Angesichts der Differenz zwischen Programmkommission und Vorstandsantrag könnte der Parteitag zur offenen Feldschlacht zwischen Fundamentalisten und Realisten werden.
Da ist er nun also, der langerwartete, abschließende Programmentwurf der AfD, der auf einem Bundesparteitag am 30 April und 1. Mai des Jahres beschlossen werden soll. Er erscheint auf 78 (!) engbedruckten Seiten als „Leitantrag der Bundesprogrammkommission und des Bundesvorstandes“ als gemeinsame „Vorlage“.
Eine gute Gelegenheit, in das allgemeine Gackern einzustimmen. Denn die Eier sind nun gelegt. Ob die dann irgendwann demnächst geschlüpften Küken tatsächlich das halten werden, was die Eier versprechen – nun, das obliegt dann tatsächlich den Parteitagsdelegierten.
Der Leitantrag gliedert das Programm nach Inhaltverzeichnis und Präambel in vierzehn Hauptabschnitte, die sich so ziemlich mit allen Politikfeldern beschäftigen. 78 Seiten voller Inhalte und Positionierungen – eindeutig zu viel, um das in einem einzigen Text angemessen betrachten zu können. Weshalb wir nun bei Tichys Einblick uns über einen längeren Zeitraum den jeweiligen Abschnitten separat widmen werden.
Ein erster Blick
Ein erster, flüchtiger Blick auf das Papier macht deutlich: Der Programmentwurf scheint gegenüber der ursprünglichen Vorlage der Programmkommission deutlich „entschärft“. Das mag mancher als Mimikri bezeichnen – Tatsache jedoch bleibt, dass im Rahmen einer seriösen Herangehensweise erst einmal das zählt, was am Ende tatsächlich als beschlossenes Programm vorliegt. Denn das ist dann der Rahmen dessen, wie diese Partei sich selbst begreift – und auf Basis dessen sie dann im Zweifel auch gefordert sein wird, eigene Mitglieder, die die Inhalte des Programms missverstehen oder gern um eigene, private Positionen erweitern möchten, in die Schranken zu weisen.
Ist die AfD nun links oder rechts oder eine Partei der Mitte? Lassen wir diese an der traditionellen politischen Gesäßgeographie orientierte Frage vorerst unbeantwortet. Falls wir sie überhaupt beantworten wollen, so wird dieses erst zum Abschluss der Betrachtung möglich sein.
Die Präambel
Gab sich die AfD in der Präambel ihres ersten Entwurfs noch radikal anti-kommunistisch, anti-kapitalistisch, anti-internationalistisch und anti-europäisch, so sind diese Positionen nun sämtlichst aus der Präambel entfernt worden – es ist unverkennbar, dass hier der Versuch unternommen wurde, jenem häufig noch unausgegorenen, ersten Entwurf einen professionellen Touch zu geben.
Zum Einstieg definiert sich die AfD als Partei „überzeugter Demokraten, Liberaler und Konservativer, freier Bürger unseres Landes“.
Nach wie vor ist ihre Stoßrichtung eindeutig gegen das gerichtet, was sie als „politische Klasse“ versteht und sie kann sich dabei einen deutlichen Seitenhieb auf die amtierende Bundeskanzlerin nicht verkneifen, wenn sie feststellt: „Wir kamen zusammen in der festen Überzeugung, dass die Bürger ein Recht auf eine echte politische Alternative haben, eine Alternative zu dem, was die politische Klasse uns als ‚alternativlos‘ glaubt zumuten zu können.“
Die AfD konstatiert in ihrer Präambel einen“ Bruch von Recht und Gesetz, die Zerstörung des Rechtsstaats“ sowie verantwortungsloses politisches „Handeln gegen die Prinzipien wirtschaftlicher Vernunft“. Sie betrachtet sich weiterhin quasi als „Alternative“ zur unterstellten Alternativlosigkeit – und will anknüpfen an die beiden deutschen Revolutionen von 1848 und 1989, von denen die erste bürgerlich-liberale und die zweite anti-sozialistische, demokratische Ziele verfolgte.
Die in der überarbeiteten Präambel beschriebenen Zielsetzungen lesen sich in dieser abschließenden Vorlage bis auf den ersten Punkt als eine Fortsetzung klassischer, christlich-demokratischer Programmatik: „Direkte Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft, Subsidiarität, Föderalismus, Familie und die gelebte Tradition der deutschen Kultur“.
Deutlich allerdings unterscheidet sie sich von den traditionellen Bürgerlichen bei ihrem ursprünglichen Kernthema. Das „Regime der Euro-Rettung“ erzeugt aus AfD-Sicht „längst überwundene Vorurteile und Feindseligkeiten zwischen den europäischen Völkern“. Aber selbst das klingt deutlich versöhnlicher als die ursprünglich festgeschriebene, grundsätzliche Ablehnung der Europäischen Union. Befand sich die Partei in ihrem ersten Entwurf der Präambel noch unverhohlen im Fahrwasser der EU-Gegner LePen und Farage, so nähert sie sich nun eher der Position der britischen Tories an: „Wir (die AfD) artikulieren mit unserem bürgerlichen Protest den Willen, die nationale Einheit in Freiheit zu vollenden und ein Europa souveräner demokratischer Staaten zu schaffen, die einander in Frieden, Selbstbestimmung und guter Nachbarschaft verbunden sind.“ Das klingt ein wenig nach der Präambel des Grundgesetzes vor dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland – und die AfD lässt offen, in welcher Art und Weise die Partei sich dieses institutionell vorstellt. Wir dürfen daher gespannt sein, ob der entsprechende Abschnitt darüber Konkretes beizutragen weiß.
Ziel: Eine „grundlegende Erneuerung“
Die AfD möchte „unser Land im Geist von Freiheit und Demokratie grundlegend erneuern und eben diesen Prinzipien wieder Geltung verschaffen“. Das folgt in seiner Konsequenz der explizit dargelegten Auffassung der AfD, dass „die politische Klasse“ diesen Geist verloren habe und die Prinzipien keine Geltung mehr hätten.
Der ursprünglich unverhohlen anti-internationalistisch Ansatz wurde deutlich abgefedert und lautet nun: „Wir sind offen gegenüber der Welt, wollen aber Deutsche sein und bleiben.“
Konnte man bei dem ersten Programmentwurf noch den Eindruck bekommen, dass die AfD ihren Anspruch, Heimat für „Liberale und Konservative“ zu sein, eher als Deckmantel missbrauchte, so hebt sie in der nun veröffentlichten Beschlussvorlage insbesondere ihren konservativen Ansatz hervor und hat dabei deutliche Anleihen im Grundgesetz der Bundesrepublik genommen. Die überarbeitete Präambel schließt mit dem Satz: „Wir wollen die Würde des Menschen, die Familie mit Kindern, unsere abendländische und christliche Kultur, die historisch‐kulturelle Identität unserer Nation und ein souveränes Deutschland als Nationalstaat des deutschen Volkes und ein friedliches Miteinander der Völker auf Dauer bewahren.“
In dieser auf den ersten Blick weitgehend unproblematischen Formulierung (weitgehend insofern, weil neben sogenannten alternativen Lebensentwürfen auch jene ausgeklammert werden, die als Alleinerziehende durch Leben gehen müssen) schwingt gleichwohl immer noch die grundsätzliche Skepsis der Partei gegenüber der EU als Institution deutlich mit. Denn wenn die uneingeschränkte Souveränität Deutschlands „als Nationalstaat“ festgeschrieben wird, so geht dieses nicht konform mit Artikel 23 GG, in dem die „Verwirklichung eines vereinten Europas“ über die „Entwicklung der Europäischen Union“ als Staatsziel mit Verfassungsrang definiert ist. Daraus jedoch eine Verfassungsfeindlichkeit abzuleiten, wäre an dieser Stelle mehr als konstruiert.
Ein erstes Fazit
Mit der überarbeiteten Präambel der AfD-Vorstandsvorlage – denn tatsächlich ist sie angesichts des deutlichen Abweichens vom ursprünglichen Entwurf der Programmkommission genau dieses – unternimmt die Partei nun den Versuch, zumindest in der Präambel den Kommissionentwurf spürbar einzufangen. Es ist offenkundig: Saßen in der Programmkommission sogenannte „Hardliner“, so scheinen sich nun im Vorstand besonnenere Kräfte durchgesetzt zu haben.
Wie weit diese Feststellung auch für die umfangreichen, einzelnen Programmpunkte zutrifft, werden wir bis zum Parteitag in lockerer Folge auf Basis der einzelnen Programmabschnitte beleuchten.
Offen bleiben muss, ob jene, deren manchmal unverhohlene Radikalität Einzug in den ersten Programmentwurf gehalten hat, nicht den Parteitag nutzen werden, ihrer Fundamentalkritik erneut Geltung zu verschaffen. So deutet mit ausschließlichem Blick auf die Präambel des nun vorliegenden Entwurfs manches darauf hin, dass der Parteitag für die AfD zur Nagelprobe werden wird. Er könnte zu einer offenen Feldschlacht werden zwischen den Fundamentalisten und den Realisten – was einmal mehr eine unverkennbare Parallele zum Werdegang der als linke Alternative gestarteten „Grünen“ deutlich werden lässt.
So könnte der Parteitag, wenn der Inhalt der überarbeiteten Einzelpositionen das hält, was die überarbeitete Version der Präambel verspricht, die Entscheidung darüber treffen, ob die AfD weiterhin ihren bisherigen Kurs der demonstrativ vorgetragenen Fundamentalkritik gehen oder sich zu einer tatsächlich konservativen Partei entwickeln möchte.
Diese Weichenstellung zu beobachten, wird überaus spannend sein – und ich darf an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die AfD ihrer auf dem Parteitag zu treffenden Weichenstellung – gleich in welche Richtung sie weisen wird – dann auch mit aller Konsequenz folgt und nicht zu jenem janusköpfigen Zwitterwesen mutiert, welches „Die Grünen“ mit ihrem ungelösten Dauerkonflikt zwischen „Fundis“ und „Realos“ seit nunmehr einigen Jahrzehnten zelebrieren.
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