisserung selbst bei den Grünen und Linken in der deutschen Politik ein Musterbild freien und aufgeklärten Diskurses zu sein scheint. Zu wem gehörst du? Zu uns, die das neue Europa bauen? Oder zu denen, den geldpolitischen Nazis, deren Geiz und Prinzipienreiterei unserer großartigen Vision im Weg steht? Entscheide Dich!
Und in diesem Klima scheinintellektuellen Meinungsterrors halten einige unentwegte die Stellung, bis sie es nicht mehr aushalten. Sie gehen erst in die innere Emigration oder Kündigung, dann in die äußere Emigration oder sie kämpfen sich bis zur Pensionierung durch und schweigen dann noch mal eine Weile.
Denjenigen im Zentralbankrat, die ihren Verstand nicht beim Betreten des Tagungsraums mit der gigantischen Europakarte an der Decke, die dem Ensemble den Odem eines militärischen Kartenraums verleiht, dem Kommandozentrum des GröGepoFaz, des größten geldpolitischen Feldherrn aller Zeiten, der Heimat der monetären Bazooka und der „unbegrenzten“ Feuerkraft, des Whatever it takes, abgegeben haben, sind sich aber über eine Sache im Klaren:
Der Endsieg kommt nicht. Das war`s.
Isch will Sie nischt beleidigen, mon dieux!
Die Damen und Herren sind verzweifelt. Das Pulver ist verschossen, die Rezession kommt und der Marsch in die Negativzinsen sprengt das Bankensystem in die Luft. Macht man nichts, geht es auch schief. Damned if you do and damned if you don`t. Und das erklärt auch die überraschende Kehrtwende der beiden französischen Unterzeichner dieses Memorandums. Die Franzosen sind nämlich zwar in Ihrer ganzen Europapolitik auf die eigenen Interessen gepolt (Nur die Deutschen sind so zwangsneurotisch, dass sie das eigene Land einer europäischen Sache unterordnen, die für alle anderen nur ein Vehikel ihrer Interessen ist), aber sie sind nicht bescheuert. Ihnen das zu unterstellen wäre zu Recht eine unverzeihliche Beleidigung.
Nein, auch Frankreichs Elite weiß mittlerweile, dass der Versuch den Euro zu einem Transfersystem umzubauen zwar den Transfer gewaltiger Vermögenswerte aus Deutschland heraus bewirkt hat, aber zu den Kosten der Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit der Empfängerländer. Und man weiß, dass der damit verbundene Sprengsatz die Währungsunion nicht in die Luft, sondern in die Erdumlaufbahn katapultieren wird. Auch Frankreich braucht nach diesem Kollaps ein paar Leute, die sagen können: Ich habe es euch ja gesagt, Kinder, seid vorsichtig mit dem Plutonium, das ist Teufelszeugs!
Wenn ich eines über das Leben gelernt habe, dann dass es weiter geht. Hilde Knef.
Und auch wenn diese Einsicht leider zu spät kommt, um den Schaden abzuwenden, ist das eine gute Nachricht: wir brauchen nämlich nach dem Kollaps in Deutschland und in Frankreich Vertreter, die noch so viel Gesicht gewahrt haben, dass es in dem gemeinsamen europäischen Haus auch post-Euro und post-EU irgendwie gemeinsam, kooperativ und in Freundschaft weitergeht. Da trifft es sich gut, dass es ein großer Franzose war, der das Konzept dafür geliefert hat. Deshalb hatte er zu einer Zeit, als dies in seinem Land großen Mut erforderte, Deutschland als „große Nation“ bezeichnet und seine Hand ausgestreckt: Diese Idee ist das Europa der Vaterländer, von dem General de Gaulle träumte. Das ist das Modell der Zukunft. Meinen Respekt, General!
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Je länger ich den Text von Herrn Dr. Krall lese, umso mehr erinnert mich die beschriebene Stimmung in der EZB an die Stimmung im deutschen militärischen Hauptquartier Ende 1944. Anscheinend brauchen wir in Mitteleuropa schon wieder ein paar freiheitsliebende Völker = neue Allierte, die die Deutschen vor ihrer eigenen politischen Führung und deren vollkommener Handlungsunfähigkeit retten. Ich würde mich freuen, wenn Dänemark, Ungarn, Tschechien und Polen den Deutschen friedlich und deutlich geldpolitische Ratschläge erteilen würden und die Schweiz assistiert. Über fremde Einmischung in die eigenen inneren Angelegenheiten soll man sich eigentlich nicht freuen, aber bei mir wäre es so.
Die Deutschen Verantwortlichen waren und sind dumm wie Brot. Sie haben allen Regularien und Gesetzen zum Schaden Deutschlands zugestimmt. Das ein Staat eine Stimme Prinzip ist schon ein Witz an sich. Von dieser Frau hörte man NIE ihr ein Wort, also kann sie jetzt auch ruhig bleiben. Und jetzt da wir kurz vor dem Finanzcrash stehen, macht sie sich vom Acker. Sie hatte nie die Stimme erhoben, wie auch, den diese unsägliche Frau im Hosenanzug und vor allem Schäuble stimmten immer im Hintergrund zu. Mehr noch sioe befördern auch noch diese Entwicklungen. Wenn Deutschland wirklich etwas wollte, dann würde Deutschland… Mehr
Auch wenn ich mich unbeliebt machen sollte: Draghi hat mit der massiven Geldmengenerweiterung ein per se nicht falsches Konzept eingeführt. Es gehört allerdings auch das Handeln der Politik dazu, die bis jetzt gewonnene Zeit zu nutzen und freiheitliche und wettbewerbsfähige Wirtschafts- und Sozialreformen einzuführen. Nichts ist passiert, eher das Gegenteil. Warum? Weil Politiker für sich persönlich mehr Erfolg sahen und vom Wähler mehrheitlich mehr Zustimmung erwarten konnten. Siehe Schröder. Erst Mist 1998-2002, dann Hartz und abgewählt. So ticken viele Wähler. Null Finanz- und Wirtschaftskompenz. Das haben sie auch gemein mit ihren Politikern. Es ist zum Heulen.
Es ist doch generell so und das hätte man auch vorher wissen können: Je mehr man den Geldhahn aufdreht und die Zinsen senkt, desto weniger Anreiz besteht zu Strukturreformen und damit zu mehr Wettbewerb. Billiges Geld gleicht einer Droge. „Whatever it takes“ wirkte deshalb genauso verhängnisvoll wie „Wir schaffen das“.
Leider schaffte es weder die eine noch der andere …
In einer Welt von Vabanque spielenden Egomanen, Autokraten und Diktatoren mit wenig Sinn für rechtsstaatliche Prinzipien, Demokratie und Menschenrechten kann nur Kerneuropa die für den globalen Wettbewerb notwendige Funktionstüchtigkeit in allen wichtigen Bereichen (Finanzen, Verteidigung, Forschung etc.) herstellen und Europas Selbstbehauptungswillen als dessen „guter Hegemon“ garantieren.
Langsam kommt man ins Grübeln. TE betreibt zunehmend Seelsorge und spendet Trost angesichts der desolaten Situation und des Abdriftens in den Sozialismus. Roland Tichy rät zu Gelassenheit („Die Wirklichkeit gewinnt immer!“). Sie, lieber Herr Krall, erinnern an Stepis Spruch: „Lebbe geht weider“ – auch nach dem Kollaps wegen katastrophalem Fachkräftemangel in der Geldpolitik, bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der Bereitstellung bezahlbarer Energie, der Steuerung von Migration usw. usw.
Helfen tut nur noch schwarzer Humor. Danke für diesen realistischen Beitrag!
Öh, äh, was hat de Gaulle jetzt mit der Sache zu tun?
… nun ja, zu Zeiten des französischen Generals zeigte man auch dem besiegten Feind gegenüber noch Respekt. De Gaulle hatte übrigens auf der Militärakademie Deutsch gelernt – man musste schließlich die Sprache des Gegners kennen. (Übrigens kann ich mir nicht vorstellen, dass die Kanzlerin mit M. Macron Französisch parliert. D’aucune façon!) Ich bin nicht sicher, ob de Gaulle einer Einheitswährung mit Deutschland zugestimmt hätte. Dagegen spricht beispielsweise, dass unter seiner Regierung die französischen Devisenbestände an US-Dollar in Gold konvertiert und aus den USA nach Frankreich geholt wurden. An der Aktion war übrigens ein junger Finanzstaatssekretär namens Valéry Giscard d’Estaing beteiligt.… Mehr
M. Jaques Attali der Demagoge im Elysee-Palast sagte auch „Die geringe deutsche Arbeitslosigkeit ist ein Witz, wenn Leute für fünf Euro pro Stunde arbeiten. Das deutsche Bankensystem ist bankrott, weshalb die Regierung auch keine Kontrolle durch eine europäische Instanz will. Deutschland ist ein veraltendes Land mit katastrophalen Grundschulen und sinkender Produktivität, weil die meisten Exportprodukte gerade kopiert werden.“
Er ist der Irre und Deuschland hassende Berater der jeden Präsidenten überredet die Deutschen maximal auszunehmen. PS Er berät natürlich auch Macron.
Egal wohin man schaut, spätesten der Blick unter die Oberfläch offenbart es. Deutschland ist am Ende. Von einer EU will ich schon mal gar nicht schreiben. Die fette alte Schachtel in Berlin hat da wohl ganze Arbeit geleistet. Ab jetzt freue ich mich auf den Neuanfang. Echte Demokraten willkommen, aber nicht zwingend nötig.
Eine Politik des immerwährenden Schuldenmachens muss am Ende bei einer Überschuldung enden.
Die Staatschulden sind in der Folge neuer Schulden nirgendwo gesunken. Weder relativ zum BIP noch gar absolut.
Das war auch Keynes klar. Der hat immer gefordert die Anschub-Finanzierung auf Pump in guten Zeiten per Steuern wieder einzusammeln.
Aber das war nie der Fall.
Game Over!
Ich erwarte eine Hyperinflation mit Währungsschnitt.
Anschließend (Bürger)Krieg.
Nur wann, keine Ahnung. Wie schon A. Smith sagte: „There’s a great deal of ruin in a state“
wenn Sie zu den offiziellen Schulden aber noch die verbrieften Ansprüche an den Staat (u.a. Pensionsansprüche der Beamten) plus die knapp 1 Billion aus Target2 dazurechnen, klappt Ihre Rechnung völlig zusammen.
Zusatzfrage: Glauben Sie auch sonst alle Zahlen, die Ihnen die Tagesschau weismachen will ?
Tip: Infos dazu u.a. in den Vorträgen von Hr. Krall selbst bzw. wenn Sie einen „unverdächtigen“ Experten bevorzugen: Prof. Sinn als Ex-Ifo-Chef.
Fazit: wer Medienkompetenz besitzt und sich selbst informiert statt TS, ist klar im Vorteil.
Der größte Witz ist ja, daß deutsche Politiker der Altparteien (und ihre Komplizen) fundamentale Kritik an der EZB bzw. am System Draghi regelmäßig zurückweisen mit der Begründung, man solle die „Unabhängigkeit“ der EZB nicht antasten.
Herr Krall, Sie wissen es garantiert viel besser als ich. Aber, ich denke, da ist nichts mehr aufhaltbar. Wie sie bereits schrieben, egal was Draghi und Konsonsorten nun machen, es läuft immer auf den Knall hin. Einmal kommt er schnell einmal etwas später – aber er kommt – umso später umso heftiger. Aufhalten kann das Ganze niemand mehr. Ohne Bozourka hätten wir den Knall wohl schon hinter uns, aber dann säßen wir halt jetzt ganz tief im Schlamassel drin. Und nicht nur wir in der EU, sondern auch der Rest der Welt. Und genau darum geht es doch seit Jahren… Mehr