„Ohne den politischen Islam würde es Jihadismus nicht geben“

Der erste europäische Gipfel im Kampf gegen Islamismus macht klar: Der legalistische Islamismus muss in den Fokus. Und nur durch gegründete Dokumentationsstellen können Islamisten unter Druck gesetzt werden. 

Bild: via Twitter/ELNET

Im Januar tagte der „Erste europäische Gipfel im Kampf gegen islamistische Radikalisierung und Terrorismus“. Dieser „1er Sommet Européen sur la radicalisation islamiste et la menace terroriste“ machte deutlich, dass besonders die Schulen von islamistischen Einfluss betroffen sind und dort eine Veränderung erfolgen muss. Im Kampf gegen Islamismus und Radikalisierung wurde die Strategie befürwortet, endlich auch den legalistischen Islamismus in den Fokus zu nehmen, der mit dem radikalen Islamismus Hand in Hand geht. Das Ergebnis war, dass Dokumentationsstellen gegründet werden müssen, um Islamisten durch das erworbene Wissen und die veröffentlichten Erkenntnisse gezielt unter Druck zu setzen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass einerseits die Politiker endlich aufhören müssen, mit Islamisten zusammen zuarbeiten, andererseits der Staat aufhören muss, Islamisten zu finanzieren. Gleichzeitig sollte Europa eine einheitliche Kommission von aufgeklärten Muslimen bilden, die dann die Imamausbildung und den Schulunterricht gestalten könnten.

Schule als islamistisches Ziel

Die beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, Marlène Schiappa, fand klare Worte zum Fall Samuel Paty. Mit der Enthauptung des Lehrers Paty sei „die Schule und das Wissen angegriffen worden“. „Kritisches Denken und Vernunft“ seien die „Feinde, des Islamismus, was auf Unwissenheit beruht.“

In Frankreich wurde von dem Meinungsforschungsinstitut IFOP in Auftrag des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ eine Umfrage durchgeführt, aus der hervorging, dass für die 57% befragten jungen Muslime (im Alter zwischen 15 und 24 Jahren) das Scharia-Gesetz wichtiger sei als das Gesetz der französischen Republik. 69% der Muslime bewerten den Nachdruck der Mohammed-Karikaturen als „unnötige Provokation“. Nur 19% der Befragten sind der Meinung, dass blasphemische Karikaturen zur Meinungsfreiheit beitragen. Die Staatssekretärin für Jugend, Sarah El Haïry, betonte auf dem Gipfel, dass die „Bildungskette“ gestärkt werden müsse, und man nun eine Antwort darauf durch die Schule verfolgen müsse. „Wir dürfen keine kleinen Zugeständnisse mehr akzeptieren, Staub unter den Teppich legen“.

Der verengte Blick auf Islamismus

Alle anwesenden Referenten waren sich einig, dass der Blick zu sehr verengt wird, wenn nur auf den Terrorismus und Jihadismus geschaut wird. Der Historiker Heiko Heinisch, der im wissenschaftlichen Beirat der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ sitzt, hielt über genau dieses Problem einen Vortrag.

Politik, Medien und Gesellschaft in Europa seien sich einig, dass islamischer Terrorismus verabscheuend ist, so Heiko Heinisch. Doch geht es um die Bewertung des legalistisch operierenden politischen Islam, dann würden die Meinungen sehr schnell und sehr weit auseinandergehen. „Von vielen wird der Zusammenhang zwischen diesen beiden Spielarten des Islamismus nicht gesehen oder bewusst ignoriert.“ Der Historiker betonte, dass nur in Frankreich und Österreich eine politische Neubewertung des politischen Islam eben auch in seiner „mehr oder weniger gewaltfreien Variante“ stattfinden würde. 

Der Historiker plädierte dafür, den legalistischen Islamismus verstärkt in den Fokus zu nehmen. „Mit ihm wird eine neue totalitäre Ideologie auch die europäische Bühne betreten.“ Es handele sich um einen Kulturkampf, der uns von dieser neuen Ideologie aufgezwungen werde, der innerhalb der islamischen Welt schon seit vielen Jahrzehnten tobe. „Nun haben wir ihn auch verstärkt in Europa und mit ihm die Gewalt.“ „Der politische Islam auch in seiner in Europa gewaltfreien Variante liefert letztendlich die Grundlage auf der Jihadismus aufbaut.“ Ohne diese Ideologie des politischen Islam würde es den Jihadismus gar nicht geben können, sagte Heinisch.

Zusammenspiel von legalistischen und radikalen Islamisten

Auch sprach der Historiker an, was gerne übersehen wird. Die islamistische Muslimbruderschaft und die Milli-Görüs-Bewegung würde zwar weitgehend in unseren Ländern gesetzeskonform und gewaltfrei agieren, doch die dahinterstehende Ideologie sei eben nicht gewaltfrei. „Die Muslimbruderschaft lehnt den Jihadismus nicht prinzipiell ab, sie lehnt ihn in Situationen ab, in denen der Gegner so stark ist, dass es für die eigene Bewegung zum Nachteil werden könnte, wenn sie gewaltfrei agiert – das ist der einzige Grund.“ Jihadistische Bewegungen in anderen Ländern der Welt würden auch von Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa unterstützt werden. 

„Wenn wir uns den Mord auf den Lehrer Samuel Paty ansehen oder auf Charlie Hebdo vor sechs Jahren“, so Heinisch, „dann wird das Zusammenspiel zwischen den beiden Varianten des Islamismus sehr konkret.“ Die legalistischen Islamisten gingen mit klaren  Worten gegen ihre Gegner vor. „Sie starten eine Kampagne, sie kennen das Ziel, sie zeigen auf das Ziel.“ So hätten sie auch auf Samuel Paty gezeigt, dessen Kampagne aus  Kreisen der Muslimbruderschaft kam, sowie auf Charlie Hebdo, so lange bis andere zur Waffe greifen und das Ziel physisch attackieren würden. Der Historiker machte deutlich, wie stark legalistischer und radikaler Islamismus zusammengehören und gewisser Maßen eins sind: „Die einen würden ohne die anderen nicht überleben können auf Dauer.“ Auch würden beide das gleiche Ziel verfolgen: „Sie wollen eine Gesellschaft, die auf islamische Normen beruht und unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft feindlich gegenüber steht.“ 

Heinisch schlägt des Weiteren auf dem Gipfel vor, den Begriff „Separatismus“ auch in unsere deutsche Sprache aufzunehmen. „Denn er beschreibt, was passiert, wenn wir Islamisten in unseren Gesellschaften einfach frei laufen lassen, wenn wir sie einfach tun lassen, was sie am liebsten tun würden.“

„Europa darf nicht warten, bis Muslime von alleine etwas machen“ 

Der renommierte österreichische Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide hat auf dem Gipfel seine Vision bezüglich des Islam vorgetragen. „Ich glaube fest, dass wir eine Art Reform im Islam benötigen – und zwar von den Muslimen“, sagte Khorchide. Er machte deutlich, dass wir in Europa theologische Institutionen in akademischen Diskursen, an Universitäten bräuchten, „aber wir bauchen auch die Vermittlung der Ergebnisse dieser theologischen Institutionen“. Khorchide sagte, wir bräuchten einen islamischen Religionsunterricht an den Schulen und eine Imamausbildung. „Wir sprechen immer über Defizite aber ohne Alternativen kommen wir nicht weiter“, betonte er. „Wir haben kein europäisches, einheitliches Konzept, wie wir diese europäischen Werte implementieren in die Theologie.“

Der Islamwissenschaftler kritisierte, dass so viele europäische Länder wie Deutschland und Österreich der Ansicht seien, die Muslime müssten das für sich selbst entschieden. „Aber mit Muslimen meinen sie immer die organisierten Muslime.“ In Deutschland und Österreich würde man immer nur mit den organisierten Muslimen sprechen. Das Problem sei, dass es im Islam keine Kirche gebe, in welcher Muslime sich organisieren – „die sind aus politischen Gründen organisiert wie die Muslimbruderschaft oder türkische Organisationen“. Auch schlägt Khorchide für dieses Problem eine Lösung vor: „Die Lösung  wäre das europäische Staaten bewusster Kommissionen bilden von Experten, von muslimischen Experten, die einen aufgeklärten, offenen Islam bilden, der mit europäischen, modernen, demokratischen Werten vereinbar ist. Und diese Kommissionen gestaltende Imame gestalten die Ausbildung und den Religionsunterricht.“ Der Leiter des wissenschaftlichen Beirats der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ sagte deutlich: „Europa darf nicht warten, bis Muslime von alleine etwas machen.“

Brauchen Dokumentationsstellen für Gegenstrategien 

Eine andere Lösung für den Umgang mit dem Politischen Islam und die daraus folgende Spaltung der Gesellschaft bot wieder der Historiker Heiko Heinisch an. Er sagte, dass der politische Islam gleichzeitig der Versuch sei, unsere Gesellschaft zu spalten in Muslime und Nicht-Muslime. Wir müssten „Wissen über diese Organisationen, über ihre Strukturen, über ihre Akteure schaffen, das was die Dokumentationsstelle Politischer Islam in Österreich jetzt tun will.“ Auf diesem Wissen aufbauend können Gegenstrategien gebildet werden. Ebenso unterstrich er, dass nicht erzwungen werden könne, dass der Islam oder die Theologie sich verändert. „Aber jene Organisation die politisch-islamische Ideologien in unsere Gesellschaften, in die muslimischen Gesellschaften, hineintragen, so massiv unter Druck zu setzen wie es möglich ist.“ Dieser Druck könnte durch Beobachtung und Beobachtungsergebnisse, auch mit Hilfe der Medien, erzielt werden. Der Historiker schlug ebenfalls vor, dass wir ein Verbot für islamistische Organisationen bräuchten, welche gegen das Vereinsrecht oder gegen Strafrecht verstoßen würden. Genauso bräuchte es auch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Akteuren des politischen Islam durch die Politik. „Wir müssen aufhören diese Organisationen auch noch staatlich zu fördern, für das was sie tun“, da sie immer wieder staatliche Finanzierung erhalten würden. 

Die Organisatoren des Gipfels sind der Think Tank „Europa Leadership Network“ (ELNET), die Jean-Jaurès-Stiftung und Fondapol Stiftung. Beteiligt ist auch der ehemalige französische Minister Manuel Valls, Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin sowie die beiden Politikerinnen Marlène Schiappa und Sarah El Haïry. Weitere Tagungen folgen im Februar, März und April.

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Kommentare ( 16 )

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16 Comments
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Ralf Poehling
3 Jahre her

Zitat:“„Die Muslimbruderschaft lehnt den Jihadismus nicht prinzipiell ab, sie lehnt ihn in Situationen ab, in denen der Gegner so stark ist, dass es für die eigene Bewegung zum Nachteil werden könnte, wenn sie gewaltfrei agiert – das ist der einzige Grund.“ Jihadistische Bewegungen in anderen Ländern der Welt würden auch von Organisationen der Muslimbruderschaft in Europa unterstützt werden. “ Volltreffer. Genauer gesagt, ist der Dschihadismus für die Muslimbrüder quasi das, was die RAF für der ’68er war. Da besteht also ein Kasualzusammenhang Während die ’68er aber ihre Nähe zur RAF niemals leugneten und offen damit hausieren gingen, halten sich die… Mehr

alter Preusse
3 Jahre her

Der Islam ist seit seiner Erfindung als Herrschaftsideologie einer medinesisch-mekkanischen Bande (im damaligen byzantinisch-sassanidischem Machtvakuum dieser Region) erfolgreich …

Gottfried
3 Jahre her

Das Problem ist der Islam. Es ist eine totalitäre Religion, die nicht reformierbar ist.

Mausi
3 Jahre her

Europa darf nicht warten, bis Muslime selber etwas machen: Ach? Überspitzt gesagt, erst muss ein Dorf selbst Schutzmassnahmen zur Durchsetzung der Trennung von Staat und Religion ergreifen, bevor der Staat diesen Grundsatz schützt? Gehört dieser Grundsatz nicht zu den massgeblichen Errungenschaften unserer Kultur? Er sollte auch gegenüber den klassischen europäischen Kirchen geschützt und konsequent umgesetzt werden. Muss ein vernünftiger Hausherr sich nicht über die Einhaltung seiner Hausregeln Gedanken machen, bevor er Zutritt zu seinem Haus gewährt?

Deutscher
3 Jahre her

„Ohne den politischen Islam würde es Jihadismus nicht geben“

Und ohne den Islam würde es den politischen Islam nicht geben.

Last edited 3 Jahre her by Deutscher
Sonny
3 Jahre her

Der Leitfaden dieses „ersten europäischen Gipfels gegen Islamismus“ ist irreführend. Es gibt keinerlei Unterschied zwischen Islamismus und Islam. Wer das nicht begreift, wird das Übel dieser Kriegsreligion der Mullahs niemals beenden können. Einer Kriegsreligion, die fast ausschließlich nur mit Härte, Unterwerfung und Gewalt daherkommt. Selbst diejenigen, die sich (noch) nicht bis ins Letzte radikalisiert haben, sind mehrheitlich stille Mitläufer. Auch hier, genau wie bei Corona, ist das wirksamste Mittel der Unterwerfung die Angst, davon lebt diese Sekte. Um tatsächlich gute Ergebnisse zu erzielen, wäre es als erstes notwendig, die Political Corectness zu streichen und die Wahrheit auszusprechen. Und dann nach… Mehr

Schwabenwilli
3 Jahre her

Politischer Islam ist ein Kunstwort das kaschieren soll warum man bei islamischer Bedrohung unbedingt „differenzieren“ soll.

Gehen sie mal in der vormals christlichen Libanon und fragen die verbliebenen Christen was sie von dieser Wortschöpfung halten.

Deutscher
3 Jahre her
Antworten an  Schwabenwilli

Die Islam ist weder mit Religionsfreiheit noch mit anderen europäischen Werten vereinbar, Punkt, Ende, Amen, fertig, aus!

Thorsten Maverick
3 Jahre her

Die ganzen Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt. Die freie Gesellschaft ist nicht mit dem Islam kompatibel. Es gibt nur eine Lösung. Die Muslime schränken ihren Glauben drastisch ein, und wer das nicht will, muß gehen. Hier kann nur leben, wer sich mit der freien Gesellschaft identifiziert, und das kann ein gläubiger Muslim nicht. Ohne diese harte Entscheidung wird Europa islamisch werden, oder es gibt einen blutigen Bürgerkrieg mit ungewissem Ausgang.

Maria Jolantos
3 Jahre her

Politischer Islam ist ein Pleonasmus. Sind in die Schriften des Christentums, auf Grund der politischen Verfolgungen, noch Sätze wie „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ oder „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist“ eingegangen, so stammen die Suren des Koran von einem siegreichen Feldherr und Reichsgründer (falls der je real existiert hat). Dessen Nachfolger Uthman ibn Affan ließ als dritter Kalif und Eroberer die inzwischen von Dritten niedergeschreibenen Suren sammeln und davon alles was Mehrdeutigkeiten oder Zweifel am göttlichen Auftrag der Umma zum Dschihad (Anstrengung, Kampf, Bemühung, Einsatz) hätte wecken können, verbrennen. Seit dieser Zeit ist der Koran festgeschrieben,… Mehr

Paul Brusselmans
3 Jahre her

Alles steht und fällt mit dem Begriff der Religion. Religion ist Privatsache und sollte nicht ostentativ sein. Eine Weltauffassung, die unsere im GG manifestierte Rechte ablehnt, sollte nicht als Religion geschützt werden. Zu erinnern ist an Ron L Hubbard, dessen Pseudo-Psychokurse in den USA verboten wurden,und der dann unter den Deckmantel der Religionsfreiheit schlüpfte. Mir fällt da auch ein unseliger österreichischer Schreiberling ein, der während seiner Festungshaft seine von den nordischen Göttern inspirierte Gedanken niederschrieb. Kurz ein Prophet,ein Buch = eine Religion? Nazis als friedliebende Jünger und Nazisten als Mörder?