Um ein Bild zu gebrauchen: Der Riesentanker namens Bundeswehr schlingert antriebs- und führerlos vor sich hin. An Bord scheint nichts mehr zu funktionieren. Ja, es riecht sogar ein wenig nach Meuterei. Den allerobersten Flottenchef im Kanzleramt kümmert all dies wenig. Er hat getan, was er für hinreichend hielt: nämlich vor gut neun Monaten zum Stapellauf eine schöne Rede zu halten und diese jetzt zum 5. Dezember in dem in New York erscheinenden Journal FOREIGN AFFAIRS zu veröffentlichen.
Verlassen wir dieses wenig romantische Bild und knüpfen dort an, wo wir vor zwei Tagen auf TE stehengeblieben waren: Tanker-Kapitänin Christine Lambrecht (SPD) bekam binnen kürzester Zeit sechs politische Klatschen verpasst.
Bei Klatsche Nummer 5 war es um folgendes gegangen: Im Vorfeld des Montags, 5. Dezember, gelangte eine geheime Expertise des Verteidigungsministeriums in die Öffentlichkeit. Kernaussagen darin waren: Die Anschaffung von 35 Stück F35-US-Jets (Kostenpunkt inkl. Ersatzteile und Wartung: 9,99 Mrd. Euro) sei mit erheblichen Risiken behaftet. Zum Preis übrigens: Die 9,99 Mrd. Euro entsprechen nicht dem von der US-Regierung Ende Juli 2022 gebilligten Verkauf für 8,4 Mrd. US-Dollar (entsprechend rund 8 Mrd. Euro). Weiter: Es sei ungewiss, ob die Bundeswehr es schaffe, den dafür vorgesehenen Flugplatz in Büchel in Rheinland-Pfalz bis 2026 für die F35-Jets umzubauen. Und auch die Flugzulassung könne wohl nicht bis zu diesem Zeitpunkt eingeholt werden. Das war der Stand am Sonntag, 4. Dezember. In einer rasch einberufenen Sitzung sollte am Montag, 5. Dezember, darüber beraten werden.
„Vorwärts, Kameraden, wir rudern zurück!“
Nun hieß es im Verteidigungsministerium: „Vorwärts Kameraden, wir rudern zurück!“ Lambrecht ließ ihren Sprecher am Vormittag des 5. Dezember vor der Bundespressekonferenz sagen: „Es gibt keine Krise in der Planung für die Anschaffung von F-35-Kampfjets.“ Es gehöre aber zu einem ehrlichen und transparenten Umgang, auf mögliche Risiken hinzuweisen. Entsprechend verlief denn auch die Video-„Krisensitzung“ im Verteidigungsministerium im Sande. Lambrecht hatte sich immerhin eine halbe (!) Stunde Zeit genommen, um auf Bedenken von Parlamentariern der Ampelkoalition einzugehen. An der Videoschalte nahm neben Experten ihres Hauses für Rüstungs- und Zulassungsfragen auch Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz teil. Dieser hatte – das Schicksal seines unmittelbaren Vorgängers Karl Müllner vermutlich im Hinterkopf (siehe unten!) – am Sonntag via Twitter sein Unverständnis über die Zweifel am Projekt zum Ausdruck gebracht: Deutschland suche Probleme, wo andere Nationen, die auch F-35-Flugzeuge einführten, keine sähen. „Und wir übrigens auch nicht!“, schrieb er. Auch Andreas Schwarz, Haushälter der SPD, gab sich nun lammfromm. Ihm habe man zugesichert, dass die Flugzeuge auch in Deutschland fliegen dürften: „Das Ministerium hat auf dem Schirm, dass dieses Vorhaben Chefsache ist“, sagte Schwarz. Ähnlich samtpfotig gab sich der FDP-Abgeordnete Karsten Klein. In der Runde sei nochmal deutlich geworden, dass das Projekt „die volle Aufmerksamkeit der Ministerin“ brauche. Das Beschaffungsvorhaben könne vor Weihnachten im Bundestag behandelt werden, wie geplant. Noch in diesem Jahr sollen die Verträge geschlossen werden.
Und dazwischen eine derangierte Lambrecht
Was sagt uns das? Lambrecht weiß nicht, was in ihrem eigenen Ministerium kommuniziert wird. Und sie weiß nicht, was das Kanzleramt zu ihrem Aufgabenbereich gerade mal vorhat zu veröffentlichen. Für die Autorität einer Ministerin innerhalb und außerhalb ihres Hauses ist das vernichtend. Womöglich hat ihre Autorität auch schon so sehr gelitten, dass bewusst Dinge durchgestochen werden (hier Probleme mit der F35-Beschaffung), die ihr schaden sollen. Da das Verteidigungsministerium teils einem löchrigen Sieb, teils einem Kafka’schen Schloss ähnelt, wird es Lambrecht schwerfallen herauszufinden, was dahintersteckt. Konsequenzen wird sie daraus ziehen müssen. Mit diversen Personalrochaden oder mit einer zukünftig eindeutigen Kommunikation. Vielleicht kann ihr ja der SPD-nahe PR-Fachmann Raphael Brinkert helfen. Brinkert geriet in die Schlagzeilen, weil Bundesgesundheitsminister Lauterbach ihn für die Werbekampagne zur Impfkampagne „Ich schütze mich“ verpflichtet hatte. Brinkert betreute auch die Wahlkampagne von Olaf Scholz im Jahr 2021. Brinkert war dem Vernehmen nach auch zu Rate gezogenen worden, als es in Katar um eine angeblich mutige Alternative zur „One Love“-Binde der deutschen Fußballer ging. Ob die von den elf Startspielern beim Spiel gegen Japan vor dem Mund gehaltene Hand seine Schnapsidee war, wissen wir aber nicht.
Jedenfalls wäre Brinkert wahrscheinlich preiswerter gewesen als die Firma McKinsey, die von der Leyen zum Zwecke der Beratung für vermutlich dreistellige Millionenbeträge eingespannt hatte.
Das sind die Fakten und Versäumnisse
Die 35 Stück F35-Tarnkappenjets sollen die zuletzt noch vorhandenen 93 „Tornados“ ablösen. Davon hatte die Luftwaffe früher 359. Die von Deutschland, Italien und Großbritannien gemeinsam gebauten Tornados sind nun aber in die Jahre gekommen. Der Tornado war 1980 in Dienst gestellt worden. Er war ein durchaus leistungsfähiger Jet: zweistrahlig, zweisitzig, Spitze Mach 2.4, Reichweite von 1.400 bis (mit Zusatztanks) 3.900 Kilometer. Er ist atomwaffenfähig, ist zuletzt ja auch in Büchel noch stationiert, und er kann in der Luft betankt werden.
Der F35-Jet ist in der US-Luftwaffe seit 2015 im „Dienst“. Jetzt in der fünften Generation. Er hat nur ein Triebwerk (wie der „Starfighter“), nur einen Mann Besatzung, erreicht Mach 1.6 und hat eine Reichweite von 2.000 Kilometern. Wie er damit etwa Atombomben nach Russland befördern soll, lassen wir offen. Allein die Luftlinie von Büchel nach Minsk (Belarus) ist schon 1.400 km. Ob die F35 hier das richtige Gerät ist, um die vermutlich 20 im Büchel gelagerten US-Atombomben zu befördern? Wir lassen es offen. Letztlich waren es pragmatische Gründe, die für den Kauf der F35 sprachen: ein erprobtes Flugzeug, rasch verfügbar, einsetzbar im Rahmen der „atomaren Teilhabe“ der NATO. Zum Vergleich: Das deutsch-französisch-spanische Projekt FCAS (Future Combat Air System Craft) kann frühestens im Jahr 2040 mit einem einsatzfähigen Jet aufwarten.
Und was ist mit dem Standort Büchel? Dieser kleine Ort im Landkreis Cochem-Zell nahe der Mosel beheimatet derzeit das Taktische Luftwaffen-Geschwader 33 – ausgestattet mit zuletzt 46 Tornados. Alle F35-Jets sollen dort eines Tages ihre „Heimat“ finden. Eben wegen der „Atomaren Teilhabe“ und der Lagerung der US-Atombomben dort. Büchel soll jedenfalls alle 35 Stück der F35 aufnehmen (die ersten sollen 2026 ausgeliefert werden). Die 3.000 Meter lange Start- und Landebahn soll ohnehin routinemäßig erneuert werden. Offiziell heißt es: Die geplante Grundsanierung der Start- und Landebahn des Militärflugplatzes Büchel wird laut dem Sprecher des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr voraussichtlich im Februar 2026 abgeschlossen sein. „Weitere Baumaßnahmen werden noch bis mindestens 2028 andauern, der Flugbetrieb wird dadurch aber nicht weiter eingeschränkt“, ergänzte er. Wenn etwas notwendig ist, dann sind es wohl neue Shelter/Bunker, in denen die F35 mit Atombombe bestückt werden könnten. Insgesamt seien in Büchel Ausgaben von rund 170 Millionen Euro veranschlagt. Die jetzigen Tornado-Kampfflugzeuge und Beschäftigten des Standorts Büchel würden derweil zum Militärflugplatz Nörvenich in Nordrhein-Westfalen verlegt. Zum Schutz auch gegen Atomwaffengegner bekam der Luftwaffenstützpunkt Büchel laut dem Sprecher bereits einen neuen 11,5 Kilometer langen Außenzaun inklusive Postenweg. Dessen Überwachung werde derzeit geplant. „Die Kosten der bisher ausgeführten Bauleistungen belaufen sich auf rund 18 Millionen Euro“, sagte der Bundesamtssprecher mit Blick auf den neuen Außenzaun.